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E-Book

Martin Luther King - Amerikas Träumer

Ein SPIEGEL E-Book

VerlagSPIEGEL-Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl130 Seiten
ISBN9783877631799
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Martin Luther King hat die Vereinigten Staaten verändert wie kein Schwarzer und wenige Weiße vor ihm. Dabei blieb ihm nur wenig Zeit: Als der Baptistenprediger und Anführer der Bürgerrechtsbewegung vor 50 Jahren ermordet wurde, war er gerade mal 39 Jahre alt. Dieser Martin Luther King war der bis dahin jüngste Mensch, der mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde, vier Jahre vor seinem Tod. In seiner Heimat allerdings wurde King verhaftet, bespitzelt, bedroht, immer wieder, weil er eine so schlichte wie revolutionäre Wahrheit aussprach: Die staatliche Unterdrückung von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe ist durch nichts zu rechtfertigen. Das E-Book 'Martin Luther King', das 20 neue, einordnende sowie zeitgenössische Artikel aus dem SPIEGEL seit 1957 umfasst, vermittelt ein umfassendes Bild von der historischen Figur Martin Luther King und zeigt, die Zeit spiegelnd, wie mächtig und verbreitet die Vorurteile waren, gegen die 'Amerikas Träumer' kämpfte.

Samiha Shafy, geboren 1979 in Basel, ist seit 2007 Redakteurin beim SPIEGEL. Nach dem Studium der Umweltnaturwissenschaften in Zürich und Stationen bei verschiedenen schweizerischen und deutschen Medien arbeitete sie zunächst im Ressort Wissenschaft. Nach einem einjährigen Studienaufenthalt in Harvard wechselte sie 2013 ins Auslandsressort.

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Leseprobe
Martin Luther Kings Erbe • Ausland
SPIEGEL 13/2018

Träumer


 Vor 50 Jahren wurde Martin Luther King ermordet. Er hat sein Land verändert wie nur wenige vor ihm. Doch etwas Entscheidendes fehlte. Von Samiha Shafy
Martin konnte sehr verspielt sein", sagt Andrew Young, 85, "aber so albern wie an jenem Abend habe ich ihn sonst nie erlebt." Ein Lächeln huscht über sein freundlich zerfurchtes Gesicht. "Er hat sich aufgeführt wie ein Zehnjähriger!"
Es war der 4. April 1968, und sie waren im Lorraine Motel in Memphis abgestiegen: Dr. Martin Luther King Jr., sein Mitstreiter Young und weitere Bürgerrechtler; sie wollten einen Protestmarsch von Müllmännern unterstützen.
Der letzte Tag in Kings Leben.
Wenn er an einem Ort erschien, erregte er Aufmerksamkeit. Er hatte in den Jahren zuvor den friedlichen Widerstand der Schwarzen organisiert: gegen die Diskriminierung in Bussen, Restaurants, Wahllokalen. Immer wieder war er verhaftet, geschlagen, bedroht worden. Doch am Ende hatte er die USA verändert wie kein Schwarzer und wenige Weiße vor ihm. Nun hatte er ein neues, noch größeres Ziel: einen gewaltfreien Aufstand der Armen, schwarz und weiß, gegen ihre Ausbeutung.
Andrew Young hatte den Tag am Gericht verbracht, er kämpfte gegen ein Verbot des Marsches. Als er ins Motel kam, saß King mit Freunden im Zimmer, scheinbar beleidigt: Wo warst du? Warum hast du nicht angerufen?
Young wollte antworten, da traf ihn etwas Weiches. „Martin begann einfach, mich mit Kissen zu vermöbeln“, erzählt er. „Ich wehrte mich, aber dann stürzten sich die anderen auf mich, sie drückten mich zu Boden und stapelten alle Kissen auf mich. Und Martin war ...“ Er stockt. „Martin war so glücklich, wie ich ihn schon lange nicht mehr gesehen hatte.“
Warum? Der alte Mann, fein gekleidet mit Sakko und blau-gelber Fliege, hebt die Schultern, als wären sie aus Blei. Wieder und wieder hat er diese Szene durchlitten, die unbeschwerten letzten Minuten vor einer Tragödie, die den Rest seines Lebens geprägt hat – und die Geschichte der USA.
„Martin wusste, dass wir vor Gericht gesiegt hatten“, sagt er. „Er war froh und entspannt.“ Es war fast 18 Uhr, sie waren zum Dinner eingeladen. Aber King hatte es nicht eilig. Er trat auf den Balkon hinaus, eine Zigarette in der Hand. Young sagt: „Dann hörten wir einen Schuss.“
Dieser Teil der Geschichte ist Schulstoff: Martin Luther King, der so fulminant davon erzählen konnte, wie es ist, als Schwarzer in einem rassistischen Land zu leben, dieser Prediger einer Nation, der Menschen inspirierte wie Gandhi oder Mandela, ging zu Boden, tödlich getroffen durch die Kugel eines Weißen, der Schwarze hasste. So banal, so niederträchtig.
Andrew Young sitzt in seinem Büro im dritten Stock des Georgia Public Broadcasting Building in Atlanta und lässt sich noch ein Ginger Ale bringen. Sein Leben ging weiter: Er war Kongressabgeordneter, Botschafter bei der Uno, Bürgermeister von Atlanta. Heute steht er einer Stiftung vor, die seinen Namen trägt. Fotos zeigen ihn mit Muhammad Ali, Jimmy Carter, Barack und Michelle Obama und immer wieder: der junge Young mit seinem Freund, der nur 39 Jahre alt wurde.
Bis heute glauben manche, dass der Mörder, James Earl Ray, nicht allein gehandelt habe – dass das FBI oder andere Mächtige ihm die Hand geführt hätten. King, als 35-Jähriger mit dem Friedensnobelpreis geehrt, war eine Gefahr für die herrschende Ordnung. Seine Gegner in Washington reizte es bis aufs Blut, dass er sich durch Gewalt nicht provozieren ließ, einfach nur unbeirrt seine Wahrheit aussprach: Die staatliche Unterdrückung von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe sei durch nichts zu rechtfertigen.
„Ich habe eine Meinung zu alldem“, sagt Young, „aber letztlich macht es keinen Unterschied. Es geht nicht darum, wer Martin getötet hat, sondern darum, was ihn getötet hat.“ Müde klingt er nun, traurig: „Donald Trump war noch nicht auf der Bildfläche erschienen, aber die gleiche Krankheit, an der heute der Präsident leidet, die gleichen Ängste und Unsicherheiten haben damals zu Martins Tod geführt.“

Young hat sein Leben lang versucht, den Weißen ihre Angst zu nehmen. Doch der Rassismus, so glaubt er heute, wurzelt tief im Erbgut des Landes wie ein defektes Gen. „Amerika gründet auf der Annahme, dass Weiß besser sei als Schwarz. Dass Schwarze versklavt wurden, weil sie Weißen intellektuell und moralisch unterlegen seien.“ Leise, bitter fügt er hinzu: „Das ist nur einfach nicht wahr. Es war nie wahr.“
Seit Monaten bereiten sich die USA auf den 4. April 2018 vor, in vielen Städten sind Gedenkfeiern geplant. Hunderte Straßen, Schulen und Kirchen sind nach King benannt, es gibt einen Feiertag zu seinen Ehren, ein gigantisches Monument in der Hauptstadt, und nun, im 50. Jahr nach seiner Ermordung, wird er bei jeder Gelegenheit gepriesen – sogar von Trump.
Es ist, als brauchten die Amerikaner einen schwarzen Nationalheiligen, um sich selbst zu beruhigen. Zerrissen und wund ist das Land, es ringt um seine Seele, vielleicht auch um seinen Verstand. Schwarze Kinder werden in Amerika von Polizisten erschossen, und wer dagegen protestiert, wie mehrheitlich schwarze Footballspieler, besudele die Ehre des Landes; so sieht es der weiße Nationalist im Weißen Haus. Als vergangenes Jahr Neonazis durch eine Stadt marschierten, sagte Trump, einige von ihnen seien „sehr feine Leute“.
Ja, Amerika braucht die Erinnerung an Martin Luther King. Aber wer war er wirklich? Und was würde er sagen, wenn er sein Land heute sähe?
Die Suche nach Antworten führt zu Weggefährten wie Andrew Young und Clarence B. Jones, der einst Reden für King schrieb. Sie führt zu Kings Kindern, die in Atlanta sein Vermächtnis hüten. Und zu einer jungen Frau, die heute dämonisiert wird wie einst King: Patrisse Khan-Cullors, eine der Gründerinnen der „Black Lives Matter“-Bewegung.
Die Auburn Avenue in Atlanta ist der Ort, an dem alles begann. Hier kam am 15. Januar 1929 Michael King Jr. zur Welt. Das zweite von drei Kindern von Alberta Williams King, einer Lehrerin, und Michael King, einem Baptistenprediger, der den Reformator Martin Luther verehrte. 1934 reiste Vater King zum Weltkongress der Baptisten nach Berlin, und als er zurückkam, inspiriert, änderte er seinen Vornamen – und auch den des Sohnes.

Ein Spaziergang durch die Auburn Avenue ist eine Zeitreise ins Jahr 1968; Coretta Scott King, die Witwe, sorgte damals dafür, dass die Straße ein Freilichtmuseum wurde. Im selben Jahr noch gründete sie hier das King Center: ein roter Backsteinbau, Museum und Ort für Veranstaltungen. Daneben die Grabstätte des Ehepaars King, aus Marmor und von Wasser umspült.
Nur ein paar Schritte entfernt steht das Haus, in dem Martin Luther King aufwuchs: zwei Stockwerke, hell gestrichenes Holz mit braunen Fensterläden, eine Veranda; die Familie litt keine Not. Vater King predigte in der Ebenezer Baptist Church, und von 1960 bis zum 4. April 1968 teilte er sich diesen Posten mit seinem Sohn.
Auch die Kirche sieht fast aus wie damals, mit zwei roten Türmchen. Eine Treppe führt in den Kirchenraum, ein paar Touristen sind da, die King hören wollen. Seine Stimme füllt den Raum, sie kommt vom Band, warm und unverwechselbar. Er maß nur 1,70 Meter und war keine herausragende Schönheit – aber wie Musik klang es, wenn er redete, der schärfste Satz wie Poesie. „Wenn wir Frieden auf Erden wollen“, sagt die Stimme, „dürfen sich unsere Loyalitäten nicht beschränken auf unsere Rasse, unseren Stamm, unsere Klasse und unsere Nation; das bedeutet, dass wir eine globale Perspektive entwickeln müssen.“
Es ist, als ob King auf Trumps „America First“ antwortete. Man wünscht sich, er könnte das wirklich: die Gegenwart kommentieren. Doch diese Aufgabe fällt nun Bernice King zu, seiner Tochter.
Sie wird gerade geschminkt, in einer Garderobe im Keller des Georgia Public Broadcasting Building. Gleich wird King, 54, in einer Fernsehshow auftreten. Es wird, wie üblich, um ihren Vater gehen. Andrew Young ist aus seinem Büro im selben Gebäude heruntergefahren, um sie zu begrüßen; er kennt sie seit ihrer Geburt. Sie sitzt in der Maske wie eine Königin, umschwirrt von Visagisten, Fernsehleuten und Assistentinnen, und der alte Mann wartet auf seinem Elektrogefährt, etwas verloren.
Schließlich erhebt sie sich doch und gibt Onkel Andy, wie sie ihn nennt, ein Küsschen. Ihr Gesicht lässt die Züge ihres Vaters erahnen, das Haar ist hinten streng geflochten, oben lockig aufgetürmt. Sie trägt einen schwarzen Hosenanzug, Lackpumps und Perlenschmuck. „Als sie klein war, habe ich sie immer durchs Haus gescheucht“, sagt Onkel Andy und strahlt in die Runde. „Richtig“, sagt sie und ringt sich ein Lächeln ab.
Es muss schwer sein, Bernice King zu sein. Sie war fünf Jahre alt, als ihr Vater ermordet wurde. Allgegenwärtig ist sein Bild und doch verschwommen. Wenn er von seinen Reisen nach Hause kam, daran erinnert sie sich, spielten sie das Kuss-Spiel: Jeder in der Familie hatte eine feste Kuss-Stelle auf seinem Gesicht, und der Reihe nach rief er sie auf, um die Küsse einzusammeln: Coretta, die Gattin, küsste ihn auf den Mund, die Erstgeborene, Yolanda, genannt Yoki, daneben, die Söhne Dexter und Martin Luther III. küssten auf die Wangen, und ihr, Bernice, gehörte die Stirn.
Noch etwas: Der Vater, wie er am Esstisch sitzt und Frühlingszwiebeln kaut, als wären es Selleriestangen....
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