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E-Book

Mechthild von Magdeburg

'Das fließende Licht der Gottheit' und Kommentar von Gerhard Wehr

AutorGerhard Wehr
Verlagmarixverlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783843800617
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Mit Mechthild von Magdeburg (gestorben um 1282) erreicht die deutschsprachige Frauenmystik einen einzigartigen Höhepunkt. Die empfindungsstarke, zugleich sprachmächtige Dichterin hat man mit den deutschen Minnesängern und den südfranzösischen Trobadors verglichen und sie selbst eine spirituelle Trobadoura genannt. Seit Jugendtagen mit den Erfahrungen einer bewegten Innerlichkeit begabt, hat sie ihre glühende Gottesliebe nach Art des biblischen Hohenliedes in anmutigen erotischen Bildern und Vergleichen von erstaunlicher Kühnheit gestaltet. Ihre Schilderungen eines spirituell-intimen Erlebens sind von poetischen Geständnissen durchzogen, die ihrerseits einladen, den Seelenwegen der immer noch neu zu entdeckenden Mystikerin und Poetin nachzugehen. 'O du brennender Gott an deiner Sehnsucht, o du inniger Gott an deiner Einung, o du ruhender Gott an meiner Liebe - ohne dich ich nicht am Leben bliebe.' Mechthild von Magdeburg

Dr. theol. h.c. Gerhard Wehr, geb. 1931 in Schweinfurt/Main. Nach langjähriger Tätigkeit auf verschiedenen Feldern der Diakonie und der Erwachsenenbildung, zuletzt als Lehrbeauftragter an der Fachakademie für Sozialpädagogik in Rummelsberg/Nürnberg, arbeitet er als freier Schriftsteller in Schwarzenbruck bei Nürnberg. Ein Großteil seiner Werke zur neueren Religions- und Geistesgeschichte ist in mehreren europäischen und asiatischen Sprachen verbreitet.

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Leseprobe

»Das Fließende Licht der Gottheit« gibt sich kund


Wie schon aus den in der Einführung zitierten Wortlauten ersichtlich, umkreist die Dichterin in der Art augustinischer Meditationen die beiden Pole »Gott und die Seele«. Es ist die Seele, die sich in der Gottsuche einerseits verzehrt, andererseits erst durch sie die letzte Erfüllung findet, indem sie sich in liebender Hingabe mit der ersehnten göttlichen Dreifaltigkeit vermählen lässt: Ein jede Ordnung sprengender Liebesakt, der – von zaghafter Hinneigung über das jubilierende Liebesspiel der »spilenden minnevluot« bis zur seligen Einung reicht, die auch »mystische Hochzeit« oder »unio mystica« genannt wird. Es ist das Hochziel der Mystik überhaupt, für Mechthild niedergelegt in einer »teilweise mehr oder weniger als eine Autobiographie [anzusehende] Seelengeschichte« (M. Schmidt).

Doch zunächst eine Besinnung auf die Seele selbst. Es handelt sich um Zeugnisse, die zum Teil schon am Eingang des Buches stehen und die in späteren Abschnitten von Neuem aufgenommen werden. Dabei mag auf sich beruhen, ob oder inwieweit Mechthilds Berater eine gewisse Anordnung der lose aneinander gereihten Textstücke getroffen haben. Bedrückendes und Erhebendes an Leib und Seele, Geständnis der Qual und Lobpreis scheinen schon hier ineinander überzugehen. Von daher fällt auch ein Licht auf die momentane seelische Verfassung der Autorin31:

Mein Leib bebt in großer Qual, meine Seele schwebt in hoher Wonne, denn ihren Liebsten hat sie erschaut und mit ihren Armen umfangen allzumal. Von ihm hat die Ärmste ihre Qual. Empor zieht er sie und sie zerfließt. Sie kann sich nicht zurückhalten, bis er sie in sich hineinzieht. Wohl spräche sie gerne, aber sie kann es nicht. So ist sie gar hineingebunden und vereinigt in und mit der wundersamen Dreifaltigkeit. Dann (über)lässt er sie (sich) ein wenig, dass sie (eigenständig und von sich aus) begehren könne … So sieht sie ihn an und spricht zu ihm: Herr gib mir deinen Segen. – So sieht auch er sie an und entrückt sie wieder. Er gibt ihr seinen Gruß, den der Leib nicht aussprechen kann. (I, 5)

Wie sehr Mechthild dabei noch am Anfang ihrer weiteren Seelenentwicklung stand und welchen Beschwernissen sie standzuhalten hatte, entnimmt man Schilderungen ihrer spirituellen Autobiographie, von der im vierten Buch zu lesen ist:

Vom Gotte wusste ich (anfangs) nicht mehr als unsern Christenglauben allein. Ich mühte mich, mein Herz zu reinigen. Gott selber ist mein Zeuge, dass mein Wunsch und Wille nie nach jenen Dingen stand, die in diesem Buche vorkommen, dass er sie mir geben sollte. Auch gedachte ich nie, dass dergleichen den Menschen (überhaupt) geschehen möchte. Solange ich bei meiner Verwandtschaft und lieben Freunden lebte, erfuhr ich diese Dinge nie. Doch hatte ich schon lange verlangt, einmal schuldlos geschmäht zu werden.

Doch kam ich durch Gottes Liebe in eine Stadt, wo niemand mein Freund war als allein ein Mensch. Vor dem hatte ich Angst. Ich fürchtete, er möchte mir die heilige Bemühung und die lautere Gottesliebe stören. Aber Gott schützte mich und gab mir ein so minnigliches Entzücken, in so herrlichem Erkennen und in so unbegreiflichem Wunder, dass ich der irdischen Dinge kaum gebrauchen konnte, (sie waren mir unwesentlich geworden).

Es wurde mein Geist aus meinem Zustand in die Höhe erhoben zwischen der Luft und dem Himmel. Da sah ich mit meiner Seele Augen in himmlischer Wonne die schöne Menschengestalt unseres Herrn Jesu Christi. Und ich erkannte an seinem hehren Antlitz die Heilige Dreifaltigkeit des Vaters Ewigkeit, des Sohnes Wirkmacht und des Heiligen Geistes Süßigkeit … Da sprach unser Herr: Ich will dir diesen Engel nehmen und will dir dafür zwei wiedergeben. Die sollen dich bei diesen Wundern betreuen … (IV, 1)

Die Berichterstatterin will ihre Leser nicht in der Meinung darüber lassen, dass sie angesichts ihrer Schauungen immer nur in harmonischer und lichter Hochstimmung geweilt habe. Vielmehr stellen sich bei ihr neben den von Licht umfluteten Engeln dunkle Widersachermächte teuflischer Art ein, die versucherisch an ihre Seele herantreten. In erregter Wechselrede sucht die Seele diese Bezauberung abzuwehren. Als Waffe greift sie zur Betrachtung des Martyriums Christi. Mit ihm versehen will sie über ihre eigne, widerstrebende Leiblichkeit Verfügungsgewalt gewinnen. Unausweichlich ist ein Streit und Widerstreit geworden, der sie in Spannung und in einer erwartungsvollen Unruhe hält. Gleichzeitig deutet sie an, durch welche Exerzitien sie sich Erleichterung zu schaffen versucht, ehe das Wunder der Minne sie in Verzückung versetzt.

Ich musste nun immerwährend in Furcht und Zittern schweben. Meine Feinde drangen böse und mit Schlägen auf mich ein. Da war Seufzen, Weinen, Fasten, Wachen, zur Beichte Gehen, mein Herz Ergründen, Opfern und das Göttliche Ansehen. Das waren die Waffen meiner Seele, womit ich den Leib überwand …

Manche Tage lag ich in schwerem Siechtum meines irdischen Wesens. Und dann kam die gewaltige Minne und verzückte mich so durch ihre Wunder, dass ich nicht länger schweigen durfte. Es wurde mir aber Angst, da ich in meiner Einfalt gedachte und sprach: »Eia, milder Gott, was hast du mit mir vor? Du weißt doch, dass ich töricht und nur ein geringer Mensch bin an Leib und Seele! Diese Dinge solltest du (besser) weisen Menschen geben. Du würdest dann durch sie gepriesen werden …«

Da sprach unser Herr:

»In allen diesen Dingen sollst du mir folgen und vertrauen. Auch sollst du lange krank sein, aber ich will dich pflegen und alles, dessen du bedarfst an Leib wie an Seele, das will ich dir geben.«

Da ging ich Arme in demütiger Scham zu meinem Beichtvater und sagte ihm diese Rede und verlangte dazu seine Belehrung. Doch er sprach, ich sollte frohgemut fortfahren. Gott, der mich bisher geführt habe, werde mich wohl bewahren. Dann hieß er mich das, worüber ich mich oft weinend schäme, denn offen steht vor meinen Augen meine große Unwürdigkeit. Das war es, dass er einer schwachen Frau nahelegte, dieses Buch – aus Gottes Herzen und Mund – zu schreiben.

Also ist dieses Buch aus inniger Liebe (minniglich) von Gott hergekommen; von menschlichem Ersinnen stammt es nicht (IV, 2).

Das umstrittene Buch


Dennoch, ganz unumstritten kann die Niederschrift des Buches für Mechthild nicht gewesen sein. Offensichtlich müssen wir uns – abgesehen vom Auftrag ihres Beichtvaters – ein inneres Ringen vorstellen, das ihr Tun zumindest am Anfang eine Weile begleitet haben wird. Als theologisch ungebildete, durch keine kirchliche Weihe legitimierte Frau, eine Begine, musste sie von denen mit allerlei Einwänden rechnen, die sie von ihrem Vorhaben wissen ließ. Dazu gehörte üblicherweise die Warnung, dass die Preisgabe spiritueller Erfahrungen, die gegebenenfalls Grenzbereiche der Kirchenlehre tangieren, peinigende Kirchenstrafen zur Folge haben kann. Solche Menschen stehen zur fraglichen Zeit nicht selten in der Gefahr, als ketzerisch verdächtigt und alsbald verbrannt zu werden. Man denke nur an das Schicksal der bereits genannten französischen Begine Marguerite Porete, deren Schrift »Miroir – Spiegel der einfachen Seelen«, und schließlich sie selbst dem Feuer übergeben und vernichtet wurde. Flammende Autodafés begleiten denn auch die Religions- und Geistesgeschichte seit Menschengedenken.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen Poretes und Mechthilds Schrift besteht offensichtlich darin, dass die Magdeburgerin sich mit Beglaubigung, etwa aus den Kreisen des Dominikanerordens, gerade auch bezüglich ihres Buches auf den göttlichen Ursprung berufen kann. Dabei meint sie eine Ermutigung durch Gott selbst zu vernehmen, der sich im »Fließenden Licht der Gottheit« offenbaren will. Wie es nicht anders sein kann, geben letztlich all jene von ihr zusammengetragenen Argumente den Ausschlag, sodass sie an einer Stelle schreiben kann: »Der Klang der Worte erklärt meinen lebendigen Gott.« Und was von ihm kommt, das untersteht seinem höchsten Schutz; er bedarf keines anderen. Wer sollte es daraufhin wagen, dieses Buch und ihre Schreiberin dem Feuer zu übergeben? Immerhin:

  • Ich ward vor diesem Buch gewarnt,
  • von Menschen wurde dies gesagt:
  • »Wer sich nicht hiervon zurückhält,
  • den verzehrt der Feuerbrand.«
  • Da tat ich, was ich als Kind schon getan,
  • war ich betrübt, so betete ich an.
  • Ich wandte mich zu meinem Lieben und sprach:
  • »Eia, Herre, wie bin ich betrübt,
  • willst bei deiner Ehre du mich ungetröstet lassen?
  • Hast doch du selbst mich verleitet,
  • dies Buch niederzuschreiben!«
  • Da offenbarte sich Gott meiner traurigen Seele
  • und hielt das Buch in seiner Rechten. Er sprach:
  • »Meine Liebe, betrübe dich nicht zu sehr.
  • Die Wahrheit kann doch niemand verbrennen.
  • Wer mir das Buch entreißen will,
  • der muss wohl stärker sein als ich.«
  • »Dies Buch ist dreifaltig,
  • mich allein beschreibt es.
  • Das Pergament, das es umkleidet,
  • bezeichnet meine wahre Menschheit,
  • die durch dich den Tod erlitt.
  • Die Worte sprechen meine Gottheit aus.
  • Von Stund zu Stunde fließen sie
  • aus meinem Munde in deine Seele.
  • Der Klang der Worte kündet meinen lebendigen Geist
  • und erwirkt damit die rechte Wahrheit.
  • Nun sieh aus allen diesen Worten,
  • wie löblich sie mein Geheimnis bergen.
  • Keinen Zweifel darfst du daran finden.« (II,...
Blick ins Buch

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