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E-Book

Meditation

12 Briefe zur Selbsterziehung

AutorFriedrich Rittelmeyer
VerlagVerlag Urachhaus
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl251 Seiten
ISBN9783825161835
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
In 12 Briefen beschreibt Friedrich Rittelmeyer einen individuell entwickelten Weg der Meditation. Ausgehend von der bildhaften Sprache des Johannesevangeliums sowie von Anregungen Rudolf Steiners stellt dieses Übungsbuch eine der Grundlagen der anthroposophischen Literatur dar. 'Das Einzigartige, Besondere des Buches liegt darin, dass es in das Geheimnis des Impulses hineinblicken lässt, den Friedrich Rittelmeyer wie von Ewigkeiten her in der eigenen Seele mitbrachte und der ihm von innen her die Kraft gab, die Schicksalsmöglichkeiten zu verwirklichen, die ihm durch den Ruf des Zeitalters und die Hilfe Rudolf Steiners von außen her entgegenkam.' Emil Bock

Friedrich Rittelmeyer, geboren 1872 in Dillingen/Donau, wuchs in der Atmosphäre eines protestantischen Pfarrhauses auf. Nach dem Studium der Theologie und Philosophie in Erlangen und Berlin promovierte er mit einer Arbeit über Nietzsche. Von 1903 bis 1916 war er in Nürnberg als Prediger tätig und wirkte später in Berlin, bis er 1922 die Christengemeinschaft mitbegründete, deren Leitung er bis zu seinem Tod 1938 innehatte. Sein regelmäßiger Austausch mit Rudolf Steiner führte zu einer intensiven Beschäftigung mit der Meditation.

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Leseprobe

1


Der erste dieser Briefe will zunächst klarlegen, was in der Absicht des Verfassers liegt.

Das Motiv zur Ausgabe dieser Briefe ist die Überzeugung, dass die Menschheit in der Gegenwart in allergrößter Gefahr steht. Wir meinen nicht einen Giftgaskrieg, auch nicht eine allgemeine wirtschaftliche Katastrophe. Das alles mag drohen. Aber das Gegenwartsleben selbst hat solche Formen angenommen, dass die Menschheit auf dem Wege ist, den Menschen selbst zu verlieren. Wie wir heute Tag für Tag durch unseren Beruf in Anspruch genommen werden, besonders in den technischen Berufen, aber keineswegs bloß in ihnen, das ist das Zerstörende. Es droht, den Menschen in uns auszulöschen, das echte Menschentum unmöglich zu machen, die wahre Zukunft der Menschheit zu vernichten, ja das menschliche Leben selbst zu ertöten. Wenige Menschen sehen mit klaren Augen, wie sie eigentlich leben. Sie leben nicht, sie werden gelebt, durch den ganzen Tag hindurchgelebt von irgendwelcher unbekannten Macht, die über ihnen die Peitsche schwingt. Zu irgendeiner Stunde ruft der unerbittliche Wecker der Pflicht. Und dann jagt eine Pflicht die andere, und alle miteinander jagen den Menschen. Was ist das für eine Gewalt, die über uns Herr geworden ist?

In jenen Jahren, als mein Leben selbst diesem modernen Leben am ähnlichsten war, hatte ich als protestantischer Vikar in Würzburg, neben den anderen Pflichten der Predigt und Gemeindetätigkeit, sieben Jahre lang wöchentlich 22 Unterrichtsstunden zu geben. Es waren Religionsstunden, und ich war aus freiem Willen mit Begeisterung Diener der Religion geworden. Aber wie da Tag um Tag morgens die vier Religionsstunden herankamen und gehalten werden mussten, das war, um einem Menschen jede Freude auch an einem idealen Beruf auszurotten. Wollte man hier als Mensch immer mit der Seele dabei sein, so wurde man krank. Damals schwebte ein Bild über mir, das für viele Menschen der Gegenwart gelten mag. Ich sah, wie ich alle Tage einen Eisenpanzer anziehen und in ihm einhergehen musste. Er trug mich auch bis zu einem gewissen Grad und schützte mich, aber er erdrückte den verborgenen, werdenden Menschen, der nach Leben rief.

Wenn man heute oft ausspricht, dass der Mensch in Gefahr ist, Maschine zu werden, so nimmt man diese Gefahr noch lange nicht ernst genug. Die Maschine frisst sich von außen in uns hinein, zehrt uns auf und setzt sich an unsere Stelle. Dies gilt nicht nur für viele Alltagsberufe, sondern auch für höhere und höchste. Es gibt zum Beispiel ganz feine menschliche Präzisionsmaschinen. Man nennt sie Gelehrte. Die Stunden, wo die Arbeit wirklich Freude und Leben ist − so hat einmal einer von ihnen bekannt −, sind auch bei ihnen selten. Forscherarbeit, wenn sie nach den strengsten Methoden getan wird, kann den Charakter des Mechanischen und Mechanisierenden annehmen und lässt dann dem freien Geistesspiel nur wenig Raum. Wie geht es erst den anderen! Man kann das Maschinenhafte bei vielen Menschen, die im Arbeitsleben stehen, schon deutlich auf den Gesichtern sehen. Es sind geprägte, geformte Gesichter, in denen das Geistige wie in Schienen läuft. Nach dem leuchtend Lebendigen, nach dem unergründlich Menschlichen, nach dem sprießend Schöpferischen sucht man vergeblich. Die Tragik des Menschen im Maschinenzeitalter steht auf diesen Zügen wie mit sprechenden Buchstaben geschrieben.

Redet man solchen Menschen zu, sie möchten sich doch auf jeden Fall irgendein persönliches Interessengebiet außerhalb ihres Berufes erhalten, so bekommt man die Antwort, wie sie mir einmal ein hochbegabter Ingenieur gegeben hat: Ja sehen Sie, das habe ich manchmal versucht; aber wenn ich dann abends nach Tisch ein Buch lese, dann fällt mir plötzlich ein, dass ich die neuesten technischen Zeitschriften noch nicht durchgesehen habe und dass meine Konkurrenten einen Vorsprung vor mir gewinnen, wenn ich nicht alle meine Zeit und Kraft auf meinen Beruf verwende − und dann lege ich das Buch wieder hin. So entstehen die Menschen, die in ihren freien Stunden überhaupt nichts Rechtes mehr mit sich anzufangen wissen. Außer dem Schlaf und der ganz blöden Ruhe ist nur die Sensation noch eine Erholung. Man sucht nach der Aufregung im Sport oder Sportbericht, man überlässt sich dem wechselnden Nervenkitzel des Kinos, des Radios, des Fernsehens, man liest Detektivgeschichten, man verfällt dem Spiel. Oft kann man von diesen Menschen den Eindruck haben, dass sie eigentlich Leichen sind, die nur durch künstliche Mittel noch einen Schein des Lebens erhalten.

Das Wort der Menschenweihehandlung vom »ersterbenden Erdendasein« ist zu dem überlebendigen Treiben der Gegenwart der grausame Wahrheitshintergrund.

Hin und wieder macht man die Erfahrung, wie das unterdrückte Seelenleben an irgendeiner Stelle gewaltsam auspufft, als schaffe es sich selbst ein Ventil. Dann ergehen sich solche Menschen plötzlich in schwüler Mystik oder in kindischer Sentimentalität. Sie suchen spiritistische Sitzungen auf und genießen den Schauer. Sie flüchten sich in die Düsternis und Unergründlichkeit einer Kirche und überlassen sich dort ihrer Rührung. Sie lesen alberne Dichtungen und lernen sie auswendig. Sie schwelgen gefühlsmäßig in der Natur, ohne doch wirklich etwas von ihr zu haben.

Dies alles mag übertrieben erscheinen. Und es ist auch übertrieben, wenn man die volle Breite des Lebens ansieht. Aber es ist nicht übertrieben, mit keinem Wort übertrieben, wenn man die innere Tendenz dieses Lebens ins Auge fasst. Wofür hat man, wenn man dreißig Jahre lang mit allen möglichen Menschenschicksalen intim zu tun hatte, seine Erlebnisse, wenn man sie nicht zum Nutzen anderer Menschen ausspricht? So sei es geradeheraus ausgesprochen: Oft kann man hinter alledem die Geisteskrankheit deutlich heraufkommen sehen. Nicht nur den Seelentod, wie ihn Nietzsche in seinem Zarathustra am »letzten Menschen« schildert, sondern die dämonische Verrücktheit.

Von dem allen soll hier nur andeutungsweise gesprochen werden. Mag jeder sehen, welche Illustrationen ihm das Leben dazu bringt. Aber nur wenn wir für die Gefahren des Gegenwartslebens − auch bei uns selbst − klare Augen haben, wird das Bemühen, stille Stunden der inneren Erkraftung in dieses Leben hineinzubauen, nicht bloß ein egoistisches Streben sein oder eine persönliche Liebhaberei, sondern eine Tat der Verantwortung für das Leben, eine Hilfe für das bedrohte Menschentum, ein Erlöserwerk an uns selbst und an der Menschheit. Man möchte sich für den Inhalt dieser Briefe Leser wünschen, die von der Empfindung durchdrungen sind: Der Mensch ist verloren, wenn es nicht gelingt, ihm von innen her neue Stärke zuzuführen, damit er der äußeren Gewalt nicht erliegt.

Viele Menschen fühlen heute, dass eine neue Geistigkeit kommen muss, wenn der Mensch aus der Gegenwart heraus die Welt verstehen und zu den Rätseln des Daseins vordringen soll. Man sucht diese neue Geistigkeit auch bald hier, bald da, nur selten dort, wo sie wirklich zu finden ist.

Aber auch eine neue Innenerziehung ist notwendig, wenn die Menschheit gerettet und einer starken Zukunft entgegengeführt werden soll. In früheren Jahrhunderten hatten die Menschen in der religiösen Weltanschauung, in dem regelmäßigen Kultus, in den alten Geistigkeiten, die noch in den Berufen walteten, in der Geschütztheit des Familienlebens vieles, was sie hielt und trug. Dies alles ist heute im Zerbröckeln und Zusammenbrechen. Damals war auch der Mechanismus des Berufs noch nicht so tyrannisch und tötend, außer in der untersten Arbeiterschicht, die dumpf dahinvegetierte. Nur wenn heute die Menschen ihre Selbsterziehung und Selbsterkraftung während ihres ganzen Lebens energisch und bewusst in die Hand nehmen, werden sie der drohenden Weltgefahr gewachsen sein.

Was hier zur Hilfe geboten wird, das wird aus dem Zentral-Religiösen dargereicht. Hier ist eben die stärkste Quelle aller Kraft. Aber niemand lasse sich fernhalten, dem die Wahrheiten, von denen aus hier geredet und geholfen wird, für den Augenblick noch nicht innerlich zugänglich sind und darum auch noch nicht unmittelbar anwendbar. Er möge sich zu eigen machen, was ihm gemäß ist. Alles, was dem Inhalt nach hier vorgeschlagen wird, mag man nur als Beispiel betrachten. Und man mag sich den Inhalt, der dem eigenen Geist entspricht, bei Goethe suchen oder wo man will. Alles, was der Form nach hier vorgetragen wird, kann dennoch dienlich sein. Zwei Bedingungen − das sei zu Anfang für immer ausgesprochen − wollen jedenfalls erfüllt sein, wenn diese Ratschläge wirklich zum Segen werden sollen: Wahrhaftigkeit und Freiheit. Nur was man vor seiner eigenen Wahrhaftigkeit verantworten kann, soll man auf sich wirken lassen. Das schließt nicht aus, dass man probeweise und unter allem Vorbehalt einem Gedanken oder einer Wahrheit innerlich nähertritt. Aber das Bewusstsein, dass hier ein Versuch gemacht wird, darf uns dann nicht verlassen. Alles, was wir auf dem Wege der Suggestion, auch der Selbstsuggestion, in uns einlassen, würde verheerend wirken. Es ist im Grund Diebstahl, auf den die Strafe folgt. Das andere Erfordernis aber ist, dass man in voller...

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