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Mein Blockhaus in Kanada

Wie ich mir den Traum von Wildnis und Einsamkeit erfüllte

AutorCarmen Rohrbach
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783492994699
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
2017/2018 erfüllte sich Carmen Rohrbach einen lang gehegten Traum und lebte mehrere Monate in einem Holzhaus fernab der Zivilisation, an einem See mit glasklarem Wasser, umkränzt von felsigen Bergen. Fesselnd berichtet sie von den Vorbereitungen und Schwierigkeiten ihres Abenteuers. Sie beschreibt, wie sie schon als Kind fasziniert war von den Geschichten über Trapper, Holzfäller und Goldsucher im ungezähmten Norden Amerikas. Wie sie auf ausgedehnten Wanderungen die Wildnis erkundete und schließlich mehrere Wintermonate in völliger Isolation bei bis zu minus 48 Grad verbrachte, ohne einem einzigen Menschen zu begegnen. Auf mitreißende Art lässt sie uns an ihren intensiven Erfahrungen und Wahrnehmungen, ihren Beobachtungen und Gedanken teilhaben.

Carmen Rohrbach, geboren in Bischofswerda, ist Entdeckerin aus Leidenschaft. Sie studierte Biologie in Greifswald und Leipzig und schloss mit der Promotion in München ab. Ihre Reisen führten sie unter anderem nach Südamerika, Afrika, Asien und Arabien, auf dem Jakobsweg durch Frankreich und Spanien und entlang der Isar durch Österreich und Bayern, stets auf der Suche nach intensiven Begegnungen und Naturerlebnissen. Heute ist sie eine der beliebtesten Reiseschriftstellerinnen Deutschlands, dreht Dokumentarfilme, schreibt für Zeitschriften und hält Vorträge über ihre Reisen. Mit ihren persönlich geschriebenen Reiseberichten hat sie sich inzwischen eine große Fangemeinde erworben. Bei Malik und National Geographic Malik erschienen mehr als zwanzig Bücher von Carmen Rohrbach, darunter der Spiegel-Bestseller »Unterwegs sein ist mein Leben«.

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Leseprobe

Eine Stadt entsteht durch die Eisenbahn


Smithers liegt im fruchtbaren Tal des lebhaft strömenden Bulkley River und schmiegt sich an bewaldete Berge, die von den felsigen Gipfeln des 2589 Meter hohen Hudson Bay Mountain gekrönt werden. Bis 1913 herrschte hier undurchdringliche Wildnis. Erst als die transkontinentale Zugverbindung der Grand Trunk Pacific Railway Company von Ost nach West durch das Land gezogen wurde, entstand hier ein wichtiger Knotenpunkt, der genau zwischen den beiden schon damals existierenden Orten Prince George und Prince Rupert lag. Arbeiter kamen von überallher, auch aus Europa und Asien, halfen beim Trassenbau, manche blieben und siedelten sich an. Smithers würde wohl kaum existieren, wäre die Eisenbahn nicht gebaut worden. Inzwischen leben etwa 5400 Einwohner in dem Gebirgsort und 20 000 in der näheren Umgebung in land- und forstwirtschaftlichen Gemeinden und auf einzelnen Farmen.

Die Leute, die der Eisenbahnbau angelockt hatte, waren aber nicht die ersten Menschen im Bulkley Valley. Seit Jahrtausenden war es das Heimatgebiet des indigenen Stammes der Wet’suwet’en, die noch heute in sechs Gemeinden hier leben. Der Stammesname bedeutet »Menschen der niedrigen Berge«.

Nach fast elfstündigem Flug hatten wir gegen Abend Vancouver erreicht, aber noch immer war es der gleiche Tag, denn die Zeitverschiebung beträgt neun Stunden. Wir waren also stets der Sonne vorausgeflogen, ohne dass es Nacht wurde. Ich fand es faszinierend, am Bordbildschirm die Flugstrecke zu betrachten und zu sehen, wie sich die Erde hinter dem Flugzeug verdunkelte. Fast gespenstisch sah es aus, als würden wir von einem dunklen Schatten verfolgt.

Am nächsten Morgen fliegen wir weiter nach Smithers. Den Ort habe ich nicht aus eigenem Interesse gewählt, sondern weil wir vom Buschflieger von hier in die Wildnis geflogen werden. In der Flughafenhalle werden wir von einem ausgestopften Grizzly begrüßt. Vor neugierigen Berührungen der Menschen sicher, steht er aufgerichtet in einem Glaskasten. Ein wahrhaft imposantes Tier, furchteinflößend, wenn er nicht schon tot wäre. Erlegt wurde er von zwei Offizieren der kanadischen Parkverwaltung, um die Rinder der Farmer zu schützen. »Phantom of the Hungry Hill« wurde der Bär genannt, der drei Jahre lang seine Verfolger narrte, jeder Falle auswich und sich nie bei Büchsenlicht blicken ließ. Immer dichter zog sich der Kreis der Fallen, den seine Verfolger aufstellten. Er aber, der mächtige Grizzly, schaffte es, die als Köder ausgelegten toten Kälber zu fressen, ohne dabei in die Fallen zu geraten. Mehr als 30 Rinder soll er innerhalb von drei Jahren getötet haben. Dann, im Oktober 2001, schlug seine Schicksalsstunde. Eine seiner Pfoten war in eine Eisenschlinge geraten. Das kluge, misstrauische Tier, das bis dahin allen Nachstellungen entgangen war, sie geschickt erspürt hatte, war gefangen. Fast hätte der Bär es geschafft, den Draht durchzubeißen, doch da näherten sich die beiden Offiziere. Mit einem gewaltigen Ruck zerriss er die Fessel und stürzte sich auf seine Feinde. Wenige Schritte vor ihnen brach der 460 Kilogramm schwere Koloss im Kugelhagel zusammen.

Diese Geschichte und der imposante Bär stimmen mich auf Kanadas Abenteuer ein. Zunächst aber geht es nicht in die Wildnis, sondern in bewohnte Gegenden. Während der Taxifahrt vom Flughafen nach Smithers, wo wir eine Nachricht erwarten, wie es am nächsten Tag weitergehen wird, erklärt uns der Fahrer mit düsterer Stimme: »Diese Straße wird ›Highway der Tränen‹ genannt. Seit Jahren verschwinden hier junge Frauen, die per Anhalter unterwegs sind, manchmal findet man irgendwann die Leichen. Mindestens 43 Mädchen sind schon umgebracht worden, vermutlich sogar mehr.«

»Hat man denn nie einen Verdächtigten gefasst?«, fragt Helmut.

»Wie denn?«, antwortet Jim. » Die Frauen sind tot. Sie können nicht mehr sprechen. Im Jahr 1969 hat man das erste ermordete Mädchen gefunden, und bis heute dauert das Morden an. Es gibt wahrscheinlich nicht nur einen Mörder, sondern mehrere. Meist waren die Opfer sehr jung, das jüngste erst 14 Jahre alt, und fast alle indigener Herkunft. Ein Mädchen habe ich flüchtig gekannt. Ihre Leiche fand man hier in der Nähe des Flughafens.«

Ich blicke aus dem Autofenster. Die Landschaft spiegelt nicht die Schrecken wider, die sich hier seit Jahren abspielen. Da sprudelt ein idyllischer Bergbach neben der Straße, auf einer saftigen Wiese weiden Pferde, aber dann kommen wieder Abschnitte mit dichten Wäldern, keine Ortschaft weit und breit. Niemand, von dem man in der Not Hilfe erwarten könnte. Wenn wir kurz halten würden und jemand stiege ein, würde es keiner bemerken.

»Man hat Schilder aufgestellt«, erzählt Jim weiter. »Dort ist eins, lest selbst.«

Girls don’t Hitchhike on the Highway of Tears. Killer on the Loose!

 

»Wenn die indigenen Frauen von ihren Siedlungen in die Stadt zum Einkaufen wollen, müssen sie per Anhalter fahren, denn es gibt keine Busse oder andere öffentliche Verkehrsmittel«, erläutert der Taxifahrer.

Die Straße wird auch Yellowhead Highway genannt, nach dem Pass, der an der Grenze zu Alberta über die Rocky Mountains führt, lese ich später in einem Reiseführer. Als Route 16 erstreckt sie sich über 2687 Kilometer von Winnipeg im Osten bis nach Prince Rupert an der Pazifikküste. An die gewaltigen Entfernungen in diesem Land muss ich mich erst gewöhnen.

Gebaut wurde der Highway von der Hudson’s Bay Company, um den wilden Westen Kanadas zu erschließen. Lange hat es gedauert, die Rocky Mountains zu überqueren. Erst 1970 wurde der letzte Streckenabschnitt geschafft, und die Straße konnte eingeweiht werden. Die Hudson’s Bay Company, deren Hauptquartier in der Hudson Bay lag, ist das älteste Handelsunternehmen Kanadas. Sie wurde bereits 1670 gegründet und mit einem Privileg des damaligen englischen Königs ausgestattet. Über Jahrhunderte beherrschte die Hudson’s Bay Company den Pelzhandel, baute ein Netzwerk von Handelsposten auf und intensivierte die Beziehungen zu den Angehörigen der First Nations, die ihnen die Pelze lieferten. Prinz Ruprecht von der Pfalz war erster Direktor der Gesellschaft, nach ihm erhielt die Ortschaft am Pazifik ihren Namen. Noch öfter werde ich während meines Aufenthalts in Kanada feststellen, dass wichtige Personen der frühen Zeit sich mit ihrem Namen in Ortschaften, Flüssen und Seen verewigt haben.

 

Smithers gefällt mir sofort. Vor allem seine Lage in den Bergen, überragt von hohen Felsgipfeln, begeistert mich. Die übersichtlich angelegte Ortschaft mit nur einer einzigen Einkaufs- und Geschäftsstraße ist schnell erkundet. Auffallend sind die zahlreichen Restaurants, Bars und Hotels, denn Smithers ist ein beliebter Ausflugsort für Kanadier und wird im Winter zur Skisaison stark besucht.

Mehr als die Einkaufsstraße mit ihren Geschäften interessiert mich die Geschichte der Ortschaft. Um mehr über sie zu erfahren, bietet sich das Bulkley-Museum an, untergebracht in einem historischen Gebäude, das im Jahr 1925 erbaut wurde. Da Nordwestkanada erst spät erforscht und in Besitz genommen wurde, gelten Gebäude und Erinnerungsstücke aus dem 20. Jahrhundert als historisch. In den Räumen, die früher die Wohnräume des Gouverneurs sowie die Verwaltung, die Polizeistation und das Gefängnis beherbergten, sind Fotos aus vergangenen Tagen, Steine, Fossilien und Mineralien, indigene Folklore und Ausstellungen lokaler Künstler zu besichtigen. Ein Raum widmet sich dem Eisenbahnbau. Nach Sir Alfred Smithers, dem Direktor der Eisenbahngesellschaft, die ihr Hauptquartier hier hatte, wurde die Ortschaft benannt. Der Name des 220 Kilometer langen Bulkley River, der bei den Einheimischen Wetzin Kwa hieß und an dessen Ufer die Neusiedler ihre Häuser bauten, stammt von Colonel Charles Bulkley, einem Ingenieur, der die Installation einer Telegrafenleitung vermaß und beaufsichtigte. Noch vor der Erschließung des Landes durch die Eisenbahn begann man bereits 1866, eine Fernsprechleitung durch den ganzen Kontinent bis nach Alaska zu planen. Ursprünglich sollte es eine russisch-amerikanische Telegrafenverbindung werden.

Diese frühe Zeit der Pioniere, Entdecker und Forscher ist es, die mich seit jeher fasziniert und meine Fantasie zu lebhaften Bildern anregt. Dabei bestärkt mich das Panorama von Smithers mit seinen Holzhäusern, von denen einige sogar aus dem Jahr 1913 stammen, aber natürlich neu hergerichtet sind. Im Norden der Stadt, hinter der letzten Straße, wo die wild gezackten Felszinnen emporragen, liegt das alte, ebenfalls renovierte Bahnhofsgebäude.

Auf einem Nebengleis reiht sich ein Güterwaggon an den anderen, zwei Kilometer ist der Zug lang, dem ich nun folge. Ich halte nach Tieren Ausschau, entdecke aber nur eine Schar Spatzen und ein paar Krähen. Ein vertrautes Gurren lässt mich genauer hinschauen. Tatsächlich, es sind Türkentauben, die gleiche Art, die seit den 1930er-Jahren von Osten nach Deutschland eingewandert ist. Wegen ihrer Herkunft tragen sie den auf die Türkei verweisenden Namen, obwohl sie ursprünglich noch weiter entfernt in Asien beheimatet waren. Ich frage mich, wie diese Tauben es über den Atlantik in den Westen Kanadas geschafft haben. Später lese ich in meinem Vogelbestimmungsbuch, dass die Tauben 1970 auf den Bahamas absichtlich ausgewildert worden waren oder unabsichtlich freikamen. Genaueres konnte ich nicht herausfinden. Von dort gelangten sie auf eigenen Schwingen nach Florida und flogen weiter nach Norden, bis sie Kanada erreichten.

Am Weg weist eine Infotafel mit dramatischen Worten und Fotos auf einen 1929 stattgefundenen Bankraub hin. Mit einem Taschenmesser hatte ein Mann den Bankangestellten bedroht, der 2000 Dollar herausrückten musste. Der Räuber flüchtete und...

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