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Mein Kind liebt anders

Ein Ratgeber für Eltern homo-sexueller Kinder

AutorUdo Rauchfleisch
VerlagPatmos Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl184 Seiten
ISBN9783843602662
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
'Übrigens: Das ist meine neue Freundin!' Der Schock bei Eltern ist immer noch groß, wenn dieser Satz von ihrer Tochter kommt und nicht von ihrem Sohn. Homosexualität wird zwar gesellschaftlich längst nicht mehr verteufelt, doch wenn es um das eigene Kind geht, sieht alles anders aus. Angst vor Aids, Trauer um Enkelkinder, Erklärungsnöte gegenüber Verwandten und Nachbarn - all diese Gefühle sind plötzlich da. Der Psychoanalytiker Udo Rauchfleisch nimmt diese Sorgen und Fallbeispiele geht er auf die spezifischen Probleme ein, präsentiert das aktuelle psychologische und sexualwissenschaftliche Wissen über Homosexualität und gibt Eltern homosexueller Kinder ganz konkrete Tipps, wie sie mit den auftauchenden Schwierigkeiten umgehen können.

Udo Rauchfleisch, Professor für Klinische Psychologie, ist Psychoanalytiker und Psychotherapeut in eigener Praxis in Basel. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen die Themen sexuelle Identität und sexuelle Orientierung sowie psychosoziale Arbeit in Beratung, Therapie und Seelsorge.

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Leseprobe

2. »Unser Kind ist so anders – ist es etwa homosexuell?«


Ist es wirklich so, dass der später schwule Mann als Kind ein Röckchen tragen und sich schminken möchte und die später lesbische Frau als Kind raue Sportarten bevorzugt und sich ausgesprochen jungenhaft gibt? Vielleicht haben Sie als Eltern sich schon solche Fragen gestellt oder mit einer gewissen Sorge das Verhalten Ihres Kindes beobachtet.

Auch wenn es sehr klischeehaft klingt, müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass etliche vergleichende Untersuchungen an Lesben, Schwulen und Heterosexuellen diese Annahme teilweise bestätigen. Zumindest gilt dies für die Vergangenheit. Die Zukunft wird zeigen, ob sich die Situation mit zunehmender Akzeptanz der Homosexualität verändern wird. So weisen etwa erste Beobachtungen auf ein zunehmendes, mitunter sogar ausgesprochen großes Interesse von Schwulen an sportlichen Aktivitäten und auf eine Offenheit von Lesben auch gegenüber sogenannten »typisch weiblichen« Rollen hin. Bei homosexuellen Kindern erleben wir aber eben noch vielfach die beschriebene Orientierung an den Interessen und am Verhalten des Gegengeschlechts.

Viele Eltern, vor allem die Mütter, die ihre Kindern im Allgemeinen viel intensiver erleben als die Väter, berichten, ihnen sei mitunter schon im Vorschulalter und später besonders in der Pubertät aufgefallen, dass sich die Tochter nicht »mädchenhaft« und der Sohn nicht »jungenhaft« verhalten habe. So berichtet die Mutter von Markus, einem heute 25-jährigen schwulen Mann (in diesem und in allen nachfolgenden Beispielen wurden die Namen und personenbezogenen Details zur Anonymisierung verändert):

»Markus war kein ›richtiger‹ Junge. Irgendwie habe ich immer gespürt, dass er ›anders‹ ist. Schon im Kindergarten hat er sich eher den Mädchen angeschlossen und war ausgesprochen ängstlich, wenn es um raue Bubenspiele ging. Vor allem das Fussballspielen war ihm ein Graus. Und als mein Mann beschloss, ihn im Sportverein anzumelden, wehrte sich Markus mit Händen und Füßen dagegen. Er ist dann zwar brav ein halbes Jahr wöchentlich dorthin gegangen. Ich habe aber gemerkt, dass er sich dort überhaupt nicht wohl gefühlt hat. Er wurde von den anderen Buben zunehmend ausgeschlossen und als ›Angsthase‹ und ›Heulsuse‹ verspottet, weil er so ängstlich und wehleidig war.

Mein Mann hat versucht, Markus‹ Interesse für Fußball zu wecken, indem er ihn im Alter von 8 und 9 Jahren mit zum Fußballplatz genommen hat. Aber schon bald musste er einsehen, dass dies vergeblich war. Markus fand immer neue Ausreden, warum er nicht mitgehen könne, und weigerte sich schließlich ganz offen, mit dem Vater zusammen zum Fußballplatz zu gehen.

Mein Mann war sehr enttäuscht darüber, dass Markus kein ›richtiger‹ Junge war, und hat sich daraufhin mehr und mehr von seinem Sohn zurückgezogen.«

Umgekehrt erfahren wir von der Mutter der heute 20-jährigen lesbischen Hanna, die Tochter sei den Eltern schon früh als ausgesprochen »jungenhaft« aufgefallen:

»Während die anderen Mädchen mit Puppen gespielt und sich gerne herausgeputzt haben, war Hanna an schönen Kleidern und an der Gesellschaft von Mädchen überhaupt nicht interessiert. Sie hat sich von früh auf den Jungen angeschlossen und wilde Spiele geliebt. Selbst an Festtagen hat sie es abgelehnt, einen Rock anzuziehen. Wenn wir mit ihr in den Ferien waren, wurde Hanna von Fremden wegen ihrer Kleidung und ihres Verhaltens immer wieder für einen Jungen gehalten.«

Diese beiden Berichte scheinen das weit verbreitete Klischeebild vom »weiblichen« Schwulen und von der »männlichen« Lesbe zu bestätigen. Wie es die Mütter von Hanna und Markus beschreiben, haben die beiden sich in der Kindheit »anders« als ihre Geschlechtsgenossinnen und -genossen verhalten. Die Kinder sind den Eltern schon früh dadurch aufgefallen, dass Hanna kein »richtiges« Mädchen und Markus kein »richtiger« Junge war. Müssen wir aus solchen Berichten und aus den eingangs erwähnten Studien also doch schließen, Lesben seien männlich und Schwule weiblich identifiziert?

Wie ich bereits im vorausgehenden Kapitel ausgeführt habe, ist dies keineswegs so. Keine lesbische Frau zweifelt an ihrer Weiblichkeit und kein schwuler Mann an seiner Männlichkeit. Hanna und Markus sind nur im Hinblick auf ihr Rollenverhalten »anders« als ihre Kameradinnen und Kameraden. Sie haben sich in ihren Interessen und ihrem Verhalten nicht an den Standards orientiert, die für Mädchen bzw. Jungen in ihrer Umgebung maßgebend waren, sondern haben ein Verhalten gezeigt, das eher dem Gegengeschlecht entsprach. Dies betrifft aber nur das Rollenverhalten und hat nichts mit dem innersten Wesen dieser Kinder, ihrer Kern-Geschlechtsidentität (vgl. Kapitel 1, S. 12f.), zu tun.

An dieser Stelle der Diskussion stellen Sie als Eltern sich vielleicht die Frage, warum Kinder mit einer gleichgeschlechtlichen Orientierung oft ein nicht-geschlechtskonformes Rollenverhalten zeigen. Wir können uns dies am ehesten dadurch erklären, dass sie schon früh, mitunter sogar schon in der Vorschulzeit, sicher aber in der Vorpubertät und Pubertät, spüren, dass sie »anders« empfinden als ihre heterosexuellen Kameradinnen und Kameraden. Im Allgemeinen können sie ihre Gefühle aber noch nicht als »homosexuell« wahrnehmen und benennen. Sie spüren lediglich ihre andersartige sexuelle Ausrichtung und stehen deshalb unter dem Eindruck, sie müssten sich dann auch »anders« als ihre Geschlechtsgenossinnen und -genossen verhalten.

Diese Selbstdefinition im Kindes- und Jugendalter erfolgt selbstverständlich nicht bewusst. Es geht vielmehr um einen unbewusst verlaufenden Prozess, etwa nach dem Muster: »Wenn ich mich als Junge zu Jungen hingezogen fühle, bin ich wohl kein ›richtiger‹ Junge, sondern eher ein Mädchen. Deshalb verhalte ich mich dann dementsprechend auch mädchenhaft«, bzw.: »Wenn ich mich als Mädchen zu Mädchen hingezogen fühle, bin ich wohl kein ›richtiges‹ Mädchen, sondern eher ein Junge und verhalte mich deshalb dementsprechend jungenhaft«.

Diese unbewusst verlaufende Selbstdefinition kommt dadurch zustande, dass die homosexuellen Kinder und Jugendlichen um sich herum heterosexuelle Kameradinnen und Kameraden erleben, die sich für das Gegengeschlecht interessieren. Weil dies für sie nicht zutrifft, ziehen die homosexuellen Kinder daraus den Schluss, dann müssten sie wohl »irgendwie« dem Gegengeschlecht angehören. Das heißt: Die Jungen meinen, sie seien wohl »weiblich«, und verhalten sich deshalb ein Stück weit entsprechend. Und die Mädchen meinen, sie seien wohl »männlich«, und zeigen ein entsprechendes Verhalten.

Diese Vorstellung von der Polarität der Geschlechter und die Annahme, die sexuelle Anziehung sei nur im Rahmen einer solchen Polarität möglich, sind tief in unserer Kultur verwurzelt, die davon ausgeht, dass es nur zwei Geschlechter mit je »typischem« Rollenverhalten gibt. Dies sind jedoch rein kulturell bedingte Annahmen, die sich biologisch und psychologisch in keiner Weise rechtfertigen lassen.

Die Tatsache, dass sich gegenwärtig bei lesbischen und schwulen Jugendlichen weniger Verhaltensweisen finden lassen, die sich am Gegengeschlecht orientieren, weist darauf hin, dass die Jugendlichen heute im Allgemeinen besser über Homosexualität informiert sind. Außerdem erleben sie bei der heute weit verbreiteten Sichtbarkeit von Lesben und Schwulen um sich herum Menschen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung, die ihnen als Modell dienen können. Aus dem Spüren, »anders« zu sein, zieht die heutige Generation der homosexuellen Kinder nicht mehr wie in der Vergangenheit den Schluss, dann müssten sie sich auch »anders«, d. h. nicht-geschlechtskonform, verhalten, sondern sie sind als Jungen in ihrem Rollenverhalten genauso »männlich« wie ihre heterosexuellen Kameraden und als Mädchen genauso »weiblich« wie ihre heterosexuellen Kameradinnen.

Wenn Sie als Eltern eines homosexuellen Kindes dies lesen, erinnern Sie sich vielleicht an Bilder, die Sie im Fernsehen oder in den Zeitungen von den großen Umzügen am Christopher Street Day (CSD) gesehen haben (vgl. Kapitel 6, S. 94). Treten da nicht Lesben in eindeutig männlichem Outfit und Schwule in ausgesprochen provokativer Weise als aufgetakelte Frauen in Kleidern, mit Federboa und Perücken auf? Und in Ihnen mag die Frage auftauchen: Weist dies nicht doch auf eine weibliche Identifizierung der Schwulen und eine männliche Ausrichtung der Lesben hin?

Dies sind berechtigte Fragen. Sogar Lesben und Schwule selbst sind diesbezüglich nicht immer ganz sicher, und auch unter ihnen gibt es Frauen und Männer, die insbesondere das effeminierte Verhalten von Schwulen bei Anlässen wie dem CSD, aber auch sonst zum Teil in der Öffentlichkeit als peinlich, wenn nicht sogar als ausgesprochen abstoßend empfinden.

Wie lässt sich ein solches Verhalten verstehen? Diese Frage stellt sich vor allem dann, wenn Sie feststellen, dass die gleichen Männer, die sonst im Alltag völlig unauffällig gekleidet sind und sich absolut nicht »weiblich« verhalten, beispielsweise am CSD als »Tunten« (d. h. stark effeminiert) auftreten. Diesem Verhalten liegen vor allem zwei Motive zugrunde:

Ein erstes Motiv gilt nicht nur für das provokativ weibliche Verhalten bei Anlässen wie dem CSD, sondern auch für diejenige Gruppe homosexueller Männer, die sich auch im Alltag und insbesondere im Umgang miteinander als »weiblich« präsentieren und verhalten. Dies äußert sich beispielsweise in einer weiblich anmutenden, gekünstelten Gestik, Kleidung und Sprechweise. In bestimmten...

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