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Mein Leben

Erinnerungen des Tierforschers

AutorBernhard Grzimek
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl560 Seiten
ISBN9783492972758
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Der Zoologe und Tiermediziner Bernhard Grzimek hat durch seine Bücher und Filme Weltruhm erlangt. In seinen Erinnerungen erzählt er von seiner Jugend in Schlesien, von der Zeit des Nationalsozialismus und vom Wiederaufbau des zerstörten Frankfurter Zoos nach dem Zweiten Weltkrieg. Der eigenwillige Zoodirektor hatte mit so manchen Widerständen zu kämpfen, die ihn aber nie von seiner großen Mission abbringen konnten: die wilden Tiere vor der Ausrottung zu retten. In seinem Nachwort würdigt Michael Miersch, Autor und Dokumentarfilmer, das Lebenswerk eines Mannes, der 2009 seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte.

Bernhard Grzimek, am 24. April 1909 in Neisse geboren und am 13. März 1987 in Frankfurt am Main gestorben, schloß sein Studium der Veterinärmedizin und Zoologie 1932 in Berlin mit der Promotion ab. Nach dem Krieg wurde er Universitätsprofessor und übernahm die Leitung des Frankfurter Zoos. Für seinen Dokumentarfilm »Serengeti darf nicht sterben« erhielt er als erster Deutscher den Oscar. Legendär wurde seine Fernsehserie »Ein Platz für Tiere«, die ab 1956 in 175 Folgen ausgestrahlt wurde. Grzimek gilt bis heute als einer der erfolgreichsten deutschen Naturschützer und Tierfilmer.

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Leseprobe

II
Studentenzeit in Leipzig und Berlin


Tierärztliche Hochschulen oder Fakultäten an den Universitäten gab es damals nur in Berlin, Leipzig, München und Hannover. Am nächsten zu meiner Heimatstadt Neisse gelegen war Leipzig. Außerdem erschien dort zweimal wöchentlich die Fachzeitschrift »Geflügel-Börse«, an der ich schon eifrig mitarbeitete. Was aber sollte aus meinen Antwerpener Bartzwerghühnern, den kleinen schwarzen Kerlen, werden? Sie mußten mit. Ich gab von Neisse aus eine Anzeige in einer Leipziger Tageszeitung auf, um einen Schrebergarten zu finden. Er lag in Leipzig-Mockau und hatte sogar eine hübsche Laube, in der man notfalls schlafen konnte. Der Besitzer, ein kaufmännischer Angestellter, war arbeitslos – wir sind im Frühjahr 1928. Er hatte eine Frau und zwei kleine Kinder. Ich mietete gleich ein Zimmer in seiner Wohnung, die nicht weit von meinem Schrebergarten lag. Die Laube und die Einrichtung kaufte ich ihm ab. Mein Zimmerwirt versuchte, sich zu seiner Arbeitslosenunterstützung ein wenig hinzuzuverdienen, indem er für eine neue Zigarettenmarke – ich glaube, sie hieß Mokka – in kaffeefarbener Kleidung und auf Stelzen vor Rauchwarengeschäften herumstolzierte.

Ich hatte nicht darauf geachtet, daß die veterinärmedizinische Fakultät der Universität am ganz anderen Ende von Leipzig lag, weit draußen hinter dem Völkerschlachtdenkmal. So verbrachte ich jeden Tag lange Zeit auf der Straßenbahn. Im ersten Semester waren wir nur zehn oder zwölf Studenten, wir saßen deshalb oft mit dem Professor um einen Tisch herum. Die allgemeinen Fächer – Physik, Chemie, Botanik, Zoologie, Physiologie –, die jeder Mediziner vor dem Physikum, der Vorprüfung, in den ersten Semestern hören muß, belegten wir in den entsprechenden Instituten der anderen Fakultäten. Sie lagen mitten in der Stadt, und oft verbrachten wir die Mittagszeit im Anatomischen Institut mit befreundeten Medizinern zusammen im Anatomiesaal zwischen toten Menschen. Wenn in den Nachmittagsvorlesungen der Hörsaal für Lichtbildvorführungen verdunkelt wurde, hatte ich meist große Mühe, nicht einzuschlafen. Meine Schwester, die gerade in Leipzig die Bibliotheksschule besuchte, klagte über meine Angewohnheit, mich in Gedanken über bestimmte Dinge zu vertiefen, daß ich für andere Sachen gar nicht ansprechbar war. Das wäre schon bei meinem Vater so gewesen. Sie behauptete, wenn man sich mit mir verabredete, müsse man sich vor mich hinstellen und mich wiederholen lassen: »Bebbusch (damals mein Kosename in der Familie), wann, an welchem Tage, um wieviel Uhr und wo wollen wir uns treffen?« Aber, fuhr sie fort: »Selbst wenn er richtig geantwortet hat, hieß es, damit zu rechnen, daß er nur mechanisch wiederholte und in Wirklichkeit nichts von Ort und Zeit aufgefaßt hatte.«

Ich hatte mich in der oberschlesischen Stadt Neisse entschlossen, Veterinärmedizin zu studieren, wo mich niemand richtig beraten konnte. Bei Beginn des Studiums und auch später habe ich es jedoch niemals bereut, das getan zu haben. Der Mensch ist ja nun einmal ein Säugetier. Er hat die gleichen Körperteile – vier Gliedmaßen, Augen, Ohren, Mund, Darm, Haare, Haut, Nieren, Leber, Blut, Speichel und Kot wie die anderen Säugetiere auch, und er hat natürlich auch die gleichen Erkrankungen und Krankheitserreger. Tuberkulosekeime können sich auf Vögel, Rinder oder Menschen angepaßt haben. Manchmal ist die Anpassung eines Erregers an eine bestimmte Tierart – ob nun Mensch oder Kaninchen – so stark fortgeschritten, daß der Krankheitskeim in der anderen Tierart nicht mehr leben oder sie wenigstens nicht erkranken lassen kann. Mitunter ruft der Erreger in der anderen Tierart nur eine ganz leichte, oft örtlich begrenzte Erkrankung hervor, wie zum Beispiel die Kuhpocken beim Menschen. Sie genügt aber, um den Körper der anderen Tierart zum Bilden von Abwehrstoffen 'anzuregen und ihn unempfänglich für die eigenen, die Menschenpockenerreger zu machen. Andere Arten von Erregern können hingegen viele verschiedene Tierarten erkranken lassen und sie töten, wie etwa die Salmonellen, die Tollwut, die Pest, die Ornithose, der Milzbrand, der Botulismus. Der Veterinärmediziner wird also weit mehr vergleichend medizinisch ausgebildet als der Menschenarzt. Er lernt, wie sich das Becken aus der Grundform heraus, die für alle Wirbeltiere gegeben ist, bei Mensch, Rind, Hund oder Katze verschieden geformt ausbildet, je nach Lebensweise der Tiere. Er muß lernen, wie derselbe Arzneistoff ähnlich oder ganz verschieden bei den einzelnen Tierarten wirkt und dementsprechend auch je Kilo Körpergewicht bei Rind oder Hund und so weiter in verschiedenen Mengen verabreicht werden muß. Während des Studiums hat mir das große Freude gemacht. Ich pflegte Menschenärzten gern scherzend zu sagen, daß sie gewissermaßen spezialisierte Tierärzte sind. Sie befassen sich nur mit einer Säugetierart, dem Menschen, und stehen zu uns Veterinärmedizinern im gleichen Verhältnis wie etwa der Zahnarzt zum Arzt. Auch der Zahnarzt hat sich nur einen kleinen Teil des menschlichen Körpers herausgegriffen, den er dafür um so eingehender und genauer behandelt.

Im übrigen habe ich nie so sehr viel davon gehalten, daß manche Menschen behaupten, sie seien todunglücklich, weil sie ihren Beruf verfehlt hätten. Niemand hat nur Veranlagung für einen Beruf. Hätte der Klagende die Tätigkeit gewählt, die ihm nachträglich so verlockend erscheint, so hätte er sie vermutlich später auch als falsch empfunden.

Die Frau meines Zimmerwirtes hat mich damals überredet, ein Schriftstück zu unterzeichnen, wonach sie bei mir angestellt sei. Sie wollte dadurch Mitglied der Krankenkasse werden und natürlich den Arbeitgeberanteil selbst entrichten. Weil mir die Familie leid tat, unterschrieb ich. Ich konnte in meinem Leipziger Schrebergarten im Frühjahr 1928 zwei Brüten Zwerghühner aufziehen, fütterte meine Hühner, ehe ich zur Straßenbahn lief, und jätete abends meine Beete.

Am Ende des Semesters erhielt ich einen überraschenden Brief von einem Vetter, den ich persönlich noch nie kennengelernt hatte. Er war Rechtsanwalt und Notar in Berlin und preußischer Landtagsabgeordneter – Dr. Günther Grzimek. In den zwanziger Jahren waren Hühnerfarmen in Mode gekommen, so wie etwas später die Pelztierzuchten. Mein Vetter hatte sich bei Berlin, im Walde hinter dem Vorort Erkner, ein Bauerngut gekauft und bot mir an, es zu bewirtschaften und eine Hühnerfarm einzurichten. Ich hätte dabei mehr Aussichten, Geld zu verdienen und vorwärtszukommen, als durch ein langes Studium.

Natürlich reizte das einen jungen Mann von knapp neunzehn Jahren. Andererseits hatte noch jeder Klassenkamerad, der in plötzlichem Überdruß die Schule oder das Studium vorzeitig aufgegeben hatte, das schon ein oder zwei Jahre später bitter bereut. Die meisten schaffen es nämlich nicht mehr, zurückzukommen und etwa mit Hilfe von Abendkursen die Reifeprüfung nachzuholen oder sich einer Sonderausbildung zu unterziehen. Hat man sich aber vorgenommen, ein Studium mit Abschlußprüfung zu machen, und bricht es – aus noch so guten Gründen – vorzeitig ab, so hat man meist zeitlebens Minderwertigkeitsgefühle. Man bildet sich ein, ein Versager zu sein, auch wenn man in anderen Gebieten gut vorankommt. Deswegen beschloß ich, das Studium in jedem Fall durchzuhalten und zum Abschluß zu bringen.

Mein Vetter hatte den Bauernhof »Stäbchen« gekauft. Um dort hinzukommen, fuhr man mit der S-Bahn bis zur Endhaltestelle nach Erkner. Von dort aus waren es noch sieben bis acht Kilometer, zum Teil durch den Wald, bis zu dem einsam gelegenen Hof an der Müggel-Spree, einem kleinen, unbefahrenen Flüßchen. Die Leute dort hatten damals ständig Angst vor Überfällen, weil die Diebe mit ihrer Beute so rasch im großen Berlin untertauchen konnten. So hatte man bei einem Bauern über Nacht den Stall von hinten aufgebrochen, das Vieh auf Lastwagen verladen und abgefahren. Niemand konnte feststellen, wo es geblieben war.

Der Hof, den mein Vetter gekauft hatte, war schon seit einigen Monaten leer; der Vorbesitzer war mit allem Vieh weggezogen. Ein Stück abseits stand ein kleines Haus, in dem ein Landarbeiter wohnte. Ich kaufte zunächst einen Schimmel – unter anderem, damit ich bis nach Erkner fahren konnte –, und hauste allein in dem großen, wohl zweihundertjährigen Wohnhaus auf einem Hügel an der Spree. Vorsichtshalber legte ich mir eine Pistole zu. Beinahe hätte es damit ein großes Unglück gegeben. Ich wurde davor nur von meiner Hündin »Senta« bewahrt.

Jeder Mensch glaubt, eine Menge Freunde zu besitzen. Aber in Wirklichkeit sind es doch nur gute Bekannte. Einen wirklichen Freund, der sich bedingungslos für dich einsetzt und Nachteile für dich in Kauf nimmt, den hast du im allgemeinen nur ein-, zwei oder ...

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