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Mein Leben

Vollständige Ausgabe

AutorGeorg Gottfried Gervinus
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl244 Seiten
ISBN9783849615710
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Georg Gottfried Gervinus war ein deutscher Historiker und nationalliberaler Politiker. Dies ist seine Autobiographie.

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Leseprobe

 


 

Ich stand zur Confirmation bereit, als eines Tages in unserer Klasse verkündet wurde, daß in einer Buchhandlung in Bonn ein Lehrling gesucht werde: ob etwa einer der Confirmanden Lust zu der Stelle trüge. Ein rascher Entschluß trieb mich an, mich dafür zu melden; ein noch rascherer Entschluß trieb mich nachher aus der kaum angetretenen Stelle wieder heraus: beide Schritte waren meinen Nächsten in Schule und Haus ein vollkommenes Räthsel, weil sie mit dem Verborgensten meines Phantasielebens zusammenhingen, das Niemand mit mir theilte. Nur aus ihm läßt sich dies Unerklärliche, aus ihm aber zu vollständiger Genüge erklären. Der Zwang der Schule war mir allezeit zuwider geblieben, und ich sehnte mich nun schon langeher nach der ersten Gelegenheit der Erlösung, nach der Zeit der Confirmation. Aus dem mit wahrer Liebe ertheilten griechischen Unterrichte konnte ich merken, wie leicht ich bei den Studien wäre zu fesseln gewesen; aber der Schlendrian alles übrigen Unterrichtes langweilte mich; der Gedanke des Studirens war in mir erloschen. Wie gerne mich wohl die Mutter im Pfarrerbeffchen gesehen hätte, bei dem Vater stießen die Gelehrtenpläne mehr auf Entmuthigung, und ihr hielt von Seiten der Lehrer keine Ermuthigung das Gegengewicht. Auch dies kann seltsam scheinen, obwohl es zu begreifen ist. Wohl geschah es, daß bei einer der letzten Monatcensuren, als die Klassenlehrer der Secunda über mein schamroth gesenktes Haupt ihr Lob ergossen, der alte Rector die Worte sprach: »Nun, das ist schön! Ja, solche Leute muß man zum Studiren ermuntern!« Aber jede weitere Ermunterung blieb doch aus; und als ich später dem Subrector meinen Austritt anzeigte, billigte er gradezu meinen Entschluß, weil mir doch für den Beruf des Geistlichen schon mein Organ, meine verdrückte Stimme, ein Hemmniß sein werde. Es schien, als ob die Gleichgültigkeit, die ich immer gegen Lehrer und Schule bezeigt, mir nun mit Gleichgültigkeit vergolten werden solle. Vorzudrängen hatte ich mich nie verstanden; bei aller Strebsamkeit war ich ohne jeden Ehrgeiz, bei allem Fleiße ohne jede Beflissenheit, bei aller Auszeichnung ohne jede Eitelkeit: in dieser Eigenschaft fürchte ich, oder hoffe ich ein ächter Sohn meines Volkes zu sein. Die ordnungsmäßige Pflichterfüllung war ich ja stets gewöhnt zu üben, ohne ein Lob damit verdienen zu wollen; ich lebte in eine Be, scheidenheit, ja in eine Blödigkeit zurückgetreten, die auf meine Fähigkeiten eher einen Schatten als ein Licht warf, die mir wohl selbst als Geistesblödigkeit gedeutet wurde: denn ich weiß es von Jugendgenossen, die mir in der Schule ferne standen, nachher aber meine vertrautesten Freunde wurden, daß auch sie mich damals für trocken, nüchtern und nichtsversprechend angesehen hätten. Auf solch ein Naturell nun konnte die gleichgültige Nichtbeachtung von Seiten der Lehrer begreiflich nicht spornend zum Verbleiben in der Schule wirken, obwohl es auch nicht zum Gegentheil wirkte; fern von aller Grübelei, Empfindlichkeit und kranker Reflexion, wie ich war und allezeit blieb, habe ich diese Nichtbeachtung selbst nicht einmal beachtet; sie erregte mir weder Verstimmung noch Mangel an Selbstvertrauen; sie trug nicht unmittelbar zu dem Entschlusse meines Austritts bei, aber sie half den Weg dazu ebnen. Mich einem praktischen Lebensberufe zu widmen, mich zum Kaufmann zu machen, war mir durch die Grundsätze meines Vaters von jeher nahe gelegt, näher noch durch die Verwandtschaft mit dem Kaufhause auf dem Markt, wo sieben Söhne, von denen zwei in intimerem Verkehr mit mir waren, fast alle ausgezeichnete Begabung und ausgesprochenen Hang zu diesem Berufe hatten. Hart neben diesen Hinneigungen operirte dann in mir das ganz Entgegengesetzte: meine poetischen Phantasien, die mich am stärksten an den Schranken der Schule rütteln machten, die dunkel nach einer neuen Anreizung und Beschästjgung meiner Kräfte drängten. So war die unbestimmte, schwankende Lage meiner Seele, als die Verkündigung jener Buchhändlerstelle Statt hatte. Plötzlich schien mir der rechte Beruf gefunden, der zwischen den beiden Richtungen meines Wesens, der praktischen und der geistigen, eine Art von Brücke schlug. In dieser bestimmten Form zwar stellte ich diese Betrachtung damals nicht an, wohl aber bot sich mir der Gedanke in einer anderen, noch viel bestimmteren, obwohl völlig phantastischen Gestalt entgegen. Was lockte doch da im Hintergrunde für eine reizende Aussicht, wenn ich reisend und fortschreitend neben meinem Büchergeschäft, wie bis dahin neben der Schule, meine Geistesarbeiten fortsetzte! wenn ich einmal meine künftigen Werke, deren Reihe in meinem Kopfe unübersehbar lag, meinem Principale (warum nicht eben so gut wie Herrn Julius Körner?) zum Verlag anbot! wenn ich dereinst die vollendetsten für meinen eignen Verlag vollendete?! Diese Gedanken gegen irgend jemanden als meinem vertrautesten Mitautor verlauten zu lassen, ließ ich mir freilich – so klug und nüchtern war ich immer – nicht beikommen: so hatte denn mein Vater keinen Grund, dem ihm willkommenen Wunsch ein Hinderniß in den Weg zu legen. Er selber begleitete mich im Sommer 1819 über Mainz den Rhein hinab zu Yacht nach Bonn und lieferte mich in die Buchhandlung Marcus ab.

 

Aber ein eisigeres Sturzbad der Prosa und Wirklichkeit ist wohl niemals auf die Fieberhitze schwärmender Einbildutg gefallen. Die Universität Bonn war durch eine Stiftungsurkunde vom Herbst des vorigen Jahres eben erst erneuert; die Buchhandlung war in Erwartung der Aufblüthe der neuen Schule neu gegründet worden. Von diesen Verhältnissen aber wußte ich nichts. Ich fand das Geschäft in einer Anfangs-und Ausnahmslage, die ich aber für den normalen Stand ansehen mußte, da mich Niemand darüber belehrte. Da war nun ein Laden und ein Comptoir, aber nichts von einem Geschäfte; kaum daß Jemand je die Thüre öffnete: so daß ich mich der wenigen Personen noch sämmtlich zu erinnern glaube, die während meiner kurzen Versuchszeit über die Schwelle kamen. Die junge Familie bestand aus dem arbeitsamen und schweigsamen Kaufherrn, der für seinen Lehrling irgend ein ungeschäftliches Wort nicht hatte; aus seiner Frau, die mit einer alten Mutter und einem jungen Kinde genug zu thun hatte, um sich mit mir nicht weiter als etwa bei Tische abzugeben; im Geschäfte Niemand sonst als ein Ausläufer, der sich mir mit seiner unebenbürtigen Gesellschaft unwillkommen nahe drängte. Da war denn der junge Feuerkopf, der aus einem so poetisch gewürzten Leben mit so vielen theuren Schulgenossen herkam, in eine qualvolle Einsamkeit versetzt, die ihm, wenn er nur Beschäftigung gefunden hätte, sehr leicht geworden wäre, in diesem eintönigen, mechanischen mehr Nichtsthun als Beschäftigtsein aber peinlich zu ertragen war. Die sonst so reichlich ausgefüllte Zeit des Tages war mir durch keine Zerstreuung und Veränderung gekürzt. Die Thätigkeit, die mir auferlegt wurde, stieß mich ehrenrührig ab. Da war eine kleine Leihbibliothek aufgestellt, wie zu Hause im Erdgeschoß bei Meister Ollweiler; hier aber waren es wirklich Tantalusfrüchte, die ich ein seltenes mal an Andere zu überreichen hatte, an die ich selbst nicht denken durfte zu rühren. Zuweilen sollte ich mich mit dem Ausläufer in die Arbeit theilen Bücherpackete auszutragen: zu den gelehrten Herren, denen ich mich selber einmal so nahe zu reihen dachte! Auf dem Comptoir erhielt ich Bücher vorgelegt, die ich mit rother Dinte zu liniiren hatte; das war durch die langen Tage hindurch meine ganze Beschäftigung, die all den wühlenden Gedanken und Misstimmungen breiten Spielraum ließ! Ich war nach den ersten drei Tagen bereits entschlossen, nicht zu bleiben, und ich schrieb es nach Hause, um nicht ungemeldet zu kommen, sicher wie ich war, daß ich auch verbeten kommen würde. Der Gedanke, daß man mich des Heimwehs zeihen und verlachen würde, machte mich nicht irre. Diese Schwäche in dem Charakter, in dem sie wohl gewöhnlich auftritt, als eine Rückiehnsucht nach den familiären Gewöhnungen und Verwöhnungen, wäre mir wohl ganz fremd gewesen; uns war unter der väterlichen Zucht nicht so behaglich gebettet, daß uns die größere Freiheit in der Fremde nicht vielmehr angelockt hätte, die uns ja so früh schon selbst zum Ausreißen verlockt hatte! Wohl aber hatte in der letzten Zeit mein heimisches Leben so viel von äußerer Ausbreitung und innerer Vertiefung gewonnen, daß mir der schreckliche Abstich der leeren Gegenwart von der jüngsten, reichen Vergangenheit mit einer Gewalt auf die Seele fiel, der nicht zu widerstehen war. Der geistige Verkehr mit Nodnagel war zuletzt zu immer größeren Genüssen gestiegen; das sollte nun mit allen den schwindelnden Hoffnungen, die sich daran geknüpft, um solche Preise verloren sein! Der Umgang mit den andern Freunden hatte seinen höchsten Flor in dem Bunde gehabt, den ich sie beschworen hatte nicht aufzugeben; aber für mich in der Ferne wäre er so gut wie verloren gewesen! Zu diesen Verlusten meines Gemüthes waren dann in der letzten Zeit meines Aufenthaltes zu Hause noch andere Erschütterungen gekommen, die mich mit einer ganz neuen Weichheit durchdrungen hatten, von der bisher in meinen ausgelassenen Tölpeljahren auch nicht eine Spur zu finden war. Die letzten Wochen meiner Confirmation hatten mir mit einer großen Macht in die Seele gegriffen. Nach längerer Vorbereitung in dem Gymnasium erhielten damals die Confirmanden in Darmstadt in den letzten Wochen eine Anzahl Stunden von allen drei Geistlichen der Stadtkirchen, was in jener rationellen Zeit so möglich und fruchtbar war, als es heute undankbar oder furchtbar zu denken wäre. Die größere Zahl dieser Stunden gab uns Knaben der Pfarrer Ludwig. Die Vorbereitungen in der Klasse hatten mich gänzlich kalt gelassen; die...

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