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Meine fetten Jahre sind vorbei

Wie ich meine Kindheit verdaute, um der dicke Trommler zu bleiben

AutorReinhard Stummreiter
VerlagKösel
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783641227234
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
»Es ist schön, wenn man den Bauch ausziehen kann.«
Wenn Reinhard Stummreiter heute unter tosendem Beifall die Bühne verlässt, legt er hinter den Kulissen erst die große Trommel ab und dann den dicken Kunstbauch. Der war lange Zeit echt. Knapp 300 Kilo brachte der Kabarettist auf die Waage. Bis er von seinem besorgten »Kommandanten« vor die Wahl gestellt wurde: Abnehmen oder die Altneihauser Feuerwehrkapell'n verlassen. Ein harter Schlag, denn die Auftritte sind Stummreiters Leben, und so rafft er sich auf und halbiert sein Körpergewicht: »Das Leben hat so viel zu bieten, ich möchte gerne wieder daran teilnehmen.« Damit spricht er allen Dicken aus der Seele und zeigt, dass jeder das eigentlich unmöglich Geglaubte schaffen kann.

Der Oberpfälzer Kabarettist Reinhard Stummreiter ist bekannt als der »dicke Trommler« der Altneihauser Feierwehrkapell'n, die jedes Jahr bei Fastnacht in Franken gefeiert wird. Er lebt mit seiner Familie in Friedenfels in der Oberpfalz.

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Leseprobe

Das Comeback

Nachdem ich Norbert eines Tages in einem Telefonat erzählte, dass ich 42 Kilo abgenommen hatte, fragte er mich, und das war neu: »Und wie ist es mit der Luft?«

»Super«, sagte ich und berichtete von meinem Sportprogramm.

»Und das macht dir Spaß?«

»Riesig«, antwortete ich, ohne zu zögern. Das Gehen, Walken und Schwimmen hatte mir eine neue Perspektive eröffnet und mich so manches Mal in die schönen Zeiten meiner Kindheit versetzt. Es war ein herrliches Gefühl, sich fast ohne Einschränkungen bewegen zu können. Heute weiß ich, dass ich damals immer noch ziemlich gehandicapt war, doch im Vergleich zu 280 fühlen sich 240 Kilo schon fast federleicht an.

»Und wie viel wiegst du jetzt genau?«, fragte Norbert.

»238 Kilo«, sagte ich.

»Hm«, machte er und dachte dann laut. »Ich muss mal mit dem Thomas reden.«

Als das Gespräch beendet war, zitterten meine Hände ein klein wenig. Thomas war mein Ersatzmann bei den Altneihausern. Ein kleiner, schmaler Trommler, ebenso kurios wie ich, nur ganz anders, dünn halt. Mir war schon einige Male zugetragen worden, dass die Fans nach dem dicken Trommler gefragt hatten, obwohl Thomas seinen Job nicht schlechter machte als ich. Für die musikalische Qualität war es egal, wer den Schlegel in der Hand hielt.

Eine Woche später bekam ich von Norbert tatsächlich einen Termin für einen Auftritt. »Das ist nur eine kleine Sache, da hat der Thomas keine Zeit, lass uns mal ausprobieren, ob du es schaffst.«

»Bestimmt schaff ich es!«

»Wenn du das durchstehst, schau ma weiter.«

Nach fast einem halben Jahr Bühnenabstinenz fiel mir der Unterschied zu früher deutlich auf. Alles ging viel leichter, ich war auch vom Kopf her präsenter. Das Stehen auf der Bühne bereitete mir keine Probleme, meine Füße trugen mich sicher, das Gewicht der Trommel zog mich nicht zu Boden. Ich war glücklich, als ich auf meiner Position links außen auf die Trommel schlug. Ach, wie hatte ich das alles vermisst. Auch die Kameraden. Es tat so gut, wieder in ihrer Mitte zu sein. Nach dem Auftritt sagte Norbert: »Also du bleibst jetzt mal am Ball, und dann schau ma, wie sich die Sache entwickelt.«

Nach wenigen Tagen buchte er mich abermals für einen Auftritt und verkündete im Anschluss: »Dann schau ma halt jetzt mal weiter.«

Ich war also wieder dabei. Meine Erleichterung war riesengroß, meine Gewichtsabnahme von mittlerweile 50 Kilo auch. Weil ich mein Ziel, wieder mitzuspielen, erreicht hatte, verfuhr ich mich allerdings im Punkte- und Farbsystem von Optifast immer öfter. Nicht gravierend, aber doch ab und zu. Da ich weiter abnahm, machte ich mir darüber keine Gedanken. Sonst hätte ich gemerkt, dass ich mein Ziel noch nicht erreicht hatte. Das Optifast-Programm währte schließlich ein Jahr, nicht bloß bis zu meiner Rückkehr in die Feierwehrkapell’n. Aber war das Programm jemals mein Ziel gewesen oder nicht doch eher Norberts?

Mittlerweile wurde ich gelegentlich auf meine Gewichtsabnahme angesprochen. Das Lob für meinen Durchhaltewillen stärkte meine Motivation, doch noch weiterzumachen, genauso wie meine zunehmende Leistungsfähigkeit. Zu Anfang des Optifast-Sportprogramms wurde eine Strecke von fünf Metern abgesteckt, die wir in fünf Minuten so oft wie möglich bewältigen sollten. Anfangs schaffte ich gerade mal fünf Runden und war dann ziemlich außer Puste. Ich geriet ja schon in meinem normalen Alltag außer Atem, wenn ich beispielsweise aus dem Lkw ausstieg, weil ich tanken musste. An manchen Tagen fühlten sich sogar kleine Bewegungen so anstrengend an, als stünde ich kurz vorm Zusammenbruch. Nach einigen Wochen schaffte ich acht Runden und geriet lange nicht so außer Puste wie zu Beginn. Ich wurde immer leistungsfähiger und begann sogar wieder zu schwimmen. Das hatte ich früher so sehr geliebt, nicht umsonst bin ich in der »Teichpfanne der Oberpfalz«, so heißt unsere Region im Volksmund, für die Touristen nennen wir sie »Land der tausend Teiche«, groß geworden. Mein Vater hatte mir das Schwimmen im Freibad unseres Dorfes beigebracht. Jahrelang waren ein anderer Junge und ich die einzigen Kinder, die ins Schwimmerbecken der Erwachsenen durften, das mit einem Seil vom Nichtschwimmerbereich getrennt war, was uns mit Stolz erfüllte. Als Jugendlicher war ich Mitglied der Wasserwacht, und auf meiner Badehose prangte das goldene Abzeichen der Totenkopfschwimmer, das ich mir mit zwei Stunden Ausdauerschwimmen erkämpft hatte. Auch mein Vater war bei der Wasserwacht und trug das Totenkopfabzeichen. Woher es stammte, wusste keiner von uns. Es war einfach ein cooles Emblem, und wir glaubten, der Totenkopf symbolisiere das Risiko, dass die Ausdauerschwimmer eingingen.

Der Auslöser für meine Rückkehr zum Wasser war ein Ausflug ins Grüne zur Halbzeit des Optifast-Programms. Vom Parkplatz an einem Waldrand wanderten wir zügig zu einem Weiher. Der Aufforderung, Badesachen einzupacken, waren wir nachgekommen, aber die wenigsten von uns hatten ernsthaft vor, sie auch auszupacken. Schon das Walken durch den Wald machte mir sehr viel Freude. Wie locker es sich lief mit meinen mittlerweile nur noch 230 Kilogramm! Tänzelte ich nicht schon fast leichtfüßig durch die Natur? Dann lag der kleine See vor uns, eingebettet in eine Birkenlandschaft, ein paar Frösche hopsten ins Wasser, als wir Schwergewichte ihren Lebensraum erzittern ließen. Unsere medizinischen Begleiter sprangen ins Wasser, ermunterten uns, es ihnen gleich zu tun. Wir wollten nicht, schämten uns. Ich genierte mich auch, schließlich war ich der Dickste im Programm. Aber der See lockte, und mein Körper wollte. Ich packte die Badehose aus, ließ dann aber lieber das T-Shirt an. »Es ist wegen der Haut«, sagte ich, »ich vertrage keine Sonne.« Das war nicht gelogen, ich habe wirklich eine sehr empfindliche Haut. Freundlicherweise wies mich niemand darauf hin, dass die hohen Bäume rund um den See ausreichend Schatten spendeten.

Das Wasser nahm mich auf, als wäre ich nie fort gewesen. Mein Körper erinnerte sich, und ich schwamm wie von selbst, glitt durchs Wasser, alles war weich und leicht und wunderbar. Warum nur hatte ich so lange darauf verzichtet?! Später lag ich im Gras neben Nicole, auch sie war geschwommen und hatte Tränen in den Augen, als sie mir erzählte, wie schön es gewesen war. »Ich bin vielleicht eine dumme Nuss, dass ich das daheim nie mache. Im Wasser sieht einen doch keiner! Man kann auch frühmorgens oder spätabends schwimmen, im Sommer ist es lange hell. In fünf Minuten wäre ich mit dem Rad am See. Und wo ich doch jetzt wieder mit dem Radeln angefangen habe, da wäre das ideal für mich. Und du? Als Mann hast du wohl weniger Probleme, dich zu zeigen? Gerade wenn man so berühmt ist wie du.«

»Berühmt? Ich?« Verdutzt schaute ich sie an. Ich hatte noch nie für sie gekocht, wie sollte sie wissen, dass ich für mein Blumenkohlpüree berühmt war?

»Da brauchst jetzt gar nicht so gschamig tun«, wurde ich zurechtgewiesen. »Ich habe mir vom ersten Tag an gedacht, dass du mir bekannt vorkommst. Und jetzt weiß ich endlich, woher. Ich hab dich neulich im Fernsehen gesehen. Da war so ein Zusammenschnitt, eine Sendung über die Oberpfalz.«

»Ach so.« Ich winkte ab. Offenbar ging es nicht um mein Blumenkohlpüree.

»Ja. Du bist das. Du bist der dicke Trommler. Die Fastnacht in Franken lass ich mir nie entgehen. Ich hab nur so lange gebraucht, weil du in echt keine schwarzen Zähne hast.«

»Und dünner bin ich«, warf ich ein.

Wir lachten.

»Das ist dein Vorteil«, fuhr Nicole fort. »Du bist es gewöhnt, dass man dich anschaut. Du brauchst dich nicht verstecken, ganz im Gegenteil. Dein Umfang ist dein Kapital. Wenn man dich mal gesehen hat, vergisst man dich nicht mehr. Ich glaub, dass dich dein Kommandant, das ist doch der Neugirg, deshalb auch so schnell wiederhaben wollte. Denn es ist doch nicht nur so, dass du auf ihn angewiesen bist. Er hat dich sicher schon ganz gern dabei. Eben weil die Leute dich gut finden.«

»Also ich weiß nicht«, sagte ich. So hatte ich das Ganze noch nie betrachtet.

»Mein Opa lebt nur noch in der Vergangenheit«, begann Nicole unvermittelt. »Vor allem in seiner Jugend, 1930 ist er geboren. Da geht nichts Neues in seinen Kopf rein. Ist nicht leicht für meine Oma. Er erzählt den ganzen Tag immer dasselbe. Wenn er überhaupt noch redet, denn seit ein paar Monaten sagt er fast gar nichts mehr.«

Ich nickte. Worauf wollte sie hinaus?

»Letzten Sonntag«, fuhr Nicole fort, »hab ich sie besucht und vom Abnehmen erzählt und dass ich dich kennengelernt habe. Den Trommler von den Altneihausern. Da reißt mein Opa die Augen auf und ruft: »›Den kenn ich! Des is so a Dicker mit am Rußgesicht und Helm und schwarze Zähn. Der is lustig.‹« Nicole machte eine Pause. »Du bist eine Kultfigur, Stummi! Sogar zu meinem Opa bist du durchgedrungen. Der hat sich dich merken können, obwohl er sich sonst nix merken kann aus der Neuzeit.«

»Aha«, sagte ich und war ein bisschen gerührt, nicht wegen des Opas, den ich ja gar nicht kannte, sondern weil Nicoles Stimme so dünn klang. Sie schien ihren Opa sehr gern zu haben. Und weil ich sie mochte, ging mir das nah. Ihre Augen schimmerten feucht, als sie weitersprach.

»Ohne deinen Bauch wärst du nicht der geworden, der du bist. Und jetzt soll der Bauch weg, das ist doch irgendwie komisch. Gleichzeitig ist der Bauch, der nicht da sein soll, total wichtig für die Kapell’n. Weil deine Fans den Bauch wollen. Und das weiß dein Kommandant, und deshalb hat er dir neulich einen Einberufungsbefehl zukommen lassen.«

Mein Bauch sollte...

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