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E-Book

Meister Eckhart

Heilende Texte

AutorErhard Doubrawa, Stefan Blankertz
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl180 Seiten
ISBN9783746088280
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Meister Eckhart (1261-1328) zählt zu den größten deutschen Mystikern. Seine tiefe Spiritualität lädt zur Meditation ein und lässt sich fruchtbar machen für all jene, die Nahrung für die Seele suchen. Berater*innen, Therapeut*innen und Seelsorger*innen finden bei Meister Eckhart Gedanken, die starke heilende Kräfte entfalten. In dem vorliegenden Band versammelt Stefan Blankertz kurze, prägnante Originaltexte des Mystikers und bezieht sie auf existenzielle Fragen unseres Lebens heute.

Stefan Blankertz, 1956, beschäftigt sich seit seiner Jugend mit mittelalterlicher Philosophie und mit der Theorie der Gestalttherapie. Er ist Autor zahlreicher Bücher zur politischen Philosophie, Gestalttherapie und von Mittelalterromanen. www.stefanblankertz.de

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Leseprobe

UNAUSSPRECHLICH


Gott

Wir erheben uns gern über die metaphysischen

Spekulationen vergangener Zeiten. Aber wie steht

es mit der heute gängigen Beschreibung der

Unendlichkeit des Universums als »in sich

gekrümmt«, wo doch »Krümmung« einen endlichen

Raum voraussetzt, in welchem sich ein wiederum

abgegrenztes Etwas befindet, das sich in einem

»krummen« Verhältnis zu den »geraden«

Raumkoordinaten befindet? Dies sei nur ein

unzureichendes Gleichnis für das, was

unaussprechlich sei, erhalten wir zur Antwort.

Und wie verhält es sich mit den tiefen Gefühlen

von Liebe und Trauer, angesichts derer wir trotz

Psychologie und Neurologie ins Stammeln geraten

und keine rechten Worte finden?

Sant Augustînus2 sprichet: Waz man von gote sprichet, daz enist niht wâr, und waz man von im niht ensprichet, daz ist wâr. Swaz man sprichet, daz got sî, des enist er niht; waz man von im niht ensprichet, daz ist er eigenlîcher, dan daz man sprichet, daz er sî.3

Der heilige Augustinus sagt: Was man über Gott sagt, das ist nicht wahr, und was man über ihn nicht sagt, das ist wahr. Was immer man auch sagt, was Gott sei, das ist er nicht; was man nicht über ihn sagt, das ist er eigentlicher als das, wovon man sagt, es sei Gott.

MEISTER ECKHART

*

Es ist in Mode, und das nicht erst seit kurzem, die Sprache zu schelten, weil sie uns die Worte nicht gibt, von denen wir meinen, wir sollten sie haben. Der falsche Gegensatz von handelndem Subjekt und erleidendem Objekt sei uns schon in der Grammatik vorgegeben, demgegenüber es doch wahr sei, dass die Dinge in einer gegenseitiger Beeinflussung zueinander stünden und eine höhere Einheit bildeten. Die tiefe Verbundenheit, die wahre Liebe zwischen Menschen stifte, sei nur in allzu dürre und profane Worte zu kleiden. In der Zuweisung eines Geschlechtes zu den Substantiven werde ein überkommenes Rollenverständis übermittelt, sodass die Sprache es uns nicht erlaube, es zu überwinden. Die Mode. Der Gegensatz.

Damit machen wir uns zu Opfern. Die Sprache wird behandelt, als versklave sie uns, während wir mit ihr nichts zu tun haben. Wir nehmen nur ihre Befehle entgegen und führen sie getreulich aus. Dahinter steht die Erfahrung, dass uns die Sprache, obwohl wir wissen, dass sie von uns »gemacht« wird, indem wir sie sprechen, jedenfalls nicht gehorcht. Wie würde sich dies anhören: »die Gegensatzin«? Oder: Ich spreche mich (anstatt die Sprache)? Dann ist uns die umgekehrte Form schon vertrauter: Die Sprache spricht mich.

Verloren haben wir die Einsicht, dass es nicht die Sprache ist, die es uns schwer macht, uns auszudrücken, sondern die Existenz selbst. Das, was man über die Existenz sagt, ist nicht wahr, während das, was man über sie nicht sagt, wahr ist, um Augustinus-Eckhart abzuwandeln. Insofern unsere Existenz über das rein Materielle, über das Konkrete, das Anfassbare, das Gegenwärtige hinausweist, übersteigt sie das Sagbare. Dass wir erleben, die Wahrheit, nach der wir suchen, nicht ausdrücken zu können, ist keine Begrenzung, die uns die Sprache auferlegt, sondern unsere begrenzte Existenz.

Das Unbegrenzte nannte man Gott, bis wir ihn für »tot« erklärten4 und damit nicht nur die vorsichtigen Versuche unterbanden, das Unsagbare wie stammelnd auch immer in Worte zu fassen, sondern auch die Demut verloren, die unserer begrenzten Existenz angemessen ist. Jean-Jacques Rousseau (1712-1778), der Begründer der neuzeitlichen Pädagogik, wusste im 18. Jahrhundert noch, dass der sterbliche Mensch, der sich mit seiner sterblichen Existenz abfindet, stärker sei als der Engel, der Gott sein wollte und als Teufel endete. Uns fällt es da gegen schwer, uns mit der Begrenztheit unserer Sprache abzufinden, und stattdessen schelten wir unsere Sprache, in die die Begrenztheit eingeschrieben ist.

Warum müssen wir alles »gut« und »richtig« ausdrücken? Warum braucht unsere Liebe die »richtigen Worte«? Warum muss unsere Anteilnahme an der Trauer eines Mitmenschen »angemessen« ausgedrückt werden? Warum sollten wir uns zwingen, uns »geschlechtsneutral« und »politisch korrekt« zu äußern ohne die Vorurteile, die wir nun einmal haben?

Wie heilsam wäre es doch, von den unmöglichen Forderungen Abstand nehmen zu können und uns abzufinden mit unserer begrenzten Existenz und ihrer begrenzten Sprache!

Sant Dionysius5 spricht, »Gott sey nicht«. Das mag man also verstan, das Sant Augustin6 spricht, »Gott sey alle ding, das ist: an gott ist nicht«. Das Sant Dionysius spricht: »Gott enist7 nicht«, das ist, das kein ding bei in selber sind. Herumb so muss der geist ubertreten ding und dinglikeit, forme und formlikeit und wesen und wesenlicheit, den wirt in im geoffenwart das werck der selikeit, das da wesenlich besiczet die wurcklich vernunft.8

Der heilige Dionysius sagt, »Gott sei nichts«. Das kann man in dem Sinne verstehen, wie der heilige Augustin sagt, »Gott sei alles, das heiße: Gott bestehe aus nichts«. Wenn der heilige Dionysius sagt: »Gott ist nichts«, so heißt das, dass er keine Dinge bei sich hat. Deshalb muss der Geist hinausschreiten über Dinge und Dinglichkeit, über formen und Geformtheit sowie über Wesen und Wesenhaftigkeit: Dann wird in ihm das Werk der Seligkeit offenbar, das das Wesen der wirklichen Vernunft besitzt.

MEISTER ECKHART

*

Alles und Nichts sollen das Gleiche sein? Eine kühne Behauptung, eine große Herausforderung. Bedeutet die Liebe alles oder nichts? Alles bedeutet sie, wenn es um die Erfüllung des Lebens geht. Nichts bedeutet sie, wenn wir sie mit den materiellen Maßstäben messen, wenn es um Dinge geht wie Steuererleichterungen, Ehe- oder Scheidungsfolgeverträge, Arbeitsteilung im Haushalt, Formen der »Partnerschaft«, Kinderbetreuung, Evolutionsbiologie und ihre Bestimmung des Wesens der Partnersuche usw. Diese Dinge mögen wichtig sein, aber wenn wir die Liebe ernst nehmen, müssen die Seelen über sie hinaus gehen und sich auf andere, unaussprechliche Weise berühren.

Die Vernunft ist nicht wirklich in der materiellen Betrachtungsweise. Die Wahrheit der Scheidungsstatistik oder der Evolutionsbiologie mag der Liebe entgegenstehen, die Vernunft nicht, wenn sie sich verwirklicht. Solange die Vernunft dinglich gesehen wird, steht sie in einem Gegensatz zum Gefühl. Aber dann ist sie nicht wirklich. Meister Eckhart hat den Begriff »Wirklichkeit« erst in die deutsche Sprache gebracht. Damit zielte er darauf ab, dass die Wahrheit nicht ein Ding sei, sondern ein Vorgang, nämlich etwas, das sich verwirklicht. Die Verwirklichung ist ein schöpferischer Akt, der über das Materielle hinausgeht.

2 Augustinus (354-430): nordafrikanischer Kirchenlehrer mit für die christliche Theologie grundlegender Bedeutung.

3 Aus der Predigt HOMO QUIDAM FECIT CENAM MAGNAM (ein Mensch hatte ein Abendmahl bereitet), Lk 14,16. – Seine Predigten leitet Meister Eckhart meist mit einem lateinischen Bibelzitat ein, das er dann übersetzt. Es hat sich eingebürgert, die Predigten nach diesem Zitat zu benennen, sowie nach der »Kritischen Gesamtausgabe« (hg. von Josef Quint u.a., Stuttgart seit 1936) zu zählen: Predigt Nr. 20a. Eine Chronologie ergibt sich durch die Nummerierung nicht, da für einige der Predigten keine Datierung möglich ist.

4 Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft (1882), drittes Buch, Nr. 108; Also sprach Zarathustra, zweiter Teil (1883), Abschnitt »Von den Mitleidigen«.

5 Die mittelalterliche Figur des heiligen Dionysius besteht aus, wie man heute weiß, drei Personen: 1. dem Paulus-Schüler und ersten Bischof von Athen; 2. einem Märtyrer des dritten Jahrhunderts und ersten Bischof von Paris; 3. einem bis heute unbekannten Philosophen mit dem Pseudonym Dionysius Areopagites, den z.B. Albertus Magnus (1193-1280) und Meister Eckhart sehr geschätzt haben.

6 Vgl. S. 12, Anm. 1.

7 Die Form der Verbverneinung stellt hier innerhalb von dieser ansonsten eher modernisierenden Textüberlieferung einen Anachronismus dar (die allerdings auch Winkler, S. 335, unangetastet lässt, während er bei »Gott« generell Konjekturen zu »Got« vornimmt, dagegen »selikeit« zu »seligkeit«).

8 Aus dem Traktat »Von dem Schauen Gottes« (nach Johann Wilhelm Preger, Band 1 [1874], S. 484ff). Vgl. aber die textkritischen Anmerkungen von Herman Büttner, Meister Eckeharts Schriften und Predigten (1903), S. 232ff. Nach der Auffassung Kurt Ruhs, Geschichte der abendländischen Mystik, Band III, München 1996, S. 207, ist die Schrift unecht. Eine aktuelle historisch-kritische Edition findet sich bei: Norbert Winkler, Von der wirkenden und möglichen Vernunft:...

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