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Memoiren der Friedensaktivistin und Nobelpreisträgerin Bertha von Suttner

AutorBertha von Suttner
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl651 Seiten
ISBN9788026826705
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis1,99 EUR
Dieses eBook: 'Memoiren der Friedensaktivistin und Nobelpreisträgerin Bertha von Suttner' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Bertha Sophia Felicita Freifrau von Suttner (1843-1914) war eine österreichische Pazifistin, Friedensforscherin und Schriftstellerin. Am 10. Dezember 1905 erhielt Bertha von Suttner als erste Frau den von ihr mit angeregten Friedensnobelpreis, den sie am 18. April 1906 in Kristiania entgegennahm. Der Roman 'Die Waffen nieder!' ist das bekannteste Werk der österreichischen Autorin und Friedensaktivistin. Es gilt als das wichtigste Werk der Antikriegsliteratur. Aus dem Buch: 'Was mich einigermaßen berechtigt, meine Erlebnisse mitzuteilen, ist der Umstand, daß ich mit vielen interessanten und hervorragenden Zeitgenossen zusammengetroffen und daß meine Anteilnahme an einer Bewegung, die sich allmählich zu historischer Tragweite herausgewachsen hat, mir manchen Einblick in das politische Getriebe unserer Zeit gewährte und daß ich im ganzen also wirklich Mitteilenswertes zu sagen habe.'

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Leseprobe

2. Erste Jugend


Als ich beinahe zwölf Jahre zählte, wurde mir zum erstenmal das Glück zuteil, eine fast gleichaltrige Genossin zu bekommen.

Eine Schwester meiner Mutter – Tante Lotti hieß sie für mich – kam auf Besuch, begleitet von ihrer einzigen Tochter Elvira. Wir beiden Mädchen entbrannten in Freundschaft zueinander. Ich sage »entbrannten«, denn unsere gegenseitige Zuneigung war eine heftige, und namentlich war es Elvira, die eine wahre Anbetung für mich zeigte.

Tante Lotti war die Witwe eines Sachsen Namens Büschel, seines Zeichens vermögender Privatier und Bücherwurm. Elvira war sozusagen in der väterlichen Bibliothek aufgewachsen. Das Lieblingsfach Büschels war die Philosophie gewesen, und er unterhielt sich mit seiner Kleinen vornehmlich von Hegel, Fichte und Kant. Zur Erholung von so schwerer Kost reichte er ihr Shakespeare. Und als ganz besondere Näscherei Uhland, Körner, Hölderlin. Das Resultat dieser Erziehung war natürlich ein Blaustrümpfchen. Mit acht Jahren hatte Elvira zu dichten angefangen – Lieder, Balladen u. dergl., und als ich sie kennen lernte, hatte sie schon mehrere Dramen in Prosa und ein paar Tragödien in Versen verfaßt. Daß sie die größte Dichterin des Jahrhunderts werden sollte, das stand bei ihr selber, bei Tante Lotti und bei mir fest. Vielleicht wäre sie es geworden, wenn nicht ein früher Tod sie ereilt hätte. Sie hat sich die Anerkennung von großen Kennern erworben – ich nenne nur Grillparzer, der ihre Sachen mit bewunderndem Staunen las und ihr eine große Zukunft prophezeite. In unserem Familienkreis war ihr Genie unbestritten. Und sie besaß jene Eigenschaft, welche die Hälfte des Genies darstellt, nämlich eisernen Fleiß. Jeden Tag verbrachte sie – das Kind – freiwillig drei oder vier Stunden hintereinander am Schreibtisch und schrieb, schrieb, schrieb. Oft hatte sie mehrere Arbeiten auf der Werkstätte – eine Novelle, ein Drama und verschiedene Gedichte dazwischen. Ich erinnere mich der Titel einiger der großen Stücke: »Karl der Sechste« hieß das eine. Ein anderes »Delascar«; dieser Name des Helden (ich glaube, er war Maure) gefiel mir ganz besonders und schien mir schon allein Gewähr des Erfolges. Ob diese Dramen zu Ende geschrieben wurden, erinnere ich mich nicht. Ich weiß, daß ich sie in Gestalt von Plänen kennen lernte – nur einzelne Szenen waren schon fertig, einzelne besonders effektvolle Monologe. Elvira war eine rastlose Feilerin. Wenn sie uns an einem Tage eine große Tirade Delascars vorgelesen hatte, so brachte sie oft am nächsten Tag eine ganz neue Auflage derselben Tirade zu Gehör. Für mich war ihr Zukunftsruhm Dogma. Und sie zweifelte nicht an dem Märchenglück, das mir das Leben bringen mußte, denn wenn sie meine geistige Inferiorität auch zugab (bei mir war ja auch vom Dichten keine Spur – die Leier war mir geradeso fremd wie etwa das Waldhorn), so hatte sie unbegrenzte Bewunderung für meine physischen Vorzüge, für meine weltlichen Talente – ich mußte eine große Dame werden und im Sturme alle Herzen erobern. Wie man sieht, ließen wir es an gegenseitiger Wertschätzung nicht fehlen, und das war der Boden, auf dem sich unsere Freundschaft so mächtig entfaltete.

Für sich hoffte Elvira auf keine gesellschaftlichen Erfolge. Sie war sich ihrer Schüchternheit und ihres Schönheitsmangels bewußt. Klein, mit einem zu großen Kopfe, einem Schillerkopfe, war sie allerdings kein hübsches Mädchen; dazu linkisch in den Bewegungen, hilflos in der Konversation – nein, als Frau würde sie sicherlich niemals gefallen – während sie überzeugt war, eine Ueberzeugung, die ich teilte, daß ich als solche alle möglichen Triumphe feiern werde; aber sie begnügte sich mit der ihr bestimmten Rolle: die Sappho des neunzehnten Jahrhunderts zu werden. Ein bescheidenes Cousinchenpaar, das muß man uns lassen!

Also wir waren Freundinnen und schwuren uns lebenslängliche Treue; Gespielinnen waren wir auch. Aber wer sich dabei vorstellt, daß wir zusammen mit Puppen spielten oder durch Reifen sprangen, wie es unserem Alter geziemt hätte, der würde sich irren. Wir spielten »Puff«. Das war ein von uns erfundenes, von uns selber so benanntes Spiel, an dem wir stundenlang uns zu vergnügen pflegten.

Es bestand darin: Wir führten eine Komödie auf. Elvira übernahm die Rolle des Helden, ich der Heldin. Der Held wechselte immer ab; bald war's ein französischer Marquis, bald ein spanischer Student, oder ein reicher Lord, oder ein junger Marineoffizier, oder ein schon etwas gesetzter Staatsmann, manchmal ein inkognito auftretender König; ich aber stellte immer mich selber vor, die Heldin war immer Berta Kinsky, zumeist sechzehn- oder siebzehnjährig, bei manchen Kombinationen schon etwas ältlich: sagen wir zwei- bis dreiundzwanzig. Die Komödie endete gewöhnlich mit einer Heirat, doch kam es auch vor, daß der Held starb – dann war's eben ein Trauerspiel.

Ehe das Spiel begann, wurde Zeit und Ort der Handlung bestimmt, der Name und die Personsbeschreibung des Helden mußten festgesetzt und dazu eine Situation gegeben werden. Zum Beispiel: Im Jahre 1860 würde Berta als Gast der russischen Gesandtin auf einem Schloß bei Moskau weilen. Der Bruder der Hausfrau, Fürst Alexander Alexandrowitsch Rassumow, ein sehr finsterer und melancholischer Menschenfeind, groß, elegant, schwarz gekleidet, mit unheimlich glühenden Augen, befindet sich unter den Hausgenossen, zeigt sich aber nur selten. Er soll ein großes Unglück durchgemacht (eine dunkle Geschichte von einer falschen Frau, von einem erschossenen Duellgegner – Genaues weiß man nicht) und sich von der Welt zurückgezogen haben. Der Schauplatz stellt den Garten vor, am Rande eines Teiches, auf dem ein paar Schwäne segeln. Ich sitze mit einem Buche in der Hand auf einer Bank unter einer Trauerweide, und aus einer Seitenallee kommt, in tiefes Sinnen versunken – Alexander Alexandrowitsch daher. Jetzt, nachdem das festgesetzt war, konnte das Spiel beginnen, und wir sagten »Puff«. Mit diesem Zauberwort waren wir in die dramatis personae verwandelt – ich in die siebzehnjährige Berta, Elvira in den unheimlichen Russen. Und der Dialog hob an. Wollten wir das Spiel auf einen Augenblick unterbrechen, so sagten wir »Paff« und flugs waren wir wieder die zwei kleinen Cousinen, die sich etwas mitteilten: eine szenische Bemerkung, wie: dieser Bleistift bedeutet eine Pistole, oder auch etwas Privates, das mit dem Spiel in keiner Beziehung stand. Und erst als wieder »Puff« gesprochen war, wurde der Dialog von neuem aufgenommen. Um zu markieren, daß der eine oder die andere Farbe wechselte, hatten wir besondere Zeichen: das leichte, rasche Aufblasen der Wangen bedeutete leises Erröten; das starke und ein paarmal wiederholte Aufblasen stellte vor: mit Purpurröte übergossen; ein schnelles, blitzartiges Herunterziehen des Mundwinkels, das war Erblassen; das Umkehren der ganzen Unterlippe – das war schon geisterhaftes Erbleichen. Der Verlauf des Stückes wurde nicht vorher skizziert, der war der selbsttätigen Entwicklung der Gespräche und Gefühle überlassen, denn wir fühlten wirklich dabei: erwachendes Interesse aneinander, keimende Neigung, und gewöhnlich zum Schluß erglühende Liebe, die zum Lebensbunde führte. So ein dialogisierter Roman dauerte manchmal tagelang; wir konnten ja auch nicht ununterbrochen weiterspielen, da andere Beschäftigungen: Lektionen, Spaziergänge, Mahlzeiten u.s.w. uns riefen. Die Anwesenheit unserer Mütter störte uns nicht immer; wir setzten uns in eine andere Ecke des Zimmers außer Hörweite – sagten »Puff«, und der finstere Alexander oder wie sonst der jeweilige Held hieß, war wieder da. Lieber war uns das Spiel freilich, wenn wir allein waren, denn da konnte der Dialog mit ausdrucksvollen Gesten begleitet, der Affekt durch erhöhte Stimmen ausgedrückt werden. War eine solche Komödie ausgespielt, so mußte wieder ein neuer Held und eine neue Situation ersonnen werden. Nicht immer fiel uns etwas ein; da saßen oder spazierten wir im nüchternen Paffzustande nebeneinander oder plauderten, bis plötzlich die eine oder die andere rief: »Wasatem.« (Abkürzung für: Ich weiß ein Thema.) Schien das vorgeschlagene Thema gut und interessant, dann hieß es »Puff« und die Verwandlung war geschehen.

Ich erinnere mich, daß einmal, als wir in unserer Zimmerecke spielten, die am anderen Ende mit einer Stickerei beschäftigte Tante Lotti ausrief: »Dein Hüsteln gefällt mir aber gar nicht, Elvira! So trocken und so hartnäckig – da muß der Doktor befragt werden ...« Elvira hatte aber damals gar keinen Husten, sondern wir waren seit mehreren Tagen in einem außerordentlich rührenden Puffspiel begriffen, bei welchem der Geliebte ein todgeweihter Brustkranker war.

Ich erwähnte vorhin den schönen Liedergesang meiner Mutter. Dieser Gesang hat in meiner Kindheit und späteren Leben eine große, einflußreiche Rolle gespielt. Meine Mutter betrachtete es stets als eine tragische Verfehlung ihres Lebensberufes, daß sie nicht Opernsängerin geworden war. In ihrer ersten Jugend hatte ein berühmter italienischer Maestro ihre Stimme geprüft und die Versicherung abgegeben, daß seit der Grisi, Pasta und Malibran kein solcher Sopran gehört worden sei, dazu die blendende Erscheinung: kurz die höchsten Triumphe, die reichsten Goldgewinne wären da dem schönen Mädchen erschlossen gewesen, wenn sie die Theaterkarriere ergriffen hätte; dies die Meinung des Maestro, der es auch unternahm, ihr nach der altitalienischen Schule Gesangsunterricht zu erteilen und es unter anderem erreicht hatte, daß sie das Eintrittsrezitativ der Norma mit tragischer und schmetternder Kraft zum Vortrag brachte, wieder zur Beschämung aller Grisis, Pastas und Malibrans. Aber...

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