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E-Book

Memoiren der Kurfürstin Sophie von Hannover

Ein höfisches Lebensbild aus dem 17. Jahrhundert

VerlagWallstein Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl204 Seiten
ISBN9783835326446
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Sophie von Hannover (1630-1714) war durch ihre Heirat Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg und Kurfürstin von Braunschweig-Lüneburg. Durch den »Act of Settlement' wurde sie 1701 designierte Thronfolgerin der britischen Monarchie. Bereits 1680 schrieb Sophie ihre Memoiren: Urteilsfreudig und mit feinem Humor erzählt diese bemerkenswerte Persönlichkeit vom Leben einer jungen Aristokratin im Spannungsfeld europäischer Dynastien. Sie wählt das höfische Französisch, um mit prägnantem Blick von Menschen und Ereignissen in einer Melange aus Raffinesse und Natürlichkeit unter dem Einfluss der Frühaufklärung zu erzählen. Ihre Schilderungen sind inspiriert vom freiheitlichen Schwung des Autonomiestrebens der Frühaufklärung. Nach der ersten Übersetzung von 1913 erscheint eine Neuübersetzung der Memoiren nun zu ihrem 300. Todestag am 8. Juni 2014 mit einem ausführlichen Kommentar und einer Einführung.

Die Herausgeberin Martina Trauschke, geb. 1958, Theologin, ist die Gründerin der Leibniz-Festtage Hannover und Leiterin der Evangelischen Stadtakademie an der Neustädter Hof- und Stadtkirche in Hannover.

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Leseprobe

Memoiren
der
Kurfürstin Sophie von Hannover


 

Zu Hannover, 1680


In meinem Alter gibt es keine bessere Beschäftigung, als sich vergangener Zeiten zu erinnern; dem glaube ich mit dieser Schrift zu genügen; sie ist nur für mich bestimmt und ich will weder als Heldin der Geschichte erscheinen noch jene romantischen Damen nachahmen, die nur durch ihr prachtvolles Leben und ihre außergewöhnlichen Auftritte berühmt geworden sind.1 Ich beabsichtige damit nichts anderes, als mich während der Abwesenheit des Herzogs, meines Gemahls, zu zerstreuen, um die Melancholie zu meiden und mir meinen Humor zu bewahren.2 Denn ich bin überzeugt, daß dadurch die Gesundheit und das Leben, die mir sehr kostbar sind, erhalten bleiben.

 

1630


Man hat mir gesagt, daß ich am 14. Oktober des Jahres 1630 geboren wurde und die zwölfte Frucht der Ehe meines Vaters des Königs und meiner Mutter der Königin war.3

Ich glaube, meine Geburt hat ihnen nur deshalb Freude bereitet, weil ich nicht mehr den Platz einnahm wie zuvor. Man war sehr unentschieden, welchen Namen und welche Paten man mir geben sollte, weil alle in Frage kommenden Könige und Prinzen schon mit den Kindern, die mir vorangegangen waren, ihre Last zu tragen hatten. Man schrieb verschiedene Namen auf mehrere Zettel und befand es für richtig, den meinigen auf diese Weise zu bestimmen; so gab mir der Zufall den Namen Sophie. Und um die Patinnen auszuwählen, die diesen Namen trugen, wählte der König die Pfalzgräfin von Birckenfeld und die Gräfin zu Hohenlohe aus, des weiteren die Gräfin von Culenburg sowie Madame von Brederode, die Gräfin von Nassau; die Staaten von Friesland4 wurden mir als Paten zugeteilt.

Als ich alt genug war und man mich wegbringen konnte, schickte mich meine Mutter die Königin nach Leyden, das nur drei Stunden vom Haag entfernt liegt, wo Ihre Majestät alle ihre Kinder fern von sich erziehen ließ, denn den Anblick ihrer Meerkatzen und Hunde zog sie dem unsrigen entschieden vor.5

Wir hatten in Leyden eine ganz und gar deutsche Hofhaltung. Alle Stunden des Tages waren geregelt, so wie unsere Verbeugungen. Meine Gouvernante6, eine Madame von Pless, hatte schon bei meinem Vater dem König diese Stellung eingenommen, woran man ihr Alter ablesen konnte. Ihre beiden Töchter, die älter als ihre Mutter zu sein schienen, halfen ihr bei dieser Aufgabe. Ihre Gesinnung war rechtschaffen, vor Gott wie vor den Menschen; sie weinten bitterliche Tränen für den einen, den anderen haben sie niemals etwas angetan, wenn auch ihr Äußeres fürchterlich anzusehen war und kleinen Kindern Angst machen konnte. Sie lehrten mich Gott zu lieben und den Teufel zu fürchten, und ich wurde in großer Ehrfurcht nach den Lehren Calvins erzogen. Man unterrichtete mich im Heidelberger Katechismus, der in deutscher Sprache geschrieben war.7 Ich konnte ihn vollständig auswendig, ohne ihn zu verstehen. Um sieben Uhr morgens stand ich auf und mußte jeden Tag im Hauskleid bei Mademoiselle Marie von Quadt erscheinen, einer der beiden Töchter, von denen ich gesprochen habe, die mich zu Gott beten und die Bibel lesen ließen. Sie brachte mir die Vierzeiler Pibracs8 bei, während sie sich den Mund spülte und sich die Zähne putzte, die es wahrhaft nötig hatten. Die Grimassen, die sie dabei schnitt, sind mir besser im Gedächtnis geblieben als alles andere, das sie mir beibringen wollte. Danach kleidete man mich an. Dieses geschah um halb neun Uhr, und ich sah dann für gewöhnlich einen Lehrer nach dem anderen zu mir kommen; dies dauerte bis zehn Uhr, falls ihnen der liebe Gott keinen Katarrh schickte, um mich zu retten. Nun wurde der Tanzlehrer willkommen geheißen, der mich bis elf Uhr unterrichtete, der Stunde des Diners. Dieses fand immer sehr zeremoniell an einer langen Tafel statt. Wenn ich in den Saal eintrat, waren meine Brüder alle in einer Linie aufgestellt, hinter ihnen ihr Gouverneur und ihre Hofkavaliere, immer in der gleichen Reihenfolge. Die höfische Etikette verlangte von mir, zuerst eine tiefe Verbeugung vor den Prinzen zu machen, dann eine kleinere vor den anderen, darauf noch einmal eine sehr tiefe, indem ich mich ihnen gegenüber aufstellte, dann noch eine kleine vor meiner Gouvernante, deren Töchter sich ebenfalls sehr tief vor mir verbeugten, wenn sie in den Saal traten. Ich mußte mich tief verbeugen, wenn ich ihnen meine Handschuhe übergab, dann noch einmal, wenn ich mich meinen Brüdern gegenüberstellte, eine Verbeugung machen, wenn mir die Hofkavaliere ein großes Handwaschbecken brachten, noch eine nach dem Gebet und eine letzte, bevor ich mich zu Tisch begab, was wohl, wenn ich richtig gezählt habe, insgesamt neun ausmacht. Alles war genau geregelt, man wußte an jedem Tag, was man essen würde, wie in einem Kloster. Sonntags und Mittwochs waren immer zwei Diener des Wortes Gottes zugegen oder zwei Professoren, die mit uns aßen.

Man glaubte, ich würde sehr gelehrt werden, weil ich eine schnelle Auffassungsgabe hatte; aber ich wollte einfach nichts anderes, als nicht mehr lernen zu müssen; damit ich das, von dem man wollte, daß ich es wissen sollte, eben nicht mehr mühevoll zu lernen hätte. Nach der Mahlzeit ruhte ich bis zwei Uhr nachmittags, bis die Angriffe auf mich wieder begannen; um sechs Uhr ließ man mich zu Abend essen und um halb neun zu Bett gehen, nachdem ich einige Kapitel in der Bibel gelesen und zu Gott gebetet hatte. Dieses Leben habe ich bis zum Alter von neun oder zehn Jahren geführt. Alle Streiche, die ich meiner Gouvernante, welche das Alter hat blind werden lassen, gespielt habe, übergehe ich stillschweigend, denn meine Geschichte soll keine Ähnlichkeit mit der von Lazarillo von Tormes9 bekommen. Ich möchte nur noch hinzufügen, daß die Königin meine heranwachsenden Brüder und Schwestern aus Leyden zurückkommen ließ, die Prinzen, um sie Reisen unternehmen zu lassen, und die Prinzessinnen, um sie bei sich zu haben.

Ich blieb mit einem kleinen Bruder dort, der nur ein Jahr jünger war und der im Alter von acht Jahren starb; die Königin war mit ihm schwanger, als sie die traurige Nachricht vom Tod des Königs, ihres Gemahls, erhielt.10 Das arme Kind wurde von einem Steinleiden gequält, seit es auf der Welt war, und man konnte sich deshalb schon fragen, wie es auch im Evangelium steht, ob er oder seine Eltern gesündigt hatten, weil er so elend geboren worden war; er war sehr hübsch.

Ich erinnere mich, daß die Königin uns beide an einem Nachmittag nach dem Haag kommen ließ, um uns ihrer Cousine, der Prinzessin von Nassau, zu zeigen, so wie man das auf einem Pferdegestüt zu tun pflegt, und daß Madame Gorin, als sie meinen kleinen Bruder und mich sah, sagte: »Er ist sehr hübsch, aber sie ist mager und häßlich, ich hoffe aber, sie versteht unser Englisch nicht.«

Ich verstand es aber nur zu gut, was mich bekümmerte und sehr traurig machte, weil ich glaubte, es gebe gegen mein Übel kein Mittel. Allerdings war es nicht so schlimm wie das meines armen kleinen Bruders, der bald darauf unter entsetzlichsten Schmerzen starb, wovon ich außerordentlich ergriffen und berührt war. Als man seinen Leichnam öffnete, fand man einen Blasenstein so groß wie ein Taubenei, umgeben von vier anderen sehr spitzen Steinen, und einen Nierenstein, der die Form eines großen Zahns hatte, den man mitsamt der Wurzel gezogen hat. Der Gedanke daran macht mich noch heute schaudern, zeigte sich doch die Unwissenheit der Ärzte, von denen er im Laufe seines kurzen Lebens so viele hatte.

Sein Lebensende bedeutete auch das Ende unseres Aufenthaltes am Hof zu Leyden, denn man wollte mich dort nicht alleine zurücklassen; ich empfand große Freude, aber auch einiges Bedauern darüber, meine alten Kindermädchen, die ihren Aufenthaltsort und ihre Gewohnheiten nicht verändern wollten, verlassen zu müssen. Ich liebte sie aus Gewohnheit und Anerkennung, denn zwischen dem Alter und der Jugend gibt es selten Sympathie. Sie wurden wegen ihrer Tugenden von jedermann geachtet, und nachdem sie wie die Heiligen gelebt hatten, sind sie auch so gestorben.

Im Alter von neun bis zehn Jahren kam ich nach dem Haag an den Hof der Königin11, meiner Mutter, und aus Unwissenheit bewunderte ich dort alles. Ich glaubte, dort alle Freuden des Paradieses zu genießen, bei so viel Abwechslung und so vielen neuen Menschen, und weil ich meine Lehrer nicht mehr sehen mußte. Es berührte mich auch nicht, dort drei Schwestern anzutreffen, die viel schöner und gebildeter waren als ich und die von allen bewundert wurden12; ich war damit zufrieden, mit meiner heiteren Art und meinem Witz alle Leute unterhalten zu können. Sogar die Königin fand daran Vergnügen und zeigte sich wohlgelaunt, wenn man mich ärgerte und meinen Witz herausforderte, damit ich mich verteidigen mußte. Ich brachte es immer wieder fertig, die Leute zu verspotten, worüber sich die geistreichen amüsierten, während sich die anderen fürchteten.

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