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E-Book

Mensch Marx

Der Münchner Kardinal im Porträt

AutorMartin Lohmann
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783451802119
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Reinhard Marx, der neue Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, ist zur Zeit eine der interessantesten und vielschichtigsten Persönlichkeiten der katholischen Kirche. Der Autor, seit Jahrzehnten ein guter Bekannter des Kardinals, zeichnet in seinem umfassenden Porträt erstmals dessen kirchlichen Werdegang nach und stellt Biografie, Profil und theologische Positionen des bedeutenden Kirchenmannes vor. So wird vor allem auch der Mensch Marx mit seiner Lebenslust und seiner theologischen Prägung, mit seiner Fähigkeit, Menschen zu faszinieren und mit ihnen ins Gespräch zu kommen, vom Autor in den Blick genommen. Jetzt mit den neuen Kapiteln: Römische Ambitionen - Marx und Weltkirche Brüsseler Bühne - Marx und Europa Wahrheit und Dialog - Marx und Menschen Leben in Bayern - Marx und München Skandale und Fehlbarkeit - Marx und Enttäuschungen Benedikt und Franziskus - Marx und Päpste

Martin Lohmann, geb. 1957; Studium der Kath. Theologie und Geschichte in Bonn; Journalist und Publizist, TV-Moderator; lebt mit seiner Familie in Bonn.

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Leseprobe

Westfälische Familie


Marx und Leben

Daheim sind sie fast alle mächtig stolz auf den größten Sohn der Stadt. Auch deshalb, weil Reinhard Marx als gebürtiger Geseker einer von ihnen geblieben ist. Seine steile Kirchenkarriere hat ihn niemals abheben lassen. Und so ist „unser Reinhard“ auch als Erzbischof im fernen Bayern für die meisten, die ihn persönlich kennen, „unser Reinhard“ geblieben. Auch als Kardinal und enger Papstvertrauter auf höchster kirchlicher Ebene. Nicht nur, weil er auch als Weihbischof, Bischof von Trier und jetzt als Metropolit in München seine heimatlichen Wurzeln niemals vergessen hat, sondern sie vielmehr ganz selbstverständlich durch unspektakuläre Besuche und ein ganz natürliches Bekenntnis zur westfälischen Heimat stets pflegte. Nicht nur, weil er im Vereinsleben der Schützenbrüderstadt Geseke einen festen Platz hat. Und auch nicht nur, weil er zu wichtigen Anlässen – kirchlichen wie weltlichen – ungezwungen auftaucht und einfach da ist. Nicht nur Benedikt Laame, der daheim in Geseke die Öffentlichkeitsarbeit für die Stiftskirchengemeinde St. Cyriakus ebenso stolz wie hilfsbereit leistet, erzählt davon.

Reinhard Marx ist auch „unser Reinhard“ geblieben, weil er stolz ist auf seine kleine große Heimat und die Herzensprägung westfälischer Art, die er mit seinen Gesekern teilt. Schmunzelnd nimmt er zur Kenntnis, wenn diese – im Hinblick auf das in München möglicherweise schon bald anstehende Kardinalspurpur – zu Beginn des Jahres 2008 spaßvoll und mit einem Schuss ehrlicher Hochachtung meinen, angesichts des in Chemnitz frei gewordenen Namens könne man ja Geseke irgendwann in „Kardinal-Marx-Stadt“ umbenennen. Dazu wird es freilich nicht kommen. Aber eine Straße oder einen Platz werden sie ihm sicher widmen, diesem Sohn der Stadt, der das kleine und bodenständige Geseke überall bekannt gemacht hat. Später.

Reinhard Marx wurde hier wesentlich geprägt. Wer sein Wesen, seinen Humor und sein nicht immer ironiefreies Selbstbewusstsein verstehen will, sollte sich einen Besuch in Geseke gönnen. Mächtige Mauern, stabile Kirchenräume, eine Schlossruine im zum Stadtteil beförderten Örtchen Störmede, das ebenfalls eingemeindete Barockschloss Eringerfeld, die Reste einer längst abgetragenen Stadtmauer sowie alte Fachwerkbauten zeugen von der langen Geschichte eines Ortes, in der der Name Marx häufig zu finden ist. Übrigens auch der Name Engels. „Beide, Marx und Engels, kommen von hier und wurden zu Priestern geweiht“, erwähnt der heutige Pfarrer Gerald Haringhaus mit einem Lächeln. „Aber das waren nicht Friedrich und Karl“, spielt er auf den zwischenzeitlich in der Marxstadt Trier wirkenden Marx aus Geseke an. Doch seit der Berufung des „Geseker Jungen“, wie sich dieser gegenüber seiner Heimatzeitung selbst bezeichnet, ist die Stadt an der Mosel wieder Marx-frei. Auch wenn der erzbischöfliche Marx in Anlehnung an seinen Namensvetter viel vom Kapital hält – aber von dem, das aus dem Glauben den Christen zu eigen ist und das sie besser und mutiger einsetzen sollten. Marx und Kapital – das bleibt ein Thema. Auch in München. Auch von München aus.

Sein Lebenskapital zu sammeln begann der am 21. September 1953 in einem Krankenhaus in Geseke geborene Reinhard Marx hier am Hellweg. Rund 21.000 Einwohner hat diese Stadt inzwischen, einen Autobahnanschluss und drei Kirchen. Der Flughafen Paderborn/Lippstadt ist nur zehn Kilometer entfernt. Bis Paderborn mit seinem mächtigen Dom und seiner katholischen Prägekraft sind es nur rund 20 Kilometer. Von Geseke aus ist man schnell dort, wie auch in Soest oder Erwitte oder gar bei der Muttergottes von Werl. Irgendwie ist hier alles ziemlich katholisch geprägt. Die Kirche und der Jahreskreis der kirchlichen Feste gehören so selbstverständlich zum täglichen Leben wie die Brötchen vom Bäcker und die Geseker Zeitung.

Reinhard Marx im Alter von etwa fünf Jahren auf der Überfahrt nach Norderney.
Foto: privat

Der Vater von Reinhard und seinem zwei Jahre älteren Bruder Werner, Franz Marx, ist Schlossermeister. Er stirbt im Jahr 1982 plötzlich an einem Herzschlag. Vor den Augen seines ältesten Sohnes fällt er vom Motorrad. Von ihm, so sagt es Werner Marx, haben die Söhne sowie die 14 beziehungsweise zwölf Jahre jüngere Schwester Eva-Maria das Intellektuelle geerbt. Vater Franz war ein Bücherwurm, las alles, was irgendwie interessant war. Und: Er liebte Gedichte, Lyrik, Poesie. Einer der Favoriten war Heinrich Heine. Reinhard wird später auch als Erzbischof von München noch gerne zitieren, dass Heine die Westfalen „sentimentale Eichen“ nannte. Und in dieser Beschreibung findet der Kirchenmann sich auch selbst gut getroffen. Aber auch Annette von Droste-Hülshoff gehörte zu den gerne Gelesenen. Und die Begeisterung für Rilke und Wilhelm Busch gab der Vater ebenfalls an seine Kinder weiter.

Als Trierer Bischof wird der 50-jährige Sohn später einmal in einem Buchbeitrag von den grundsätzlichen Tugenden erzählen, von Sittlichkeit, Respekt vor dem anderen, von Achtung der Würde aller. Und er wird erklären, dass diese Tugenden eines christlichen Lebens nicht einfach da sind, sondern in einem permanenten Erziehungsprozess je neu im eigenen Leben verwirklicht werden müssen. Wie zufällig fällt ihm dann nicht etwa ein Kirchenlehrer ein – die kennt er zwar auch –, sondern er zitiert Wilhelm Busch: „Gute Tiere musst du züchten, musst du kaufen; die Ratten und die Mäuse kommen ganz von selbst gelaufen.“

Dass der Vater ein Verehrer des großen Sozialethikers und Nestors der Christlichen Gesellschaftslehre, des Jesuitenpaters Oswald von Nell-Breuning, war, wirkt im Nachhinein fast wie eine stille Vorhersage. Den diskussionsfreudigen und politisch hellwachen Vater beeindruckten Lehre und Gedankengebäude des alten Meisters, dem zu begegnen ihm Sohn Reinhard später im Rahmen einer Vortragsveranstaltung in der Dortmunder Kommende ermöglichte. Der Vater sei über diese Begegnung sehr glücklich gewesen, weiß man in der Familie Marx zu berichten. Freilich: Vorhersehbar war Reinhard als Sozialethiker nicht unbedingt. Ihn interessierte eher die Dogmengeschichte der Kirchenväter. Ein Leben als Pfarrer irgendwo auf einem Dorf, wo er sich mit diesem Teil der Kirchengeschichte hätte befassen können – das konnte er sich gut vorstellen. Sein Bischof hingegen, der spätere Kardinal Johannes Joachim Degenhardt, brauchte einen Sozialethiker für seine Akademie in Dortmund – und setze Reinhard Marx auf die entsprechende Spur. Auf die richtige Spur, muss man heute wohl zugeben.

Zurück nach Geseke. Daheim im Hause Marx wird gerne und munter diskutiert. Politische Debatten sind schon dem kleinen Reinhard nicht fremd. Dabei lernt er vom Vater, wie wichtig Gerechtigkeit und Solidarität sind. Von der Mutter, die den Vater lange überlebt und erst wenige Wochen vor der Berufung des Sohnes auf den Stuhl des heiligen Korbinian im Alter von 88 Jahren stirbt, erbt er wie seine Geschwister das Gefühl, die Redegewandtheit und die faszinierende Umgänglichkeit mit Menschen. Es ist auch eine erst bei genauem Hinsehen erkennbare Sensibilität, die sich mit einer nur vordergründig dick wirkenden Schale aus dokumentierter Lebensfreude schützt. So wächst Reinhard Marx in einer für ihn selbstverständlichen Mischung aus Intellekt und Herz auf, einer Mischung aus konkret gelebter Bodenständigkeit und erfahrbarem mentalen Weitblick.

Zur Normalität seiner Kindheit, aus der es keine wirklichen Streiche des jüngeren Sohnes zu berichten gibt, gehört auch die ganz normale Lebensrealität der Familie Marx, die sich von anderen Familien in Geseke nicht unterscheidet. Mit seinem Bruder Werner teilt er sich ein Zimmer. Im Etagenbett, das sie hier Stockbett nennen, schläft Reinhard unten, Werner hingegen oben: „Reinhard war schon immer der völlig Unsportliche, hielt nicht allzu viel von allzu viel Bewegung.“ – „Warum Sport? Muss man das?“, fragt er schelmisch und mit der bereits mitklingenden unausgesprochenen Antwort seinen Gesprächspartner 2008 in München. Aber ganz selbstverständlich habe er nicht deswegen unten geschlafen: „Ich war unten, weil ich schwerer war.“ Zwei Brüder, zwei Deutungen. Vielleicht stimmen beide.

Bereits im Kindergarten wusste er seine Kräfte einzuteilen – und wartete lieber eine Weile auf die Ordensschwester, Schwester Beate von den Heiligenstädter Schulschwestern, von der er wusste, dass sie ihm die wenigen Stufen hinunterhalf. Reinhard machte nie etwas Sportliches, erzählt man sich in seiner Familie. Dafür hatte er sehr früh zu erkennen gegeben, dass es für ihn nichts anderes gibt als den Priesterberuf. „Ich kenne nichts anderes“, so der Bruder Werner, „Reinhard war immer infiziert von Kirche.“ Erst später entstand das schöne Wort über ihn: „Er hatte bereits im Mutterleib die Soutane an.“

Seine Mutter Berta, die ausgerechnet an ihrem 88. Geburtstag eine Hirnblutung bekam, wurde auch hinsichtlich der katholischen Selbstverständlichkeit des jetzigen Münchner Oberhirten prägend für ihn. Ein geistlicher Freund aus Geseke-Mönninghausen beschreibt sie als mit einem „gesunden katholischen Sinn“ ausgestattet, eine Frau, die mitten im Leben stand und mit einer „beeindruckenden Nüchternheit einfach klipp und klar wusste, was katholisch ist“.

Es war daher, wie normalerweise in solchen Grenzfällen des Lebens, besonders schmerzlich für den damaligen Trierer Bischof, dass Mutter Berta am eigenen Geburtstag ins Krankenhaus musste und wenige Tage später verstarb. Aber es war auch normal. Schließlich hatte sie ein „langes Leben gelebt“. Und es sagt etwas über das Verhältnis vom Sohn zur Mutter aus, dass dieser...

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