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Menschen, die Geschichte schrieben Die Moderne

Die Moderne

AutorJohn Andreas Fuchs
VerlagEdition Erdmann in der marixverlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783843804882
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Die Moderne ist in allen gesellschaftlichen Bereichen eine zukunftsgewandte Umbruchphase - neue Wege werden entdeckt, alte Traditionen und Denkweisen brechen auf, sei es in der Politik, der Gesellschaft, der Wissenschaft oder der Kunst. Kluge Köpfe rütteln auf, hitzige sorgen für Verwirrung, Diskussion oder Chaos und erzwingen Weiterentwicklung. Der finale Band der Reihe Menschen, die Geschichte schrieben enthält zahlreiche Aufsätze zu Persönlichkeiten, die die Welt in der Moderne maßgeblich beeinflussten und nachhaltig veränderten. Die Spanne der behandelten Personen reicht hierbei von John F. Kennedy und Marilyn Monroe über Albert Einstein und Che Guevara bis zu Johannes Paul II., Picasso, Madonna u.v.m.

John Andreas Fuchs, M.A. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Amerikanistik der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

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EINLEITUNG


von John Andreas Fuchs

„Es war die beste aller Zeiten, es war die schlechteste aller Zeiten“ – als Charles Dickens 1859 seine Geschichte zweier Städte schrieb, konnte er nicht ahnen, welche Aussagekraft seine Charakterisierung der Zeit der Französischen Revolution, mit all ihren Hoffnungen und Schrecken, für folgende Generationen haben würde. Vielleicht noch mehr für das zwanzigste als für das neunzehnte Jahrhundert.

Nach sieben Jahren ist die Reihe Mythen Europas mit dem vorliegenden Band im 20. Jahrhundert an- und damit zu ihrem Abschluss gekommen. Sie führte ausgehend von der Antike übers Mittelalter in die Neuzeit, durch die Renaissance, vom Barock zur Aufklärung und schließlich durch das 19. Jahrhundert und zeigte die jeweiligen Mythen als Spiegel ihrer Entstehungszeit und Gesellschaft. Im 20. Jahrhundert stellt sich die Betrachtung der Mythen aufgrund der kurzen historischen Distanz komplex dar: Einige Schlüsselfiguren der Imagination begegnen einem als lebende Legenden. Die Gesellschaft, die sich in den Mythen spiegelt, ist auf einmal die – zumindest teilweise – eigene: John F. Kennedy, Marilyn Monroe, Johannes Paul II. und Madonna sind keine legendären Gestalten aus einer längst vergangenen Zeit, sondern ein Teil der eigenen Vergangenheit; um sie ranken sich Mythen, deren Wirkung einen eventuell selbst beeinflusst hat oder bei deren Konstruktion man gar selbst beteiligt war. Bereits Kurt Hübner beschreibt Mythos und Wissenschaft als alternative Formen der Wirklichkeitsbewältigung ohne absoluten Wahrheitsanspruch.1 Mythos und Wissenschaft sind nicht mehr unvereinbare Gegensätze, sondern liefern beide Erklärungsmodelle für die Welt. Die Autoren dieses Bandes versuchen aus verschiedenen fachlichen Blickwinkeln, hinter die Figuren unserer Imagination zu blicken und die realen Personen neben ihren Mythos zu stellen. Sie versuchen der Frage auf den Grund zu gehen, was einen Menschen des 20. Jahrhunderts zum Mythos werden lässt. Dies geht nicht, ohne vertraute Vorstellungen über unsere Helden zu hinterfragen und ihren Entstehungshintergrund zu dechiffrieren.

Das „kurze 20. Jahrhundert“ ist das Jahrhundert des Antagonismus und zeigte sich von Anfang an als Zeitalter der Extreme, wie Eric Hobsbawm die Zeit von 1914 bis 1991 nennt.2 Hatten sich im 19. Jahrhundert die in der Französischen Revolution und ihren Nachwehen angelegten Gegensätze auf nationaler Ebene in Europa weiter ausgeprägt, trieb das 20. Jahrhundert diese Gegensätze auf die Spitze: Die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ (George F. Kennan), der Erste Weltkrieg, verwirklichte auf radikalste Weise eine der Forderungen der Französischen Revolution: Vor den Mündungsfeuern der Maschinengewehre waren tatsächlich alle gleich. Beim Töten und Getötet-Werden in den Schützengräben gab es keinen Unterschied zwischen den gesellschaftlichen Ständen. Es war ein Kampf Mensch gegen Maschine, vormoderne Tugenden wie Mut und Opferbereitschaft zählten nicht mehr. Der Fortschritt der Technik veränderte den Krieg und das Leben, die Maschine trat, so Ernst Jünger, ihre Herrschaft an.3 Die Tötungsindustrie zeigte ihr furchtbares Gesicht bald darauf wieder im Zweiten Weltkrieg. Der totale Krieg und der Einsatz der Atombombe trieben die zivilen Opferzahlen auf bisher nicht gekannte Höhen, um noch vom Wahnsinn des Holocaust an Entmenschlichung übertroffen zu werden. Das Leben des Einzelnen und selbst ganzer Völker galt im Totalitarismus nichts mehr. Einzelne hatten die Macht, die ganze Menschheit auszurotten.

Nicht nur auf den Schlachtfeldern begann das 20. Jahrhundert mit Umbrüchen, auch die soziale Ordnung geriet ins Wanken. Die Folge des Kriegs waren u. a. Revolutionen in Russland, Deutschland und Österreich. Die Oktoberrevolution in Russland zog den Beginn des Konflikts zwischen Ost und West nach sich, der nach dem Zweiten Weltkrieg über vierzig Jahre lang als Kampf der Werte und Ideologien die Welt in zwei Lager teilen sollte. Das Verschwinden dieser beiden Blöcke markiert, so Hobsbawm, auch das Ende des kurzen 20. Jahrhunderts.

Doch das 20. Jahrhundert wäre kaum das Jahrhundert des Antagonismus, wenn es nicht auch selbst in zwei „Blöcke“ zerfiele: der erste geprägt von Katastrophen, der zweite, zumindest in der westlichen Welt, von Wohlstand und Frieden. Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts sah das Ende der alten Kolonialreiche. Großbritannien gab in einer modernen translatio imperii seine Rolle an die USA ab. Das 20. Jahrhundert wurde damit endgültig zum „amerikanischen Jahrhundert“ (Hobsbawm), ein weltpolitischer Rahmen, dem die Auswahl hier vorgestellter Mythen Rechnung trägt.

Das 20. Jahrhundert ist nicht nur das Jahrhundert der Umbrüche und Katastrophen, sondern auch das der Aufbrüche und des Fortschritts. Quantentheorie, Relativitätstheorie, Quantenmechanik und Heisenbergsche Unschärferelation eröffneten völlig neue Perspektiven in der Physik. In der Biologie führte die Weiterentwicklung der Evolutionstheorie und Genetik zur Gentechnologie. Der Mensch betrat den Mond und erschuf künstliche Intelligenz. All dies bereitete den Boden für eine große Anzahl neuer Mythen, bei deren Erschaffung und Verbreitung die kulturellen und sozialhistorischen Umbrüche der ersten Moderne halfen: die Durchsetzung der Konsumgesellschaft, die zunehmende Urbanisierung sowie Suburbanisierung und das Aufkommen der Massenmedien, wie Kino, Illustrierte und Werbung. Gerade die Medienrevolution brachte eine entscheidende Veränderung: Die Wirklichkeit wurde nicht mehr nur dargestellt, sondern sie wurde visuell, auditiv, audio-visuell reproduziert oder auch völlig neu produziert. So arbeiten die Schlüsselfiguren des 20. Jahrhunderts mit Hilfe der Medien an ihrer „Ausstrahlung im Raum des Imaginären“4 oder werden gar von Anfang an von den Medien als mythische Figuren konstruiert.

Mit der Produktion des NEUEN MENSCHEN beschäftigt sich Michael Hagemeister im ersten Beitrag des Bandes. Hagemeister zeigt am sowjetischen Streben nach dem homo creator die Langlebigkeit von Mythen, da die Idee des Neuen Menschen keinesfalls neu war: Die Bolschewiki griffen auf Platons Mythos des ganzheitlichen ungeschlechtlichen Menschen zurück und stellten sich auch in die Tradition der Kirchenväter, die bereits einen Zusammenhang zwischen „Geschlechtlichkeit, sexuell vermittelter Erbsünde und Todesverfallenheit“ postuliert hatten. Ungeschlechtlichkeit sowie die alchemistisch erscheinende Vereinigung des Männlichen und Weiblichen war jedoch nur einer der Wege, die in Russland eingeschlagen wurden. Weitere Möglichkeiten stellten die Unsterblichkeit in Form eines Kollektivs, in welchem der Einzelne in der Masse aufgeht und dessen Tod somit unbedeutend wird, die Verlangsamung des Alterns oder gar die Auferweckung der Toten dar. So wurde Lenins Mumifizierung von Zeitgenossen als Maßnahme für dessen spätere Auferweckung verstanden. Die Bolschewiki versuchten entsprechend ihren totalitären Heilslehren den Menschen zu vergöttlichen und aus dem „Gefängnis der Natur“ zu befreien. Dabei schufen sie jedoch nicht das Paradies auf Erden, sondern machten „das Dasein zur Hölle“.

Die Anfälligkeit der Menschen zu Beginn des 20. Jahrhunderts für neue Heilslehren erklärt Hans Maier mit der Urkatastrophe und dem Ende des Liberalismus. Mit Lenin beginnt für ihn die Apotheose der Diktatoren im 20. Jahrhundert, die an dessen Ende im Denkmalsturz münden sollte. Im Herrscher- und Führerkult setzte sich die schon beim Neuen Menschen festgestellte Säkularisierung fort. LENIN, STALIN, HITLER, MUSSOLINI und MAO waren Heilsbringer „politischer Religionen“. So unterschiedlich die Genannten in ihren Ideologien auch waren, gemeinsam waren ihnen der totale Herrschaftsanspruch, die wirkungsvolle Beeinflussung der Massen und ihre mediale Selbstinszenierung zur Generierung ihres eigenen Mythos. Folge dieser Selbsterhöhung war der unvermeidliche Sturz und die Dekonstruktion des mythischen Herrschers. Sei es durch die Niederlage im Krieg – Hitler und Mussolini – oder durch die Hand derer, denen der Personenkult zu weit ging. Stalin wurde postum zur Unperson, Personenkult und Kommunismus waren unvereinbar. Die Gefahr eines neuerlichen Totalitarismus sieht Maier nach dem Denkmalsturz der Diktatoren zwar als gering an, weist aber darauf hin, dass der Personenkult in der Verehrung von Warlords, Guerillakämpfern und dem Märtyrertum von Terroristen wiederkehren könnte.

Einer der Heilsbringer des 20. Jahrhunderts der gegen sämtliche Dekonstruktionsversuche gefeit war, ist der Rubrik der Warlords und Guerillakämpfer zuzuordnen. ERNESTO „CHE“ GUEVARA ziert weiterhin Poster, T-Shirts und Kappen immer neuer Generationen von Jugendlichen. Sein Nachleben versucht Stephan Lahrem zu erklären. Lahrem sieht den Mythos nicht als reine Fiktion und Imagination, sondern als „Projektionsfläche für Sehnsüchte, Hoffnungen, Wünsche und Ängste, die auf eine historische Person projiziert werden“: die Wahrheit als...

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