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E-Book

Menschenrechtsorganisationen in der Türkei

AutorAnne Duncker
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783531913308
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis46,99 EUR


Anne Duncker ist als Referentin für Kultur- und Medienbeziehungen mit der Türkei im Auswärtigen Amt tätig.

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Leseprobe
6 Gesellschaftliche Konfliktlinie 1: Religion vs. Säkularismus (S. 145-146)

Secularism is taking my right to education, to freedom of religion. I don’t want a democracy like this. (Zeynep Akgün, Ak-Der) Der Machtkampf zwischen den Religiösen und den Säkularisten hat sich im Wahljahr 2007 erneut an der Frage entzündet, ob das Militär duldet, dass ein Vertreter der AKP in das Amt des Staatspräsidenten gewählt wird. Mit dem Wahlsieg der AKP und einem gläubigen Muslim als Regierungschef hatten sich die Generäle zähneknirschend arrangiert, um angesichts einer möglichen islamischen Doppelspitze zunächst vernehmlich mit den Säbeln zu rasseln.

Der erste Versuch, den damaligen Außenminister Abdullah Gül zum Staatspräsidenten zu wählen, scheiterte am Widerstand des Militärs und der kemalistischen Politelite. Nach den darauffolgenden Neuwahlen, die der AKP einen haushohen Sieg einbrachten, wurde Gül Ende August zum neuen Staatsoberhaupt gewählt. Mehr denn je sind die Kritiker der AKP seitdem davon überzeugt, dass die Partei eine schleichende Islamisierung der türkischen Republik anstrebt.

Die AKP hingegen gibt sich weltoffen und pro-europäisch und verurteilt die Einflussnahme des Militärs als undemokratisch und islamfeindlich. Der Konflikt sitzt tief und scheint sich auch nach der äußerst reform- und europaorientierten ersten Legislaturperiode unter Führung der AKP nicht abzumildern, sondern im Gegenteil noch zu verschärfen. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass sich die Konfliktlinie Religion vs. Säkularismus im zivilgesellschaftlichen Sektor fortsetzt und diesen maßgeblich prägt. Untersucht wird, welche Rolle Islam und Säkularismus bzw. Kemalismus bei der Identitätsausbildung der NGOs spielen und wie sie das Verhältnis der Organisationen untereinander prägen.

Einige der Interviewten äußerten sich nur sehr zurückhaltend über die Bedeutung der Religion für ihre Arbeit. Publikationen, Veranstaltungen und Webseiten der NGOs konnten die Äußerungen in diesen Fällen ergänzen. Auch eine fehlende Bereitschaft, über die Bedeutung der Religion zu sprechen, ist letztlich jedoch aussagekräftig. Zudem lassen Vergleiche mit anderen Organisationen, die von den Interviewten häufig gezogen wurden, Rückschlüsse auf die identitäre Verortung einer NGO zu.

6.1 Religion als identitätsstiftendes Merkmal

In den vergangenen Jahren haben die islamischen NGOs einen bedeutenden Teil des NGO-Sektors erobert. Während wohltätige Stiftungen seit jeher feste Institutionen in islamischen Gesellschaften sind, ist das Engagement islamischer NGOs für bürgerliche und politische Rechte in der Türkei ein recht junges Phänomen. Es wird beleuchtet, welche Rolle der Islam für diese Organisationen und ihr Selbstverständnis spielt, wie offen die religiöse Ausrichtung dargelegt wird und welche Gründe für einen eher zurückhaltenden Umgang mit diesem Thema vorliegen. Einhergehend damit wird analysiert, inwieweit die NGOs Religionsfreiheit als ein Recht unter anderen Rechten fordern oder aber die Religionsfreiheit abkoppeln und über die anderen Rechte stellen.

Es stellt sich die Frage, ob die Religion als so prägender Teil des Organisationsprofils verstanden wird, dass daraus Schwierigkeiten entstehen, mit säkularen NGOs zusammenzuarbeiten. Zudem wird dargestellt, inwieweit es das Ziel der islamischen NGOs ist, eine neue Akzentuierung des türkischen und des europäischen Menschenrechtsdiskurses zu erreichen, oder aber einen völlig neuen Diskursrahmen zu definieren.

Dieser Diskursrahmen wird entlang Annahmen erster Ordnung beschrieben, er koppelt also die Anerkennung von Rechten an spezifische Glaubensinhalte. Religiöse Begründungen für die Zu- oder Aberkennung von Rechten sind problematisch, da sie Letztbegründungen darstellen und somit nicht hinterfragbar sind. In der Diskussion mit säkularen Gruppen stellen sie daher besonders schwer zu überbrückende Differenzen dar.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt5
Vorwort9
Abkürzungsverzeichnis11
Türkische Aussprache12
Einleitung13
Teil I Theoretische und methodische Grundlagen18
1 Stand der Forschung19
2 Theorie, Methodologie, Methodik26
2.1 Der theoretische Ansatz: Annäherung an die Wirklichkeit26
2.2 Zentrale Begriffe44
2.3 Überlegungen zur Datenerhebung und -analyse60
Teil II Empirische Ergebnisse: NGOs, türkischer Staat und EU80
3 NGOs und türkischer Staat81
3.1 Staatliches System zum Schutz der Menschenrechte83
3.2 Zur rechtlichen Situation der NGOs87
3.3 Beginnende Kooperation – anhaltende Repression: NGOs und türkischer Staat89
3.4 Aufwind für die Menschenrechte? Entwicklungen seit der Regierungsübernahme der AKP95
4 NGOs im europäischen Prozess103
4.1 Rückendeckung oder leere Versprechungen: Wie die NGOs den europäischen Prozess bewerten103
4.2 Innere Dynamik – Äußerer Anstoß: Wie sehr ist die türkische Zivilgesellschaft auf den europäischen Prozess angewiesen?115
Teil III Empirische Ergebnisse: NGO- Landschaft und Konfliktlinien120
5 Selbst- und Fremdbeschreibung der NGOs: Zur Bedeutung des Politischen121
5.1 Deutliche Parteinahme ohne Reflexion: Die islamischen NGOs122
5.2 Prädikat: Unpolitisch. Kemalistische und linke Organisationen125
5.3 Gegentrend: Anerkennung durch Politisierung?132
6 Gesellschaftliche Konfliktlinie 1: Religion vs. Säkularismus136
6.1 Religion als identitätsstiftendes Merkmal137
6.2 Laizismus als argumentative Allzweckwaffe?152
6.3 Die Kopftuchfrage155
7 Gesellschaftliche Konfliktlinie 2: Zentrum vs. Peripherie164
7.1 Glücklich ist, wer sagen kann: ‚Ich bin ein Türke’ – NGOs und Minderheitenrechte165
7.2 Hüter des Laizismus – Verhinderer der Demokratie? Der Einfluss des Militärs auf den zivilgesellschaftlichen Sektor181
7.3 Entwicklung des Konflikts: Vorsichtiger Tabubruch und bleibende Vorbehalte186
8 Menschenrechtliche Konfliktlinie: Universalismus vs. Relativismus191
8.1 „Keine Frage der Menschenrechte“ – Religion als Begründung für die Relativierung von Menschenrechten am Beispiel von Homosexuellenrechten192
8.2 „Die besondere Situation der Türkei“ – Politischer Kontext als Begründung für die Relativierung von Menschenrechten198
9 Konfliktlinien und Möglichkeiten ihrer Überwindung204
9.1 Einigkeit ohne gemeinsames Aktionspotential: Der Kampf gegen Folter und Misshandlung204
9.2 Alle ziehen am gleichen Strang – nur nicht in dieselbe Richtung207
9.3 Konfliktlinienübergreifende Kooperationen212
9.4 Fazit und Ausblick219
Ausblick222
Übersicht der befragten NGOs228
Ak-Der (Istanbul)228
Amnesty International Turkey (Zweigstelle Ankara)228
Ba kent Kad n Platformu (Ankara)228
Ça da Gazeteciler Derne i (Ankara)228
Göç-Der (Zweigstelle Istanbul)229
Helsinki Citizens’ Assembly (Istanbul)229
Hukukçular Derne i (Istanbul)229
Initiative for Freedom of Expression(Istanbul)229
HD (Ankara und Zweigstelle Istanbul)229
HH (Istanbul)229
stanbul Barosu (Istanbul)230
KAOS GL (Ankara)230
Lambda stanbul (Istanbul)230
Mazlumder (Ankara)230
Mezo-Der (Istanbul)230
Mor Çat (Istanbul)230
Özgür-Der (Istanbul)231
Pir Sultan Abdal Derne i (Zweigstelle Istanbul)231
Türk Demokrasi Vakf (Ankara)231
TGTV (Istanbul)231
T HV (Zweigstelle Ankara)231
TOHAV (Zweigstelle Istanbul)231
TÜKD (Istanbul)232
Uçan Süpürge (Ankara)232
Umut Çocuklar Derne i (Istanbul)232
Umut Vakf (Istanbul)232
Weitere zitierte Interviews233
Vahit B çak,233
Hrant Dink,233
Mehmet Elkatm233
Etyen Mahçupyan,233
Publikationen internationaler NGOs234
Publikationen türkischer NGOs235
Literatur236

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