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E-Book

Meran und das Dritte Reich

Ein Lesebuch

AutorLudwig Walter Regele
VerlagStudienverlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl182 Seiten
ISBN9783706557733
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Meran gilt im Zweiten Weltkrieg als 'offene Stadt'. Abseits des Kriegsgeschehens treffen sich Generäle, operieren Geheimdienste und Ganoven. Prominente lassen sich vorübergehend zur Erholung nieder, wie Mussolinis Geliebte, Rüstungsminister Albert Speer, führende SS- und Wehrmachtsfunktionäre, aber auch Vertreter des deutschen Widerstands. Hotels werden in Lazarette umgewandelt. Mit der deutschen Besatzung im September 1943 werden erstmals Juden aus Italien deportiert. Die Stadt Meran wird Sitz japanischer und anderer Diplomaten, der Geldfälscher-Zentrale, am Ende Fluchtziel von Mussolinis letzten Gefolgsleuten. Wichtigste Politiker aus Ungarn und Frankreich gehen von hier aus ihrem Schicksal entgegen. Ein spannendes Lesebuch zur Geschichte Merans, das zeigt, daß die Stadt keinesfalls nur ein Ruhepunkt in der Zeit des untergehenden Faschismus und Nationalsozialismus gewesen ist!

Ludwig Walter Regele, RA Dr., beschäftigt sich seit langem mit der Geschichte Südtirols, insbesondere während des Faschismus und des Nationalsozialismus, und zwar in Publikationen und Filmen ('Die Männer des 20. Juli 1944 in Südtirol'). Er war langjähriger Obmann des Südtiroler Heimatpflege-Verbandes und ist Redakteur der Zeitschrift 'ARX - Burgen und Schlösser in Bayern, Österreich und Südtirol'.

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Leseprobe

Saarabstimmung 1935 und Folgen


In Meran, wie überall im Lande, war schon Tage vor der Saarabstimmung das Hauptgespräch, wie dieses Plebiszit ausgehen werde. Die italienischen Behörden und Parteifunktionäre reagierten gereizt, spürten das Wahlfieber, das bei der Jugend herrschte und über das reine Mitfiebern hinausging. Die Behörden hatten Unruhen vorausgesehen und für den Tag der Abstimmung besondere Vorkehrungen zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung getroffen. Von dem gewaltigen Echo des Ausgangs der Abstimmung wurden sie aber völlig überrascht. Selbst Mussolini zeigte sich beunruhigt.

Zu den eigentlichen offenen Auseinandersetzungen kam es durch lokale faschistische Funktionäre, die im Verhalten der deutschen Bevölkerung nur Übermut und Dreistigkeit sahen. Der faschistische Parteisekretär der Provinz Bozen, Marcello Tallarigo, persönlich hatte – neben anderen Parteiorganen – Aktionen befohlen, die den Anordnungen des Präfekten Mastromattei zuwiderliefen. Für das Gelingen seiner eigenen Eindämmungspolitik wünschte sich dieser nur Ruhe und Ordnung. Gerade dies aber wurde von den erregten Parteikreisen abgelehnt. Für den Abstimmungstag waren durch Geheimerlässe Tallarigos besondere Vorkehrungen getroffen worden. Vor allem war die Südtiroler Jugend ins Augenmerk geraten. So wurden die von den jungen Leuten getragenen weißen Stutzen als provokantes antiitalienisches Zeichen ins Visier genommen.

Am 12. Jänner wurden zwei Meraner Bürger auf der Straße mit Knüppeln von Faschisten niedergeschlagen. Anführer dieser Truppe war der Leiter des Dopolavoro, ein gewisser Corradi, zugleich auch Fußballfunktionär, und eines der beiden Opfer war auch ein sportlicher Leiter, der für den Wintersport zuständige Karl Amort. Am Sonntag, den 13. Jänner, – dem Abstimmungstag – fuhren eigene Rad-patrouillen von Schwarzhemden durch die Stadt und beobachteten, ob jemand weiße Stutzen trug.

Am Dienstag, den 15. Jänner, wurde das Ergebnis der Saarabstimmung bekannt: über 90% der Bevölkerung im Saargebiet hatte für die Rückkehr nach Deutschland gestimmt. Die Freude der Bevölkerung in ganz Südtirol war nicht zu übersehen. Überall im Lande wurden Freudenfeuer auf den Höhen angezündet, die Etsch hinunter schwammen Bretter in den reichsdeutschen Farben mit der Inschrift „Bis Salurn“. „Die Saar ist frei, jetzt sind wir an der Reih“, lautete die Parole. Der Anschluß an das Reich durch eine Volksabstimmung nach dem Vorbild der Saar rückte plötzlich in den Mittelpunkt der Wünsche und Gedanken und begeisterte ganz besonders die nur mehr in italienischen Schulen und faschistischen Freizeitorganisationen aufgewachsene Jugend.

Am Abend des nächsten Tages versammelte sich eine Gruppe von zwei Dutzend Männern im Fasciohaus und zog mit Knüppeln durch die Stadt. Wer weiße Strümpfe trug, wurde mit Schlägen bedacht. Am Eislaufplatz wurden alle Träger weißer Strümpfe gezwungen, sie auszuziehen. Aber auch andere, die sie nicht anhatten, wurden niedergeschlagen. Einem Bauern wurden die roten Aufschläge von seiner Tracht abgerissen. Ein schweizer Bürger, dessen Vater ein Geschäft in Meran hatte, saß in einem Gasthaus, als eine Gruppe Faschisten hereinkam und ihn erkannte. Angesichts der Drohung, daß das Geschäft seines Vaters demoliert würde, wurde er genötigt, „E viva Mussolini“ auszurufen. Der Straßenmob ging in den nächsten Tagen weiter.

So verbreitete sich in Meran u. a. das Gerücht, daß ein Dr. Trevisani, Angestellter des Gaswerks und Hauptmann der faschistischen Miliz, sich mit italienischen Studenten in Falzeben bei Hafling befände und beabsichtige, die Skihütten nach deutschem Propagandamaterial zu untersuchen, „Hitler und Hindenburg“-Bildern und ähnlichem.

Am Sonntag, den 20. Jänner, tauchte tatsächlich ein Dutzend Faschisten, teilweise in Halbschuhen, in Falzeben auf. Anscheinend suchten sie den Treffpunkt der Skifahrer bei der Rotwandhütte, um ihnen die weißen Strümpfe und Kappen abzunehmen. Ein Dutzend ging zu Fuß, da sie keine Skifahrer waren, nach Kirchsteig und vier andere, Dr. Giuliani, Sekretär der Meraner Kurvorstehung, ein Angestellter der Kurvorstehung namens Zorzi, der Capo des Syndikats von Meran und ein Geheimagent aus Bozen, legten den Weg per Ski über das Naifjoch zurück, nahmen auf diesem Weg den Skifahrern weiße Strümpfe und Kappen ab. Gefordert wurde immer nur ein Strumpf.

Gegen Mittag erreichte die andere Gruppe die Kirchsteiger Alm, wo die Leute sich vor der Hütte sonnten. Der Anführer, ein gewisser Castelli, bestellte in der Gaststube Weißwein und machte sich daran, einen Tisch und Stühle vor die Hütte zu tragen, um in der Sonne zu speisen, wozu Knödel bestellt wurden.

Castelli rief einen ihm bekannten Meraner zu sich in die Stube, zeigte auf seine zwei Revolver und forderte ihn auf, den Leuten draußen zu sagen, sie sollen die Strümpfe ausziehen. Dieser verließ das Lokal und warnte alle.

Castelli traf inzwischen einen Meraner, der die weißen Stutzen trug, obwohl sie ihm von den Faschisten ein paar Tage zuvor abgenommen worden waren. Er hatte sich nach dem Überfall an die Polizei (P.S.) gewandt und dort die Auskunft eingeholt, daß kein Verbot des Tragens weißer Strümpfe bestehe. Diese Antwort gab er an Castelli weiter: laut Gesetz könne er die Strümpfe tragen. Des weiteren fragte er Castelli nach seinem Namen und seiner Berechtigung. Castelli antwortete ungefähr mit: „Die Gesetze für diese Provinz machen wir und nicht Rom“ und versetzte ihm einen Fausthieb ins Gesicht. Plötzlich wurde ein Alarmschuß von einem der Faschisten abgegeben. Die restlichen elf erhoben sich und zogen die Revolver. Gerstgrasser und ein gewisser Georg Gamper, Metzgergehilfe, erhoben sich mit einem Holzscheit in der Hand und riefen „Es sind nur Schreckschüsse“ und näherten sich den Italienern. Da wurde auf sie geschossen. Beide erhielten einen Streifschuß am Kopf, Heini Frasnelli einen Streifschuß am Arm. Gerstgrasser und Gamper, beide blutend, trieben mit einigen anderen, nur mit Holzscheiter und Schistöcken bewaffnet, das Dutzend revolverbewaffnete Faschisten in den Schnee hinaus und jagten sie mit Schimpfworten von Kirchsteig hinunter.

Mittlerweile war die andere Gruppe Richtung Kirchsteig abgefahren und versuchte ebenfalls, die Leute anzuhalten und die weißen Stutzen einzufordern. Erneut kam es zu einer Auseinandersetzung, wobei auch einer der Faschisten die Pistole zog, ohne aber einen Schuß abzufeuern. Schließlich ließen sie ab und verzogen sich in Richtung Seilbahn. In der Hütte in Falzeben wurde inzwischen fröhlich getrunken und das Südtiroler Trutzlied und andere vaterländische Lieder gesungen. Am Ende beschlossen sie, ohne Ski zu Fuß, aber mit Skistöcken versehen, abzusteigen. Auf dem Wege wurden sie von vier Carabinieri und einem Geheimagenten aufgehalten, die von dem Vorfall gehört hatten und auf dem Weg zur Bergstation waren. Als die ganze Menge in das Stationsgebäude eindrang, ordneten sie die Einstellung des Bahnverkehres mit der Begründung an, weitere Zwischenfälle beim Einzug in die Stadt verhindern zu wollen. Ein Teil der Ausflügler zog es vor, zu Fuß nach Meran zurückzukehren, der Rest wartete und konnte nach einstündiger Unterbrechung die Fahrt antreten. Bei Verlassen der Talstation wurde der Metzgergehilfe bei der Firma Abart, Georg Gamper, angehalten und verhaftet. Zwei Freunde folgten ihm zur Quästur. Nach längerem Verhör wurde Gamper in das Krankenhaus geschickt, um sich verbinden zu lassen. Beim Verlassen des Krankenhauses wurden dann alle drei festgenommen und in das Gefängnis gebracht. Dort wurde auch noch der ebenfalls verwundete Heini Frasnelli eingeliefert. Weitere Verhaftete folgten im Laufe des nächsten Tages. Insgesamt waren es dann zehn. Der letzte und zehnte am 24. Jänner: es war der Sohn des Gasthauses Siegler in Thurn, Paul Waldner, der ebenfalls mit weißen Strümpfen aufgefallen war. Am Freitag, den 25. Jänner, wurden die Häftlinge entlassen und beim Verlassen des Gerichtsgebäudes von jubelnden Mädchen empfangen. Die Mütter waren beim Herzog von Aosta in Bozen vorstellig geworden, der sich über das Verhalten der Faschisten empört zeigte und in Rom erfolgreich intervenierte.

Ministerialrat Dr. Karl August Fischer aus München berichtet über eine Reise nach Südtirol in den ersten Apriltagen 1935: „Die italienischen Behörden spüren sehr deutlich, wie der Widerstand gegen die italienische Herrschaft unter dem Eindruck der Saarabstimmung und der Einführung der Wehrpflicht einen ungeheuren Auftrieb genommen hat, zumal die in zahllosen Schulen von den Lehrern durchgeführten Abstimmungen, ob die Kinder für Deutschland oder Italien seien, trotz des Terrors der Lehrer ein eindeutiges Bekenntnis der weitaus meisten Kinder für Deutschland ergaben. Dazu stehen die Behörden offenbar selbst unter einem beängstigenden Eindruck der deutschen Aufrüstung, die für sie umso bedrohlicher ist, als die wirtschaftlichen Schwierigkeiten Italiens ständig weiter wachsen.

Die Unsicherheit der italienischen Behörden, die schon in dem brutalen Terror...

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