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Migranten - das trojanische Pferd?

Kultur verstehen. Brücken bauen. Sich in gesunder Weise abgrenzen.

AutorSimone A. Alexander
VerlagRuhland Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl500 Seiten
ISBN9783885091400
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Die Welt ist in Bewegung - Weltanschauungen prallen aufeinander - Deutschland ist gespalten. Muslimische Flüchtlinge kommen zu uns - eine historische Herausforderung! Wie können wir reagieren? Simone A. Alexanders Buch ist ein wahres Kraftpaket an Einsichten und Tipps, die weder auf Angst noch auf Naivität bauen. Simone A. Alexander stellt vor, welche kulturellen Konzepte unter Syrern, Ägyptern und anderen Völkern des Nahen Ostens prägend sind. Sie bietet Ratschläge und Anleitungen für den praktischen Umgang mit den Zuwanderern, die bei uns leben. Damit kann entstehen, was wir dringend brauchen: Verständnis für die Mentalität der Migranten aus den Kulturen des Islams und eine entspanntere Beziehung zu ihnen. Dieses Buch ist wertvoll für alle, die sich beruflich oder privat um Flüchtlinge kümmern und sich beschäftigen mit den Fragen, die sie aufwerfen: Sozialarbeiter, Pädagogen, Politiker, Polizisten, Sprachlehrer, Ehrenamtliche, Integrationshelfer, Erzieherinnen, Behördenmitarbeiter, medizinisches Personal und Nachbarn. Die Autorin hat selbst viele Jahre im Nahen Osten gelebt und gearbeitet.

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Leseprobe

Familie gibt den Rahmen vor

Wir betrachten nun das Herzstück der arabischen Kultur näher. Dieses haben wir bereits kennengelernt, als wehrhaften Haushalt mit einem zentralen Anführer – als Großfamilie.

Wir werden nun noch mehr die Art und Weise kennenlernen, wie diese Großfamilie Energie und Kraft entfaltet, mit ihren vielen angenehmen Seiten, aber auch manchen unangenehmen, ja aggressiven, die sie nach außen wie nach innen an den Tag legen kann.

Weil sie auch in Deutschland Einzug gehalten hat, vergleichen wir sie mit den bei uns üblichen Formen von Familie und Zusammenleben. Die Flüchtlingszahlen aus dem Nahen Osten sind weiterhin beträchtlich, deshalb stellen wir uns vor Augen, welche Aspekte die Familien aus dem Nahen Osten verstärkt einbringen in die deutsche Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts und wo es deshalb auf beiden Seiten kulturelle Missverständnisse gibt. So nähern wir uns an das an, was die Realität der Präsenz dieser anderen Kulturen für verschiedene Akteure in Deutschland bedeutet. Und wir überlegen, welche Maßnahmen man ergreifen kann, um Migranten aus dem Nahen Osten gut einzubürgern.

Die Schokoladenseite der Großfamilie

Die arabische Großfamilie fängt alle ihre Mitglieder nach Kräften auf und kümmert sich oft rührend um sie. Einsamkeit ist ein Fremdwort. Alle Mitglieder stehen in enger Beziehung untereinander, man telefoniert extrem viel, macht Einkäufe zusammen, übernimmt Lasten bei der Kinderbetreuung, sucht füreinander Jobs oder hält sie einander frei und hilft bei Umzug oder Beerdigung, nicht nur mit Muskelkraft und Fahrzeug, sondern auch mit Geld. So vieles, was bei uns einen Sozialfall darstellen und staatlicher Betreuung anheimfallen würde, wird im Nahen Osten vom System der Großfamilie aufgefangen und versorgt. Staatliche Versorgungssysteme funktionieren im Nahen Osten nur bedingt – wer keine Familie hat, ist dort arm dran.

Die Großfamilie im Nahen Osten ist eine Handlungseinheit und ein flexibles System, das viele Vorteile in sich birgt. An einer befreundeten muslimischen Großfamilie konnten wir uns selber überzeugen, welche positiven Aspekte und welch wohltuende Synergie ein solches Clandenken mit sich bringt für Mitglieder wie Freunde.

Die Familie Abu Talib zum Beispiel fungiert auch als Wirtschaftsunternehmen, als Firma: Drei Brüder hatten vom Vater ein Jachtbauunternehmen geerbt; das betrieben sie weiter, stellten aber im Laufe der Zeit auf einen Manufakturbetrieb um, der sich der Produktion von Miniatur-Segelschiffen widmet, die im Fischerhafen Alexandrias an Touristen verkauft werden. Dabei hat der älteste Bruder das Sagen – die Brüderfolge stellt zugleich die Hierarchie in der Familie dar.

Jeder Bruder leitet einen Teilbereich des Betriebes: Rimon steht der Werkstatt vor, Hamo übernimmt die Buchhaltung und den Verkauf der Kleinkunst, und der dritte und jüngste Bruder, Amir, ist eine Art Springer. Dieses Familienkonstrukt ist in der Lage, eine ganze Reihe von weiteren männlichen Verwandten und anderen, Außenstehenden, als Mitarbeiter in der Manufaktur zu beschäftigen und dadurch mit Arbeit und einem Auskommen zu versorgen. Gegen Ende der Mubarak-Ära, als wir sie kennenlernten, ging es diesem Clanbusiness relativ gut, denn die Hauptabnehmer der Holzschiffe waren Touristen und Tourismus-Unternehmen wie Hotels, und der Tourismus florierte.

Einer der Brüder engagierte sich unter den Armen in seinem Umfeld, auch über die Pflichten im Fastenmonat Ramadan hinaus. Langsam erkannten wir, dass um den Clan herum eine Klientel von Abhängigen gruppiert war, die von den arbeitenden Mitgliedern Gaben empfing. In der schlechten Zeit nach der Revolution in Ägypten, als der Tourismus als Einkommensquelle zusammenbrach, unterstützten nun wir die Abu Talibs, die ganze Familie: Mit den Männern führten wir viele Gespräche und versuchten, ihnen beim Marketing ihrer Produkte zu helfen, aber genauso halfen wir auch mit abgelegten Kinderkleidern, Grundnahrungsmitteln oder Spielzeug. Wir wussten: Die Brüder würden die Unterstützung nach einem bestimmten System verteilen und selbstverständlich darauf achten, dass alle Clanmitglieder je nach Bedürftigkeit etwas davon erhielten.

Sie wiederum erwiesen uns ihre Loyalität dadurch, dass sie ihre Beziehungen aktivierten, wenn wir etwas brauchten; das funktionierte beispielsweise bestens, als ich für eine Gruppe deutscher Frauen eine Besichtigung des Fischerhafens organisieren sollte, genauer gesagt: seiner Werften und Werkstätten. Die Abu Talibs waren mit Werftbesitzern verwandt oder bekannt, genauso wie mit Kutschfahrern und Cafeteria-Inhabern im Viertel, und so war dieser Event mit zehn Frauen problemlos und im Nu geregelt.

Besonders zu Festen und bei Krankheit machten die Abu Talibs Besuche bei uns in unterschiedlichen Konstellationen, obwohl wir aus ihrer Sicht relativ weit entfernt wohnten. Als unsere Familie dann von Ägypten wegzog, war ihre Trauer groß. Die Freunde sagten, dass wir schon allein deshalb nicht gehen könnten, weil wir (als „Kleinfamilie“) doch jetzt zu ihnen gehörten! Und, wie bereits gesagt: Eine Trennung von der Familie wird als großes Unglück wahrgenommen.

Nicht zuletzt für eine Reihe von europäischen – auch deutschen – Frauen ist dieses System der Großfamilie so attraktiv, dass sie in eine Großfamilie im Nahen Osten eingeheiratet haben und dort durchaus sehr glücklich zu sein scheinen. Davon konnten wir uns immer wieder überzeugen, weil für uns als Auslandsdeutsche auch Freundschaften mit diesen deutschen Frauen wuchsen. Wer die Einsamkeit nicht gut erträgt, die die Kultur in Europa durch ihren Individualismus und Relativismus eben auch hervorbringt, der kann sich, umgeben von der Binnenliebe eines nahöstlichen Clans, zeitweise im Paradies wähnen.

Hier gibt es viel Interaktion und gemeinsames, abgestimmtes Vorgehen. Sorgen, Finanzen, wichtige Beziehungen und Möglichkeiten werden miteinander geteilt. Man genießt Stärke und Möglichkeiten der Familie und hat damit viele Vorteile gegenüber einem Leben als Einzelner oder Alleinstehender – zumindest solange man die Spielregeln einhält, die in der Familie gelten.

Dies mag auch ein Stück weit erklären, warum sich immer wieder Europäer einem Clan anschließen und bereit sind, sich ihm einzufügen bzw. unterzuordnen: die klassische (Kern-) Familie erlebt in Deutschland derzeit ja eher einen Niedergang bzw. wird von einigen Gruppen vehement bekämpft, auch und gerade, weil es ein gesellschaftlich dominantes und rechtlich verankertes Modell ist. Dennoch ist sie nach wie vor der Lebensentwurf, an dem sich die Mehrheit der deutschen Bevölkerung orientiert. Andere Arten des Zusammenlebens erweisen sich als nicht tragfähig, weil sie auf eine Vereinzelung hinauslaufen – oft sind dann die Kinder die Leidtragenden. So scheint das arabische Modell von Großfamilie mit seiner klaren Rollenverteilung und der Geborgenheit, die sie nach innen bietet, vielen eine attraktive Alternative zu sein zur Abhängigkeit von der unpersönlichen, staatlichen Unterstützung.

Der deutsche Staat nimmt viele Kernfamilien aus dem Nahen Osten als Asylbewerber bzw. Migranten auf und behandelt sie ähnlich wie Deutsche: sowohl von der finanziellen Unterstützung her wie auch, soweit das irgend geht, als Einzelpersonen. Das ist bei uns Usus und gilt als höflich.

Diese Menschen sehen sich selbst aber als geeinte Großfamilie. Die Individualität des einzelnen Mitglieds ist meist nicht so ausgeprägt wie in unseren Breitengraden; aber jedes fügsame Clan-Mitglied darf sich der Solidarität der Familie gewiss sein, besonders dann, wenn es dort einen hohen Rang einnimmt (z. B. als Sohn des Chefs). Das bleibt auch so, wenn dieser Clan durch Krieg, Flucht und Wirren auseinandergerissen wird.

Der Ansatz des deutschen Asylverfahrens und der ausgeprägte Datenschutz hierzulande verschleiern diese Realität der Einheit der Großfamilien. Doch die Kleinfamilien eines Clans werden auch im neuen Umfeld in Deutschland gleich die Nähe zueinander suchen – dies umso mehr, als Beziehungen zu Deutschen sich wegen der Sprachbarriere und der kulturellen Unterschiede nur langsam aufbauen lassen. Die Mitglieder streben vermutlich an, so bald wie möglich wieder als arabische Großfamilie zu operieren. Das sind sie aus der Heimat gewohnt, und das verstehen sie weiterhin als grundlegend für ihre Identität, umso mehr in der schweren Situation der Flucht.

So werden also die einzelnen Mitglieder der Familien Ressourcen und Informationen miteinander teilen. Sie funktionieren und handeln auch nach außen hin gemäß der internen Struktur ihres Clans, die einer Hierarchie bestimmter, meist männlicher Familienmitglieder entspricht.

Außenstehenden bleibt das allerdings oft verborgen; normalerweise geben Araber keine maßgeblichen Informationen über sich oder andere Mitglieder der Familie preis, z.B. über Finanzen oder Gefühle oder Ziele. Diese Haltung, die vom Clanmitglied bei Strafe eingefordert wird, kann in Deutschland z. B. unterstützende Maßnahmen bei traumatisierten Migranten erschweren, weil man zu diesem Zweck ja manchmal einem Freund oder Therapeuten gegenüber genau dies tun müsste, um zu gesunden.

Als Paar boten wir in Alexandria eine Zeit lang für Deutsche und Ägypter in Mischehen an, sich in einem Hauskreis bei uns daheim auszutauschen und gegenseitig zu unterstützen – bei uns durfte man von problematischen Situationen erzählen. Diese Initiative haben wir nach einiger Zeit aber wieder aufgegeben, als wir erkannten: Die Deutschen generell nehmen ein solches Angebot gern an und teilen auch persönliche, sie belastende Informationen mit; die Ägypter tun dies aber grundsätzlich nicht...

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