In der aktuellen Bildungsdebatte werden ethnische Differenzierungen im Bildungssystem und Anbindung von Bildungschancen an den Migrationsstatus als zunehmend wichtige Ungleichsdimension angesehen. Trotz mannigfacher bildungs- und schulpolitischer Bemühungen und ebenso in Anbetracht gestiegener Bildungsbeteiligung und einiger Bildungserfolge bestehen immer noch klare und weiterhin ansteigende Bildungsungleichheiten zu Ungunsten der Migrantenkinder.
Da die Schule auf der einen Seite die Funktion der Sozialisation aber auf der anderen Seite auch die ihr gegensätzlich gegenüberstehende Aufgabe der Selektion hat, ist dies häufig für die ausländischen Schülerinnen und Schüler hinderlich. Besonders das in unserem Schulsystem vorzufindende Prinzip der Selektion führt im Allgemeinen zu einer „besonderen Schädigung von Minderheiten und hier wiederum besonders der ausländischen Kinder, da deren individuellen Lernvoraussetzungen nicht Rechnung getragen wird.“ (Boos-Nünning 1976, S.62)
Die Eltern der Kinder können, so Boos-Nünning, ihre Kinder nicht auf die Werte und Normen der deutschen Gesellschaft vorbereiten. Dies hat zur Folge, dass bereits vor Schulantritt bei den Kindern „Sozialisationsdefizite“ existent sind. Somit ist der Schulerfolg von Migrantenkindern und –jugendlichen für deren soziale Integration von außerordentlicher Bedeutung (vgl. Sandfuchs 2000, S. 55).
In den folgenden Kapiteln werden diese Probleme näher beleuchtet. So werden anhand einiger ausgewählter Statistiken die Differenzen der Migrantenkinder und –jugendlichen zu den deutschen Kindern und Jugendlichen im allgemein bildenden Bereich aufgezeigt. Gleichsam wird ein kurzer Blick auf die PISA-Studie von 2000 geworfen. Anschließend werden Erklärungsansätze und
–versuche der PISA-Ergebnisse und die daraus folgenden Konsequenzen für das deutsche Bildungssystem beleuchtet.
Bereits seit den 1970er Jahren ist (zunächst vorwiegend in Westdeutschland) ein gesteigertes bildungspolitisches Interesse an der Integration und Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu beobachten. Eben diesen Kindern und Jugendlichen gleiche Bildungschancen einzurichten ist ein Vorhaben, welches sich in nahezu jedem Präambel-Text findet und welches in Lehrpläne und Rahmenrichtlinien eingeflossen ist.
Die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK) verabschiedete beispielsweise im Jahr 2002 einen zusammenfassenden Bericht („Zuwanderung“), in welchem Handlungs-erfordernisse zur Verbesserung der Bildungserfolge von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund eindeutig benannt sind (vgl. Gogolin/Neumann/Roth 2003, S. 2).
Ebenso wurden schon in den 1970er bis Mitte der 1980er Jahre Modellversuche der Bund – Länder – Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) unterstützt, welche unter dem Thema standen: „Förderung und Eingliederung ausländischer Kinder und Jugendlicher in das Bildungssystem“. Und so hieß es in dem 1987 publizierten Abschlussbericht über diese Maßnahmen:
Wenn heute von offizieller Seite davon gesprochen wird, dass sich die Bildungsverhältnisse für Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien deutlich gebessert haben, so ist dieser Sachverhalt neben einer sich anbahnenden Normalisierung der Schullaufbahn der sog. zweiten und dritten Migrantengeneration in hohem Maße der Förderwirkung der zahlreichen und vielgestaltigen Modellversuche im Ausländerbereich zu verdanken. (ebd.: 134)
Im Kontrast zu dieser optimistischen Einschätzung steht, dass ein Vierteljahrhundert später die Migrantenkinder und –jugendlichen in den deutschen Schulen immer noch vernehmlich geringere Bildungserfolge erreichen, als die Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund. Rund jeder zehnte Schüler allgemein bildender Schulen besaß im Jahr 2004 einen ausländischen Pass. Vor zehn Jahren betraf dies noch jeden Elften. Der Ausländeranteil variierte von Schulart zu Schulart sehr. Die Spanne reichte von 4,1 Prozent in Gymnasien und 7,2 Prozent in Realschulen über 13,1 in integrierte Gesamtschulen, 15,9 Prozent in Sonderschulen und 18,7 Prozent in Hauptschulen.
Abbildung 3: Ausländeranteile im Schuljahr 2004/05 nach Schularten (Angabe in Prozent;
Quelle: Statistisches Bundesamt, Datenreport 2006, S.56)
Von den jugendlichen Schulabgängern mit Migrationshintergrund verließen 18,1 Prozent die allgemein bildenden Schulen ohne Abschluss gegenüber nur 7,4 Prozent der deutschen. 10,2 Prozent der ausländischen Jugendlichen erwarben die Hoch- und Fachhochschulreife. Bei den deutschen waren es gleichwohl 25,4 Prozent.
Relativierend dazu ist zu sagen, dass hierbei auch auf die Bezugsgröße geachtet werden muss. Betrachtet man nur die Gruppe der zugewanderten Kinder und Jugendlichen, so kann man erkennen, dass hier eine bedeutende Besserung ihrer Bildungserfolge eingetreten ist. Zu Beginn der Zuwanderung waren sie vorherrschend erfolglos und hatten kaum Chancen. Betrachtet man beispielsweise Daten aus den 1970er Jahren (vgl. Klemm 1979), so erhält man einen Eindruck von dem Wandel der Lage. So besuchten im Schuljahr 1977/78 überhaupt nur drei von vier schulpflichtigen ausländischen Kindern und Jugendlichen eine allgemein bildende Schule. Eine berufsbildende Schule wurde etwa nur von jedem Zweiten besucht. Lediglich ein Drittel aller schulpflichtigen Ausländer erreichte einen deutschen Schulabschluss und bloß ein Sechstel der Jugendlichen mit Migrationshintergrund konnte eine Berufsausbildung beginnen. Betrachtet man Abbildung 3 nun unter diesem Gesichtspunkt, ist gegenüber der Lage in den 1970er Jahren eine deutliche Verbesserung auszumachen. So stieg zum Beispiel die Zahl derjenigen, welche höher qualifizierende Abschlüsse erreichten – wie etwa die allgemeine Hochschulreife. Lag die Zahl im Schuljahr 1989/90 noch bei 6,4 Prozent, so schafften es im Jahr 2003/04 bereits 8,9 Prozent (vgl. Gogolin/Neumann/Roth 2003, S. 3).
Die weiblichen Schulabsolventen mit Migrationshintergrund sind – wie bei den deutschen Schülern – erfolgreicher als die männlichen. So erlangten beispielsweise schon 1989/90 12,7 Prozent der Migrantenmädchen die Hochschulreife und ihr Anteil an Schulabgängen ohne Abschluss lag bei 7,5 Prozent. Bei Jungen erreichten nur 9,3 Prozent die allgemeine Hochschulreife und 13,4 Prozent mussten ohne einen Abschluss die Schule verlassen. Doch für die Mädchen und Jungen gilt gleichermaßen, dass diejenigen, die in der Bundesrepublik geboren sind, den geringsten Anteil an Schulabgängern ohne Abschluss aufweisen. Das heißt, je später die Kinder und Jugendlichen einreisen, desto höher ist der Anteil derjenigen, welche die Schule ohne Abschluss beendet haben (vgl. Granato/Meissner 1994).
Ebenso ist der Geburtsort der Eltern wichtig für den Bildungserfolg ihrer Kinder (vgl. Deutsches PISA-Konsortium (Hg.) 2001, S. 373). So zeigte sich bei den Jugendlichen, deren beide Elternteile nicht in Deutschland geboren wurden, eine Bildungsbeteiligung, wie sie im Deutschland der 1970er Jahre anzutreffen war: Circa 50 Prozent der Zugewanderten besuchten die Hauptschule. Dies sind in etwa doppelt so viele wie bei Gleichaltrigen, deren Eltern in Deutschland geboren wurden. Das Gymnasium besuchten hingegen nur 15 Prozent der Zugewanderten – dies ist weniger als die Hälfte derjenigen, deren Eltern nicht im Ausland geboren wurden.
Es kann festgehalten werden, dass Kinder, deren Eltern beide im Ausland geboren wurden, weitaus schlechtere Chancen haben, als Kinder mit nur einem im Ausland geborenen Elternteil, welche sich wiederum von Kindern, deren Eltern beide in Deutschland geboren wurden, nicht mehr unterscheiden.
Das in der ersten Betrachtung positive Bild wird jedoch dadurch getrübt, dass der schulische Erfolg der Migrantenjugendlichen seit einiger Zeit nicht mehr anwächst, sondern eher wieder abnimmt. Es scheint momentan keine weitere Verbesserung der Lage einzutreten, sondern vielmehr Stagnation oder gar Rückschritte. Letztgenanntes gilt hauptsächlich für die berufliche Bildung.
Betrachtet man „gleiche Bildungschancen“ als Norm, so relativiert sich der oben erwähnte positive Eindruck. Über all die Jahre, in denen das deutsche Bildungssystem mit Zuwanderung zu tun hat, sind die Abstände zwischen dem Erfolg der deutschen Schülerinnen und Schüler und dem der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund faktisch in etwa gleich geblieben.
Nicht zuletzt durch die internationale PISA-Studie wurde aufgezeigt, wie sehr die Investitionen im Kindesalter mit den späteren Bildungsverläufen einhergehen und betont, welche Bedeutsamkeit die Förderung von Kindern im Vorschul- und Schulalter hat. Doch nach wie vor ist bei den Kindern mit...