1.1. PISA und zentrale Befunde
Das Programm for International Students Assessments (PISA) ist eine internationale Schulleistungsvergleichstudie der OECD Staaten,[7] die im Jahr 2000 erstmals durchgeführt wird. Das Ziel dieser umfassenden Studie ist eine Messung der Schülerleistungen der teilnehmenden Mitgliedstaaten, um Rückschlüsse auf die Stärken bzw. Defizite der einzelnen Bildungssysteme ziehen zu können und folglich die Leistungsfähigkeit der Schulsysteme zu evaluieren bzw. vergleichen zu können.[8] Die Durchführung von PISA erfolgt in einem dreijährigen Turnus und untersucht 15- Jährige, die in vielen OECD Mitgliedstaaten kurz vor dem Ende der Schulpflichtzeit stehen.[9] Die Studie beschränkt sich nicht auf ein einzelnes Schulfach, sondern prüft die Kompetenzen der SchülerInnen umfassend in den folgenden Bereichen:
PISA 2000 Lesekompetenz (Reading Literacy)
PISA 2003 mathematische Grundbildung ( Mathematical Literacy)
PISA 2006 naturwissenschaftliche Grundbildung ( Scientific Literacy)[10]
Zur Messung der Kompetenzen der SchülerInnen wird in der Studie ein Fünf- Stufen-Modell herangezogen, wobei die erste Stufe die unterste darstellt. Die Leistungen der SchülerInnen aus Deutschland in der Studie PISA 2000 sind in allen befragten Wissensgebieten ernüchternd:
„Auf der Gesamtskala im Lesen liegt der Mittelwert der 15-Jährigen in Deutschland bei 484 Punkten und damit 16 Punkte unter dem OECD-Mittelwert. Die durchschnittliche Lesekompetenz deutscher Schülerinnen und Schüler liegt an der Grenze zwischen Kompetenzstufe II und III.“ [11]
Darüber hinaus stellt sich heraus, dass der Abstand zwischen leistungsstarken und leistungsschwachen SchülerInnen in Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern am größten ist.[12]
Durch PISA 2000 und PISA 2003 ist ferner auffällig, dass es in Deutschland einen sehr engen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und den schulischen Bildungsgängen gibt. [13] Laut PISA besuchen im Jahr 2000 nur knapp 10% aller SchülerInnen aus un-/ angelernten Arbeiterfamilien ein Gymnasium, aber rund 42% eine Haupt- und Berufschule.[14] In Kontrast dazu besuchen über 52% der SchülerInnen aus der „oberen Dienstklasse“ ein Gymnasium.[15] Die Korrelation der Schichtzugehörigkeit mit der besuchten Schulform muss im Zusammenhang von Migration betrachtet werden; schließlich gibt es eine Überschneidung bei sozial unterprivilegierten Schichten und Familien mit Migrationserfahrungen.[16]
Um die Daten zum sozialen Hintergrund der Familien von PISA- Befragten zu erfassen, wird ein Index eingesetzt, der neben den ökonomischen Status auch soziale und kulturelle Indikatoren der familiären Herkunft berücksichtigt.[17] Es handelt sich hierbei um den so genannten Index of Economic, Social and Cultural Status (ESCS).
Nach den Untersuchungen von PISA im Jahr 2003 stammen fast 45% der Hauptschul- SchülerInnen in Deutschland aus dem untersten ESCS- Quartil. Im Gegensatz dazu kommt die Hälfte der GymnasiastInnen aus Elternhäusern, die dem oberen ESCS- Quartil angehören.[18]
Die Differenzen hinsichtlich der sozioökonomischen und soziokulturellen Herkunft sind gleichzeitig mit Diskrepanzen bei den schulischen Leistungen verknüpft. Dies lässt sich am Exempel der mathematischen Leistungen illustrieren:
„Vergleicht man etwa das oberste mit dem untersten Quartil der sozialen Herkunft in den Integrierten Gesamtschulen, so ergibt sich eine Differenz von 76 Kompetenzpunkten. Die Differenz in den Haupt- und Realschulen beträgt etwa 50 Punkte. Eine solche Differenz entspricht dem durchschnittlichen Kompetenzzuwachs von mehr als einem Schuljahr. In den Gymnasien ist die Spannbreite der Kompetenzunterschiede etwas geringer als in den anderen Schulformen. Schülerinnen und Schüler aus dem untersten ESCS- Quartil in den Gymnasien weisen ein vergleichsweise hohes Kompetenzniveau auf (578 Punkte).“[19]
Wie erwähnt, ist einen Zusammenhang zwischen der sozioökonomischen Lage der Familien und die soziokulturelle Herkunft (Migrationshintergrund) der Jugendlichen in Deutschland festzustellen. Daher ist es nicht überraschend, dass die Testergebnisse von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in der PISA 2003 ein besonders niedriges Kompetenzniveau erreichen. Viele der Jugendlichen, deren Eltern im Ausland geboren wurden, stammen aus einer sozial unterprivilegierten Schicht.[20] Wichtig ist hier zu unterstreichen, dass MigrantInnen an sich eine heterogene Gruppe umfasst. Zum einen unterscheiden sich die Motive, in die BRD einzuwandern (wirtschaftliche, religiöse oder politische Gründe); zum anderen unterscheiden sich Bildungsstand und Schicht aus denen die Eltern stammen. So gibt es durchaus MigrantInnen mit hoher Qualifizierung, dennoch bilden die Mehrheit dieser Sozialgruppe gering qualifizierte und sozial benachteiligte Personen.[21]
Um die quantitative Verteilung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund reliabel erfassen zu können, genügt die Staatsbürgerschaft als Differenzierungsmerkmal nicht. Ein Pass sagt nicht zwangsläufig etwas über die tatsächliche Herkunft aus. Im Fall einer Einbürgerung kann der Migrationshintergrund in der amtlichen Statistik nicht mehr identifiziert werden.[22] Außerdem würden deutschstämmige AussiedlerInnen aus Rumänien, Polen und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion nicht separat erfasst werden.
Aus diesem Grund wird in PISA auch der Geburtsort der Eltern und der SchülerInnen erfasst. Das unten angeführte Diagramm aus PISA 2000 zeigt die befragten SchülerInnen mit Migrationshintergrund, aufgefächert nach dem Migrationsstatus der Eltern und der Verteilung auf die verschiedenen Schulformen, an.[23] Es wird unterschieden, ob 1) die Eltern beide in Deutschland geboren wurden, ob 2) ein Elternteil in Deutschland geboren wurde oder ob 3) beide Eltern nicht in Deutschland geboren wurden. Vergleicht man nun den Anteil der HauptschulbesucherInnen, dann fällt auf, dass rund doppelt (ca. 48%) so viele SchülerInnen, deren Eltern beide im Ausland geboren, diese Schulform besuchten, als SchülerInnen, deren Eltern in Deutschland geboren sind (ca. 24%).
Ein ähnliches Bild zeichnet sich ab, wenn man die Zahl der GymnasiastInnen untersucht: Während sich der Anteil der GymnasiastInnen bei Familienstruktur Typ 1 und 2 (bei Eltern in Deutschland geboren bzw. ein Elternteil in Deutschland geboren) wenig unterscheidet, [24] liegt der Anteil bei Familienstruktur Typ 3 (beide Eltern im Ausland geboren) bei nur 12%. Somit ist die Zahl der Jugendlichen, die ein Gymnasium besuchen, mit Familienstruktur 1 und 2 rund dreimal so hoch wie bei SchülerInnen, deren Familien Migrationsstatus Typ 3 zugeordnet werden.
Abbildung 1: 15-Jährige nach Migrationshintergrund der Familie und Bildungsgang
1 = Beide Eltern in Deutschland geboren
2 = Ein Elternteil in Deutschland geboren
3 = Beide Eltern nicht in Deutschland geboren
4 = Familien mit Migrationsgeschichte insgesamt
(Quelle: vgl. http://www.mpib-berlin.mpg.de/en/Pisa/newweb/ergebnisse.pdf S. 38 PISA 2000- eine Zusammenfassung zentraler Befunde. Schüler Leistungen im internationalen Vergleich)
Bei der Ermittlung des Migrationsstatus der befragten SchülerInnen bezieht PISA neben dem Geburtsort der Eltern bzw. dem ihrer Kinder auch die Sprache mit ein. Es wird untersucht, welche Sprache in welchem Umfang innerhalb der Familie gesprochen wird.[25] Auch hier wird deutlich, dass die schulische Benachteiligung ausgeprägt ist, wenn beide Elternteile im Ausland geboren sind, da die schulischen Leistungen besonders schwach ausfallen.
Betrachtet man beispielsweise die erreichte Lesekompetenz am Ende der Vollzeitschulpflicht von diesen Jugendlichen, so steigt der Anteil extrem schwacher LeserInnen auf 20%.
„Fast 50 Prozent der Jugendlichen aus Zuwandererfamilien überschreiten im Lesen nicht die elementare Kompetenzstufe I, obwohl über 70 Prozent von...