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Migration im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne

Ein klinischer Beitrag zur Psychopathologie türkischer Patientinnen

AutorDieter Schmidt
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl119 Seiten
ISBN9783640739240
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Forschungsarbeit aus dem Jahr 2010 im Fachbereich Soziologie - Medizin und Gesundheit, , Sprache: Deutsch, Abstract: Das zentrale Forschungsvorhaben richtet sich auf den Einfluss früh-genetischer, migrationsspezifischer und kultureller Faktoren auf Erkrankungen im Erwachsenenalter. Dafür wurden die Untersuchungsdaten von 86 türkischen Patientinnen statistisch ausgewertet, die in der Zeit von 1997 bis 2006 aus diagnostischen Gründen im Institut für Psychotherapie e.V. Berlin erhoben worden waren. Die Datenerfassung erfolgte unter Anwendung der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring, die deskriptive Auswertung mit Hilfe des Statistikprogramms SPSS und unter Anwendung des chi²-, des Mann-Whitney- und des Fisher-Pitman-Tests. This work focuses on the influence of migration-related experiences of separation during early child development on later mental illness. It is a secondary statistical evaluation of 89 anamnesis reports of female patients of Turkish origin who were seen for diagnosis at the Institut für Psychotherapie e.V. during the period from 1997 to 2006. Since the number of cases is rather limited it is an overview with the character of a prospective study. We found that it was mainly transgenerational influence that decided whether and to what extent migration-specific stress factors could turn into pathogenic stress factors.

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3. MATERIAL UND METHODIK


 

Die vorliegende Arbeit bezieht sich auf eine inhaltsanalytische Auswertung von insgesamt 86 Anamnesen türkischer Patientinnen, die in der Zeit von 1997 bis 2006 in der Vermittlungsstelle des Instituts für Psychotherapie e.V. Berlin erhoben wurden. Dabei handelt es sich um eine Gesamterfassung.

 

Das Institut ist aufgrund seines spezialisierten Angebotes ,überbezirklich' in das ambulante, psychotherapeutische Versorgungsnetz Berlins eingebunden. Bis 2002 befand sich das Institut in Berlin-Dahlem in unmittelbarer Nachbarschaft zur U-Bahnstation Podbielskiallee. Durch den Umzug nach Berlin-Lichterfelde waren die Zugangsbedingungen durch den Wegfall einer zentralen U-Bahnlinie nicht nur zeitaufwendiger, sondern durch Bus/- S-Bahnverbindung auch komplizierter geworden.

 

3.1 Ablauf der Datenerhebung


(entsprechend üblichem Untersuchungsgang)

 

Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung sind aus Anamnesenberichten mittels Textanalyse gewonnene Daten. Diese Primärdaten setzen sich zusammen aus:

 

 Stammdaten (Alter, Herkunft, Wohnort, schulischer/ beruflicher Werdegang, Personenstand, Angaben über Eltern, Geschwister, Kinder, Partner, Schwiegereltern, biographisch objektiv verändernde Einschnitte, etc.),

 

 Sozialmedizinischen Daten (Zugangsmodus zur Therapieeinrichtung; Organmedizinische und psychische Vorgeschichte; Therapievermittlung),

 

 Eigenschilderungen der Patientinnen hinsichtlich ihrer Beschwerden, deren vermuteter Ursachen, und hinsichtlich ihrer Lebenskonflikte,

 

 Beziehungserleben der Patientinnen in ihren unterschiedlichen Entwicklungsphasen (Kindheit, Adoleszenz, Erwachsenenalter),

 

 Begleitendes Erleben der Anamnestiker,

 

,Expertenmeinungen' hinsichtlich Symptomatologie, Pathodynamik, Diagnose, Indikation und Prognose.

 

Auf einem Anmeldeformular wurden über die Chip-Karte die persönlichen Daten (Name, Anschrift, Geburtsdatum) und der Kostenträger eingegeben, sowie eine Chiffre-Nummer zur Verschlüsselung der Patientenakte angelegt. Sodann wurden die Patienten gebeten, auf diesem Formular Angaben zu ihrer Tätigkeit, früheren psychotherapeutischen Behandlungen, bereits erfolgten Vorgesprächen, aktuellen Krankheitsbefunden, Medikamenteneinnahmen, u.U. einer noch ausstehenden Diagnostik, früheren stationären Behandlungen und Angaben hinsichtlich ihrer Überweisung zu machen.

 

Es folgten eine psychiatrisch orientierte Eingangsuntersuchung. Sie dient neben der Erfassung einer möglicherweise vorliegenden psychiatrischen Störung auch der Erhebung eines aktuellen, psychopathologischen Befundes hinsichtlich Bewusstsein, Orientierung, Mnestik, Wahrnehmung, Denken, Antrieb, Affekt, Ängsten, Suizidalität und neurologischer Auffälligkeiten. Es wurden sodann die Angaben des Anmeldeformulars besprochen und u.U. ergänzt.

 

An die psychiatrische Eingangsuntersuchung schlossen sich zwei, gelegentlich auch drei biographische, tiefenpsychologisch erweiterte Anamnesengespräche an. Die Erhebung dieser Daten folgte methodisch sowohl einem biographischen, als auch einem szenisch verstehenden Modus: Sie beginnt mit einem freien Interview. Der Patient wird gebeten, möglichst spontan den Grund seines Kommens, seine Beschwerden, seine eigenen Erklärungen über deren mögliche Ursachen, sowie aktuelle oder zurückliegende Konflikte, soweit sie für ihn bedeutungsvoll waren, mitzuteilen. Während der Anamnestiker die für den Patienten wichtigen Daten schriftlich festhält, versucht er gleichzeitig über die szenische Gestaltung der Mitteilungen einen ersten Aufschluss über die emotionalen und sprachlich-intellektuellen Möglichkeiten, das Reflexionsvermögen und die Übertragungsmuster des Patienten zu gewinnen. Je nach Verlauf und ,Ergiebigkeit' geht das Gespräch dann in ein halbstrukturiertes Interview über, ohne dass dessen Ablauf strikt festgelegt ist. Dabei wird der Patient nunmehr genauer über Stationen seiner Lebensgeschichte, sowohl hinsichtlich objektiver Daten, als auch seines Erlebens, befragt. Dies soll helfen, einen Einblick in die je spezifischen ,alltagsweltlichen' Sinnkonstruktionen und kommunikativen Regelsysteme (Bohnsack 1991, S. 24) als Voraussetzung für ein Fremdverstehen zu gewinnen. Gleichzeitig versucht der Anamnestiker, über die Beobachtung begleitender Empfindungen und innerer Bilder seine eigene psychosoziale und normative

 

Verortungen zu registrieren. Inhalt und Verlauf der Erstgespräche werden vom Anamnestiker abschließend in freier Berichtsform und unter Zuordnung zu folgenden Themenbereichen festgehalten:

 

 Symptomatik und Beschwerdeerleben des Patienten,

 

 belastende Konfliktsituationen,

 

 aktuelle Lebenssituation,

 

 Familiengeschichte,

 

 Kindheit,

 

 schulischer und beruflicher Werdegang,

 

 Partnerschaften,

 

 Sexualität,

 

 Erwartungen an die Psychotherapie,

 

 ,begleitendes' Erleben des Anamnestikers.

 

Die ausführliche Dokumentation dieses Untersuchungsabschnittes unter sozio-gene- tischen Gesichtspunkten ohne hypothesengeleitete Einengung des Materials bildet die Voraussetzung für eine weiterführende, ,sekundär-statistische' Untersuchung (Thome, Wagner 1975, S. 98), auch wenn die mitgeteilten Daten bereits in der Phase der Erhebung unter diagnostischen Gesichtpunkten gewertet und durch Fragen ergänzt wurden.

 

Erst jetzt, im Anschluss an eine ausführliche Dokumentation, erfolgte eine theoriegeleitete Reduktion des Materials im Hinblick auf eine kausalgenetische Klärung des Zusammenhangs von Symptomatik, innerseelischer Dynamik, Lebensgeschichte und aktueller Konfliktsituation, sowie eine Indikationsstellung und prognostische Einschätzung. Es erfolgte eine Einordnung der Befunde, sowohl nach der internationalen statistischen Klassifikation (ICD 10, ICD-10-GM 2005[14]), als auch unter Anwendung psychoanalytischer Kategorien.

 

In einem letzten Abschnitt wurden die bisherigen Daten durch einen ,Zweitsichter' gegengesichtet, das Ergebnis mit dem Patienten besprochen und auf einem Leitblatt für die Patientenakte vermerkt.

 

3.2 Methodische Umsetzung und Datenvalidität


 

Die methodische Umsetzung des Forschungsanliegens erfolgte durch die Anwendung sowohl eines qualitativen, als auch eines quantitativen Ansatzes. In einem ersten Untersuchungsabschnitt ging es um eine qualitative, sozio-genetisch orientierte Auswertung der Primärdaten. In einem zweiten Arbeitsschritt erfolgte die Anwendung eines quantitativ-statistischen Ansatzes. Bei der Interpretation der Ergebnisse schließlich wurden sowohl qualitative, als auch quantitative Aspekte berücksichtigt.

 

Eine Vergleichbarkeit der Daten war durch eine Kontinuität der Diagnostik über den gesamten Erhebungszeitraum gegeben, da es sich bei der Zusammensetzung des Klientels nicht um eine Stichprobe, sondern um eine Gesamterfassung aller Fälle handelte, die den Kriterien ,weiblich' und ,türkisch' entsprachen. Sedlacek (2004, S. 425) kam aufgrund einer Untersuchung von 752 Anamnese aus einem Gesamtpool von knapp über 5.000 Fällen des Institutes aus den Jahren 1988 bis 1999 zu dem Ergebnis, dass bezüglich der Zweitsichter „ein zeitstabiles, individuelles Beurteilungsmuster zu belegen war." Da sich auch zwischen 1999 und 2006 für das Institut keine grundlegenden Veränderungen in theoretischer und praktischer Ausrichtung ergaben, konnte man davon ausgehen, dass sich auch in dieser Zeit keine wesentlichen Veränderungen in der Datenerhebung und Beurteilung ergeben hatten.

 

Die folgenden methodologischen Überlegungen erfolgen, weil sie konzeptualisierter Teil dieser Arbeit insofern sind, als auf den verschiedenen Ebenen der Erhebung der Ursprungsdaten methodisch sowohl auf einen sozio-genetischen, als auch auf einen kausal-genetischen Ansätze zurückgegriffen wurde. Es stellte sich damit die Problematik der Rekonstruktion kulturell und milieuspezifisch erworbener Erlebnisverarbeitungen und der ihnen zugrunde liegenden Organisation des Psychischen.

 

Weber (1980) hält für eine kulturanthropologische Forschung ein rekonstruktives Vorgehen ohne vorgängige Hypothesenbildung für zwingend erforderlich, da es in einem primär sozio-genetischen Ansatz um das Verstehen fremder Wertvorstellungen, Sinngebungen und von ihnen geleitete Lebensformen geht. Ausgehend von einer deskriptiv-phänomenologischen Ebene alltagsweltlich interpretierter sozialer Realität gehe es im Prozess einer sozio-genetisch basierten Rekonstruktion somit um das Verständnis subjektiv gemeinten Sinns fremden Handelns, fremden Erlebens und fremder Intentionalität. Als begriffliches Instrumentarium im Sinne einer Kategorienlehre ermöglicht die Metapsychologie mit ihren Instanzen (Es, ICH, Über-ICH) ein sinnrationales Verstehen vor dem Hintergrund aktueller und frühgenetischer, regulativer Normen. Tress und Fischer (1991, S. 622) betonen im Zusammenhang mit klinisch-psycho- analytischen Untersuchungen, dass insbesondere unter...

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