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E-Book

Mind & Body (Wissen & Leben)

Wie Gehirn und Psyche die Gesundheit beeinflussen. Wissen & Leben Herausgegeben von Wulf Bertram

AutorJohann Caspar Rüegg
VerlagSchattauer
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783608190335
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Ein Buch aus der Reihe 'Wissen & Leben'. 'Es ist der Geist, der sich den Körper baut' (Friedrich Schiller). Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Gehirn, Emotionen und Körper? Wie werden traumatische Erfahrungen erinnert; kann man sie löschen oder 'überschreiben'? Wie beeinflussen frühkindliche Erlebnisse die Gesundheit? Und wie kann Meditation das Gehirn verändern? Die aktuellen Erkenntnisse der Hirnforschung, Immunologie und Genetik werfen zahlreiche spannende Fragen auf. Wissenschaftlich fundiert, anschaulich und unterhaltsam erklärt der bekannte Heidelberger Physiologe Johann Caspar Rüegg die komplexen Wechselwirkungen zwischen 'mind' und 'body' und wie man sie gezielt nutzen kann. Neue Denk- und Verhaltensweisen, aber auch spirituelle Erfahrungen können Veränderungen hervorrufen, die über unsere Psyche auf den Körper wirken - denn: Gesundheit beginnt im Kopf! In der 3. Auflage ergänzt ein Kapitel zur 'sprechenden Medizin' das breitgefächerte Themenspektrum. Rüegg zeigt auf, wie Worte nachhaltig die Funktionsweise des Gehirns verändern: Sie können die Wirkung von Medikamenten verstärken und sogar wie ein Medikament wirken. Ein neues Glossar erklärt kurz und präzise über 50 Fachbegriffe. Ein geist- und lehrreiches Lesevergnügen für alle, die mehr über die Wechselwirkungen zwischen Gehirn, Psyche und Körper wissen möchten! Keywords: Mind-Body-Medizin, sprechende Medizin, Gehirn, Hirnforschung, Neurobiologie, Psyche, Psychosomatik, Psychoneuroimmunologie, Genetik, Epigenetik, Optogenetik, Immunologie, Immunsystem, Emotionen, Stress, Resilienz, Herz, Schmerz, Trauma, Traumagedächtnis, Meditation, Achtsamkeit, spirituelle Erfahrungen

Prof. em. Dr. med., Ph. D. Johann Caspar Rüegg, war u.a. Ordinarius und Leiter des 2. Physiologischen Instituts der Universität Heidelberg; 1974 Adolf-Fick-Preis für Verdienste in Physiologie; seit 1985 Adjunct Professor für Physiologie an der Universität Cincinnati (Ohio); seit 1998 korrespondierendes Mitglied der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften; seit 2011 Ehrenmitglied der Deutschen Physiologischen Gesellschaft.

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Leseprobe

2 Der Geist prägt das Gehirn


Wie mentale Prozesse unser Gehirn verändern

„Change the mind and you change the brain“

Wie wirken Geist und Körper – „mind“ und „body“ – aufeinander ein? Es geht um die Frage, wie unsere Gedanken, unsere Erwartungen, aber auch Worte, Glaube und Emotionen die Gesundheit von Körper und Seele beeinflussen – und wie sie dabei das Gehirn verändern. Zu diesem Thema fanden im März 2000 in der nordindischen Stadt Dharamsala und drei Jahre später am MIT (Massachusetts Institute of Technology) in Cambridge Massachusetts zwei für das menschliche Selbstverständnis bedeutende Symposien statt. In den beiden Konferenzen trafen sich international renommierte, herausragende Neurowissenschaftler und Hirnforscher mit dem 14. Dalai Lama und anderen buddhistischen Mönchen, um die Wirkung von Emotionen und Meditationen auf das menschliche Gehirn zu erörtern (11). Die anwesenden Hirnforscher erinnerten die Zuhörer daran, dass unser Gehirn mit seinen neuronalen Netzwerken während des ganzen Lebens veränderbar ist; es ist plastisch – man spricht von neuronaler Plastizität –, und noch im Alter können sich aus Stammzellen neue Nervenzellen bilden. Daraufhin stellte der Dalai Lama eine gewichtige Frage: Kann der menschliche Geist („mind“) sein Gehirn verändern?

Dass strukturelle Veränderungen im Gehirn die Psyche und das Verhalten beeinflussen können, wissen wir schon lange. Aber: Genauso gut könnten – umgekehrt – auch Änderungen im Verhalten und unsere Gedanken die neuronalen Netzwerke unseres Gehirns umstrukturieren, sagte der amerikanische Neurobiologe Alvaro Pascual-Leone (26). Imaginationen – Gedanken – könnten Einfluss nehmen auf die „Hardware“ des Gehirns. Wenn etwa Versuchspersonen auf einer Klaviatur mit einer Hand immer wieder eine einfache Fingerübung einübten, so würde sich das für diese Finger zuständige Areal im motorischen Kortex vergrößern; aber erstaunlicherweise sei dies genauso der Fall, wenn die Probanden die Fingerübungen nur im Geiste – in ihrer Imagination – machten (25).

Unser Gehirn kann sich allein schon dadurch verändern, dass wir etwas Neues lernen. Dies erkannte als Erster der amerikanische Neurobiologe Eric Kandel, der im Jahre 2000 für seine Verdienste in der Gedächtnisforschung den Nobelpreis für Medizin und Physiologie erhielt. Zu Beginn war sein Forschungsobjekt allerdings noch nicht das hochkomplexe Gehirn des Menschen, sondern „nur“ die große Meeresschnecke Aplysia californica, die mit ihren etwa 20 000 Neuronen über ein besonders einfaches Nervensystem verfügt, an dem sich Reflexe auslösen lassen. So zieht die Schnecke bei Reizung des Schneckenschwanzes oder des Siphons reflektorisch die Kiemen zurück – eine motorische Reaktion ihrer Muskeln.

Dieser Schutzreflex ist normalerweise eher schwach, lässt sich aber durch Konditionierung verstärken – im Prinzip ganz ähnlich wie der berühmte Pawlow’sche Reflex. Der „Befehl“ zur Kontraktion des Rückziehmuskels der Kiemen wird an der Verbindung – der Synapse – vom sensorischen Neuron und motorischen Neuron durch den Neurotransmitter Glutamat übertragen. Gewöhnlich wird der Überträgerstoff nur sparsam in den synaptischen Spalt ausgeschüttet. Durch Konditionierung wird jedoch die Menge des ausgeschütteten Transmitters erhöht, wie Kandel erkannte. Und dies verstärkt natürlich die synaptische Übertragung und damit aber auch die reflektorische Muskelkontraktion. Kurz: Das einfache neuronale Netzwerk der Schnecke hat gelernt, ausgeprägter auf den Reiz zu reagieren. Das so Gelernte wird langfristig im Gedächtnis gespeichert, wenn sich die betroffene Synapse auch strukturell verändert und damit die funktionelle Verknüpfung zwischen der prä- und postsynaptischen Nervenzelle festigt – so Kandel in seinem Buch „Auf der Suche nach dem Gedächtnis“ (15).

Die Neuronen von Meeresschnecken, an denen Kandel seine Versuche anstellte, sind ein – besonders einfacher – Modellfall. Ganz analoge Veränderungen spielen auch eine wichtige Rolle bei Lernvorgängen des Menschen (bei dem man bekanntermaßen verschiedene Arten des Gedächtnisses unterscheiden kann; s. Abb. 2.1).

Auch in den komplizierten neuronalen Netzwerken höherer Tiere und des Menschen werden Neuronenpopulationen nach einem Lernvorgang durch ein molekulares „remodeling“, d. h. durch strukturelle und biochemische Veränderungen plastischer Synapsen bzw. durch Ausbildung zusätzlicher Synapsen effektiver vernetzt sein als zuvor (4, 15, 40). Dabei sind jeweils bestimmte Gedächtnisinhalte, etwa Begriffe oder Erfahrungen, nicht in einzelnen Synapsen oder Neuronen, sondern als „Engramm“ durch die gemeinsame Aktivität von Abertausenden von Synapsen und Nervenzellen kodiert bzw. repräsentiert (wie es in der Fachsprache heißt) und in einem komplizierten Mosaik von Neuronen gespeichert, die miteinander vernetzt sind. Man spricht von einem Ensemble bzw. auch von „neuronalen assemblies“.

Wie Valentin Braitenberg (5) in seinem Buch „Das Bild der Welt im Kopf“ erläutert, stellt man sich vor, dass die zu einem „assembly“ gehörenden Neuronen infolge ihrer gemeinsamen, synchronen Aktivität durch plastische Synapsen zunächst vorübergehend und – nach einem Lernprozess – auch auf Dauer fest miteinander verbunden, sozusagen „verdrahtet“, sind.

Abb. 2.1 Gedächtnisformen (mod. nach 16, S. 131, und 23): Das deklarative (explizite) Gedächtnis beherbergt Erinnerungen an Fakten (semantisches Gedächtnis) bzw. Lebenserinnerungen (episodisches Gedächtnis) und Orte, die sich sprachlich wiedergeben lassen. Sie werden kurzzeitig im Präfrontalhirn gespeichert, dann im Hippocampus in Inhalte des Langzeitgedächtnisses umgewandelt und in verschiedenen Regionen der Hirnrinde gespeichert – insbesondere im Temporallappen, von wo sie (im Prinzip) bewusst abgerufen werden können (15). Implizite Erinnerungen an Emotionen, Fertigkeiten, Gewohnheiten und Konditionierungen werden im prozeduralen Gedächtnis (in Kleinhirn, Basalganglien und Amygdala) abgelegt. Sie sind der bewussten Erinnerung nicht zugänglich und können nicht willentlich abgerufen werden.

Der kanadische Psychologe Donald Hebb (12) postulierte schon Ende der 40er Jahre, dass (benachbarte) Neuronen, die simultan „feuern“, miteinander „verdrahtet“ werden („Neurons which fire together, wire together“). Auf diese Weise werden gemeinsam und synchron aktive Neuronen der Hirnrinde zu Ensembles zusammengebunden, die beispielsweise eine Erfahrung repräsentieren und diese auch im Gedächtnis speichern können (31).

Eric Kandel (14, 16) hat die generelle Bedeutung seiner Erkenntnisse für Lernprozesse erkannt, wenn er schreibt, dass Lernen immer auch nachhaltige Veränderungen in der Effektivität der Informationsübertragung in synaptischen Verbindungen zwischen den Neuronen bedeute. Und er geht noch einen Schritt weiter, wenn er sagt, dass auch zwei Menschen, die miteinander sprechen, gegenseitig die synaptischen Verbindungen des anderen verändern (sofern sie sich ihr Gespräch merken).1 Kurz gesagt: Sie verändern ihre Gehirne, und dies auch in einer Verhaltens- bzw. Psychotherapie, also in ganz spezifisch gestalteten Gesprächen, wie mit bildgebenden Verfahren nachgewiesen werden konnte (2, 33, 34). Darauf werden wir später noch einmal zurückkommen (Kap. 12, S. 160ff u. Kap. 13, S. 180f).

Auch all das, was wir in unserer Kindheit und später durch das gesprochene Wort aufnehmen, was uns prägt, was wir lernen, mithin die gesamte Kulturwelt – die Welt III im Sinne Poppers – wird unsere synaptischen Vernetzungen langfristig verändern. Deshalb stellen sich wohl die synaptischen Feinstrukturen neuronaler Netzwerke bei heutigen zivilisierten Menschen völlig anders dar als bei den Menschen einer Steinzeitkultur, obschon sich die Genome wahrscheinlich nicht wesentlich unterscheiden (31).

Bildlich gesprochen, ist durch das gesprochene (und geschriebene) Wort die „Hardware“, also die „Verdrahtung“ der Schaltkreise im „Biocomputer Hirn“ bei Menschen verschiedener Kulturen unterschiedlich. Daher kann eine Kultur nur durch Sprache entstehen und lebensfähig sein. Durch das gesprochene Wort und durch verbales „ansteckendes“ Lernen verbreiten sich Kulturen (und Ideen). Ideen, Riten und Mythen (um nur einige Beispiele zu nennen) wurden auf diese Weise schon vor Jahrtausenden – lange vor der Erfindung der Schrift – von Generation zu Generation tradiert und im kulturellen Gedächtnis gespeichert. Anders gesagt: Die menschlichen Gehirne „infizieren“ sich durch das Medium Sprache gewissermaßen gegenseitig mit Geist. Sie beeinflussen und koordinieren dadurch ihre mentalen bzw. neuronalen zerebralen Strukturen. Kultur und Geist prägen das Gehirn. Die wichtigste Voraussetzung des Geistwerdens aber ist das Wunder der Sprache. „Geist ist Wort“, sagt Martin Buber (6, s. auch Kap. 13, S. 179).

Doch nicht nur Gespräche mit anderen führen zu mittel- und langfristigen Veränderungen von Synapsen im Gehirn. Wir können natürlich auch zu uns selbst sprechen und auf uns selbst einwirken, so wie das die Autosuggestionstechniken von Emile Coué (1857–1926) und Laura Huxley (13) lehren – und wie es nicht selten auch kleine Kinder machen, wenn sie sich etwas überlegen. Bekanntermaßen gibt es verschiedene...

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