Das Anliegen einer Erziehung, die eine Beteiligung von Kindern befürwortet, basiert auf Ideen, die bis in die Antike zurückverfolgt werden können. Damit hat also die Forderung, Partizipation von Kindern in öffentlichen Institutionen zu praktizieren, eine jahrhundertealte Tradition in der westlichen Kultur. Im folgenden Abschnitt soll kurz skizziert werden, wie sich diese demokratischen Denkstrukturen entwickelt haben und welche Rechte die heutige Kindergeneration durch die UN-Konvention hat. Nicht zuletzt werden die Gedanken beziehungsweise Ideale der 68er Generation kurz aufgegriffen, da die so genannte „Kinderladenbewegung“ durch ihre radikalen Forderungen und der praktizierten antiautoritären Erziehung nachfolgende Eltern, Erzieher- und Lehrergenerationen beeinflusst hat.
Partizipation von Kindern verfolgt
„grundsätzlich zwei Ziele: Es geht um die Verbesserung kindlicher Lebensräume (in der Gemeinde, der Kindestagesstätte, der Schule etc.) durch die Beteiligung derer, die am ehesten „Experten in eigener Sache“ sind – die Kinder und Jugendlichen –, es geht um die Entwicklung von Demokratiefähigkeit durch die Erfahrung, daß ich mitverantwortlich für meine eigene Lebenswelt bin. Ich habe Möglichkeiten, Einfluß zu nehmen ...
Die Diskussion um Mitgestaltung ist gleichzeitig eine Diskussion um politische Sozialisation. In der Kindheit werden Haltungen und Fähigkeiten erworben, die später die Grundlage für soziales und politisches Interesse, Verantwortungsbereitschaft und kreative und konstruktive Konfliktlösungsfähigkeiten bilden.“ (Knauer, 1998 S. 83 f.).
Politische Sozialisation in diesem Kontext meint demnach in erster Linie, dass Kinder demokratische Grundeinstellungen erlangen sollen und damit verbunden die Fertigkeiten, die nötig sind, in einer Demokratie handlungsfähig zu sein. Kinder sollen also innerhalb der Kindergärten Erfahrungen machen, dass sie mitverantwortlich für ihre eigene Lebenswelt sind und dass sie die Möglichkeiten bekommen, Einfluss zu nehmen auf Alltäglichkeiten und auf Entscheidungen jeglicher Art. Politische Sozialisation meint außerdem Werte, Haltungen und Fähigkeiten entwickeln, die nach Knauer „Politikverdrossenheit vermeiden könnten“ (ebd., S. 84).
Unabhängig vom Alter sehen soziale Konstruktivisten das Kind als Mitgestalter seiner Kultur und seiner eigenen Identität an. Das Lernen des Kindes findet nicht isoliert statt, sondern „wird als eine kooperative und kommunikative Aktivität begriffen, entlang welcher Kinder Wissen konstruieren, der Welt Bedeutung zuschreiben, und zwar zusammen mit Erwachsenen und anderen Kindern“ (Fthenakis, 2001 S. 36).
Durch Partizipation von Anfang an können Kinder selbständiger werden und sich mit einmal gefassten Beschlüssen besser identifizieren. Zudem werde die Grundlage gelegt, dass sie auch später ihre Rechte einfordern und Verantwortung übernehmen können.
Die Erfahrungen aus den Jahrtausenden der Geschichte (und vor allem der jüngsten Geschichte) zeigen, dass Menschen sich aktiv für ihre demokratischen Überzeugungen einsetzen und auch danach handeln müssen. Demokratie ist eine Lebensauffassung. Sie braucht tätige Mithilfe von allen. „Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit“ lautet ein Slogan. Es reicht nicht aus, sich „auf die da oben“ zu verlassen. Frustration und Politikverdrossenheit haben sich in den letzten Jahren wieder stark bemerkbar gemacht. Eigentlich sollte Verantwortung für sich selbst und für andere zu übernehmen, schon von Kindheit an selbstverständlich sein. Den „Vätern“ unseres Grundgesetzes erschien es außerordentlich wichtig, das Gesetz so zu formulieren, dass es nie mehr zu einer Diktatur kommen sollte.
Bei der psychologischen Auseinandersetzung mit dem Thema wird dieser Aspekt noch einmal explizit aufgearbeitet. Erfahrungen, die das Kind von klein auf sozusagen „am eigenen Leib“ erfährt:
ernstgenommen werden, mitentscheiden können, Einfluss auf die Umwelt haben, Verantwortung übernehmen und damit Selbstbewusstsein und Toleranz vorgelebt zu bekommen usw., werden sich im Selbstkonzept (vgl. Kapitel II.0) verfestigen und gelebt werden.
Einer der Hauptgründe für das oftmalige Scheitern von demokratischen Staatsstrukturen in der Geschichte kann das mangelnde Demokratieverständnis der Bürger sein und die Unerfahrenheit und Ungeübtheit im Verständnis, demokratische Postulate zu verstehen, einzufordern und umzusetzen. Das ist auch einer der Gründe dafür, dass zur Zeit vermehrt Politiker und Wissenschaftler demokratischere Strukturen in öffentlichen Institutionen für Kinder und Jugendliche einfordern. Berufen wird sich dabei nicht nur auf unser Grundgesetz, sondern auch auf die UN-Kinderrechtskonventionen, die im nächsten Kapitel behandelt werden.
Die Verhandlungen der Vereinten Nationen über die Kinderrechtskonvention dauerten zehn Jahre lang. 1989 war der Vertrag fertig, konnte 1990 unterzeichnet werden und nach Zustimmung von Bundestag und Bundesrat 1992 für Deutschland in Kraft treten. Diese Rechte gelten für über zwei Milliarden Kinder in 191 Ländern dieser Erde (außer USA und Somalia). Die langen Diskussionen lagen hauptsächlich an der Frage, wie viele spezielle Grundrechte die Kinder erhalten könnten und wie viele Rechte die Eltern gegenüber den Kindern behalten In den Artikeln 12 bis 17 werden Rechte genannt, die die freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit und Informationsfreiheit von Kindern einfordern. Im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit sind hier zu nennen:
Artikel 12 [Berücksichtigung des Kinderwillens]
Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheit frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife.
Artikel 13 [Meinungs- und Informationsfreiheit]
(1) Das Kind hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, ungeachtet der Staatsgrenzen Informationen, Werke oder andere vom Kind gewählte Mittel sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben.
Artikel 14 [Gedanken- Gewissens- und Religionsfreiheit]
(1) Die Vertragsstaaten achten das Recht des Kindes auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit.
Artikel 15 [Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit]
(1) Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes an, sich frei mit anderen zusammenzuschließen und sich friedlich zu versammeln.
(2) Die Ausübung dieses Rechts darf keinen anderen als den gesetzlich vorgesehen Einschränkungen unterworfen werfen, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen oder der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung zum Schutz der Volksgesundheit oder der öffentlichen Sittlichkeit oder zum Schutz der Rechte und Freiheit anderer notwendig sind (Schick, B.; Kwasniock, A., 2001).
Diese Artikel manifestieren zwar prinzipiell die Ansprüche von Kindern auf Mitbestimmung, die Interpretation ihrer Inhalte zeigt jedoch großen Entfaltungsspielraum. Zum Beispiel kann Artikel 12 „entsprechend seinem Alter und seiner Reife“ beliebig ausgelegt werden. Es liegen zur Zeit keine Ergebnisse empirischer Studien vor, die belegen, ab wann ein Kind „reif“ für welche Beteiligungsform ist. Lediglich praxisnahe Erfahrungsberichte diskutieren Vor- und Nachteile altersgerechter Mitbestimmungsmöglichkeiten, wobei einige Autoren davon ausgehen, dass lediglich „kindgerechte Kommunikationsformen“ gefunden werden müssen. ErzieherInnen müssen wissen, welche Möglichkeiten sie welchen Kindern mit unterschiedlichem Entwicklungsstand geben können. Wenn beispielsweise verbale Fähigkeiten noch nicht so gut entwickelt sind, bieten sich andere Ausdrucks- und Abstimmungsverfahren an. Wenn man sich auf die Kommunikation einlässt, akzeptiere man die „eigenständige Persönlichkeit“ und „eigenen Bedürfnisse“ der Kinder. „Entscheidungsfähigkeit wird heute als eine Grundlage der Identitätsbildung gesehen“ (vgl. Knauer, S. 129). Darüber hinaus wird vorgeschlagen, bei jüngeren Kindern die Mitbestimmung stärker in alltägliche Dinge einzubeziehen (Kinder bei der Planung mit einbeziehen, Interessen aufgreifen, Verantwortung mit übernehmen lassen, den Alltag gezielt mitgestalten zu lassen).
Bedeutend für die Akzeptanz von „Selbstbestimmungsrechten“ der Kinder ist hauptsächlich die „im einzelnen Erzieher verankerte Überzeugung von den Rechten des Kindes“ (Kamp, 1995 S. 25). In diesem Sinne signalisieren Erwachsene Vertrauen in Kompetenzen der Kinder, egal wie alt (oder jung) diese sind. Alleine schon Gesprächsführungstechniken (beispielsweise aus der klientenzentrierten Gesprächsführung) zeigen Kindern Empathie und Akzeptanz und fördern damit das Selbstwertgefühl: das geschieht altersunabhängig.
„Früh...