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Miteinander reden: Fragen und Antworten

AutorFriedemann Schulz von Thun
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783644563117
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Neue Erkenntnisse aus der Kommunikationspsychologie Im pointierten Frage-und-Antwort-Spiel geht Friedemann Schulz von Thun auf Nachfragen ein, die sich seit Erscheinen seiner Bestseller-Trilogie «Miteinander reden» angesammelt haben. Dieser Ergänzungsband hat gleichzeitig die Aufgabe, neue Zusammenhänge darzustellen, die aus der kommunikationspsychologischen Forschung und Praxis der letzten Jahre spruchreif geworden sind, insbesondere zum Kommunikations- und Wertequadrat, zum Teufelskreismodell und zum inneren Team. Auch Hintergründe zur Person des Autors, zur Entstehungsgeschichte der Kommunikationslehre, zum Menschenbild und zum Brückenbau von Wissenschaft und Lebenspraxis werden im Zwiegespräch aufschlussreich erörtert.

Friedemann Schulz von Thun (*1944) studierte in Hamburg Psychologie, Pädagogik und Philosophie und promovierte bei Reinhard Tausch und Inghard Langer über Verständlichkeit bei der Wissensvermittlung. Nach seiner Habilitation wurde er zum Professor für Pädagogische Psychologie in Hamburg berufen (1976 - 2009). Außerdem konzipierte er Kommunikationstrainings für Lehrer und Führungskräfte, später für Angehörige aller Berufsgruppen (1971 bis heute). Er ist Autor zahlreicher Bücher und Herausgeber der Reihe «Miteinander reden: Praxis» Für weitere Informationen siehe www.schulz-von-thun-institut.de Karen Zoller, Jahrgang 1973, ist Diplom-Psychologin und systemische Supervisorin. Sie ist Lehrtrainerin am Schulz von Thun-Institut für Kommunikation und hat dort eine Coaching-Praxis. Als selbständige Kommunikationstrainerin und Beraterin arbeitet sie in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich. Sie war lange Jahre als Lehrbeauftragte an der Universität Hamburg tätig.

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Leseprobe

Nachricht – Äußerung – Botschaft


FRAGE: Wie heißt es richtig: «Vier Seiten einer Nachricht, einer Äußerung oder einer Botschaft» – oder ist alles gleichbedeutend?

ANTWORT: In «Miteinander reden 1» habe ich von «Nachricht» gesprochen, inzwischen sehe ich den Begriff «Äußerung» als zutreffender an. «Nachricht» ist eher technisch und sachlich, «Äußerung» eher menschlich und alle vier Aspekte umfassend (siehe dazu ausführlich Schulz von Thun 2004, S. 152ff.).

Im Kommunikationsmodell erscheint die Äußerung (jedenfalls ihr verbaler Anteil) als Sprechblase im Quadrat:

Abb. 5: Die «Äußerung» (früher «Nachricht» genannt) als empirisches Sprechereignis inmitten des Kommunikationsquadrates

Auf der rechten Seite ist die Sprechblase weggelassen, sie kann aber jederzeit hinzugedacht werden.

 

FRAGE: «Nachricht» und «Äußerung» sind also dasselbe, aber Sie bevorzugen heute den Begriff «Äußerung». Und «Botschaft»?

ANTWORT: In meiner Kommunikationslehre hat ein und dieselbe Äußerung immer vier Botschaften, genauer: vier Typen von Botschaften. Diese Botschaften sind nicht wörtlich ausgesprochen, sind keine empirischen Sprechereignisse, sondern «herausgehörte» Mitteilungskomponenten. Es sind Destillate, so wie man aus Wasser (H2O) durch künstliche Vorrichtungen den Wasserstoff (H) und den Sauerstoff (O) herausdestillieren kann. In der folgenden Abbildung haben wir die eine Äußerung und ihre vier Botschaften auf einen Blick:

Abb. 6: Eine Äußerung hat viele Botschaften gleichzeitig, diese Botschaften sind (im Gegensatz zur Äußerung) nicht tatsächlich ausgesprochen, sondern erschlossen und «herausdestilliert».

An diesem Beispiel wird auch deutlich, warum ich den Satz Eine Äußerung hat vier Botschaften präzisiert habe in Eine Äußerung hat vier Typen von Botschaften. Denn auf jeder Seite des Quadrates können durchaus mehrere Botschaften vorhanden sein, die einander ergänzen und sich manchmal auch widersprechen. Also: Ein und dieselbe Äußerung enthält, wenn sie abgeschickt wird, viele Botschaften gleichzeitig, die sich in vierfache Gliederung gruppieren lassen. Wenn sie so ankommt, wie sie gemeint ist, dann ist dieselbe Botschaftskonfiguration beim Empfänger gelandet, und dem Sender ist es gelungen, das entsprechend zu rekonstruieren. Es kann aber auch sein, dass gemeinte Botschaften

  • unterwegs verlorengehen

  • und/oder vom Empfänger nicht gemeinte Botschaften hineingehört, hineingelesen werden.

FRAGE: Können nicht einzelne Botschaften auch ausgesprochen werden und somit zum faktischen Kommunikationsereignis werden?

ANTWORT: Streng genommen nein, in gewissem Sinne ja. Nein, denn sobald eine solche «Botschaft» tatsächlich von A an B gerichtet wird, wird sie zur Äußerung – in welcher sogleich die anderen drei Komponenten «mitschwingen». Angenommen, der Mann würde zu seiner Frau angesichts der leeren Bierflaschen sagen «Ich bin schwer enttäuscht!» und somit eine der Selbstkundgabe-Botschaften aus Abb. 6 explizit aussprechen und auf die Reise schicken. Dann hätte diese zur Äußerung gewordene Botschaft sogleich vier Aspekte, welche die Frau mit ihren vier Ohren hören kann/wird:

Abb. 7: Eine Botschaft (aus Abb. 6), die hier zur Äußerung wird und damit ihrerseits wieder vier Botschaften enthält und mit vier Ohren gehört wird

FRAGE: Danach wären ja ausdrücklich formulierte «Ich-Botschaften» gar keine Botschaften, sondern Äußerungen?

ANTWORT: Vollkommen richtig, in meiner Kommunikationslehre wären dies streng genommen «Äußerungen mit explizitem Schwerpunkt auf der Selbstkundgabe-Seite». Dem seit Gordon (1972) eingebürgerten Sprachgebrauch folgend und weniger umständlich können wir jedoch getrost von «Ich-Botschaften» sprechen, obwohl es sich um tatsächlich ausgesprochene Äußerungen handelt:

Abb. 8: Verschiedene Äußerungen mit unterschiedlichem Schwerpunkt auf je einer der vier Seiten

Dass eine der vier Seiten vom Sender besonders betont und explizit formuliert ist, darf nicht zu der Annahme führen, dass beim Empfänger auch genau diese Seite vorrangig ankommt. Denn es ist auch noch der Ton in Betracht zu ziehen, der die Musik macht. Außerdem kommt noch die Empfangsweise des Empfängers hinzu. Der kann z.B. durchaus dazu neigen, auch eine «Sach-» oder «Ich-Botschaft» (im Sinne der abgekürzten Sprechweise, s.o.) mit dem «Beziehungsohr» zu hören, und zuweilen hat er ganz recht, dieses andere Ohr auf Empfang zu schalten.

 

FRAGE: Wieso recht?

ANTWORT: Weil die Hauptbotschaft, der psychologische Schwerpunkt einer Äußerung, keineswegs immer auf der expliziten Seite des Quadrats steckt. Nehmen Sie den Satz: «Ich war enttäuscht und traurig, dass du dich nicht zu meinem Geburtstag gemeldet hast!» Explizit eine «Ich-Botschaft», aber wer würde (und sollte) nicht vor allem den Vorwurf auf der Beziehungsseite hören («Du Treuloser!»)?

 

FRAGE: Ich würde gerne später noch ein paar Fragen zum Wert von Ich- und Du-Botschaften stellen (s. S. 35ff.). Aber zunächst noch etwas Grundsätzliches zum Modell: Müsste das Kommunikationsquadrat nicht eigentlich fünf Seiten haben? Unten die «Beziehungsseite» enthält sowohl eine «Du-Botschaft» als auch eine «Wir-Botschaft» (= Beziehungsdefinition), richtig?

ANTWORT: Genau richtig, vgl. «Miteinander reden 1», Seite 28! Dennoch habe ich mich für ein Quadrat entschieden. Denn ein didaktisches Modell soll einfach sein und den Einsteiger in ein Wissensgebiet nicht verwirren. Vier Aspekte zu differenzieren: Das kann man dem durchschnittlichen Neueinsteiger gerade noch zutrauen und zumuten. Im ersten Anlauf mag er die Beziehungsseite als zusammenhängende Einheit («wie ich zu dir stehe und was ich von dir halte») erfahren.

Im zweiten Anlauf (für «Fortgeschrittene») können und müssen wir differenzieren: Da stecken tatsächlich zwei verschiedene Botschaften drin, eine, die auf die Person des Empfängers zielt («So einer bist du!»), und eine, die sich auf die Beziehung zwischen Sender und Empfänger bezieht («So stehen wir zueinander!»):

Abb. 9: Zwei Unteraspekte auf der Beziehungsseite

Nehmen wir ein Ehebeispiel, um die beiden Aspekte spürbar zu machen: Eine Frau kommt nach Hause und fragt interessiert: «Wann gibt es Essen?»

Abb. 10: Unterscheidung von Du- und Wir-Botschaft am Beispiel «Wann gibt es Essen?»

Aus der Antwort des Mannes werden wir (wahrscheinlich) erfahren, ob er der Beziehungsbehauptung (Wir-Botschaft) zustimmt oder nicht. Antwortet er: «In einer halben Stunde!», stimmt er ihr offensichtlich zu. Antwortet er hingegen: «Das wollte ich dich auch gerade fragen!», widerspricht er ihr.

 

Jetzt ein zweites Beispiel, sie fragt: «Ist das Essen bald mal fertig?» Hier ist die Wir-Botschaft dieselbe, aber die Du-Botschaft hat sich verändert, sie enthält jetzt einen Tadel und lautet: «Du bist säumig!», vielleicht sogar: «Du bist ein faules Luder, nie schaffst du es, das Essen pünktlich auf den Tisch zu bringen!»

Abb. 11: Veränderung (nur) der Du-Botschaft durch die Formulierung «… baldmal …»

FRAGE: Und wie reagiert der Mann darauf?

ANTWORT: Aus der Antwort des Mannes können wir (wahrscheinlich) ablesen, ob er der Du-Botschaft und ob er der Wir-Botschaft zustimmt oder nicht. Vier Kombinationen sind möglich:

Zustimmung zur Wir-Botschaft

Protest gegen Wir-Botschaft

Zustimmung zur Du-Botschaft

1

2

Protest gegen die Du-Botschaft

3

4

Hier für jeden der vier Fälle ein Reaktionsbeispiel:

  1. «Ja entschuldige, ich beeile mich!»

  2. «Ja, ich bin heute spät dran, aber du hättest auch schon längst mal Essen machen können!»

  3. «Gut Ding will Weile haben, mein Liebling!»

  4. «Sag mal, haste sie noch alle!? Mach dir dein Essen gefälligst selbst, und vor allem arbeite mal an deinem Tonfall!»

Noch ein Beispiel: ein Nachbar bei der Gartenarbeit. Er schaut über die Hecke und sieht seine Nachbarin, wie schon öfter, im Liegestuhl liegen. Lächelnd ruft er herüber: «Morgen, Frau Nachbarin, auch schon fleißig?» Etwas unwillig erwidert sie: «So früh geht’s bei mir noch nicht.» Da setzt er nach: «Sie scheinen mir manchmal etwas antriebsarm zu sein!»

Sein Verhalten könnte sie als unverschämt empfinden, sowohl

  1. wegen der Du-Botschaft («antriebsarm» ist eine psychiatrische Kategorie, die Du-Botschaft...

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