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Möglichkeiten der Bekämpfung von Genitalverstümmelung im internationalen und nationalen Kontext

Neue Herausforderungen an die Soziale Arbeit

AutorMarion Lenz
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl116 Seiten
ISBN9783640139378
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1,0, Hochschule Koblenz (ehem. FH Koblenz), 95 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Nach Angaben mehrerer Menschenrechtsorganisationen wie unter anderem TERRE DES FEMMES, (I)NTACT , amnesty international werden weltweit fünf Mädchen pro Minute, 6000 Mädchen pro Tag, zwei Millionen Mädchen pro Jahr an ihren Genitalien verstümmelt. Insgesamt sind weltweit zwischen 100.000 bis 170.000 Frauen betroffen. Wie so viele las ich 'Die Wüstenblume' von Waris Dirie, als der autobiographische Roman im Jahr 2002 erschien und der gesamten westlichen Welt die Verstümmelung der Genitalien von Millionen Mädchen und Frauen ins Bewusstsein rief. Zuvor hatte ich von dieser Tradition noch nichts gehört und konnte das, was ich las, kaum fassen. Während eines einjährigen Aufenthalts in einem Dorf in Kenia verfestigte sich mein Interesse an dem 'schwarzen Kontinent', kam jedoch mit der Thematik der weiblichen Genitalverstümmelung nicht in Berührung. Zurück in Deutschland besuchte ich eines Tages einen Vortrag von (I)NTACT, einer Organisation, die sich gegen diese Praktik engagiert, und erfuhr dort unter anderem, dass auch hier in Deutschland etwa 24.000 afrikanische Frauen von Genitalverstümmelung betroffen und rund 6.000 Mädchen bedroht sind. Zu diesem Zeitpunkt wurde mir bewusst, dass ich meine Diplomarbeit über dieses Thema schreiben möchte. Weibliche Genitalverstümmelung ist eine fundamentale Menschenrechtsverletzung! Lange genug hat es gedauert, bis sich diese Meinung auf internationaler Ebene durchgesetzt hatte. Seit 1995 werden nun auch Frauen die unveräußerlichen Menschenrechte auf Leben, Freiheit und Sicherheit gewährt sowie der Schutz vor grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung. Der Vorwurf des Kulturimperialismus kann meiner Meinung nach definitiv zurückgewiesen werden. Bevor ich begann, mich mit der Thematik intensiv auseinanderzusetzen, hatte ich zwar bereits das Gefühl, dass es richtig und notwendig sei, sich in diesem Fall in fremde Kulturen 'einzumischen', konnte dieses Gefühl jedoch nicht stichhaltig begründen. Ich wurde unsicher und fragte mich, ob man nicht doch andere Traditionen, so grausam sie auch scheinen mögen, respektieren müsse und nicht eingreifen dürfe - eine Veränderung wird sich dann abzeichnen, wenn die Menschen selbst so weit sind.

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Leseprobe

1 Einleitung


 

Nach Angaben mehrerer Menschenrechtsorganisationen wie unter anderem TERRE DES FEMMES, (I)NTACT , amnesty international werden weltweit fünf Mädchen pro Minute, 6000 Mädchen pro Tag, zwei Millionen Mädchen pro Jahr an ihren Genitalien verstümmelt. Insgesamt sind weltweit zwischen 100.000 bis 170.000 Frauen betroffen.

 

Wie so viele las ich "Die Wüstenblume" von Waris Dirie, als der autobiographische Roman im Jahr 2002 erschien und der gesamten westlichen Welt die Verstümmelung der Genitalien von Millionen Mädchen und Frauen ins Bewusstsein rief. Zuvor hatte ich von dieser Tradition noch nichts gehört und konnte das, was ich las, kaum fassen. Während eines einjährigen Aufenthalts in einem Dorf in Kenia verfestigte sich mein Interesse an dem "schwarzen Kontinent", kam jedoch mit der Thematik der weiblichen Genitalverstümmelung nicht in Berührung. Zurück in Deutschland besuchte ich eines Tages einen Vortrag von (I)NTACT, einer Organisation, die sich gegen diese Praktik engagiert, und erfuhr dort unter anderem, dass auch hier in Deutschland etwa 24.000 afrikanische Frauen von Genitalverstümmelung betroffen und rund 6.000 Mädchen bedroht sind. Zu diesem Zeitpunkt wurde mir bewusst, dass ich meine Diplomarbeit über dieses Thema schreiben möchte.

 

Weibliche Genitalverstümmelung ist eine fundamentale Menschenrechtsverletzung! Lange genug hat es gedauert, bis sich diese Meinung auf internationaler Ebene durchgesetzt hatte. Seit 1995 werden nun auch Frauen die unveräußerlichen Menschenrechte auf Leben, Freiheit und Sicherheit gewährt sowie der Schutz vor grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung.

 

Der Vorwurf des Kulturimperialismus kann meiner Meinung nach definitiv zurückgewiesen werden. Bevor ich begann, mich mit der Thematik intensiv auseinanderzusetzen, hatte ich zwar bereits das Gefühl, dass es richtig und notwendig sei, sich in diesem Fall in fremde Kulturen "einzumischen", konnte dieses Gefühl jedoch nicht stichhaltig begründen. Ich wurde unsicher und fragte mich, ob man nicht doch andere Traditionen, so grausam sie auch scheinen mögen, respektieren müsse und nicht eingreifen dürfe – eine Veränderung wird sich dann abzeichnen, wenn die Menschen selbst so weit sind. Ich erkannte jedoch, dass nicht erst mit dem Engagement der Menschen aus der westlichen Welt ein "Stein ins Rollen gebracht wurde", sondern dass es bereits Initiativen von Afrikanerinnen gab, die sich gegen die Verstümmelung von Mädchen und Frauen aussprachen und sich für die Abschaffung dieser Tradition einsetzten. Da es ihnen jedoch an finanziellen Mitteln fehlte, konnten sie sich nicht effizient und organisiert genug gegen dieses Ritual einsetzen. Aus diesem Grund und der Feststellung heraus, dass es sich bei der weiblichen Genitalverstümmelung um Gewalt gegen Frauen und eine Verletzung der universell geltenden Menschenrechte handelt, kann es nur richtig sein, sich gegen die Beibehaltung dieser Tradition auszusprechen – auch als nicht betroffene Frau oder als Mann! Im Kampf gegen diese Praktik hat jeder seine Aufgabe: die "reichen Länder" stellen die finanziellen und logistische Unterstützung zur Verfügung, damit die regional Aktiven so effektiv und erfolgreich wie möglich arbeiten können. 

 

Da ich mich in dieser Arbeit nicht an betroffene Frauen wende, die den Begriff "Verstümmelung" als verletzend und erniedrigend empfinden könnten, habe ich bewusst den Terminus "weibliche Genitalverstümmelung" gewählt, da der Ausdruck "weibliche Beschneidung"  der teilweise vollständigen Amputation der weiblichen Genitalien in keiner Weise gerecht wird.

 

Weibliche Genitalverstümmelung wird in mindestens 28 afrikanischen Ländern durchgeführt, die sich in einem breiten Band nördlich des Äquators entlang ziehen, sowie in einigen Ländern Südostasiens, Südamerikas und des mittleren Ostens. Aufgrund der "Übermacht" Afrikas und der fehlenden Informationen zu dem Brauch in den anderen Ländern, werde ich meine Ausführungen lediglich auf den afrikanischen Kontinent beziehen.

 

Ich möchte mit dieser Arbeit keine einseitigen Verurteilungen und undifferenzierte Wertungen vornehmen, weshalb ich die Grundlagen zum Verständnis weiblicher Genitalverstümmelung sowie die Gründe für die Befolgung der Tradition bewusst ausführlich gestaltet habe. Diese jahrtausende alte Tradition ist dermaßen vielschichtig und komplex, dass es, will man der Problematik einigermaßen  gerecht werden, nicht mit ein paar knappen Worten getan ist.

 

Im zweiten Kapitel werde ich grundlegende Informationen zum Verständnis der weiblichen Genitalverstümmelung geben. Dies bedeutet neben der grundsätzlichen Definition des Begriffes (Kapitel 2.1) auch einen Blick auf die vermuteten Anfänge und die weitere Entwicklung der Tradition (Kapitel 2.2) sowie die Darstellung der aktuellen Situation in Hinblick auf die geographische Verteilung und das Ausmaß der weiblichen Genitalverstümmelung (Kapitel 2.3). Nicht zuletzt folgt eine Darstellung der Rahmenbedingungen, der Akteure und der Betroffenen (Kapitel 2.4), die für eine sensible Herangehensweise an die Thematik unabdingbar ist. Die Folgen der Operation in Kapitel 2.5 werde ich umfassend gestalten, da diese das Leben einer verstümmelten Frau bestimmen und gestalten. Häufig haben die Frauen ihr gesamtes Leben mit den gravierenden Konsequenzen des Eingriffes zu kämpfen, die ihren Körper, ihre Seele, ihre Sexualität und ihre soziale Integration betreffen und somit die gesamte Lebensqualität der Frauen drastisch beeinträchtigen können. Weibliche Genitalverstümmelung kann nicht pauschalisierend auf eine "patriarchale Unterdrückung der Frauen" zurückgeführt werden. Um die Zusammenhänge begreifen zu können, muss man erkennen, dass der Brauch tief verwurzelt ist im soziokulturellen Gefüge, dem sich die Einzelne nicht entziehen kann. Neben der Funktion zur Kontrolle der weiblichen Sexualität, beschreibe ich in Kapitel 3 das Geflecht aus kulturellen, traditionellen, religiösen, medizinischen und ökonomischen Begründungen, die für die Ausübung und das Fortbestehen dieser Praktik  ausschlaggebend sind. In Folge der weltweiten Migration ist die Tradition der weiblichen  Genitalverstümmelung längst kein afrikanisches Problem mehr, sondern ist inzwischen auch in allen westlichen Ländern zu finden – auch in Deutschland. In Kapitel 4 möchte ich nach einer Darstellung der aktuellen Situation in Deutschland (Kapitel 4.1) den Zusammenhang von Migration und Tradition näher beleuchten (Kapitel 4.2). Welche Auswirkungen kann das Leben in der Fremde auf die Traditionen haben, die Migrantinnen aus ihrem Herkunftsland mitbringen? Geschieht eine Anpassung an die hiesigen Werte und Normen oder eine bewusste Ablehnung dieser? Diese Fragen führen zum nächsten Punkt, der die Lebenssituation afrikanischer Migrantinnen in Deutschland beschreibt (Kapitel 4.3). Es wird deutlich, dass Migrantinnen mit einer Vielzahl von Problemen zu kämpfen haben, die ihnen den Aufbau einer neuen Existenz in Deutschland massiv erschweren. Ihre Verstümmelung stellt ein Problem unter vielen dar. Diese Erkenntnis ist insbesondere in Bezug auf die präventiven Maßnahmen, die zur Bekämpfung weiblicher Genitalverstümmelung ergriffen werden, von großer Bedeutung. Dass es sich bei dem Brauch nicht um ein "barbarisches Ritual unzivilisierter Völker" handelt, wie viele Menschen der  "zivilisierten Welt" urteilen, wird anhand eines Exkurses in die Medizingeschichte des 19. Jahrhunderts nur allzu deutlich (Kapitel 4.4). Auch in Deutschland wurden Klitoridektomien vorgenommen, um Frauen von diversen "Frauenkrankheiten" wie Masturbation, Hysterie und Nervosität  zu heilen. Die westliche Medizin ging sogar noch weiter: Entfernungen der Eierstöcke und der Gebärmutter kamen in Mode und auch heute noch werden erschreckend viele Operationen ohne medizinische Indikation an  Frauen vorgenommen. Eine Afrikanerin drückte es auf einem Treffen westlicher und afrikanischer Aktivistinnen treffend aus: "Wir beschneiden unsere Frauen nur – ihr weidet sie aus." Damit wird weibliche Genitalverstümmelung nicht legitimiert, sondern das Bewusstsein für die eigenen schädlichen Traditionen und Entwicklung geschärft werden, die in der westlichen Welt zumeist viel subtiler verfolgt werden.

 

Das Kapitel "Intervention" habe ich bewusst dem Kapitel "Prävention" vorangestellt. Begründet darin, dass ich gesetzliche Verbote gegen weibliche Genitalverstümmelung und die Ächtung dieser Praktik als Menschenrechtsverletzung zwar als sehr wichtig erachte, jedoch den Möglichkeiten der Prävention mehr nachhaltigen Erfolg und Veränderung zuspreche. Rechtliche Regelungen müssen getroffen werden, um die Präventionsarbeit zu fundieren, zu legitimieren und diese zu begleiten, die wirkliche Arbeit jedoch leisten die engagierten Menschen vor Ort (Kapitel 5.1). Der Anerkennung der weiblichen Genitalverstümmelung   als Menschenrechtsverletzung auf internationaler Ebene (Kapitel 5.2) gebe ich viel Raum, da diese Feststellung eine Wende im öffentlichen Bewusstsein darstellte und somit von fundamentaler Bedeutung war. Nach einer Darstellung der rechtlichen Situation in Afrika und Europa bezüglich der Genitalverstümmelung von Frauen (Kapitel 5.3) wende ich mich der aktuellen Rechtslage in Deutschland zu, welche eine Betrachtung der Strafrechts sowie des zum 1.1.2005 geänderten Asylrechts einschließt (Kapitel 5.4). In Kapitel 6 werde ich nach einer Prüfung von Prävention auf Chancen und Grenzen (Kapitel 6.1), einen Überblick über mögliche präventive...

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