Die Ursachen, die zu Adipositas im Kindes- und Jugendalter führen, sind multifaktoriell. Bei der Ursachenforschung müssen u.a. genetische, soziale, kulturelle und psychosoziale Einflüsse berücksichtig werden. (Vgl. Reinehr et al., 2003, 8; Hebebrand et al., 2005a, 28)
Abb. 3 zeigt Faktoren, die Einfluss auf die Entstehung und Förderung einer Adipositas haben können.
Abb. 3: Ätiologie der Adipositas: Beeinflussende Faktoren
(Ehrsam/Melges, 2004, 282)
Der Einfluss genetischer Faktoren auf den BMI und somit auch Adipositas wird allgemein recht hoch angesehen[16] (Vgl. Wirth, 20002, 64; Richter, 2000, 23ff.; Wabitsch, 2004, 832), soll im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht behandelt werden. Zudem kommen genetische Störungen mit einer Adipositas als Folge extrem selten vor. Eine kurze Abhandlung dazu findet sich in Anlage 4.
Auch die sekundäre Adipositas, die durch eine andere Krankheit oder durch bestimmte Medikamente hervorgerufen wird, soll nicht Thema dieser Arbeit sein. In Anlage 5 befindet sich eine kurze Auflistung solcher Krankheiten und Medikamente.
Da die übrigen Variablen Ernährung, psychosoziale Aspekte und körperliche Aktivität jedoch beeinflussbar sind, wird das Hauptaugenmerk im Folgenden darauf gerichtet sein.
In der Frühzeit verbrauchte der Mensch bei der Nahrungsbeschaffung ein hohes Maß an Energie, da große Strecken zurückgelegt werden mussten. Diese konnte nach erfolgreicher Jagd dem Körper in Form von Nahrung wieder zugeführt werden. Aber auch bei erfolgloser Nahrungssuche sicherte die Fähigkeit des menschlichen Körpers, Fettdepots anlegen zu können, das Überleben. Diese Zeit der Nahrungsknappheit prägte die genetische Grundausstattung, die heute in den westlichen Ländern auf konträre Lebensbedingungen stößt: Bewegungsmangel bei gleichzeitigem Nahrungsüberfluss. Diese Inkompatibilität führt dazu, dass ein relativ großer Teil der Bevölkerung Übergewicht und Adipositas entwickelt. Aus dem Vorteil, Energie speichern zu können, ist ein Nachteil geworden. (Vgl. Zapf, 20062, 444; Hebebrand et al., 2005a, 28; Kersting, 2005a, 62) Schusdziarra/Erdmann (20032) formulierten dies treffend: „In dieser Situation haben wir das über 5 Millionen Jahre gültige Prinzip `Bewegung garantiert – Essen vielleicht´ konvertiert zu dem Prinzip `Essen garantiert – Bewegung vielleicht´“ (Schusdziarra/Erdmann, 20032, 27).
Entscheidend für die Regulation des Körpergewichtes ist also die Relation von Energieaufnahme und Energieverbrauch.
Der Gesamtenergieverbrauch von Frauen liegt unter Alltagsbedingungen durchschnittlich bei etwa 2200 und bei Männern etwa bei 2600 kcal/Tag. (Vgl. Laessle et al., 2001, 13; Wirth, 20002, 98) Er setzt sich aus den Komponenten Grundumsatz, nahrungsbedingte Thermogenese[18] und aktivitätsbedingte Thermogenese zusammen.
4.1.1.1 Grundumsatz
Der Grundumsatz bezeichnet den Energieverbrauch in völliger körperlicher Ruhe nach nächtlichem Fasten. (Vgl. Wirth, 20032, 46) Sein Anteil am Gesamtenergieverbrauch wird in der Fachliteratur mit 50-90% angegeben.[19] „Er ist in hohem Maße von Alter, Geschlecht[20], Körpergröße und Körpergewicht sowie hormonellen Einflüssen abhängig“ (Graf/Dordel, 2007, 67). Also lässt er sich in weiten Teilen nicht beeinflussen, lediglich „z.B. durch die Ab- oder Zunahme der Muskelmasse“ (Graf/Dordel, 2007, 67). Dies trifft auch für Adipöse zu, denn nimmt eine Person 10kg Gewicht zu, so sind davon etwa 3kg Muskelmasse. (Vgl. Jéquier/Schutz, 1988, 538)
Der Grundumsatz ist aber auch genetisch bedingt. Ein niedriger Grundumsatz kann schon innerhalb weniger Jahre Übergewicht und sogar Adipositas zur Folge haben. (Vgl. Wirth, 20032, 49) So zeigten Ravussin et al. (1988) in einer Studie, dass Personen mit niedrigem Grundumsatz in einem Zeitraum von 4 Jahren 8 mal häufiger 10kg Gewicht zunahmen als Menschen mit hohem Grundumsatz. (Vgl. Ravussin et al., 1988, 468f.)
4.1.1.2 Nahrungsbedingte Thermogenese
Die nahrungsbedingte Thermogenese ist kaum von Schwankungen betroffen und geschlechtsunabhängig. (Vgl. Wirth, 20032, 49) Sie beträgt allgemein etwa 10-15% des gesamten Energieverbrauchs (vgl. Graf/Dordel, 2007, 67; Wirth, 20032, 47; Laessle et al., 2001, 14; Hauner/Berg, 2000, 770; Schutz, 20032, 108) und wird wie der Grundumsatz von komplizierten Stoffwechsel- und hormonellen Prozessen gesteuert. (Vgl. Wirth, 20032, 49)
Das Ausmaß der nahrungsbedingten Thermogenese, die nach einer Mahlzeit einsetzt, wird hauptsächlich von „Alter, Geschlecht, Körperzusammensetzung, Ernährungszustand, [dem] autonome[n] Nervensystem, Hormone[n] und genetische[n] Faktoren“ (Schutz, 20032, 108) beeinflusst. (Vgl. Schutz, 20032, 108)
Einigen Forschern zufolge ist sie bei adipösen Menschen vermindert. Verantwortlich dafür ist eine Störung bei der Umwandlung von Glukose[21] in Glykogen[22], der durch körperliche Aktivität begrenzt entgegengewirkt werden kann.[23] (Vgl. Segal, 1985, 1107f.; Ravussin et al., 1983, 893ff.)
Der Ausprägungsgrad dieser Form des Energieumsatzes ist auch abhängig von der Nahrungszusammensetzung. Nach eiweißreicher[24] Nahrung fällt sie um ein Mehrfaches stärker aus als beispielsweise nach einer fettreichen Mahlzeit. (Vgl. Schutz, 20032, 108)
Zusammenfassend scheint es so zu sein, dass eine Adipositas über Grundumsatz und nahrungsbedingte Thermogenese nur begrenzt beeinflussbar ist.
4.1.1.3 Aktivitätsbedingte Thermogenese
Die aktivitätsbedingte Thermogenese[25] hingegen kann „extrem variabel“ (Graf/Dordel, 2007, 67) sein. Nach Laessle et al. (2001) beträgt die aktivitätsbedingte Thermogenese bei Nicht-Sportlern nur etwa 15%. Ein Mittelstreckenläufer hingegen könne in Trainingsphasen sogar 4000-5000 kcal/Tag verbrauchen, also das Mehrfache des Grundumsatzes. (Vgl. Laessle et al., 2001, 14) Andere kommen zu ähnlichen Ergebnissen.[26]
Aufgrund dieser Erkenntnisse wird die aktivitätsbedingte Thermogenese zur „wesentlichen Einflussgröße[n] für Veränderungen des Energieumsatzes“ (Graf/Dordel, 2007, 69). Hier lässt sich ihre Relevanz für eine Adipositastherapie vermuten.
Martinez-Gonzáles et al. (1999) konnten in einer 15 europäische Länder umfassenden Untersuchung an 15239 Menschen zeigen, dass zwischen der Entstehung von Übergewicht und Adipositas und einer mangelnden körperlichen Aktivität ein enger Zusammenhang besteht (Abb. 4). Je mehr Sport (bei mittlerer Intensität) getrieben und je weniger gesessen wurde, desto geringer fiel die Prävalenz der Adipositas aus. (Vgl. Martinez-Gonzáles et al., 1999, 1192ff.)
Abb. 4: Häufigkeit der Adipositas in Abhängigkeit von körperlicher Aktivität.
Die Aktivität wurde in METs angegeben wobei 1 Stunde Sport etwa 4 METs entspricht. (Wirth, 20032, 49 nach Martinez-Gonzáles et al., 1999)
Das Sättigungsgefühl wird durch ein komplexes Zusammenwirken von Magen-Darm-Trakt und Zentralnervensystem hervorgerufen. Rezeptoren in den Magenwänden nehmen Dehnungsreize auf, senden diese Erregungen zum Zentralnervensystem, was wiederum im Hypothalamus[27] eine Herabsetzung der Nahrungsaufnahme veranlasst. Im Hypothalamus ist das Zusammenwirken einer Vielzahl von Neurotransmittern[28] (z.B. Leptin[29] und Insulin[30]) an der Regulation beteiligt. (Vgl. Wirth, 20032, 35f.; Krude, 2005, 122ff.;...