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E-Book

Mogelpackung Work-Life-Blending

Warum dieses Arbeitsmodell gefährlich ist und welchen Gegenentwurf wir brauchen

AutorChristian Scholz
VerlagWiley-VCH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl210 Seiten
ISBN9783527815036
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Hochflexibel, agil, frei und mobil - fur viele Unternehmen und Experten sieht so das Arbeitsmodell der Zukunft aus. Nach Work-Life-Balance, bei dem die beiden Pole Arbeit und Freizeit moglichst ausgeglichen werden sollen, sollen die Ubergange zwischen beiden nun flie?end sein, wenn nicht gar verschmelzen - Work-Life-Blending hei?t die neue Zauberformel. Doch dieses vermeintliche Ideal kann sich schnell zum Alptraum entwickeln. Gerade wenn man sich die aktuellen Entwicklungen in Richtung auf Arbeitswelt 4.0 beziehungsweise Industrie 4.0 anschaut, wird sehr schnell klar: Die Megatrends Digitalisierung, Flexibilisierung und Virtualisierung werden einseitig zulasten der Menschen umgesetzt.
'Work-Life-Blending ist eine Mogelpackung', sagt Christian Scholz, 'weil der Job metastasenartig das ganze Leben vereinnahmt'. Die angebliche Freiheit fuhrt zur Selbstausbeutung. Work-Life-Blending ist nicht mehr als permanenter Bereitschaftsdienst. Und das kann kein Arbeitnehmer wollen.
Aus diesem Grund verfolgt Scholz in seinem neuen Buch zwei Ziele: Zum einen wird das Schlusselkonzept 'Work-Life-Blending' hinterfragt, zum anderen gezeigt, dass es mit der Arbeitswelt 4.Z tatsachlich einen zeitgema?en guten Gegenentwurf gibt.

Nach Studium und Assistententatigkeit an der Universitat Regensburg sowie Forschungsaufenthalten an der Harvard Business School wurde Univ.-Prof. Dr. Christian Scholz (orga.uni-sb.de) 1986 an die Universitat des Saarlandes berufen. Von 1990 bis 2014 war er Herausgeber der 'Zeitschrift fur Personalforschung' (ZfP), von 2001 bis 2007 Mitglied des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft fur Personalfuhrung (DGfP). Zu seinen wichtigsten Buchern zahlen zwei Lehrbucher zum Personalmanagement sowie die Trendstudie zum Darwiportunismus (2003) und zur 'Generation Z' (2014): Diese nach 1990 Geborenen sind neben der digitalen Transformation aktuell sein zentrales Arbeitsgebiet. Christian Scholz kam sechsmal auf die Liste der 40 fuhrenden Kopfe im Personalwesen und danach 2015 in die 'Hall of Fame'. Er publiziert in wissenschaftlichen Zeitschriften, schreibt Kolumnen unter anderem als 'MeinungsMacher' auf manager-magazin.de und bloggt seit 2006 als 'Per Anhalter durch die Arbeitswelt'.

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Leseprobe

A.
Schöner Traum: Privatleben, Beruf und Kaktus lebenswert verbinden


»Die Kombination aus mobiler Informationstechnologie und Wissensarbeit führt zu dem, was wir ›Work‐Life‐Blending‹ (Illingworth, 2004) nennen, wo Mitarbeiter permanent zwischen beruflichen und privaten Aktivitäten wechseln, und zwar tagsüber, in der Nacht sowie am Wochenende

Charles Thompson und Jane Gregory, Psychologen1

Wir fühlen uns gut: Arbeitnehmer sind zufrieden. Der Geschäftsklima‐Index strahlt. Kaufkraft ist vorhanden, wird ausgeübt und führt zu weiterem Wachstum. Wir sind Weltmeister und Europameister. Und irgendwie bekommen wir auch die Arbeitswelt in den Griff – mit allen ihren großen und kleinen Innovationen. Es geht uns gut.

Wir leben in einer faszinierenden Welt: Geht man durch die Internationale Funkausstellung in Berlin oder schaut sich im Internet die Consumer Electronics in Las Vegas an, so sieht man überall Technik, die das Leben erleichtert, aufregend und lebenswert macht und vor allem alles grundlegend verändern wird. Man sieht Roboter, die Kaffee servieren, die älteren Menschen die Tageszeitung umblättern und sogar noch beibringen, Tageszeitung plus Roboter durch einen Tablet‐PC zu ersetzen.

Smarte Produkte verbinden sich in smarten Fabriken zu smarten Geschäftsmodellen2. Dass wir dann auch noch Smart Cities mit völlig vernetzten Menschen bekommen, ist genauso folgerichtig wie die smarte Personalarbeit, die uns optimal in der Arbeitswelt platziert. Und am Ende jubeln die Medien und erklären uns, »wie die Roboter unsere Rente sichern«3.

Das Zauberwort lautet Digitalisierung.4 Dahinter steht die informationstechnische Vernetzung der gesamten Lebenswelt, also der beruflichen Sphäre ebenso wie der privaten, einschließlich der Verknüpfung zwischen beliebigen Objekten. Alles wird digital und wir bekommen das »Internet of Things«.

Die Kaffeemaschine, die sich jeden Morgen zeitgleich mit dem Wecker einschaltet und mich mit angenehmem Kaffeegeruch weckt, weiß, wann nicht mehr genug Kaffee vorhanden ist, und bestellt ihn automatisch bei der gerade angesagtesten Rösterei nach, von wo aus er sofort mit der Paketservice‐Drohne zu mir geschickt wird. Die Kaffeemaschine weiß aber auch, dass ich heute eine wichtige Besprechung habe, zu der ich voll wach sein muss. Also bekomme ich einen stärkeren Kaffee als sonst. Gleichzeitig meldet die Kaffeemaschine brav an die Kaffeemaschine in meinem Büro, dass ich offenbar die ganze Nacht durchgearbeitet habe, weil ich mir pro Stunde einen Kaffee produzieren ließ. Mit etwas Glück bekomme ich jetzt auch gleich ein Lob von meinem Chef, da auch er weiß, wie fleißig ich gewesen bin – denn natürlich haben sowohl meine Kaffeemaschine als auch mein MacBook meinen Chef informiert, dass ich noch immer an der zeitkritischen Vergleichsstudie sitze. Mit etwas Pech bin ich aber irgendwann einmal im Betrieb wegen meiner Gesundheit ein Risikofaktor, wobei in mehrfacher Hinsicht auch hier die Kaffeemaschine eine wichtige Rolle spielen wird, wenn sie detaillierte Daten zu meinem viel zu hohen Kaffeekonsum sammelt und weiterleitet. Zudem liefert die zeitliche Positionierung meiner Kaffeeanforderung Informationen zu meinem Verhalten über den Tag. Wie geht die Geschichte weiter? Vielleicht werde ich beim nächsten Projekt nicht mehr eingesetzt oder sogar gleich sozialverträglich freigesetzt? Und was passiert mit meiner Kranken‐ und Lebensversicherung?

Jetzt kann man natürlich sagen, dies sei weit hergeholt. Was wir nicht vergessen dürfen: Schon vor Jahren sollen HP‐Drucker die gedruckten Bilder an HP weitergeleitet haben, um Druckfunktionen zu optimieren. Und auch heute spricht die Datenschutzerklärung von HP Klartext: »Die von diesen öffentlichen oder kommerziellen Quellen erhaltenen Informationen werden möglicherweise zusammen mit den von HP bei Ihren Besuchen von HP‐Websites erfassten Informationen verwendet.«5

Durch Digitalisierung wird alles leichter, durch Digitalisierung wird alles vernetzter, durch Digitalisierung kann jeder mit jedem kommunizieren und durch Digitalisierung kann sich jedes Gerät mit jedem anderen Gerät verständigen. Autos fahren autonom und suchen sich selbstständig Parkplätze, Gesichtserkennungen ermöglichen Zugangskontrollen und Bewegungsprofile, Küchen kochen fast automatisch.

Durch Digitalisierung entsteht eine vernetzte Intelligenz, die uns das Gefühl vermittelt, wir wären die kleine Alice im großen Wunderland.

Digitalisierung hat nicht nur etwas mit Technik zu tun. Sie ergreift die gesamte Arbeitswelt und bringt sie auf ein anderes Niveau. Das führt uns zu einem anderen Zauberwort, nämlich New Work: Ursprünglich auf Fritjof Bergmann6 und sein Buch zur »Neuen Arbeit« zurückgehend, wird es aktuell vor allem von Unternehmensberatern neu entdeckt7.

New Work, das sind hochdynamische, moderne, angenehme und produktive Organisationsformen, die alles, was auch nur irgendwie als »alt« gilt, hinter sich lassen.

Im New Work wird Arbeiten so angenehm wie Frühstück am Sonntag und besticht durch lauter positive Visionen: schöne Umgebung, attraktive Jobs, gute Bezahlung und natürlich – das überrascht jetzt niemanden mehr – alles vernetzt und alles digital.

Wir ahnen es: Hier kommt der Brückenschlag zum Work‐Life‐Blending. Wir arbeiten im Kaffeehaus in Wien oder im Berliner Coffee‐Shop und trinken einen Latte Macchiato, der aus irgendwelchen Gründen in vielen Geschichten aus dieser Traumwelt immer wieder auftaucht. Nur: In der digitalen »Welt« der Informatiker ist der schwarze Kaffee am beliebtesten. Wir haben auch keinen Wecker mehr neben dem Bett: Wir stehen auf, wenn wir Lust dazu haben, und arbeiten dann auch, wann und wo und wie wir wollen. Die klare Botschaft: Noch nie haben wir uns so wohl gefühlt wie heute. Noch nie waren wir so gut informiert wie heute. Noch nie konnten wir unsere Entscheidungen basierend auf gut abgewogenen Alternativen treffen, und auch noch nie waren wir so irrelevant im Treffen dieser Entscheidungen.

Mein Smartphone informiert mich brav über die App der Deutschen Bahn wenige Minuten, bevor ich in Mannheim am Hauptbahnhof ankomme: Ich bekomme eine garantierte Fahrzeitverlängerung von mindestens 14 Minuten. Ich werde also gerade noch – auch hierzu liefert mir die Digitalisierung entsprechende Daten – meinen Zug nach Saarbrücken auf Gleis 2 wegfahren sehen. Sicher, in der alten Zeit hätte der Zugführer des einen Zuges mit dem anderen telefoniert und mir den Anschluss gesichert – ebenso wie den geschätzten 50 anderen Fahrgästen, die wie ich noch die letzte vernünftige Verbindung nach Saarbücken bekommen wollen. Dafür sehe ich aber jetzt, dank der Digitalisierung, dass der Zug von Stuttgart in Richtung Saarbrücken auch 35 Minuten Verspätung haben wird. Ich fühle mich gut informiert.

Faszination, Einfachheit, Wirtschaftlichkeit und Produktivität.

Das Recherchieren für das Buch, in dem Sie jetzt gerade lesen, besteht weiterhin aus vielen Reisen zu interessanten Menschen – wenngleich immer weniger Menschen für derartige Treffen Zeit haben und diese Treffen auch immer kürzer werden. Aber: Über virtuelle Universitätsbibliotheken habe ich Zugriff auf nahezu alle Fachartikel, die je zu meinem Thema geschrieben wurden, kann in Tageszeitungen blättern und finde wissenschaftliche Aufsätze, die vorab online zugänglich gemacht werden.

Mit dem Internet sind Analysen einfacher geworden, da Google auf fast jede Frage mit hunderttausend Einträgen antwortet. Doch in diesem Datenmüll auf verlässliche Information zu stoßen, grenzt an Unmöglichkeit und setzt analytische Fähigkeit voraus. Wenn man bedenkt, dass soziale Medien mich mit dieser Informationsflut manipulieren wollen, bin ich mir nicht so sicher, wie gut mir dieser Traum gefällt, den ich jetzt gerade träume. Selbst in der Wissenschaft gibt es inzwischen mehr Müll als intelligent Lesbares. Vor allem der wissenschaftliche Nachwuchs muss am laufenden Band Papiere wie im Film Moderne Zeiten von Charlie Chaplin produzieren, die keiner mehr liest, die aber ihre Existenzberechtigung durch Vorhandensein bekommen.

Irgendwie passt das Wort »traumhaft« nicht mehr und man erkennt das Muster: Die gleichen Technologien und Innovationen, die mir das Leben lebenswerter machen, produzieren gegenteilige Effekte in noch größerem Ausmaß. Alles nur ein Märchen? Eine »Mär von der Freiheit«8? Ein Betrug? Eine vorsätzliche Täuschung?

Berufsleben und Privatleben verschmelzen.

Ich sitze bei einer perfekten Pizza Prosciutto in einem romantischen Lokal und trinke mein Weißbier, da vibriert das Handy: Die quengelige Anfrage eines quengeligen Kunden kommt automatisch bei mir an und führt im Extremfall zu einer quengeligen Antwort. Oder aber mein Chef – der vielleicht zu Hause in seinem Garten unter seinem Kirschbaum sitzt – hat wieder eine seiner unzähligen...

Blick ins Buch

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