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E-Book

Moralbegründungen zur Einführung

AutorKonrad Ott
VerlagJunius Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783960600138
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Der Moralbegründung geht es darum, Gründe für die Anerkennung bzw. Ablehnung von moralischen Normen und Werten darzulegen. Seit mehr als einhundert Jahren befasst sich die Philosophie mit der Frage, was es eigentlich heißt, ein moralisches Urteil zu begründen. Die fundamentale Frage dabei lautet, ob ein moralisches Urteil überhaupt objektive Gültigkeit besitzen kann. Konrad Ott führt in die Grundfragen der Moralbegründung ein und stellt dabei u.a. die Ethik Kants, die Ethik des Utilitarismus und des Kontraktualismus, die Diskursethik sowie den Ansatz von Alan Gewirth vor.

Konrad Ott ist Professor für Umweltethik an der Universität Kiel.

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Leseprobe

2. Ebenen (Dimensionen) der Ethik und begriffliche Klärungen


Wenn Ethik die Moral beobachtet, spricht man, wie gesagt, von deskriptiver Ethik. Wenn Ethik auf Moral und auf die Semantik, Grammatik oder Pragmatik der Moralsprache reflektiert, so spricht man von Metaethik. Ist es der Ethik darum zu tun, Inhalte der Moralität zu begründen (Prinzipien, Moralgebote, Menschenrechte usw.), so geht es um normative Ethik. Soll Ethik in unterschiedlichen Praxiskontexten (Medizin, Wissenschaft, Wirtschaft, Umwelt usw.) normative Orientierung bieten, ist von anwendungsorientierter Ethik oder etwas verkürzt von angewandter Ethik (applied ethics) die Rede.26

Es geht in diesem Kapitel darum, anhand einer Unterscheidungspraxis die Punkte zu markieren, an denen sich wesentliche Begründungsfragen stellen. Das folgende Ebenenschema dient zur Unterscheidung. Es handelt sich nicht um eine hierarchisch-deduktive Systematik, sondern eher um eine Art von Gebäude, dessen einzelne Etagen man begangen haben sollte, wenn man in der Ethik »bewandert« sein möchte.

Ebenen (Dimensionen) der Ethik

1. Deskriptive Ethik

a. Entstehung und Sinn der Moral (evolutionäre Ethik, Anthropologie)

b. Moralhistorie und -soziologie

c. Moralentwicklung und Theorie der Moderne

2. Normenlogik

3. Metaethik (Bedeutungstheorie der Moralsprache)

4. Normative Ethiktheorien

a. Moralprinzipien (und ggf. Grundmodell)

b. Grundnormen (negative und positive Pflichten)

c. Menschen- und Bürgerrechte

d. Extension der »moral community«

5. Angewandte Ethik (Umwelt, Wirtschaft, Technik, Medizin usw.)

a. Praxisnormen (Grundsätze »mittlerer Reichweite«)

b. Argumentationsräume (Bereichstopologien)

6. Querschnittsfragen anwendungsorientierter Ethik

a. Verantwortungszuschreibungen

b. Risikobeurteilungen

c. Abwägungskonzepte

d. Wert- und Normenkonflikte

7. Konzeptionen des guten Lebens (eudämonistische Ethik)

8. Urteile betreffs Maßnahmen, Einzelfällen, Themen usw.

Wer jede Ebene mitsamt ihren Untergliederungen auf eine begründete Weise inhaltlich bestimmen und konsistent aufeinander beziehen kann, der verfügt über eine ethische Theorie und kann sie im Konzert konkurrierender ethischer Theorien vertreten, d.h. erklären, warum er seine Konzeption für insgesamt vorzugswürdig hält. Die anthropologischen Voraussetzungen, die begrifflichen Festlegungen, die metaethische Position, die allgemeinethische Grundlage, die inhaltliche Bestimmung von Moralität, die Untergliederung in Bereichsethiken, die Reflexion auf die normative Dimension unterschiedlicher Praxisfelder und ein Anwendungsmodell ergeben eine Ethiktheorie.

In der Anthropologie (Ebene 1.a.) begegnen sich deskriptive Aussagen über den Menschen und normative Bestimmungen.27 Es gilt in der Gegenwartsethik als Kunstfehler, Begründungsprobleme durch anthropologische Setzungen (»Menschenbilder«) lösen zu wollen. Umgekehrt kommt keine Ethik ohne Anthropologie aus.28 Die Frage, wieviel Anthropologie die Ethik benötigt, ist umstritten. Salomonisch könnte man sagen: So wenig wie möglich, aber so viel wie nötig. Es ist nicht unerheblich, mit welchen Wissensbeständen, Kompetenzen und Perspektiven die Akteure ausgestattet werden, die als »moral agents« in jede ethische Theoriekonstruktion eingehen. Folgt man dem Pfad der Entdeckung, so wird man »moral agents« einen generellen »moral sense« zuschreiben. Dieser »Sinn« kann erhellt und expliziert werden (bspw. als Sinn für Fairneß oder für die Bedürftigkeit des anderen). Verfolgt man den Pfad der Erfindung, kann man rein eigennützig eingestellte Wesen, die ihren Nutzen maximieren wollen, einer Begründungssituation einfügen, wie dies im Kontraktualismus geschieht.

In einer deskriptiv-anthropologischen Fragerichtung kann die Ethik die Gestalt einer evolutionstheoretisch und psychologisch aufgeklärten Phänomenologie der Moral annehmen.29 Diese Zugangsweise rekonstruiert moralrelevante lebensweltliche Grunderfahrungen, die das zugleich gefährliche und gefährdete Gemeinschaftswesen Mensch mit sich und seinesgleichen gemacht hat und macht. Dies erläutert, worum es in der Moral geht. Ohne ein diesbezügliches Vorverständnis wären wir außerstande, moralisch relevante Phänomene als solche zu identifizieren.

Baier und Mackie behaupten, der Grund für Moralen überhaupt liege in der prekären Daseinsform instinktreduzierter (freier), endlicher und versehrbarer organischer Einzelwesen, die auf Anerkennung und in der Regel auf ein Leben in Sozialverbänden angewiesen sind. Von Herder über Plessner und Heideggers Daseinsanalytik, die sich anthropologisch deuten läßt, sowie über Gehlen, der die Notwendigkeit der aktiven Handlung betonte, bis in neuere Ansätze hinein (Wyss, Kamlah, Wils) werden folgende anthropologische Bestimmungen betont: Instinktentbundenheit, Weltoffenheit, Sorgestruktur und Widerfahrnischarakter des Daseins, umfassende Bedürftigkeit (Prekarität), aggressive und teilweise ekstatische Antriebsüberschüsse, Scham, Furcht und Angst, Selbstbehauptungs- und Einkörperungsstreben, Kooperationsbedarf und Angewiesenheit, altruistische Impulse (wie »care« oder Mitleid), Entwicklung von entlastenden Institutionen und Gewohnheiten usw. Der Mensch muß »sein Leben führen« (Plessner). Die im Grunde unermeßliche Aufgabe selbständiger Lebensführung bedarf einiger »Stützen« und »Orientierungsmarken«, die die Last der Lebensführung vom Individuum gleichsam wegnehmen und »ableiten«. Moralen, d.h. Normen, Regeln und Institutionen, sind als solche entlastenden »Halterungen« verstehbar.

Wir können mit Plessner Außenwelt (Welt der Objekte), Innenwelt (Welt der Gefühle und Erlebnisse) und Mitwelt (Welt anderer Menschen, Institutionen) als formale Weltbezüge unterscheiden. Von der Mitwelt sagt Plessner, daß sie den Menschen nicht umgibt, sondern ihn »trägt«, indem sie zugleich von allen handelnden Subjekten gebildet wird. »Der geistige Charakter der Person [beruht] in der Wir-Form des eigenen Ichs.«30 Diese Wir-Form versteht Plessner nicht als eine »aus der Wir-Sphäre ausgesonderte Gruppe oder Gemeinschaft, die zu sich Wir sagen kann« (also nicht partikularistisch), sondern als eine Sphäre, die jeder Aussonderung vorausliegt. Dies führt Plessner zu folgender (spekulativ-metaphorischen) Aussage: »Wollte man für die sphärische Struktur der Mitwelt ein Bild gebrauchen, so müßte man sagen, daß durch sie die raumzeitliche Verschiedenheit der Standorte entwertet wird. Als Glied der Mitwelt steht jeder Mensch da, wo der andere steht […].« Daher ist diese Sphäre die des »reinen Wir«. Plessner hat versucht, einen Übergang von der Anthropologie zur normativen Ethik aufzuweisen; denn die Beschreibung dieses Bildes ähnelt Bestimmungen des »moral point of view«. Allerdings wird dieser Übergang nur spekulativ angedeutet, wenn Plessner sagt, die Mitwelt sei »absolute Punktualität, in der alles, was Menschenantlitz trägt, ursprünglich verknüpft bleibt, wenn auch die vitale Basis auseinandertritt«31.

Die Sphäre der Mitwelt ist, wie man im Anschluß an H. Plessner und E. Martens sagen kann, die Sphäre des »Einander«. Das Einander ist spezifisch für die menschliche Lebensform (im Singular) und damit relevant für die Moralität. Es liegen unterschiedliche Modalitäten des Einander vor. Wir können einander etwas antun. Wir sind aufeinander angewiesen. Wir können gegeneinander kämpfen. Wir können miteinander essen und feiern, voneinander lernen, einander begegnen und beistehen, übereinander lachen, uns übereinander wundern, uns umeinander kümmern und uns ineinander verlieben, einander ver- und mißtrauen usw. Die Rekonstruktion der Modi des Einander deckt insofern lebensweltliche Strukturen der Mitwelt auf. Wir können nicht voraussetzen, daß das Miteinander ursprünglicher als das Gegeneinander ist. Wir wissen aus Erfahrung, daß wir einander Übel und Bosheiten verschiedener Art zufügen können. Paradigmatisch hierfür ist das Töten und Verletzen. Das Töten von Artgenossen ist eine Verhaltensweise, die nur bei wenigen Tierarten auftritt (bspw. Ameisen). Wir sind, sowohl einzeln als auch in Gruppen, prinzipiell fähig, Mitglieder unserer eigenen Spezies mit Absicht (und manchmal auch mit Genugtuung) zu töten und zu verletzen. Gruppen von Menschen können zu Hetz- und Kriegsmeuten werden.32 Es sind ekstatische Formen des Tötens überliefert (»Blutrausch«). Die Hemmschwellen beim Töten sind kulturell variabel; sie können erhöht...

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