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Mord und Totschlag III. Abschlussbericht der Expertengruppe Tötungsdelikte vom 29.06.2015

Reform von Mord und Totschlag

AutorJonas Mura
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl57 Seiten
ISBN9783668172043
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Studienarbeit aus dem Jahr 2015 im Fachbereich Jura - Strafrecht, Note: 10 Punkte, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (Strafrechtliches Institut), Veranstaltung: Seminar zum Straf- und Strafprozessrecht im WS 2015/16, Sprache: Deutsch, Abstract: Diese Seminararbeit befasst sich mit dem Abschlussbericht der 15-köpfigen Expertenkommission aus Vertretern der Wissenschaft, der Justiz, der Rechtsanwaltschaft, der strafrechtlichen Praxis sowie der Landesjustizverwaltungen, die den Auftrag hatte, begründete Empfehlungen für eine Reform des Mordtatbestandes herauszuarbeiten, Lösungsvorschläge zu erarbeiten und somit den Boden für eine rechtspolitische Diskussion auf Parlamentsebene zu bereiten. Seit Bestehen des Mordtatbestandes in seiner heutigen Fassung sowie bereits zu Zeiten älterer Tatbestände, die Mord und Totschlag normierten, waren diese der Kritik und einer weitreichenden Anzahl an Reformvorschlägen ausgesetzt. Diese Chronik der Reformbestrebungen sind jedoch Thema anderer Seminararbeiten und sollen deshalb hier nicht weiter erwähnt werden, sofern sich die aktuellen Ideen nicht an frühere Konzepte anlehnen. Die Expertenkommission sollte Wege finden, um den 'Konstruktionsfehler' des Mordtatbestandes in seiner jetzigen Fassung vom 04.09.1941 und überarbeitet am 01.04.1998 durch das 6. Strafrechtsreformgesetz, zu beheben. Eine der Bestrebungen war es, die Tatbestände vom (vermeintlichen) Sprachgebrauch der Nationalsozialisten zu befreien, da dieser der Terminologie der Lehre vom normativen Tätertyp entspringe und daher 'atypisch' für das StGB sei. Das dieses Ziel reine Wortkosmetik verfolgt, ohne eine Änderung in der Sache vorzunehmen, wird dadurch deutlich, dass das Recht im heutigen Kontext in verfassungskonformer Weise angewandt wird und die Gerichte eben nicht mehr von einem Tätertypen des 'Mörders' ausgehen; ferner finden sich die Worte wie 'Totschläger' oder 'Mörder' bereits in deutlich älteren Fassungen, etwa in §§ 211 ff. RStGB vom 15.05.1871 oder in Art. 146 des bayerische StGB von 1813 sowie in § 175 Preuß StGB 1851. Ein erster bedeutender Entwurf aus der Nachkriegszeit, der für diese Seminararbeit von Relevanz ist, stammt aus dem Jahre 1962, und sah eine Rückkehr zur Kategorisierung der Tötung mit Überlegung als 'Mordmerkmal' und der Einordnung des Mordes als Qualifikation zum Totschlag vor. Ferner der Alternative Gesetzesentwurf von 1970, der einen Einheitstatbestand der vorsätzlichen Tötung mit fakultativer Strafschärfung bei 'besondere Verwerflichkeit - § 100 II StGB-E 1970 - sowie obligatorische Strafmilderungsgründe und die Einführung eines Tatbestandes der Kindstötung - § 100 III StGB-E -, vorsah.

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Leseprobe

D. Die neuen Lösungskonzepte


 

Nach den Diskussionen, Referaten und Abstimmungen standen sich 5 Lösungskonzepte gegenüber, die teils enorme Unterschiede untereinander aufweisen, sich zum Teil auch an ältere Reformvorschläge anlehnen und diese modifizieren. Lediglich ein Entwurf wurde von mehr als einer Person getragen. Die Tatsache, dass sich die Expertengruppe nicht auf eine Lösung bzw. einen Reformvorschlag einigen konnte und stattdessen Reformvorschläge unterbreitet wurden, die sich zum Teil diametral voneinander unterscheiden, unterstreicht, wie divergierend die Interessen der Experten auch nach den Referaten und Diskussionen noch waren.

 

I. Gesamtkonzeption mit Formulierungsvorschlag von Deckers, Grünewald, König und Safferling


 

Die Formulierung des Konzeptes, welches von vier Experten favorisiert wurde, lautet wie folgt:

 

§ 211 StGB-E Mord

 

"Wer einen anderen Menschen tötet, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter acht Jahren bestraft."

 

§ 212 StGB-E Totschlag

 

"Wurde dem Täter oder einer ihm nahestehenden Person ohne eigenes Zutun vom Getöteten eine schwere Beleidigung, Misshandlung oder andere Rechtsverletzung zugefügt und er hierdurch unmittelbar zur Tat veranlasst, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von zwei bis zu zehn Jahren."

 

§ 213 StGB wird gestrichen.[103]

 

Bei diesem Konzept wird Mord zum Grundtatbestand und der Totschlag zur Privilegierung, die Worte Mörder und Totschläger entfallen. Der Mord ist die vorsätzliche Tötung eines Menschen, sodass insofern - mit Streichung des Merkmals der Überlegung - eine Anlehnung an den früheren § 211 RStGB vom 15.05.1871 stattfindet. Das Exklusivitäts-Absolutheits-Verhältnis wird durch die Möglichkeit einer Freiheitsstrafe von nicht unter acht Jahren aufgelöst.

 

Das Schutzgut Leben erfahre durch diesen Entwurf eine Aufwertung gegenüber der bisherigen Fassung und anderen Fassungen, die eine Privilegierung „nach oben“, also eine strafschärfende Qualifikation vorsehen, da diese, neben der vorsätzlichen Tötung noch weitere - wie auch immer geartete und gesetzlich konstruierte und formulierte - Merkmale verlangt, die erfüllt sein müssen, um die absolute Strafandrohung der lebenslangen Freiheitsstrafe zu begründen.[104]

 

Den anderen Entwürfen und der bisherigen Fassung der Tatbestände §§ 211 – 213 StGB wird vorgeworfen, dass “solche Lösungsansätze dem Stellenwert des Guts bereits konzeptionell nicht vollends gerecht [werden]“, da dieses Gut „nach den Vorgaben unserer Rechtsordnung zu Recht das höchste personale Gut ist.“[105] Es finden sich Bezüge zum „Alternativ-Entwurf-Leben“, insbesondere das zweistufige Modell mit Mord als Grundtatbestand und Totschlag als Privilegierung, allerdings ohne eine Lösung über Regelbeispiele. Ferner gibt es starke Überschneidung mit dem Entwurf von Fischer u.a.[106], was angesichts der Beteiligten freilich nicht verwundert. Bei der Präsentation dieses Entwurfes wurde unterstrichen, dass dem Umstand Rechnung getragen werde, dass die bisherige Rechtsprechung gerade im Hinblick auf das Thema Heimtücke und der Forderung des BVerfG[107] nach einer restriktiven Auslegung, nicht gerecht werde. Es sei ein Zustand von Einzelfallentscheidung festzustellen.

 

Damit wird implizit gesagt, dass dies ein schlechter Zustand sei. Es fragt sich allerdings, wie dies mit der Einzelfallgerechtigkeit, die immer wieder ausdrücklich betont wurde (siehe dazu bereits die Anmerkung zum Thema des Mordmerkmals der Heimtücke und der dazu geführten Diskussion) und die zu berücksichtigen sei, in Einklang zu setzten ist und ob der Reformvorschlag zu einer besseren und einheitlicheren Rechtsprechung führen würde, als es die bisherige tut, gerade in Ansehung der Mannigfaltigkeit der Lebenssachverhalte mit denen sich die Gerichte zu beschäftigen haben.[108]

 

Einem weiteren Aspekt, der im Zusammenhang mit problematischer Rechtsprechung steht, nämlich der der rechtstechnisch und verfassungsmäßig bedenklichen Praxis[109] der Umgehung der absoluten Strafandrohung, werde ebenfalls Rechnung getragen. Dies geschehe dadurch, dass die Möglichkeit einer zeitigen Freiheitsstrafe ermöglicht wird, sodass dem Schuldprinzip und der Einzelfallgerechtigkeit eine rechtliche, tatbestandlich verankerte Grundlage gegeben werde.[110]

 

Gleichzeitig sei es aber nötig, die Mindeststrafe des § 212 StGB anzupassen, sodass - in der Form der §§ 211, 212 StGB-E - das Schutzgut Leben die angemessene Aufwertung erfahre, indem die Mindeststrafe von derzeitig fünf Jahren in § 212 StGB, durch die Mindeststrafe von acht Jahren in § 211 StGB-E zu ersetzen sei.[111]

 

Warum dies nun eine echte Aufwertung sei, erscheint fraglich, da der Strafrahmen des § 211 E - der ja die höchststrafwürdige Sanktion und den höchsten Schutz für das Rechtsgut Leben bewirken soll - hinter §§ 176b, 178, 251, 306c StGB zurücksteht, die im Mindestmaß zehn Jahre Freiheitsstrafe androhen.[112]

 

Der neue § 212 StGB-E sei - neben der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) - als eine Privilegierung des Mordes ausgestaltet. Beiden Vorschriften sei es zu Eigen, dass sie dem Opfer eine Mitverantwortung zuschreiben, die es rechtfertige, von einer Verringerung des Tötungsunrechtes auszugehen. Dies sei insbesondere in der Hinsicht vorteilhaft, da das vorgeschlagene Konzept „auf genuin moralisch-sittliche Erwägungen“ verzichte, wie diese insbesondere bei der Motivgeneralklausel des § 211 II StGB als auch bei § 213 1. Var. StGB im Rahmen der Provokation der Fall seien.[113]

 

Diese Argumentation wirft zweierlei Probleme auf: Zum einen wird die eigene Aussage relativiert, dass das Leben als höchstes Schutzgut ein Aufwertung erfahre. Denn wenn erst statuiert wird, dass die vorsätzliche Tötung eines Menschen höchstes Unrecht sei und dann im Anschluss formuliert wird, dass es auch Fälle der vorsätzlichen(!) Tötung eines Menschen gebe, die weniger Unrecht beinhalten - widerspricht sich dies, auch im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Argumentation[114], die ins Feld geführt wird. Entweder man sagt, dass die vorsätzliche Tötung stets größtes Unrecht und deshalb höchststrafwürdig sei oder man muss das verfassungsrechtliche Postulat der "Aufwertung" streichen, denn eine derartige Ansicht erscheint fragwürdig. Logischer und der Argumentation zuträglicher wäre es wohl gewesen, die Privilegierung über Rechtfertigungs- oder Entschuldigungserwägungen zu lösen.

 

Zum anderen weist auch dieser Entwurf Unklarheiten auf, die letztlich wieder eine gerichtliche Auslegung und Definition erfordern würden. Dies beginnt etwa mit der beibehaltenen Formulierung „schwere Beleidigung“ deren Bestimmtheit, in Anlehnung an § 185 StGB, das BVerfG in zahlreichen Entscheidungen beschäftigt hat[115] und geht bei „andere Rechtsgutsverletzung“ weiter. Zwar mag dadurch tatsächlich der sittlich-moralische Einschlag gemindert sein, aber wesentlich bestimmter ist diese Formulierungswahl dennoch nicht, zumal die Auslegung der Rechtsgüter ebenfalls einem zeitlichen Wandel unterliegt und ebenso von der aktuellen Anschauung, die eben auch sittlich und moralisch ist, mitgeprägt wird.[116] So auch schon in der damaligen Diskussion Jaß.[117]

 

Außerdem wird so letztlich die Feststellung des Vorliegens eines Privilegierungsgrundes i.S.d. § 212 StGB-E auf die Einlassung des Täters zu den Umständen der Tat oder Zeugenaussagen gestützt werden müssen, die eine affektähnliche, emotionale Gemütslage beschreiben können sollen - was ebenfalls zu divergierenden Einzelfallentscheidungen führen dürfte -, die aber gerade bei der bisherigen Rechtslage bemängelt wurden.[118] Es fragt sich außerdem, nach welchen Kriterien das Tatgericht das Strafmaß verhängen soll, wenn ihm lediglich aus dem Gesetz vorgegeben ist, dass bei einer vorsätzlichen Tötung eine lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter acht Jahren zu verhängen ist. Folglich müssten sich die Gerichte selbst Kriterien "basteln", um der Abstufung innerhalb des Strafrahmens im Hinblick auf die Einzelfallgerechtigkeit und dem bezweckten Ziel, das Schutzgut Leben aufzuwerten, gerecht zu werden.[119]

 

Aus dieser Argumentation[120] fließt auch die Begründung für die Streichung des § 213 StGB. Dieser werde zum einem dem Konzept des höchstrangigen Schutzes des Gutes Leben nicht gerecht, zum anderen baue auch dieser Paragraph auf ein abzulehnendes Konzept sittlich-moralischer Anschauung auf.

 

Hierzu sei weitestgehend auf die obige Argumentationen verwiesen und hinzugefügt dass sich § 213 StGB nach dem vorgeschlagenen Konzept, in § 212...

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