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E-Book

An Morgen wag ich nicht zu denken

Ein Buddhist im Obdachlosenheim

AutorRalf Scherer
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl360 Seiten
ISBN9783752890976
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Ralf Scherer erzählt in dieser Biographie, wie er reich werden wollte, doch stattdessen auf der sozialen Leiter immer tiefer abstürzte. So tief, dass er schließlich verarmt in einem Obdachlosenheim landete. Er beschreibt diesen Weg nach unten. Ein Weg, auf dem er mit all dem in Berührung kam, was die sozialen Fragen einer Gesellschaft ausmachen. Dingen wie Börse, Leiharbeit, prekäre Arbeitsverhältnisse und Hartz IV. Ebenso schildert er sein Leben im Obdachlosenheim und charakterisiert einige der Bewohner. Er beschreibt darüber hinaus seinen verzweifelten Versuch an diesem schwierigen Ort zurechtzukommen und durch den Zen-Buddhismus seine seelische Gesundheit zu bewahren.

An was sind die Dinge zu bemessen? Was ist der allgemeingültige Maßstab im Leben eines Menschen? Wie sind die Dinge wirklich? Unabhängig von den zahlreichen Meinungen. Gilt deine oder meine Wahrheit? Das ist die zentrale Frage, der sich Autor Ralf Scherer in seinen Büchern widmet. In dieser Biographie erzählt er, welche Wirren er durchleben musste, um diesen freiheitsgebenden Maßstab letzten Endes im Zen-Buddhismus zu finden.

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Leseprobe

Mein Leben im Obdachlosenheim


Nach einer ...


... unruhigen Nacht schellte, wie von mir mit Grauen erwartet, früh morgens die Klingel. Es kam mir vor, als würde mich der schrille Ton zerreißen. Ich hob den Hörer der Türsprechanlage ab. „Herr Scherer, hier ist Gerichtsvollzieher Meier, machen Sie bitte auf“, ertönte eine Stimme, deren Ton deutlich machte, dass ein Verweigern der „Bitte“ nicht toleriert werden würde. Ich drückte auf den Summer, der die Eingangstür öffnete, und nur kurze Zeit später marschierten mehrere Leute, der kleine ernst dreinblickende Gerichtsvollzieher vorneweg, in meine kleine Wohnung.

Wer waren diese Leute? Es waren neben dem Gerichtsvollzieher, drei Vertreter des Vermieters, der Wohnungsgesellschaft, dazu, ausgerüstet mit großen zusammengefalteten Pappkartons, vier professionelle Räumer und mehrere junge Umzugshelfer, die wie Schüler aussahen, die sich heute mal ein Taschengeld dazuverdienen wollten.

Ein seltsames Gefühl, wenn Menschen, die man nicht kennt, die man nicht eingeladen hat und die auch nicht erbeten sind, in das eindringen, was man bis dahin als seine Privatsphäre bezeichnet hatte. Es war nun also so weit, die Wohnung würde geräumt. 12 Jahre hatte ich in ihr gelebt.

Natürlich war jede Aufregung oder gar Widerstand gegen die Räumung zu diesem Zeitpunkt völlig unsinnig, denn sie war ja nur die letzte Konsequenz meiner geschilderten Vorgeschichte. Und doch wunderte ich mich, dass sie jetzt tatsächlich stattfinden würde, denn im Gegensatz zu dem, was ich immer so gehört hatte oder in Zeitungen lesen konnte, nämlich dass ein Vermieter über Jahre hinweg vergeblich versucht hatte seine Mieter aus der Wohnung zu bekommen, war bei mir der Zeitraum von der ersten Mahnung bis zum Räumungsbescheid sehr kurz. Irgendwie war ich immer der Meinung gewesen, dass es in Deutschland nicht so einfach sei aus der Wohnung geworfen zu werden. Doch da lag ich, zumindest in meinem Fall, falsch.

Alle standen nun in meinem kleinen Wohnzimmer und schauten schweigend auf den Boden. Jeder wartete, was nun weiter geschehen würde. Dann ergriff der Gerichtsvollzieher mit lauter Stimme das Wort: „Herr Scherer, was machen wir mit den Sachen, die noch hier sind?“ In der Wohnung standen noch Regale mit Büchern, die Couch, der Kühlschrank, die Waschmaschine, eine Menge Krimskrams, alte VHS-Kassetten etc. Ich wusste keine Antwort und sagte nichts. Dann fragte er: „Wo schlafen Sie heute Nacht? Haben Sie eine Bleibe?“ Ich verneinte und verwies auf das Gespräch mit der Wohnraumhilfe.

Es störte mich, dass jeder in dem kleinen Raum die Konversation mitbekam. Was würden all diese jungen Umzugshelfer von mir denken? Mussten sie mich denn nicht für einen Versager halten?

Dann zückte der Gerichtsvollzieher sein Handy und telefonierte selbst mit der Stadtverwaltung, um sich über den Stand der Dinge zu informieren. Es war mir sehr recht, dass er sich ein wenig kümmerte.

Jetzt sprach auch die Frau von der Wohnungsgesellschaft. Sie säuselte, dass in Deutschland niemand auf der Straße schlafen müsse, ja, dass ich sogar einen Anspruch darauf hätte, dies nicht tun zu müssen und dass ich das Angebot einer Notunterkunft doch bitte annehmen solle. Ich war überrascht, fast klang dies so, als würde sie sich Sorgen um mich machen.

Natürlich stimmte ich zu, was sonst hätte ich tun sollen? Auf der Straße schlafen? Das traute ich mir nicht zu. Ich glaube, dass ich das nicht geschafft hätte, aber andererseits, wer weiß schon, was er schafft, wenn er muss. Und Familie oder Freunde, die bereit gewesen wären, mich bis zur einer neuen Bleibe, bei sich aufzunehmen, hatte ich nicht. Schließlich hatte ich jahrelang auf Bekannt- oder Freundschaft ja auch keinen Wert gelegt bzw. den Gelderhalt als wichtiger erachtet. Ja, selbst Knut, meinen Kumpel aus meinen ersten Börsentagen, mit dem ich mich bestens verstanden hatte, hatte ich abserviert, um durch seine Börsentipps in meinem Tradingverhalten nicht beeinflusst zu werden. Erst in der letzten Zeit, da ich durch Zen zu neuen, zu tieferen Überzeugungen gekommen war und nicht mehr das Geld im Mittelpunkt stand, hatte ich wieder einen Bekanntenkreis aufgebaut, von dem vor allem Matthias mein engster Bekannter wurde. Doch nicht einmal er, der ansonsten beispiellos hilfsbereit war, ja, oft geradezu ein Engel, war bereit seine Wohnung mit mir zu teilen. Und ich konnte dies irgendwo schon auch verstehen, mag eine solche Aufnahme eine Freundschaft schnell auch überlasten.

„Dann gehen Sie jetzt zur Stadtverwaltung, holen dort den Schlüssel für Ihre Notunterkunft und kommen anschließend wieder hierher zurück“ wies mich der Gerichtsvollzieher nach seinem Telefonat bestimmt an. Und das tat ich dann auch.

Während die Helfer die Wohnung weiter leer räumten und meine Sachen in große Kartonkisten verpackten, zog ich meine Jacke an und ging los. Bei der Stadtverwaltung angekommen gab mir eine Sachbearbeiterin die Schlüssel. Ernst fügte sie noch hinzu, dass ich mich beim Hausmeister des Obdachlosenheims melden solle.

Als ich den Schlüssel entgegennahm, widerstrebte es mir völlig „Danke“ zu sagen, und ich nuschelte nur leise etwas vor mich hin, denn wenn ich doch einen Anspruch auf etwas habe, was gibt es sich dann zu bedanken? Das Recht hat sich doch schon bedankt, indem es Recht ist. Zumal es mir so vorkam, als würde sie mir den Schlüssel von oben herab geben, nach dem Motto: „Jetzt muss die Gesellschaft Ihr Versagen ausbaden“. Vielleicht neigt man aber auch nur dazu, wenn man so alleine dasteht, die ganze Welt als feindlich, als unfreundlich, zu begreifen.

Ich ging dann wieder zurück zur Wohnung. Dort schauten bereits mehrere Nachbarn neugierig, was da auf dem Flur mit all den vielen Leuten ablief. Viel peinlicher ging es nicht mehr, aber ich versuchte durch Zen ichlos zu sein und die Wahrnehmung der Umwelt einfach ungehindert und widerstandslos durch mich hindurch zu lassen, d.h. von der Peinlichkeit nicht betroffen zu sein. Die Peinlichkeit konnte ja nur Peinlichkeit sein, wenn sie auf ein Ego traf.

Inzwischen war schon einiges verpackt, die Wohnung leerte sich und es ging an den Keller, den ich in all den Jahren vielleicht viermal betreten hatte. Er war voll mit alten und teilweise vollständigen Sammlungen von Sportzeitschriften, von Comics wie Batman, Donald Duck, Clever und Smart, die ich als Kind und Jugendlicher so gerne gelesen hatte. Der Gerichtsvollzieher erläuterte mir, dass die Sachen aus dem Keller im Lager der Firma, für die die Profi-Räumer arbeiteten, eingelagert und ihnen gehören würden, wenn ich sie nicht innerhalb eines Monats dort wieder abholen würde, was diese vor Gier schon sabbern ließ.

Eine seltsame Bestimmung, und ein allzu kurzer Zeitraum, wenn man bedenkt, dass man einfach andere Sorgen hat, als sich um die Sachen zu kümmern, die man eh jahrelang in den Keller verbannt hatte. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn diese Sammlungen genutzt worden wären, um meine finanzielle Schuld zu verringern, doch hier fiel mehr oder weniger alles einfach so an die Räumer, was ich als Diebstahl bezeichnen würde. Diebstahl unter Ausnutzen einer Notlage.

Natürlich ärgerte es mich, dass ich die Sachen nicht doch vorher noch weggeschafft hatte. Und natürlich hatte ich daran gedacht. Doch wohin? Ich war ja schon froh, dass ich das Allerwichtigste in den kleinen Keller von Matthias stellen konnte.

Am frühen Nachmittag war dann alles raus, und die leere Wohnung kam mir völlig fremd vor.

Die Versammlung löste sich auf.

Als einzige von all denen, die an der Räumung beteiligt waren, gab mir die Frau der Wohnungsgesellschaft, die ich schon seit meinem Einzug kannte, die Hand und wünschte mir alles Gute. Alle anderen kamen nicht einmal auf die Idee mir die Hand zu geben.

Die Möbelpacker ...


... die nun meine Sachen ins Obdachlosenheim bringen sollten, nahmen mich in ihrem kleinen Lkw mit. Wie nett von ihnen. Danke, danke.

Es war eine tolle Fahrt, so toll, dass ich hätte kotzen können. Einer sagte noch, die Pfandflaschen, die ich auf dem Balkon gehabt habe, hätten sie auch mitgenommen und die könnte ich ja jetzt gut verwenden. Er dachte, er würde etwas Nettes zu sagen, tatsächlich aber sah er mich längst als flaschensammelnden Penner an. Keine Frage, wieso, warum, wie es dazu kam, dass meine Wohnung geräumt wurde. Keine Frage, wer dieser Mensch, den sie jetzt zum Obdachlosenheim fuhren, war und warum er gescheitert war.

Aber musste sie das interessieren? Sie waren ja nur da um zu räumen. Sie arbeiteten genauso nur wegen dem Geld, wie ich es nach dem Zusammenbruch der Börse auch getan hatte. Und doch gab es in meinen Augen einen Unterschied: Mein Arbeiten nur wegen dem Geld hatte einem tieferen Sinn gedient, nämlich der Freiheit, auch wenn ich mich in dem, was sie wirklich war, vielleicht vertan hatte. Wenigstens aber hatte ich mir tiefe Gedanken um den Charakter, das Wesen und die Moral von Geld gemacht und ich bezweifelte, dass auch sie das so getan hatten.

Nach kurzer Fahrt waren wir dort. Der Lkw bog von der...

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