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E-Book

MRX Maschine

AutorLuise Meier
VerlagMatthes & Seitz Berlin Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783957575951
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Zu seinem 200. Geburtstag ist Karl Marx so tot wie lange nicht: Entweder wird er für triviale Niedergangspredigten in Anspruch genommen oder zur Erstellung neuer Theorien ausgeschlachtet, um den akademischen Markt mit frischen Waren zu versorgen. Es ist Zeit, Marx als Zündschnur zu gebrauchen. So entsteht die MRX-Maschine. Die MRX-Maschine zapft Feminismus, Postkolonialismus und anderes an und sucht nach den Rissen, der Perversion und dem Gestank, die das Proletariat hinter dem unternehmerischen Selbst erkennbar machen. Die MRX-Maschine scannt die Schauplätze der öffentlichen Selbstvermarktung und die private Fabrik der Körperoptimierung nach Spuren des internalisierten Klassenkampfs, der nach Desintegration und Verschwendung schreit, und zerkratzt dabei die polierte Benutzeroberfläche. MRX-Maschine ist ein geheimer Gruß an alle Verweigerer und Blaumacher, sie ist Analyse Agitation und Aggression in einem - und für die Zeit der Lektüre sind Sie krankgeschrieben.

Luise Meier, 1985 geboren in Ostberlin, arbeitet als freie Autorin und Servicekraft. Studium der Philosophie, Sozial- und Kulturanthropologie und Kulturwissenschaften in Berlin, Frankfurt a. d. Oder und Aarhus.

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**Wir kümmern uns um den Rest

Die Trennung aller Produzentinnen voneinander, nicht nur von den Arbeiterinnen der Billiglohnzonen, bewirkt eine Intensivierung der Beziehung der einzelnen Lohnarbeiterinnen zu ihren Arbeitgeberinnen und den Markennamen ihrer Konsumgüter als wohlmeinende vermenschlichte Versorgerinnen. Der gesamte Produktionskreislauf tritt aus dem Bewusstsein. Es ist Nike, das meine Schuhe entwickelt, und dieses oder jenes Label, das meine Klamotten designt, der Held Steve Jobs, der das iPhone erfindet, und die sympathischen Ikea-Designer aus dem Katalog entwerfen Möbel, und Starbucks kreiert diesen superleckeren Kaffee. Die Frage des Lohns, den die freundliche Firma, bei der ich arbeite, mir zahlt, ist wiederum keine Frage des kapitalistischen Systems, der Eigentumsverhältnisse und des Arbeitskampfes. Vielmehr wird es so dargestellt, als ginge es um das persönliche Verhältnis zwischen mir und meiner Vorgesetzten. Bin ich selbstbewusst, kann ich meine Interessen vertreten, meine Kompetenzen beurteilen und überzeugend darstellen? Oder muss ich meinen Kompetenzbereich erweitern, mehr Einsatz zeigen? Was bin ich dem Unternehmen wert? Mag mich meine Chefin? Hat sie meine Leistungsbereitschaft auf dem Schirm? Stimmt meine Chefin einer Gehaltserhöhung zu, erweitert sie meinen Kompetenzbereich, deute ich es als Vertrauensbeweis. Sie setzt ihr Vertrauen in mich. Mein Lohn, so erscheint es jetzt, steht in direktem Zusammenhang mit diesem Vertrauen. Mit dem Geld von meiner Chefin kann ich jetzt ein sexy iPhone kaufen und das Nokia-Ding (Wer ist nochmal Nokia?) wegschmeißen, denn Nokia bringt es einfach nicht mehr. Leute der Mittelklasse und Teile der standortbedingt privilegierten Arbeiterklasse fühlen sich von den Konzernen permanent beschenkt, bestraft, gelobt oder beleidigt, als wären diese der Weihnachtsmann, der seine Entscheidung davon abhängig macht, ob man auch ordentlich sein Potenzial ausgeschöpft hat. Amazon setzt in seiner Werbung mit Vorliebe Tiere und Babys und schwebende luftige Musik mit hauchenden Stimmen ein. Tiere und Babys sind die einzigen emotionalen Bezugsobjekte, auf die wir unsere Sehnsucht nach authentischen zwischenmenschlichen Begegnungen noch projizieren können, denn sie haben kein Bankkonto, können unseren Job nicht machen und ranken, liken oder blocken uns nicht. Sie dürfen dumm sein. Niedlichkeit ist das Gesicht des neutralisierten Liebesobjekts, von dem keine Gefahr ausgeht, das sich nicht wehren kann. Niedlichkeit als ostentative Hilflosigkeit, die nicht nur garantieren soll, dass unsere Hilfe wirklich gewollt ist und unser Ego als mächtige Wohltäter nicht gekränkt wird, sondern die Garantie umso sicherer macht, weil sich das Objekt unserer Hilfe und Zuneigung gegen unsere Hilfe und Zuneigung nicht wehren kann. Die nackte Frau und die Hundewelpen teilen in der Werbung die Funktion der Egostabilisatoren. Egostabilisatoren gegen die Angst, innerhalb der amazon-Maschinerie nur ein winziges Rädchen zu sein.

Wenn der Service nicht läuft, dann verpetzt man die Servicemitarbeiterin oder die Kollegin, das oft so unfaire Geschwisterkind, beim Übervater. Überall fliehen die kleinen Beamten, Angestellten und Facharbeiterinnen vor dem Wissen um die eigene Ohnmacht in Pseudobeziehungen der Übermacht, Sicherheit und Kontrolle – immer um den Preis der Identifikation mit der Instanz, die ihre Ohnmacht verwaltet. Allgegenwärtigkeit von Ranking und Evaluation erzeugt ein Gefühl der Beteiligung und der Macht des eigenen Urteils. Diese Beziehungen erscheinen völlig abgeschnitten von dem globalen Produktionssystem, durch das alle Bereiche der Produktions- und Konsumsphäre gelenkt werden. Wenn wir die absolute Neutralität und Ohnmacht, der wir als Individuen angesichts der Zwänge des globalen Marktes gegenüberstehen, nicht ertragen können, dann kleben wir ihnen Smileys auf und verhalten uns zu ihnen, als wären sie Freunde und Verwandte oder Mitglieder der verfeindeten Schulhofclique. Aggressionen werden in negative Kundenbewertungen kanalisiert. Selbst zum Staat und zur Politik bildet sich dieses Verhältnis heraus. Mutti oder Vati sollen den Arbeitslosen und Geflüchteten nichts abgeben, denn die sind gar nicht so fleißig wie wir. Der Parlamentarismus transferiert das Prinzip des Tauschwerts auf die Politik. Die Politik ist neutralisiert, darüber muss nicht mehr geredet werden, man kann sich jetzt den schönen Dingen oder gar den persönlichen Themen zuwenden. Die abgegebene Stimme ist von ihrer Produzentin unwiederbringlich abgeschnitten, was übrig bleibt ist privat. Der politische Vorgang wird als persönliche Beziehung der Wählerin zur Kandidatin inszeniert, Politik wird zum Nachbarschaftsstreit. Jeder nutzt die Demokratie, das Gesetz, um sich gegen seinen Nächsten abzusichern. Wenn mir die Kandidatin hilft, mich gegen den unliebsamen Nebenmann durchzusetzen, wie der große Bruder auf dem Schulhof, dann schenke ich ihr meine Stimme. Bin ich unzufrieden, wähle ich ihre Opponentin. Die Stimmen werden zum Eigentum der Repräsentantinnen, die wiederum als Hüllen des akkumulierten, abstrakten politischen Willens vieler zur Ware werden, um von den verschiedenen Lobbys gekauft werden zu können.

Je mehr die Produktionsbedingungen durch die globale Verstreuung und Lenkung neutralisiert, standardisiert und beschleunigt werden, umso einfacher kann den Produkten nachträglich eine ebenso standardisierte, pseudopersönliche und psychotechnisch optimierte Kundenansprache aufgestülpt werden. Desto mehr schrecken wir vor der Überforderung zurück, uns mit den Bedingungen auseinanderzusetzen, auf denen unsere Bequemlichkeit ruht. Der ganze Servicesektor bläht sich auf. Es werden Menschen dafür bezahlt, die Produktionskreisläufe hinter einer zunehmend wissenschaftlich standardisierten Freundlichkeit vergessen zu machen. Selbst wenn jemand prüfen wollte, ob das angeblich sozial und umweltfreundlich produzierte Conscious-Segment von H&M wirklich fair produziert wird, würde die Recherche viel zu lange dauern, um die Konsumentinnen noch zu informieren, bevor das Produkt schon wieder aus dem Sortiment genommen wurde. Sogar anhand von Labels und Zertifikaten, die auch nur neutralisierte Richtlinien bezeichnen, kann die Neutralisierung der Produzentinnen und der Konsumentinnen nicht aufgelöst werden. Der Produzentin wird nur eine weitere Produktionsrichtlinie vorgegeben (z. B. im Falle eines Verbots von Kinderarbeit ihr Geburtsdatum auf dem Arbeitsvertrag fälschen zu müssen) und der Konsumentin ein weiteres Personalisierungsangebot gemacht. Letztlich wird auch die »Fairness«-Personalisierung des Kaufverhaltens vom zur Verfügung stehenden Einkommen abhängig bleiben, solange sich nichts an den Produktionsverhältnissen ändert, die den Bruch über die Neutralisierung in der Warenform überhaupt erst herstellen.

Es geht nicht um die Schuld oder Verantwortung der individuellen Konsumentin. Die verantwortungsbewusste Konsumentin hat sich zu einem mächtigen Narrativ ausgewachsen, das uns mit der Illusion unserer Autonomie versorgt, während wieder eine Logik am Werk ist, die uns erzählt, dass wir diese Autonomie nur durch den Konsum bestimmter Waren aufrechterhalten, erarbeiten und unter Beweis stellen können. Es macht keinen Unterschied, ob die Eingliederungsvereinbarung auf Umweltpapier unterschrieben wird. Die verantwortungsbewusste Konsumentin fühlt sich schuldig und verantwortlich. Sie kompensiert und verdrängt, arbeitet und kauft umso angestrengter, anstatt wütend zu werden, dass ein globales kapitalistisches System mittels immer perfiderer Taktiken sie dazu bringt, selbst noch beim Kaffeetrinken die Sklavenarbeit zu unterstützen, zu der sich angeblich freie Menschen gezwungen sehen. Das Problem der Kinderarbeit wird nicht gelöst, wenn die verantwortungsbewusste Konsumentin keine Nike-Schuhe trägt, wenn einzelne Fabriken keine Kinder mehr anstellen, sondern wenn Kinder keine Arbeit mehr brauchen, um zu überleben.

Durch die ungeheure Beschleunigung und Effizienz des Warenverkehrs mittels der interdisziplinär agierenden Logistik materialisieren sich die menschlichen und ökologischen Kosten der konkreten Produktion nie dort, wo der Nutzen wie ein Wunder in den Geschäften und Haushalten auftaucht. Selbst die Sicherheitskräfte werden heute so schnell transportiert, dass eine Solidarisierung mit den jeweilig protestierenden Kostenträgern so gut wie ausgeschlossen ist. Schließlich wird auch den Fußsoldatinnen der Militär- und Sicherheitsindustrie ein personalisiertes Feindbild-Heldennarrativ angeboten, das relativ unabhängig von den konkreten Akteurinnen der Konfliktzone ist. Im Zuge eines rasanten Wechsels von Einsatzorten und Einsatztruppen lässt sich das Feindbild aus dem Schulungsvideo im Moment der direkten Konfrontation nicht korrigieren. Die zunehmende Rasanz und Fragmentierung trägt dazu bei, dass wir die bereitgestellten Narrative nicht hinterfragen. Der Glaube an wissenschaftlich, medizinisch oder auf sonstige Art expertenmäßig legitimierte »neutrale« Erklärungen fällt uns wesentlich leichter als der direkte Kontakt mit Leuten, deren Lebensverhältnisse mit unseren wenig gemeinsam haben. Wir verwechseln...

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