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MUSIK-KONZEPTE 183 : Klaus Ospald

Verlagedition text + kritik
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl101 Seiten
ISBN9783869167459
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Das Gedicht 'Der Ginster oder die Blume der Wüste' (1834/37) von Giacomo Leopardi ist Inbegriff eines romantischen Pessimismus, der wie ein Stachel im Fleische der Aufklärung sitzt. Die Musik des Komponisten Klaus Ospald (*1956) ist der Poesie Leopardis im Geiste verwandt. Nicht von ungefähr hat Klaus Ospald in den Jahren 2005-12 einen Leopardi-Zyklus geschaffen, der sechs Werke vereint. Eines davon, die zweite Kammersinfonie 'La ginestra o il fi ore del deserto' für Sopran und Kammerensemble (2005/06), stellt dieser Band vor. Andere Werke wie das 'Quintett von den entlegenen Feldern' für Klarinette, Klavier, Violine, Viola, Violoncello und Live-Elektronik (2012) oder 'Más raíz, menos criatura' ('Entlegene Felder' III) für Orchester, Kammerchor und Klavier nach einem Gedicht von Miguel Hernández (2014/15) werden ausführlich zur Sprache gebracht. Dabei erscheinen Ospalds Kompositionen von einer starken sinnlichen, teilweise erschütternden Kraft, die die Fantasie beflügeln durch Melancholie und Humor. Es scheint, als sei Ospalds Musik selbst der Ginster oder die Blume der Wüste - um mit Leopardi zu sprechen - auf dem 'Sandkörnchen, das den Namen Erde trägt'.

Ulrich Tadday, geb. 1963, Studium der Musikpädagogik und Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie an den Universitäten Dortmund und Bochum; Staatsexamina, Promotion und Habilitation; seit 2002 Professor für Historische Musikwissenschaft an der Universität Bremen; seit 2004 Herausgeber der Neuen Folge der 'Musik-Konzepte'.

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Leseprobe

Laurenz Lütteken

Für Klaus Ospald


Laudatio zur Verleihung des Kulturpreises der Stadt Würzburg (2017)1

»Mir ist die Ehre widerfahren«, singt Octavian zu Beginn des 2. Aufzugs vom Rosenkavalier in leuchtendem Fis-Dur, als er nämlich die silberne Rose des Barons Ochs überbringen muss. Nun, diese silberne Rose nebst, um nochmals Hofmannsthal zu bemühen, »nebst einer munifizenten Gratifikation«, diese Rose wird der Herr Oberbürgermeister namens der Stadt Würzburg gleich selbst überreichen. Meine Ehre soll nur diejenige sein, darauf ein Loblied anstimmen zu dürfen. Aber das ist in mancher Hinsicht kein ganz leichtes Unterfangen, denn Klaus Ospald ist jemand, der die Öffentlichkeit nicht sucht, natürlich, als Komponist schon, aber eben nicht als Person – und dem öffentliche Lobreden daher fremd, vielleicht sogar unbehaglich sind. Das Ritual des heutigen Abends verlangt jedoch eine solche Rede, und das Genre erfordert eben öffentliches Lob. Wenn ich dies also hier versuche, dann zwar einigermaßen zögerlich, aber wenigstens ermutigt von dem Umstand, dass es allzu viele solcher öffentlichen Lobreden auf den Komponisten noch nicht gibt. Die ehrenvolle, verdiente Verleihung des Kulturpreises 2017 der Stadt Würzburg allerdings zeigt an, dass die Zeit dafür längst gekommen ist; oder, etwas einfacher ausgerechnet mit den Worten des Parsifal: »Die Zeit ist da.«

Kehren wir nochmals zu Richard Strauss zurück. Paul Hindemith schrieb 1917 über die Alpensinfonie: »lieber [sich] aufhängen, als jemals solche Musik schreiben«. Etwas genauer wurde 1921, im Blick auf dieses Werk, der Musikkritiker Paul Bekker, in einer Passage, die sich Hindemith in seinem Exemplar gleich markant angestrichen hat: »Ich glaube nicht, daß wir von dieser Kunst noch etwas zu hoffen haben, das über die Wirkung des unterhaltenden Spiels hinausreicht.« Klaus Ospald und ich mussten vor einigen Jahren, sanft von dritter Seite dazu gedrängt, einen öffentlichen Disput austragen, über Strauss, insbesondere über die Alpensinfonie. Ich verteidigte das Stück, von dem ich glaube, dass es ein fundamentales, paradigmatisches Werk der heraufziehenden Moderne ist. Ospald störte sich nicht an dem vermeintlich ›Uneigentlichen‹ der Komposition, diesen oft gegen Strauss lancierten, aber eben mehr in Ideologie als in Sachkenntnis gegründeten Vorwurf hat er sich keineswegs zu eigen gemacht. Ihn befremdete vielmehr das Missverhältnis zwischen den aufgebotenen Mitteln und der zweifellos komplizierten Absicht. Dieses Bedenken war und ist keineswegs wohlfeil. Anlässlich einer Aufführung von Bernd Alois Zimmermanns Soldaten unterhielten wir uns über die Partitur. Als wir auf das riesenhafte Orchestervorspiel, das von mir bewunderte Preludio zu sprechen kamen, wiederholte er eine vergleichbare Kritik: Das Stück sei überdeterminiert, das Ausmaß der eingesetzten Mittel gerate in Konflikt mit dem, um was es eigentlich gehe. Dieselben Bedenken brachte übrigens vor Jahrzehnten schon Günter Wand gegen Zimmermanns Oper vor, damals für diese kluge Beobachtung viel gescholten.

Klaus Ospald weiß dabei sehr genau, wovon er spricht. Komponieren ist ihm zunächst einmal Handwerk. Wer je erlebt hat, wie feinsinnig er Tonsätze von Schubert oder Debussy zu betrachten vermag – das schreckliche Unwort der ›Analyse‹ verbietet sich hier –, der kann voller Bewunderung erkennen, wie tief er in das Innerste dieses Handwerks blickt. Dieses genügt sich bei ihm jedoch nicht selbst, sondern es ist stets Mittel zum Zweck. Empfindlich, ja aufbrausend reagiert er deswegen immer dann, wenn es sich bei Musik entweder ausschließlich oder eben auch gar nicht um Handwerk handelt. Ich entsinne mich gut, wie er einmal in eine neuere musikwissenschaftliche Arbeit geblickt hat, die sich, auf vielen hundert Seiten und unter dem Deckmantel der ›Analyse‹, in intensiver, ja erbarmungsloser Partiturbeschreibung erschöpft hat. Ratlos stand er da – und meinte lakonisch: Wozu macht der Autor das? Das sieht man doch alles selbst, wenn man sich die Partitur anschaut.

Diese Geschichte ist symptomatisch für seine Auffassung des Komponierens, die im Handwerk gründet – und sich erst in Werkgestalten Bahn bricht, wenn über dieses Handwerk souverän geboten wird, wenn es sich also im Werk sozusagen aufhebt. Schon die ersten Takte seines im Februar dieses Jahres uraufgeführten Klavierkonzerts verweisen darauf, was das bedeutet. Nach einer kurzen Klarinettenskala – wenn ich ihn provozieren wollte, könnte ich sagen: wie am Beginn der Salome von Strauss – beginnt das Werk mit einer geradezu ätherischen, fast schwärmerischen Auslotung von Klang. Klang aber heißt bei ihm eindeutig: Harmonik. Es war viele Jahrzehnte die Preisgabe der Tonalität auch ein Vorwand für kompositorischen Dilettantismus. Ospald zeigt hier auf eindrückliche Weise, dass sich Tonbeziehungen jenseits der Tonalität und auch jenseits der Serialität anders, aufregend und sinnreich ordnen lassen – und dass sie deswegen nicht etwa einen geringeren Reiz auf den Hörer auszuüben vermögen, im Gegenteil.

Die Partituren von Klaus Ospald sind daher exakt notiert. Sie stellen dabei immense Ansprüche, doch sind diese weder beiläufig noch unrealistisch. Die Werke sind also virtuos, in einem vielleicht traditionellen, aber dennoch alles andere als vordergründigen Sinn. In seinem 2016 uraufgeführten Klarinettenstück a sei, in Berlin entstanden und in Zürich uraufgeführt, wird den sechs Solisten Erhebliches abverlangt – aber eben in präziser Vorstellung von dem, was sie an Klang hervorbringen sollen und wozu das gut sei. In einem Kommentar zu seinem 2004 abgeschlossenen Violinkonzert hat er diese Haltung auf den Punkt gebracht:

»Mit jeder neuen Komposition gilt es, eine ›Hörgestalt‹ zu evozieren, die beim Hören den Komponisten zum Vergessen bringen sollte. Dass wohl seine Denkart sich in das Verknüpfungsverfahren der Töne einwebte, jedoch nur, um diese von innen zu beleuchten.«

Der Gedanke, der Komponist verschwinde gewissermaßen im Inneren der Töne, ist, wer wollte es bestreiten, eine gebrochene Erinnerung an die Romantik, keine, um Schillers Begriffspaar zu bemühen, keine naive, aber doch eine sentimentalische. Kaum zufällig hat sich der Komponist immer wieder mit Jean Paul auseinandergesetzt – und über Jean Paul zugleich mit Robert Schumann. Mit dieser Haltung ist der ungebrochene Glaube an die Geltungsmacht des ›Werkes‹ verbunden, dessen klare Begrenzung, dessen Verallgemeinerbarkeit für den Komponisten niemals zur Disposition stehen.

In einen vergleichbar musikalisch-literarischen Zusammenhang gehört seine Begegnung mit den Dichtungen des italienischen Romantikers Giacomo Leopardi. Es lässt sich hier ohne Übertreibung von einem Schlüsselerlebnis sprechen. Der tiefe, doch elegante Skeptizismus bei Leopardi, seine Melancholie haben Ospald in Bann gezogen, auch, weil es sich dabei gerade nicht um Absolutheitsansprüche des denkenden Geistes, des Weltgeistes handelt. So wurde Leopardi für Ospald zum Bezugspunkt einer ganzen Werkreihe, die der kompositorischen Selbstvergewisserung dient. Die tiefe Hinwendung zum Süden genügt deswegen nicht den gängigen Klischees der deutschen Italien-Fahrer: Ospald sucht im Süden nicht einfach sich selbst, sondern einen produktiven, stimulierenden Widerpart zu seiner eigenen Musik.

Am Beginn dieser Reihe steht die 2006 abgeschlossene zweite Kammersinfonie. Sie trägt eine geschichtstiefe, auf eine große Tradition verweisende Gattungsüberschrift, eben ›Kammersinfonie‹. Dazu tritt jedoch, in kontrastiver Abgrenzung, ein hoch individueller, ein poetischer Untertitel, La ginestra o il fiore del deserto, der Ginster oder die Wüstenblume. Dies ist eines der letzten Werke des so jung gestorbenen Autors, ein siebenstrophiges, überaus pessimistisches, gleichwohl nicht bitteres Gedicht, das zu seinen schwierigsten Texten gehört. Es erklingt im Werk allerdings gar nicht, sondern dort werden, in kontrastiver Allusion zum Titel, einzelne Verse aus dem deutlich früher entstanden Canto notturno vergegenwärtigt. Die zweite Kammersinfonie wird damit zu einem Nachtstück, das Werk reiht sich zugleich ein in die Tradition der großen, dunklen Nachtmusiken, mit Mahlers Siebter Sinfonie an der Spitze.

Die Entwicklung dieses weit aufgefächerten ›poetischen‹ Komponierens mag ein Wesenszug Klaus Ospalds sein. Noch weiter geht in dieser Hinsicht das große, über 20-minütige Orchesterstück Sovente in queste rive, das an der fünften Stelle des Leopardi-Zyklus steht und sich wiederum auf La ginestra bezieht. Tatsächlich wird die Sprache hier aber gar nicht mehr unmittelbar gegenwärtig, es handelt sich um ein reines Instrumentalwerk, mit der ahnungsvollen Zitation eines einzigen Leopardi-Verses im Titel. Und auch hier schält sich das Stück gleichsam aus einem Unisono hervor, es entfaltet sich gleichsam aus Bruchstücken heraus, wie ein Resonanzraum der Dichtung.

Wohl kaum eine Vokabel im Umgang mit zeitgenössischer Musik ist in den letzten Jahrzehnten so verschlissen und verbraucht worden wie die des Unangepassten. Der Betrieb war und ist geradezu vernarrt in die Konvention des Unkonventionellen, in den Konformismus des Nonkonformismus. Dieser Missstand, selbst in der Intendanz der Salzburger Festspiele ist unentwegt vom Nonkonformismus die Rede, fällt besonders dann ins Gewicht, wenn die mit ihm verbundene Begrifflichkeit ausnahmsweise zutrifft. Klaus Ospald ist nämlich tatsächlich ein Unangepasster. Es gibt nur wenige...

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