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E-Book

Musik, Meditation und Mittelmeerdiät (Wissen & Leben)

Miniaturen zu Geist, Gehirn und Gesundheit

AutorManfred Spitzer
VerlagSchattauer
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl275 Seiten
ISBN9783608191592
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
- Wie Glück neurowissenschaftlich gelingt: 18 neue Miniaturen des bekannten Wissenschaftlers und Bestsellerautors - Unterhaltsam zu lesen: Was Sie schon immer über Sex an Weihnachten, die Mittelmeerdiät und Schlipsträger wissen wollten ... einträchtig Seite an Seite im selben Buch. Der Arzt, Neurowissenschaftler und Bestsellerautor Manfred Spitzer stellt Ihnen spannende neurowissenschaftliche und psychologische Fragen und ihre faszinierenden Antworten vor. Wie untersucht man meditierende Mäuse und was erfährt man dadurch über Neuroplastizität? Warum gibt es eigentlich Musik und was hat Darwin dazu zu sagen? Sind Schlipsträger kognitiv beeinträchtigt? Was haben Parasiten und Kapitalismus miteinander zu tun - rein biologisch betrachtet? Paläo- oder Mittelmeer- Diät, Zimtsterne oder doch lieber Sex an Weihnachten? Fragen über Fragen! 18 kurzweilige Essays geben Einblicke in die breit gefächerte Welt von Geist und Gehirn und nehmen Sie mit auf spannende Reisen - ins Grüne, ins Blaue und gelegentlich auch nach Qatar. Dieses Buch richtet sich an Alle Neurogierigen, die sich für ihr Gehirn und seine Funktionen interessieren ebenso wie für die eigene Psyche und die ihrer Mitmenschen

Manfred Spitzer, Prof. Dr. Dr. Lehrstuhl für Psychiatrie der Universität Ulm, ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm. Herausgeber des psychiatrischen Anteils der Zeitschrift Nervenheilkunde; seit Frühjahr 2004 leitet er zudem das von ihm gegründete Transferzentrum für Neurowissenschaft und Lernen in Ulm und moderiert eine wöchentlich in BR-alpha ausgestrahlte Fernsehserien zum Thema Geist und Gehirn.

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Leseprobe

1 Pfadfinder, Wandervögel und seelische Gesundheit


Plädoyer für eine (fast) vergessene Erlebnispädagogik

Pfadfinder und Wandervögel gibt es seit über 100 Jahren. Kein Wunder also, dass sie »in die Jahre gekommen sind«, wie man so sagt, erscheinen sie doch heute Vielen als Relikt aus einer längst vergangenen Zeit.

Und in der Tat: Liest man das Buch des Begründers der Pfadfinderbewegung, des britischen Generals Robert Baden-Powell (1857 – 1941), so ist man über die – heute würden wir sagen – paramilitärische Diktion erstaunt, vielleicht sogar entsetzt (▶ Abb. 1-1). Aber es waren ja auch andere Zeiten und Baden-Powell war nicht nur ein erfolgreicher Militär, sondern auch ein sehr guter Diplomat, und viele seiner im Buch diskutierten »Fallbeispiele« sind Zeugnisse von Weisheit und Menschenkenntnis (und nicht von aggressivem Waffengeklapper).

Abb. 1-1 Portrait Robert Baden-Powells. Reproduktion eines Ausschnitts vom Cover der Biografie von Tim Jeal aus dem Jahr 1989 (links); Cover eines Nachdrucks der 1908 erschienenen Originalausgabe seines Buchs Scouting for Boys (rechts). © Foto eines Exemplars im Besitz des Autors.

Schon während seiner Militärzeit schrieb Baden-Powell Bücher über das Beobachten und Auskundschaften, zunächst für das Militär, dann auch für männliche Jugendliche. In einer ziemlich ausweglosen militärischen Situation der Belagerung hatte er diese für »Hilfsdienste« eingesetzt und war von Können, Mut und Begeisterungsfähigkeit der jungen Menschen überrascht. Ausgehend von diesen Erfahrungen im zweiten Burenkrieg begann er über sinnvolle zivile Aktivitäten von jungen Menschen nachzudenken, wobei mehr gemeint ist als nur die Spurensuche (daher der Name »Pfad-Finder«, engl.: »Boy Scout«), nämlich z. B. auch:

  • die genaue Beobachtung, Erkennung und Einordnung von Naturphänomenen (Pflanzen, Tiere, deren Spuren  oder Laute; Vogelstimmen, praktische Geometrie, Meteorologie und Astronomie),

  • das (Über-)Leben in der freien Natur,

  • praktische Fähigkeiten und Fertigkeiten (vom Zähneputzen, dem Verknoten von Seilen oder Herstellen von Knöpfen aus Schnürsenkeln über den Umgang mit Tieren, das Bauen einer Hütte bis zum Errichten einer Hängebrücke),

  • körperliche Ertüchtigung,

  • Höflichkeit sowie vor allem

  • Bedürftigen zu helfen – bis hin zur Ersten Hilfe, künstlicher Beatmung oder dem Lagern und Transportieren von Verletzten ( Abb. 1-2).

Ein Zufall wollte es, dass Baden-Powell im Jahr 1907 auf der kleinen britischen Insel Brownsea (wenige Kilometer westlich vom Seebad Bournemouth gelegen) ein Lager mit 21 Jungen durchführte, um seine Ideen zur »naturnahen Erlebnispädagogik« (und wieder: erst heute nennen wir das so!) in der Praxis einmal auszuprobieren. Der Morgen nach der ersten Nacht am Lagerfeuer, der 1. August 1907, gilt seither als Beginn der Pfadfinderbewegung. Diese breitete sich in der Folge weltweit sehr rasch aus, und hatte kurze Zeit später schon tausende Mitglieder in vielen europäischen Ländern, einschließlich Deutschlands.

Abb. 1-2 Zeichnungen von Baden-Powell aus seinem »Pfadfinder-Handbuch«, die das breite Spektrum der Aktivitäten zeigen.

Etwas früher als die Pfadfinder war in Deutschland bereits eine andere Bewegung von Schülern und Studenten entstanden, die den Namen Wandervogel trägt (▶ Abb. 1-3). Hierbei ging es um das Erleben von Natur und das Leben in der freien Natur. Diese hatte einerseits durch die Industrialisierung der Gesellschaft im 19. Jahrhundert als Lebensraum an Bedeutung verloren, wurde jedoch zunehmend verklärt – angeregt durch Ideale der Aufklärung und der Romantik. Konkret begannen im Jahr 1896 in Berlin-Steglitz der damalige Student Hermann Hoffmann und der Schüler Karl Fischer im kleinen Kreise mit anderen begeisterten Wanderern, gemeinsame Fahrten und Wanderungen zu organisieren, woraus am 4. November 1901 die Gründung des Vereins Wandervogel – Ausschuß für Schülerfahrten e. V. resultierte.

Abb. 1-3 Gedenkstein der Wandervogelbewegung im Stadtpark Steglitz, Berlin, im Parkteil zwischen der Sedan- und Klingsorstraße und Emblem der Wandervogelbewegung – der Wandervogelgreif (oben rechts, gemeinfrei).

Die Wandervogelbewegung war damit der Beginn dessen, was man nach dem Ersten Weltkrieg »Jugendbewegung« nannte. Sie spielte im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts (bis 1933) für andere Entwicklungen wie die Reformpädagogik, die Freikörperkultur und die sogenannte Lebensreformbewegung2, eine wichtige Rolle.

Die Wandervogelbewegung breitete sich innerhalb weniger Jahre über den ganzen deutschsprachigen Raum aus3 und war zunächst völlig unpolitisch, wie zeitgenössische Beschreibungen der Anhänger der Bewegung sehr deutlich vor Augen führen: »Der Wandervogel von echtem romantischem Blute, [. . .] Ein brauner dreckiger Kerl mit einem Schlapphut, ein paar grün-rotgoldenen Bändern irgendwo, den Rucksack auf dem Buckel, draußen einen rußigen Kochtopf und auf der Schulter eine Guitarre« (Wolf Meyen, zit. nach Blüher 1913/1963, S. 50).

Apropos Gitarre, also »Zupfgeige«: Der Heidelberger Medizinstudent und spätere Arzt Hans Breuer gab im Jahr 1909 die Volksliedersammlung mit dem Namen Zupfgeigenhansl heraus, die traditionelle Volkslieder, Studentenlieder und vieles mehr nach Themen geordnet enthielt – zum gemeinsamen Singen auf den Wanderungen. Diese anlässlich ihres 100. Geburtstags als »Neue Deutsche Welle der Kaiserzeit« (Wetzel 2009) bezeichnete Liedersammlung erreichte eine Gesamtauflage von über einer Million Exemplaren und gilt als das wichtigste deutsche Liederbuch des 20. Jahrhunderts.

Im Grunde genommen gab es vor gut einem Jahrhundert weder den Wandervogel noch die Wandervogelbewegung, sondern unzählige kleine wandernde Gruppierungen mit unterschiedlichen Gedanken und Interessen. »Umstritten waren beispielsweise Fragen der Mädchenbeteiligung und der Alkoholabstinenz«4, später kamen noch Auseinandersetzungen um homoerotische Vereinsmitglieder hinzu (Wikipedia 2016). Bereits im Jahr 1904 wurde der erste Verein – nach nur drei Jahren – wieder aufgelöst und zwei neue gegründet. Trotz weiterer Abspaltungen, Neugründungen, Zusammenschlüssen, Übernahmen etc. nahm die Bewegung insgesamt bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs an Bedeutung (und vor allem an Teilnehmern!) zu.

Den motivationalen Hintergrund (so reden wir heute) der Bewegung beschrieb Ernst Buske im Jahr 1920 wie folgt (das längere Zitat sei erlaubt, werden doch die der Bewegung zugrunde liegenden Ideen und Gefühle sehr eindrücklich beschrieben): »Wen es jahraus, jahrein, Sonntag für Sonntag und in den Ferien auch für mehrere Wochen aus Unnatur und Zwang, aus Hast und Gier des lebenstötenden Stadtgetriebes hinaus in die ewigjunge, spannungsauslösende Natur getrieben hat, wer durch das geheimnisvolle Weben eines Sommermorgens im steilen Walddom geschritten ist, wer über blühende Heide bei totenstiller Mittagszeit durch flimmernde Sonnenstäubchen wanderte, wer auf ragender Bergeshöhe oder am rauschenden Meer oder auf stiller Schneehalde die Sonne sinken sah, wer aus dumpfem Gemäuer verfallener Burgen zum sternenübersähten Nachthimmel aufschaute, wer, wenn das Sonnwendfeuer allmählich verglommen, über den Bergen das Frührot aufsteigen sah – wer so sich selbst als Teil der Natur und die Natur als Teil seines Selbst fühlt, der ist nicht mehr wurzellos wie der Städter, seine Wurzeln senken sich tief hinein in das Land, das er durchwandert, und er umfasst die Heimat mit seiner ganzen Liebe.«

Interessant ist, dass der Autor dieses intensive Naturerleben – ganz im Sinne von Immanuel Kants Kritik der Praktischen Vernunft5 – mit der Ausbildung einer prosozialen...

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