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Mythos Snuff und Entmystifizierung

AutorChristian Schneider
VerlagBachelor + Master Publishing
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl49 Seiten
ISBN9783956846359
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Snuff. Selbst das Wort löst Unbehagen aus. Der Gedanke an die Ermordung eines Menschen vor laufender Kamera als narrativem Element scheint verstörend. Das Konzept ist leicht nachvollziehbar und verständlich, während ihm zugleich aus ethisch-moralischer Sicht etwas abgrundtief Böses zu Grunde liegt: Das Töten eines Menschen zu Entertainmentzwecken. Es provoziert selbst in der Vorstellung starke Reaktionen und Assoziationen, die eine Analyse des Phänomens vermeintlich überflüssig machen. Snuff scheint vordergründig ein völlig isoliertes Filmgenre und Phänomen zu sein, ein Mythos, der höchstens die Frage aufwirft: Wer möchte so etwas überhaupt sehen? Das vorliegende Buch bietet den Ansatz einer medienkulturellen und medienpsychologischen Metaanalyse des Mythos Snuff von seiner Entstehung bis heute. Der Snuff-Mythos wirft die Frage über den Nutzen der Entstehung und Diffusion von Mythen auf. Zugleich stellt sich die Frage, warum der gewaltsame Tod in medialen Unterhaltungs- und Informationsangeboten so gut funktioniert und welche Rollen Realismus und Authentizität spielen. Zuletzt ist die Entwicklung von Snuff unbedingt auch im Kontext der Massenmedien und Medientechnik zu analysieren.

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Leseprobe
Textprobe: Kapitel 3, Echtheit als Spektakel und das Verlangen danach: Hollywood-Spezialeffekte bieten ihren Rezipienten spektakuläre Bilder und Simulationen, welche die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf Grund der unglaublich aussehenden Realität auf sich ziehen. Sie können sowohl unglaublich als auch real sein, während ihre Beliebtheit in dem Maße davon abhängt, in dem sie es schaffen, ihr Publikum zu überzeugen. An einem anderen Ende des Spektrums audio-visueller Medien bietet sogenanntes Reality-TV die vermeintlich echte Realität als Spektakel an. Geoff King erwähnt in der Einleitung zum Buch The Spectacle of the Real von 2005 exemplarisch sowohl die Banalität täglicher, durchaus heftiger, interpersonaler Beziehungen (zum Beispiel Big Brother), als auch das seiner Meinung nach ultimative 'spectacle of the real', nämlich die Zerstörung des World Trade Centers in New York und die dazugehörige Live-Berichterstattung, welche beim Publikum eine ständige Assoziation mit fiktiven Kinobildern bewirkten. Eindrücke des Echten, des Authentischen oder des scheinbar Authentischen sind als grundlegendes Konzept neben den bereits genannten in einer Reihe audiovisueller Medienangebote zu finden. Natürlich gibt es die Idee der Tötung zu Unterhaltungszwecken nicht erst seit der Erfindung der bewegten Bilder. Gewaltdarstellungen in Medien datieren bis circa 2000 vor Christus zurück48 und Snuff (1976) ist auch nicht der erste Film, der den (vermeintlich) echten Tod vor der Kamera zu Entertainmentzwecken instrumentalisiert. Es steht außer Frage, dass es einen enormen Bedarf an Echtheit bezüglich drastischer Darstellungen in medialen Angeboten gibt. Gründe dafür können je nach Rezipient ein Informationsbedürfnis, ein Unterhaltungsbedürfnis, soziale Vergleichssituationen oder auch reine Sensationslust sein. 3.1, Real(istisch)er Horror: Zweifelsohne ist der Death Film eine der extremsten Formen des Untergrundkinos. Bis ins 21. Jahrhundert übte nonfiktionales Bildmaterial von Hinrichtungen, Attentaten und rituellen Opferungen, wie sie in Mondo Cane49 oder später auch in Faces of Death (1978) gezeigt werden, eine Faszination auf eine kleine Fangemeinde aus. In Spielfilmlänge präsentieren diese Titel ihrem Publikum eine Melange exotischer Schauplätze und erstaunlicher Geschehnisse. Der größte Vorwurf an das Mondo-Genre dabei besteht darin, dass die Filmemacher die Ereignisse oftmals nicht dokumentieren, sondern sie manipulieren oder sie erst für die Kamera geschehen lassen. Unter dem Deckmantel eines Informationsauftrags wird vorsätzlich fehlinformiert, wobei die eigentliche Intention eines Films, der Grund, warum er existiert und auch der Grund, warum viele der gezeigten Dinge überhaupt geschehen, die ist, sein Publikum zu schockieren. Ohne Zweifel hat diese Art der medialen Präsentation und Pseudodokumentation mit der Zeit auch im Fernsehen Erfolg und ist dort nicht mehr wegzudenken. Der Hauptgrund, warum ''real life' death films' traditionell ein Untergrund-Subgenre darstellen, ist das inoffizielle Verbot, das gesellschaftliche Tabu visueller Aufnahmen des echten Todes und im Besonderen des gewaltsamen echten Todes. Daraus resultierend empfand die Filmindustrie es nicht nur als notwendig, sondern auch als gewinnbringend, eine Reihe von Konventionen zur Darstellung des Verlusts von Leben zu entwickeln. Dies ist ursprünglich nicht immer der Fall gewesen. In den Anfangstagen des Kinos sind echte Todesszenen in Filmen ebenso wahrscheinlich wie deren Simulation. Als Beispiel dient der Film der Exekution des Anarchisten und Präsidentenattentäters Leon Czolgosz 1901. Diese Befriedigung einer Schaulust findet zu einer Zeit statt, in der das Kino noch als ein neues Medium des Schocks, der Spannung und der Stimulation bekannt ist. Als die sogenannten 'spectacle films' sich nach und nach vom dokumentarischen Produktionsansatz echter Ereignisse in eine Form fiktionaler Unterhaltung entwickeln, wird auch die Simulation von Gewalt zur Norm, während die Idee der tatsächlichen Aufnahme des gewaltsamen Todes zu Unterhaltungszwecken im Untergrund verschwindet. Selbst in den Vereinigten Staaten, wo die Todesstrafe noch eine große Rolle spielt, sind öffentliche Hinrichtungen seit 1937 nicht mehr das Spektakel zur Befriedigung der Massen. Das Publikum muss sich zur Satisfaktion gewisser Bedürfnisse mit Film, Fernsehen und Videospielen begnügen, die sich dementsprechend um einen höchstmöglichen Realismus (im Gegensatz zu Realität) in der Gewaltdarstellung bemühen. Diese Art der Simulation im Zusammenhang mit der Werkkategorie Spielfilm fällt speziell im Horrorgenre auf fruchtbaren Boden; zu Anfang noch im expressionistischen Horrorfilm, später in der zunehmend realistischen Repräsentation von Serienmördern und anderen äußerlich normal scheinenden Soziopathen, deren Geschichten oft auf real existierenden Individuen basieren. Der erfolglose Versuch des Oklahoma City Bombers, Timothy McVeigh, seine Exekution 2001 im nationalen US-Fernsehen übertragen zu lassen, ist im Grunde genommen ein Versuch, die Praktik der öffentlichen Hinrichtung ins Zeitalter der Massenmedien zu übertragen. Interessanterweise war es im Ansatz allerdings McVeighs Wunsch, dass sein Tod über die Massenmedien kommuniziert werden sollte und nicht der des Publikums. Er wusste, dass er sterben würde und wäre zum Star und Regisseur seines eigenen Death-Films geworden. Dieser ausgelebte Narzissmus (oder der Versuch dessen), ermöglicht durch die Entwicklung der Produktionsmöglichkeiten und Verbreitungsmedien, ist ein Beispiel für eine langsame Verlagerung der Produktions-, Repräsentations-, und Rezeptionsinteressen. Es war ein Versuch, das Echte an Stelle einer Simulation zu zeigen, aber selbst wenn solche Hinrichtungen sichtbar für ein Massenpublikum wären, würde diese ultimative Art des Reality-TV unter Umständen ähnlich gestellt und künstlich rezipiert werden wie andere sogenannte Reality-Formate. Der Grund dafür, dass diese echten Tötungen womöglich nicht ihre volle emotionsevozierende Wirkung entfalten können, liegt darin, dass sie im betreffenden Kontext immer erwartet werden. Ein Überraschungsmoment fehlt völlig. Horrorfilme hingegen enthalten zwar Schockmomente, sind aber nur Simulationen. Dennoch sind beide medialen Darbietungen in der Lage, Emotionen zu erzeugen. Das volle Schockpotential entfaltet sich am ehesten, wenn der echte Tod überraschend eintritt; das Kennedy-Attentat (1963) und das Space-Shuttle Unglück (1986) seien an dieser Stelle exemplarisch genannt. Das Kennedy-Attentat stellt in diesem Zusammenhang mit Sicherheit einen Höhepunkt dar, weil hier eine bekannte Person von einem anderen Menschen sichtbar vor laufender Kamera erschossen wird. Wenn dieser Schock der Realität also nicht bei Liveübertragungen oder auf Videoaufnahmen zu finden ist oder immer in gewisser Weise eine gefälschte Erfahrung darstellt, wo ist er dann zu finden? Unter Umständen sind also kommerzielle, aber fiktive Medienprodukte, die alle Kodierungen der Narration und des Spektakels nutzen und dabei Sequenzen echter Gewalt inkludieren in der Emotionsinduktion am effizientesten. Es ist also nicht verwunderlich, dass eine Reihe kommerzieller Filmemacher die Idee der Inklusion authentischer oder vermeintlich authentischer Aufnahmen des gewaltsamen Todes in ihren Werken verwirklichen.
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