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Nanna: Über das Seelenleben der Pflanzen

Die Nervenfrage + Teleologische Gründe + Charakter der Pflanzen + Pflanzen-Tod und -Leid + Die Freiheitsfrage + Stellung der Pflanze zum Tiere (Philosophische Schriften)

AutorGustav Theodor Fechner
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl246 Seiten
ISBN9788026844266
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis1,99 EUR
Dieses eBook: 'Nanna: Über das Seelenleben der Pflanzen' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Gustav Theodor Fechner (1801-1887) war ein deutscher Psychologe, Physiker und Natur-Philosoph. Fechner vertrat in späten Jahren eine Theorie von der Allbeseelung des Universums und ist somit einer der wichtigsten Vertreter einer panpsychistischen Weltanschauung. Inhalt: Stellung der Aufgabe Allgemeiner Angriff der Aufgabe Die Nervenfrage Teleologische Gründe Charakter der Pflanzen Pflanzen-Tod und -Leid Die Freiheitsfrage Wachstum, Winden, Biegen, Drehen der Pflanzen Reizbewegungen der Pflanzen Teleologische Gegengründe Beispiele aus der Teleologie der Pflanzenwelt Stellung der Pflanze zum Tiere Einheit und Zentralisation des Pflanzenorganismus Näheres über die Konstitution der Pflanzenseele Vergleiche, Schemata Farben und Düfte Resumé Noch einige gelegentliche Gedanken

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Leseprobe

II. Allgemeiner Angriff der Aufgabe.



Gewöhnlich verneint man eine ähnliche psychische Konstitution der Pflanzen wie der Menschen und Tiere schlechthin, weil man die physische Organisation und Lebensäußerungen der ersteren denen der letzteren nicht analog genug findet. Und in der Tat ist die Analogie des Physischen das Einzige, was uns zum Schluß auf anderes als das eigene Psychische zu Gebote steht, da es eine Eigentümlichkeit jeder Seele ist, einer anderen als sich selbst nur durch äußere oder physische Zeichen erkennbar werden zu können, zu deren Deutung uns in letzter Instanz gar nichts anderes als die Analogie mit dem, woran wir unsere eigene Seele geknüpft finden, geboten ist. Sogar allgemeine philosophische Betrachtungen, durch welche man versuchen möchte, diesen Gegenstand zu erledigen, werden doch immer auf dieser Analogie fußen müssen; da, wenn man auch a priori den Pflanzen eine gewisse Bedeutung und Stellung im Weltorganismus anweisen wollte, man doch eben nur aus ihrem sichtbaren, äußeren Verhalten schließen könnte, ob eben sie es sind, welche dieser Bedeutung entsprechen, die verlangten Glieder im Weltorganismus darstellen.

Schließe ich doch darauf, daß du Seele hast wie ich, nur daraus, daß du analog aussiehst wie ich, dich äußerlich analog behabst, sprichst usw., aus Gestalt, Bau, Farbe, Bewegung, Ton, lauter physischen Zeichen; was kann ich von deiner Seele unmittelbar sehen? Ich lege sie nur in all das hinein; ganz unwillkürlich freilich; doch bleibt es immer etwas Hineingelegtes. Die Tiere sehen uns zwar schon anders aus als Menschen, doch bewegen sie sich, nähren sich, pflanzen sich fort, schreien noch ähnlich wie wir bei ähnlichen Veranlassungen, tun, wenn auch nicht alle all dies, doch mehreres von diesem. Demgemäß erkennen wir ihnen auch noch eine ähnliche Seele zu; ziehen bloß die Vernunft ab in Betracht der doch stattfindenden Unterschiede. Aber bei den Pflanzen ziehen wir auf einmal die ganze Seele ab; und, wenn wir recht haben es zu tun, wird sich dies Recht eben auch bloß darauf gründen können, daß sie uns und den uns analogen Tieren zu unähnlich gebaut sind, sich zu unähnlich behaben.

Freilich, wenn man Analogie hierbei verlangt und verlangen muß, um Seele zu finden, so kann man sie doch nicht in allen Stücken und unbeschränkt verlangen. Sonst würde ich jeden Menschen, der irgendwie anders aussieht und sich benimmt als ich, schon berechtigt sein, für unbeseelt zu halten. Er ist aber bloß anders beseelt als ich. Wie unähnlich ist mir in den meisten Stücken der Wurm, wie anders benimmt er sich; doch halte ich auch diesen noch für beseelt, nur für anders beseelt als mich. Es wird also darauf ankommen, ob die Pflanzen auch die wesentlichen Zeichen der Beseelung nicht vermissen lassen, uns und den Tieren in betreff dieser noch analog sind? Aber welches sind diese wesentlichen Zeichen? Welches der entscheidende Umstand, der im Übergange vom Tierreiche zum Pflanzenreiche auf einmal einen Sprung vom Beseeltsein zum Unbeseeltsein machen oder auch eins sich in das andere verlaufen läßt?

Ich glaube, man hat es sich bequem gemacht und dies noch niemals genügend erörtert. Denn was in dieser Beziehung vorgebracht worden, scheint mir doch viel mehr den Sinn zu haben, die einmal vorgefaßte Ansicht zu rechtfertigen, als ihr Recht auch recht zu prüfen. Man überläßt sich im allgemeinen dem scheinbar entscheidenden Eindruck des Augenscheins, der freilich keine Seele in den Pflanzen finden läßt, da er überhaupt keine finden lassen kann. Auf solche Weise aber ist die Sonne lange um die Erde herumgegangen, der unmittelbare Augenschein lehrte es ja, wer konnte an dem zweifeln, was jeder sah; doch geht jetzt vielmehr die Erde um die Sonne herum, nachdem man sich erst entschlossen, den Standpunkt in Gedanken zu wechseln. Nun eben so käme es vielleicht auch nur darauf an, unsern Standpunkt geistig zu wechseln, um die Seele der Pflanzen auf ihrem innerlichen Standpunkte zu gewahren; die uns auf unserem äußerlichen entgeht. Aber nichts schwerer, als den Menschen zu vermögen, sich einmal ganz aus sich selbst in eine andere Stelle zu versetzen, und nicht eben sich, sondern das, was dieser Stelle gebührt, auch da zu suchen. Da wo er sich nicht wieder findet, glaubt er nichts zu finden.

Jedenfalls können wir deshalb, weil niemand nach dem Beweise der Seelenlosigkeit der Pflanzen gründlich fragt, sie noch nicht für gründlich bewiesen halten. Im Versuche aber, unsere Vorstellungen triftig hierüber zu gestalten, werden wir uns vor allem zwei Dinge recht zu Gemüte zu führen haben, welche die gewöhnliche Betrachtung freilich ganz vergißt, hierdurch aber sich auch ganz der Befangenheit preisgibt: erstens, wie daraus, daß wir von der Seele der Pflanzen auch nicht das Allergeringste unmittelbar wahrnehmen, doch noch nicht das Allergeringste gegen eine Seele derselben folgt, weil dann ganz ebensoviel gegen die Seele meines Bruders und jedes anderen Wesens als meiner selbst daraus folgen würde: und zweitens, daß, wenn Pflanzen so viel anders aussehen und sich behaben als Menschen und Tiere, schon Menschen und Tiere so verschieden untereinander aussehen und sich behaben, daß man nicht nur fragen kann, sondern auch muß, ob diese Verschiedenheit nicht unbeschadet der Beseelung noch weiter gehen kann.

Und in der Tat, um die Ansicht, deren Begründung die Aufgabe des Folgenden ist, gleich vorweg auszusprechen, scheint mir bei näherer Betrachtung alles das, was man füglich als wesentlich zum Ausdruck der Beseelung fordern könnte, bei Pflanzen sich noch ebensowohl als bei Tieren vorzufinden; alle Verschiedenheit zwischen beiden in Bau und Lebens-Erscheinungen aber nur geeignet, sie ersteren auf ein ganz anderes, das Tierreich ergänzendes Gebiet der Beseelung, nicht aber über das allgemeine Gebiet der Beseelung hinaus zu rücken. Und wenn manche die Seelen der Pflanzen leugnen, weil sie nicht wissen, was sie damit anfangen sollen, so würde ich sie fordern, weil mir sonst eine große unausgefüllte Lücke in der Natur zu bleiben schiene.

Ist doch, um erst oberflächlich auf einige Hauptpunkte einzugehen, die Pflanze noch ganz so gut organisiert, und zwar nach einem ganz so in sich einigen Plane, einer so in sich einigen Idee, organisiert wie das Tier, nur nach einem ganz anders gearteten Plane organisiert; wagt man doch nicht einmal, der Pflanze Leben abzusprechen, warum spricht man ihr nun doch Seele ab, da es so viel näher läge, auf dieser gemeinschaftlichen Basis des Lebens dem anderen Plane der leiblichen Organisation auch nur einen andern Plan der Seelenorganisation zugehörig zu denken. Was hat zuletzt der Begriff eines Lebens ohne Seele für Sinn? Wenn uns die modernde Pflanze tot scheint, was unterscheidet denn eben die lebende von ihr? Ist es bloß eine andere Art toten Prozesses, ihr Wachsen und Blühen, als ihr Vermodern? Ist nicht der Gegensatz zwischen lebender und toter Pflanze ganz ähnlich dem zwischen lebenden und toten Tiere? Doch soll die Bedeutung dieses Gegensatzes so himmelweit verschieden sein: der Prozeß der lebenden Pflanze eine seelenleere Verwickelung gegenüber dem gleich seelenleeren Zerfallen im Vermodern; der Prozeß des lebenden Tieres auf einmal eine seelenvolle Verwickelung gegenüber dem leeren Zerfallen. Und doch ist die Verwickelung im Bau und den Prozessen von Tier und Pflanze so ganz analog. Selbst der Grundbau aus Zellen ist in beiden ganz analog eingehalten, die Zellen nur in beiden anders gefügt, gruppiert, gestreckt, ineinander geschmolzen, wie sie aber schon in jedem anderen Tiere, jeder anderen Pflanze für sich anders sind; auch die Entstehungsweise des ganzen Zellengebäudes aus einer einfachen Urzelle durch einen ähnlichen merkwürdigen Prozeß der Zellen-Mehrung ist in beiden ganz analog; ja welcher Naturforscher weiß nicht, daß ein Same und ein Ei nur zwei verschiedene Formen derselben Sache sind; auch die Art sich fortzupflanzen ist so analog in beiden1, daß Linné sogar das ganze System der Pflanzen auf die Analogie ihres Geschlechtsverhältnisses gründen konnte; auch ein Spiel von Kräften, das bisher noch jeder Berechnung nach den Lehrsätzen unserer Physik und Chemie spottete, findet sich in beiden ganz analog wieder.

"Der Nahrungsstoff steigt in den lebenden Gewächsen mit Kraft in die Höhe, und sein Aufsteigen kann man keineswegs mit dem langsamen und stufenweisen Aussaugen der Flüssigkeiten in dem abgestorbenen Pflanzengewebe vergleichen. Das Licht übt sowohl auf das Aufsteigen des Nahrungssaftes, als auf die Menge des durch die lebenden Blätter verdunsteten Wassers einen bedeutenden Einfluß aus und scheint hingegen auf die nämlichen Organe nach ihrem Tode gar nicht einzuwirken; lebend zersetzen die Blätter mit Hilfe des Lichts das kohlensaure Gas, tot verändern sie es gar nicht. Die chemischen Verwandlungen, die während des Lebens im Pflanzengewebe vorgehen, sind ganz anderer Art als diejenigen, welche an abgestorbenen Gewächsen durch äußere Potenzen hervorgebracht werden; oft sind letztere geradezu das Gegenteil von ersteren. Die Entwicklung in die Länge und Breite, der Orgasmus, welcher der Befruchtung vorangeht, und das Erwachen des tätigen Lebens im Embryo, der im Samen gleichsam schlief, sind ebensoviele Erscheinungen, die von keiner einzigen rein physikalischen Ursache abgeleitet werden können, und die wir, teils durch die Analogie mit dem Tierreiche, teils unmittelbar durch die Betrachtung der Gewächse belehrt, nur zur vitalen Exzitabilität rechnen dürfen." (DecandolIe, Pflanzen-Physiologie I. S. 19.)

Doch soll das, was so ganz analog in den allgemeinsten Erscheinungen des Baues, Lebens und Webens ist, so ganz unanalog sein in dem Allgemeinsten, wofür wir die Zeichen...

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