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E-Book

Napoleon

Eine Biographie

AutorJohannes Willms
VerlagPantheon
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl848 Seiten
ISBN9783641216931
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Die erste große Napoleon-Biographie eines deutschen Autors seit hundert Jahren.
Johannes Willms erzählt die faszinierende Lebensgeschichte Napoleons (1769-1821) - eines Mannes, der von ganz unten kam und zum Herrscher über den europäischen Kontinent aufstieg. Karriere, Größenwahn und Niedergang des Korsen beschreibt der bekannte Historiker und Journalist mit souveräner Quellenkenntnis und einer Fülle von Anekdoten. Sein Buch schildert jedoch nicht nur ein atemberaubendes Leben, sondern entfaltet zugleich das Panorama eines turbulenten Zeitalters, dem Napoleon seinen Namen gab.


Johannes Willms ist Historiker und Kulturkorrespondent der 'Süddeutschen Zeitung' in Paris. Er hat viel beachtete Werke zur deutschen und französischen Geschichte vorgelegt, darunter 'Nationalismus ohne Nation. Deutsche Geschichte 1789-1914' und 'Paris. Hauptstadt Europas 1800-1914'.

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Leseprobe

ZWEITES KAPITEL


DER OPPORTUNIST


Als Napoleon nach der Flucht aus Korsika am 13. Juni 1793 mit den Seinen im Hafen von Toulon anlangte, hing ihm der Clan wie ein Mühlstein um den Hals. Zuvor war die Rolle des Ernährers und Clan-Chefs ein Anspruch gewesen, der seine korsischen Ambitionen zusätzlich angestachelt hatte. Jetzt wurde dieser Anspruch zu einer Notwendigkeit, der er genügen musste: In gewisser Weise war er zum Gefangenen seines Clans geworden. Das Wohl und Wehe der Familie beeinflusste sein künftiges Handeln allein schon deshalb, weil sein Ehrgeiz sie um eine zwar bescheidene, aber auskömmliche Existenz gebracht hatte. Es ist durchaus vorstellbar, dass die Mutter, eine noch junge und attraktive Witwe, eine zweite Ehe eingegangen wäre. Ganz gewiss aber hätte sich der phlegmatische Joseph ohne Napoleons Beispiel, seine Ratschläge und Ermahnungen, nicht in die Politik verirrt, sondern als kleiner Advokat in einem korsischen Städtchen korsische Prozesse geführt; ohne die verführerische Macht, die Napoleons Reden und Tun ausstrahlte, hätte der talentierte Lucien nie das Beispiel vor Augen gehabt, dem er mit einer Hingabe nacheiferte, die ihm irgendwann keine andere Wahl mehr ließ, als mit dem Bruder zu brechen, ehe dieser seine Persönlichkeit zerstörte.

So befand sich Napoleon bei der Ankunft in Toulon in einer prekären Lage. Ein Schwächerer wäre daran leicht verzweifelt oder weiter geflüchtet, um wenigstens die Illusion eines eigenen Lebens zu retten. Lucien sollte sich später daran erinnern, dass Napoleon im Winter 1792/93 häufig davon sprach, in englische Dienste zu treten und nach Indien zu gehen,1 aber das waren nur Täumereien. Seine Zukunft hieß jetzt Frankreich, und der große Umbruch der Revolution war seine Chance. Es war eine Ironie des Schicksals, dass sein korsischer Traum in dem Moment zusammenbrach, als sich die Revolution mit der grande terreur im Juli 1793 radikalisierte. Die jakobinische Schreckensherrschaft des Konvents und die Diktatur des von Robespierre beherrschten Wohlfahrtsausschusses begannen und mit ihr die brutale Eliminierung der alten Eliten.2 Das machte die Bahn frei für eine Fülle neuer Talente, die mit skrupellosem Opportunismus die Gelegenheit, die sich ihnen bot, erkannten und entschlossen zupackten. Napoleon hatte alles verloren, seine Illusionen, seine Heimat und sein Erbe; nun war er dazu verdammt, zu gewinnen oder unterzugehen.

Zunächst ließ sich alles wenig vielversprechend an. Nachdem er die Familie in einer ärmlichen Behausung in La Valette, einem Vorort von Toulon, untergebracht hatte, machte sich Napoleon auf den Weg nach Nizza, wo das 4. Artillerieregiment, das jetzt zur Armée dItalie gehörte, stationiert war. Nach zweiundzwanzig Monaten Abwesenheit hatte man ihn dort zwar längst abgeschrieben, aber der unvermindert große Mangel an Offizieren erzwang seine Reaktivierung. Damit nicht genug, erhielt er sogleich das Patent eines capitaine commandant und wurde zum Chef einer Mörserkompanie bestellt. Außerdem machte ihn General Jean du Teil, Kommandant der Küstenbatterien, zu seiner Ordonnanz. Das alles klingt besser, als es war, denn der Süden Frankreichs stand im Sommer 1793 in hellem Aufruhr. Die Entmachtung der gemäßigten Girondisten durch die radikalen Jakobiner stürzte das ganze Rhönetal in Unruhen. Aus Lyon waren die Jakobiner vertrieben worden, und die Stadt trotzte dem Konvent. Marseille folgte bald diesem Beispiel, dem sich auch Toulon anschloss. Für einen ehrgeizigen Artilleriehauptmann waren das keine sonderlich einladenden Auspizien, denn die Italienarmee würde auf absehbare Zeit keine andere Aufgabe haben, als in diesem Bürgerkrieg für den Konvent und gegen die Insurgenten zu kämpfen. Wie schwierig und wenig Ansehen verheißend ein solches Unterfangen war, wusste Napoleon aus eigener Erfahrung nur zu gut. Außerdem fühlte er sich von den Aufträgen, die er zunächst erhielt, völlig unterfordert. So richtete er Ende August einen Brief an das Kriegsministerium, in dem er kühn seine Beförderung zum Oberstleutnant und seine Versetzung zur Rheinarmee erbat, ein Begehren, dem zwar nicht stattgegeben wurde, mit dem er aber dennoch Aufmerksamkeit erregte.3

Unterdessen hatten reguläre Truppen unter dem Befehl des Generals Carteaux das aufständische Marseille erobert, und die beiden vom Konvent entsandten Kommissare Fréron und Barras übten ein fürchterliches Strafgericht, bei dem Ströme von Blut flossen. Daraufhin öffneten die Aufständischen den Hafen von Toulon der englischen und spanischen Mittelmeerflotte, um einem ähnlichen Schicksal zu entgehen. Kaum hatte sich Toulon dem Aufstand angeschlossen, floh Joseph mit der Familie nach Marseille, wo sie vor allem von den Mitteln lebte, die Napoleon ihr von seinem Sold überließ. In diesen düsteren Tagen Ende Juli 1793 schrieb der von dienstlichen Pflichten nicht allzusehr geplagte Hauptmann Napoleon Bonaparte seinen letzten großen Essay Le Souper de Beaucaire. Der dialogisch gebaute Text, der das fiktive Gespräch eines Offiziers, eines Kaufmanns aus Marseille, eines Fabrikanten aus Montpellier sowie eines Bürgers aus Nîmes wiedergibt, beleuchtet aus unterschiedlichen Perspektiven und Interessenlagen die aktuelle politische Situation in Frankreich.4 Dem Kaufmann aus Marseille, der die Revolte der Stadt aus dem Blickwinkel der Girondisten rechtfertigt, widersprechen der Offizier, der die Aussichtslosigkeit des Unterfangens aus militärisch-taktischer Sicht begründet, und der Fabrikant aus Montpellier, der politisch argumentiert und die Aktionen der jakobinischen Konventsmehrheit und des Wohlfahrtsausschusses angesichts der mannigfachen Bedrohungen Frankreichs für ganz unumgänglich hält. Der etwas blass geratene Bürger aus Nîmes repräsentiert die plaine im Konvent, die schweigende Mehrheit jener, die, aus Schwäche klug geworden, jeweils opportunistisch die stärkere Partei unterstützten.

Hinter den Ansichten des Offiziers und des Fabrikanten aus Montpellier steht zweifellos der Autor selbst: «Das Zentrum der Einheit ist der Konvent; das ist der wahre Souverän, vor allem dann, wenn das Volk gespalten ist». Besonders zwei Äußerungen, die Napoleon den beiden Protagonisten in den Mund legt, verdeutlichen, wie sehr dieser Text darauf berechnet war, den jakobinischen Mächtigen zu gefallen, auf deren Wohlwollen er jetzt seine Karrierehoffnungen gründen musste. Der Offizier rechtfertigt die Ächtung der Girondisten durch den Konvent und damit indirekt die Usurpation der Macht durch die Jakobiner. Und der Fabrikant geht sogar so weit, die blutige Repression der Konventskommissare für den Fall zu legitimieren, dass die Aufständischen sich der Unterstützung fremder Mächte bedienten: «Wenn sie (die Bürger von Marseille, J.W.) sich zu einer derartigen Schandtat bereit fänden, dann dürfe in ihrer schönen Stadt kein Stein mehr auf dem anderen bleiben, dann müsse binnen eines Monats ein Reisender, der dieser Ruinen ansichtig wird, den Eindruck haben, dass die Stadt schon vor hundert Jahren zerstört worden sei.»

Mit Le Souper de Beaucaire setzte Napoleon alles auf die jakobinische Karte – und gewann. Salicetti, zu dessen Entourage er seit dem letzten Aufenthalt auf Korsika gehörte und der jetzt als einer der Repräsentanten des Konvents in Südfrankreich fungierte, erkannte den großen propagandistischen Wert des Textes und empfahl ihn zu veröffentlichen.5 Auch machte Salicetti seinen Kollegen, Augustin, den jüngeren Bruder des Diktators Maximilien Robespierre, auf den Essay aufmerksam, der davon ebenso begeistert war wie von seinem Autor, der ihm kurz darauf präsentiert wurde. Dank dieser Protektion, da war sich Napoleon ziemlich sicher, würde sich seine Karriere erheblich beschleunigen lassen. Jetzt brauchte er noch eine Gelegenheit, auch seine militärischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.

Schon bald begann sein Opportunismus erste Früchte zu tragen: Bruder Joseph wurde von Salicetti zu einem stellvertretenden Kommissar bei der Armée du Midi mit einem Jahresgehalt von 6000 francs gemacht. Napoleon hingegen musste sich noch bis Mitte September gedulden, als er General Carteaux vorgestellt wurde, der seit Ende August die Belagerung von Toulon befehligte, deren Fortschritte Salicetti als Kommissar des Konvents beaufsichtigte. Der Zufall wollte es, dass Anfang September der Kommandant der Belagerungsartillerie schwer verwundet wurde. Umgehend schlug Salicetti Napoleon als Nachfolger vor. Carteaux wagte nicht, dem einflussreichen Kommissar zu widersprechen, zumal er selbst bislang ohne Fortune operiert hatte. Seine wiederholten Frontalangriffe hatten die Belagerten verlustreich zurückgeschlagen.6 Die rasche Rückeroberung Toulons war aber sowohl aus politischem Prestige als aus strategischen Gründen vordringlich: Toulon war der wichtigste Kriegshafen Frankreich und entscheidend für die französische Kontrolle des Mittelmeers. In der Nacht zum 28. August 1793 hatten die Aufständischen eine englisch-spanische Flotte in den gut geschützten, inneren Naturhafen einlaufen lassen, die eine Armee von rund 17 000 Soldaten anlandete, die sogleich die Verteidigungslinien auf den Anhöhen der Stadt besetzte. Auch wenn das Gros dieser Truppen militärisch von eher zweifelhaftem Wert war, so waren sie dennoch ein anderer Gegner als die schlecht bewaffneten Insurgenten, mit denen man in Lyon oder Marseille vergleichsweise leichtes Spiel gehabt hatte. Hinzu kam die Präsenz der anglo-spanischen Flotte, die einen Angriff von See...

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