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E-Book

Narzissmus

Theorie, Diagnostik, Therapie

VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl200 Seiten
ISBN9783170265769
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis25,99 EUR
Mit Beiträgen u.a. von E. Dieckmann, H. Gündel, O. F. Kernberg und M. Walter. Die narzisstischen Störungen finden in den letzten Jahren wieder vermehrt Beachtung. Narzisstische Phänomene nehmen möglicherweise zu und prägen unsere Gesellschaft. Trotz dieser Relevanz ist der Narzissmus mit seinen vielfältigen Erscheinungsformen nicht einfach zu verstehen. Dieses praxisorientierte Buch versammelt Beiträge renommierter Autoren wie bspw. Stephan Doering, Harald Gündel und Otto F. Kernberg zur Diagnostik und Therapie narzisstischer Störungsbilder und bietet fundierte Einsichten in das komplexe klinische Konzept ?Narzissmus?. Dabei wird sowohl auf psychodynamische Verstehenszugänge wie auch auf die Weiterentwicklung der kognitiven Therapie in Form der Schematherapie eingegangen. Beiträge u. a. zum Zusammenhang von Narzissmus und Körper, Narzissmus und Macht, Narzissmus und Adoleszenz als besonders vulnerable Phase sowie Narzissmus und Paarbeziehung runden das Buch ab.

Dr. Gerhard Dammann, PD Dr. Isa Sammet und Dr. Bernhard Grimmer sind in leitender Funktion als Fachärzte bzw. Fachpsychologen in der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen am Bodensee tätig.

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Leseprobe

II Therapie


4 Besonderheiten analytischer Gruppentherapie mit narzisstischen Patienten


Christiane Rösch

Obwohl die analytische Gruppentherapie zunächst »aus der Not geboren« wurde, gilt sie heute als anerkannte und effektive, auf den Erkenntnissen der psychoanalytischen Krankheitslehre basierende Behandlungsmethode von neurotischen und strukturellen Störungen. Als »aus der Not geboren« gilt die analytische Gruppenpsychotherapie deshalb, weil die beiden Pioniere der Gruppenanalyse S. H. Foulkes und R. W. Bion auf diese Anwendungsmethode psychodynamischer Konzepte zurückgreifen »mussten«. Zur Zeit des Zweiten Weltkriegs wären die Militärpsychiater in der Tavistock Klinik dem Versorgungsbedarf der traumatisierten Kriegsveteranen durch Behandlung im Einzelsetting nicht gerecht geworden. Bion wie auch Foulkes hatten sich jedoch schon vor ihrer Tätigkeit in der Tavistock Klinik mit der Dynamik in Gruppen beschäftigt: Foulkes, der 1933 nach London emigrierte, noch während seiner Frankfurter Zeit, als die Psychoanalytiker eng mit den Soziologen der Frankfurter Schule zusammenarbeiteten, und Bion aufgrund seiner Erfahrungen mit Gruppen im Ersten Weltkrieg. Beide waren auch mit dem Konzept der Objektbeziehungstheorie vertraut. Foulkes hatte seine Lehranalyse bei Melanie Klein fortgesetzt und Bion dienten die konzeptuellen Grundlagen der Objektbeziehungstheorie bei seiner Arbeit mit psychotischen und früh gestörten Patienten.

Galt die Gruppenanalyse zunächst als zweite Wahl gegenüber der Einzelanalyse, so sind heute psychodynamische gruppentherapeutische Konzepte nicht mehr wegzudenken, weder aus der stationären Psychotherapie noch aus der ambulanten Versorgung – nicht nur der von Menschen mit neurotischen Störungen, sondern insbesondere von Menschen mit Persönlichkeitsstörungen.

4.1 Überlegungen zur Dynamik in Gruppen mit Patienten mit narzisstischen Persönlichkeitsstörungen


Vor einem psychodynamischen Verstehenshintergrund sind Persönlichkeitsstörungen die Folge traumatischer Beziehungserfahrungen mit den primären Objekten der frühen Kindheit. Der Mentalisierungstheoretiker Fonagy konzeptualisiert die Pathologie des Patienten als eine Folge mangelnder Gefühlswahrnehmung aufgrund des Versagens der primären Objekte hinsichtlich Rezeptivität und Resonanzfähigkeit. Der Patient konnte so die Fähigkeit, den eigenen mentalen Zustand und denjenigen des signifikanten Gegenübers zu verstehen, nicht erwerben. Für Kernberg ist die Pathologie des Patienten Ausdruck einer gestörten psychischen Struktur, die sich von Geburt an durch die gemachten Beziehungserfahrungen bildet und zum Ausdruck einer »inneren Welt« wird. Jene ist vor dem Hintergrund traumatisierender Beziehungserfahrungen aufgrund abwehrbedingter Spaltungsprozesse von widersprüchlichen, bösen und guten internalisierten Beziehungsmustern (Selbst-Objekt-Beziehungsdyaden) bevölkert. Während es für die Mentalisierungstheoretiker wegen der mangelnden Mentalisierungsfähigkeit der Patienten zu den interpersonellen Beziehungsschwierigkeiten kommt, sind es für Kernberg die widersprüchlichen internalisierten Beziehungsmuster, die unbewusst in Beziehungssituationen im Hier und Jetzt reinszeniert werden und zu den interpersonellen Schwierigkeiten führen.

Unabhängig davon, welchem theoretischen Konzept man sich bedient, um die narzisstische Persönlichkeitsstörung zu verstehen, die psychodynamische Behandlung in Gruppen ist eine geeignete Methode – zumal die Gruppe der Patienten mit narzisstischen Persönlichkeitsstörungen sehr heterogen sowie durch unterschiedliche interpersonelle Merkmale geprägt ist und, wie G. O. Gabbard (2006) postuliert, bei allen narzisstischen Persönlichkeitsstörungen von einer beeinträchtigten Mentalisierungsfähigkeit ausgegangen werden muss.

Bezug nehmend auf Herbert Rosenfeld unterteilt Gabbard die narzisstischen Persönlichkeitsstörungen in zwei Gruppen: in die »dickfelligen«, selbstbezogenen, viel redenden, wenig zuhörenden, großspurig auftretenden und in die »dünnhäutigen«, überempfindlichen Narzissten, die jede Äußerung als Kränkung oder gar Demütigung auffassen und dabei vom eigenen Besonders-Sein überzeugt sind. Die Forschungsgruppe um Kernberg unterscheidet fünf Subtypen narzisstisch gestörter Persönlichkeiten – dick- und dünnhäutige Narzissten; Narzissten, die an Selbstverachtung leiden und arrogant auftreten; Narzissten die Triangulierung nicht tolerieren; Narzissten, bei denen Destruktivität und Todestrieb vorherrschen. Für alle ist die Behandlung in der analytischen Gruppe geeignet, allerdings jeweils verknüpft mit verschiedenen Herausforderungen für die Gruppe und den Gruppenleiter.

Wie in einer psychoanalytischen Einzelpsychotherapie, in der davon ausgegangen wird, dass die Patienten ihren ganz spezifischen Modus der Objektbezogenheit wiederholen und die Analyse und das Durcharbeiten dieser Übertragung(en) zwischen Patient und Therapeut Entwicklungsblockaden löst und innerpsychische Reifung ermöglicht, so reaktiviert eine Gruppe ebenso verinnerlichte Beziehungserfahrungen aus früheren, infantilen Beziehungen.

Die freie Interaktion – Grundregel der analytischen Gruppe – lässt durch ihre relative Unstrukturiertheit und in Kombination mit der relativen Abstinenz des Gruppenleiters allerdings eine Situation größerer Verunsicherung entstehen. Die Konsequenzen sind, dass die Konstruktion der Identität stärker infrage gestellt und das innerpsychische Gleichgewicht des Einzelnen ausgeprägter destabilisiert wird. Entsprechend werden sehr rasch regressive Prozesse angestoßen und bei Menschen mit Persönlichkeitsstörungen die unbewussten pathogenen Objektbeziehungsmuster mobilisiert. Durch projektiv identifikatorische Abwehrmechanismen, welche die nicht therapeutisch ausgebildeten Gruppenmitglieder nicht zu reflektieren in der Lage sind, finden sich immer Gruppenmitglieder, die in Abhängigkeit von ihrer eigenen Vorgeschichte »passend« reagieren. Wesentliche Aspekte der Objekte der inneren Welt der Patienten erscheinen somit rasch in Gruppenmitgliedern personifiziert und in den interpersonellen Auseinandersetzungen der Gruppenmitglieder bilden sich dadurch die internalisierten Beziehungsmuster ab. Dabei ist es, wie auch in der Einzeltherapie, wichtig, die Abwehrleistung dieser interaktionellen Reinszenierungen insofern anzuerkennen, als der Patient darüber versucht, sein gefährdetes inneres Gleichgewicht wieder zu stabilisieren und seelischen Schmerz zu vermeiden. Durch die in einer Gruppe erfolgenden wechselseitigen Übertragungen zwischen den Gruppenmitgliedern untereinander, den Gruppenmitgliedern und der Gruppenleitung sowie den Gruppenmitgliedern und der Gruppe als Ganzes, ist das interaktionelle und emotionale Geschehen sehr komplex, für das einzelne Gruppenmitglied kaum berechenbar und dementsprechend hoch angstbesetzt.

Diese archaischen Ängste, ausgelöst durch die Spannung zwischen Stimulation und Frustration und dem damit einhergehenden Regressionssog, gelten in besonderem Maße für neu in eine bestehende analytische Gruppe eintretende Gruppenmitglieder. Sie gelten aber auch für die übrigen, »alten« Gruppenmitglieder und für die Gruppe als Ganzes. Denn sowohl die durch die Arbeit in der Gruppe gefundene Balance zwischen einzelnen Gruppenmitgliedern, den Gruppenmitgliedern und -leitern als auch die Sicherheit gewährende Gruppenkohäsion sind durch Veränderungen der Gruppenzusammensetzung immer wieder bedroht, da individuelle Konflikte um Neid und Gier immer aufs Neue aufzutauchen drohen. Neben individuellen Abwehrstrategien, die jedes Gruppenmitglied der Verunsicherung entgegensetzt, kann es – abhängig vom »Verunsicherungsgrad« – unbewusst zu interindividuellen Abgleichungen der individuellen Abwehrstrategien kommen und sich ein gruppenspezifischer (gemeinsamer) Abwehrprozess ausbilden. Bions Konzept der verschiedenen Funktionsniveaus in Gruppen trägt diesen Dynamiken in Gruppen Rechnung.

4.2 Bions Konzept der verschiedenen Funktionsniveaus von Gruppen


In Anlehnung an Freud, der das psychische Geschehen in ein triebnahes primärprozesshaftes und ein realitätsbezogenes sekundärprozesshaftes aufteilt, unterscheidet Bion zwei Funktionsniveaus des Gruppenprozesses: Das realitätsbezogene Funktionsniveau nennt er Arbeitsgruppe, das wunschbezogene Funktionsniveau Grundannahmengruppe. Arbeitsgruppe und Grundannahmengruppe sind Antagonismen. Sobald Verunsicherungen, Ängste und Spannungen bei Gruppenmitgliedern auftreten und projektiv identifikatorische Abwehrprozesse mobilisiert werden, verlässt die Gruppe als Ganzes das Funktionsniveau der Arbeitsgruppe und regrediert auf die Ebene einer Grundannahmengruppe. In dieser bestimmt eine spezifische Gruppenfantasie das Gruppengeschehen und die gefährdete Gruppenkohäsion wird wieder stabilisiert. Jede gesellschaftliche Gruppe hat ihre je spezifischen Gruppenfantasien, welche sich z. B. in Mythen, Feindbildern, religiösen Überlieferungen Ausdruck verleihen. Offensichtliche Bedeutung erlangen diese je spezifischen Gruppenfantasien immer dann, wenn die Gruppe bedroht ist und archaische Ängste das Sicherheitsgefühl durch die Gruppe gefährden.

Bion unterscheidet drei Grundannahmengruppen, denen alle die Abwehrfantasie zugrunde liegt, das Bedürfnisse befriedigende, schützende, nährende Objekt wieder aufzurichten, um auf diese Weise Angst vermeiden zu können.

  1. Grundannahme der Abhängigkeit
    Regrediert die Gruppe auf diese Grundannahme, so ist die bestimmende Gruppenfantasie, in der Gruppe bzw. durch den Gruppenleiter bedingungslos Sicherheit und Versorgung erhalten zu können. Über diese Gruppenfantasie werden...
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