4. Die rechtliche Einordnung der Naturdrogen
4.1 Naturdrogen, die dem BtMG unterstellt sind
4.1.1 Ein kurzer geschichtlicher Abriss
Bis zum Jahr 1998 war die Frage, welche Naturdrogen dem BtMG unterstellt sind und welche nicht, einfach zu beantworten. In den Anlagen des BtMG wurden zu dieser Zeit lediglich drei Pflanzen erwähnt, die folglich den Regelungen des BtMG unterworfen waren. Im Gesetzestext werden diese noch heute explizit genannt:
„Cannabis (Marihuana, Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen) (…)
Cannabisharz (Haschisch, das abgesonderte Harz der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen) (…)
Erythroxylum coca – (Pflanzen und Pflanzenteile der zur Art Erythroxylum coca – einschließlich der Varietäten bolivianum, spruceanum und novogranatense – gehörenden Pflanzen) (…)
Mohnstrohkonzentrat – (das bei der Verarbeitung von Pflanzen und Pflanzenteilen der Art Papaver somniferum zur Konzentrierung der Alkaloide anfallende Material) (…)
Papaver bracteatum – (Pflanzen und Pflanzenteile, ausgenommen die Samen, der zur Art Papaver bracteatum gehörenden Pflanzen) (…)
Opium – (der geronnene Saft der zur Art Papaver somniferum gehörenden Pflanzen) (…)
Papaver somniferum – (Pflanzen und Pflanzenteile, ausgenommen die Samen, der zur Art Papaver somniferum (einschließlich der Unterart setigerum) gehörenden Pflanzen)“.99
Bis zum Jahr 1998 wurden also lediglich die Cannabispflanze, die Kokapflanze und der Schlafmohn mit ihren jeweiligen Produkten im BtMG geregelt. Viele Wirkstoffe anderer Naturdrogen standen dagegen ohne ihre natürliche Quelle im Gesetzestext. Diese reinen Wirkstoffe waren daher auch Betäubungsmittel im Sinne des Gesetzes, ihre natürlichen Quellen aber nicht. Dies wurde von Harald Hans Körner, dessen Kommentar zum Gesetz die Gerichtspraxis bestimmt, mehreren Autoren schriftlich bestätigt.100
Diese Gesetzeslücke wurde von zahlreichen Unternehmen (Grow-, Head- und Smart-Shops)101 ausgenutzt, um im großen Maß psilocybinhaltige Pilze (anfangs hauptsächlich in Form von Zuchtboxen), meskalinhaltige Kakteen und diverse DMThaltige Pflanzen kommerziell zu vermarkten. Der Gesetzgeber reagierte mit der Zehnten Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften (10. BtMÄndV)102 auf diese aus seiner Sicht nicht tragbare Situation. In der 10. BtMÄndV wurde diese Gesetzeslücke, durch den Zusatz, dass auch „Pflanzen und Pflanzenteile, Tiere und tierische Körperteile in bearbeitetem oder unbearbeitetem Zustand“103, welche die in einer der Anlagen aufgeführten Stoffe enthalten, nun ebenfalls Betäubungsmittel sind, „wenn sie als Betäubungsmittel missbräuchlich verwendet werden sollen“104, geschlossen.
4.1.2 Die heutige Situation
Für die heutige Situation bedeutet dies, dass zumindest alle Pflanzen und Tiere, die Wirkstoffe enthalten, welche in den Anlagen I bis III des BtMG gelistet sind, seit dem 01.02.1998 Betäubungsmittel im Sinne des Gesetzes sind, falls sie als Rauschmittel Verwendung finden sollen. Bei den psilocybinhaltigen Pilzen war die Auslegung des Gesetzes komplizierter, weshalb die Ausführungen über die rechtliche Einordnung dieser Pilze in einem separaten Kapitel erfolgen.
Vorweg muss gesagt werden, dass der Text nach dem letzten Gedankenstrich der Anlage I nach 1998 noch zweimal geändert wurde und heute folgendermaßen lautet:
„- Organismen und Teile von Organismen in bearbeitetem oder unbearbeitetem Zustand mit in dieser oder einer anderen Anlage aufgeführten Stoffen sowie die zur Reproduktion oder Gewinnung dieser Organismen geeigneten biologischen Materialien, wenn ein Missbrauch zu Rauschzwecken vorgesehen ist.“105
An der Grundsituation bezüglich der gesetzlichen Einordnung von Pflanzen und Tieren, die Wirkstoffe enthalten, welche in den Anlagen I bis III des BtMG gelistet sind, hat sich durch diese Änderung nichts geändert.
4.1.3 Naturdrogen, die seit dem 01.02.1998 dem BtMG unterstellt sind
Für den Leser ist es jetzt natürlich interessant, um welche Naturdrogen es sich denn genau handelt. In meinem Buch „Naturdrogen und ihr Gebrauch“ habe ich die zurzeit am häufigsten gebrauchten Naturdrogen beschrieben. Für nähere Informationen bezüglich des Gefahrenpotenzials, Epidemiologie, Vorkommen und Gebrauch verweise ich daher auf dieses Werk.106
Von den von mir beschriebenen Naturdrogen sind folgende seit dem 01.02.1998 dem BtMG unterstellt: Die meskalinhaltigen Kakteen (Lophophora spp. und Trichocereus spp.)107, alle DMT-haltigen Naturdrogen (z. B. Ayahuasca und Ayahuasca-Analoge)108 und der Kathstrauch (Catha edulis)109. Diese Naturdrogen sind aber nicht per se Betäubungsmittel im Sinne des Gesetzes, sondern nur, „wenn ein Missbrauch zu Rauschzwecken vorgesehen ist“110. Dabei stellt sich die Frage, wann man davon ausgehen kann, dass ein Missbrauch beabsichtigt ist. Hier hilft ein Blick auf vergangene Gerichtsentscheidungen, die bezüglich der psilocybinhaltigen Pilze getroffen wurden.
Bei den psilocybinhaltigen Pilzen war es so, dass sich einige Händler dieser Pilze auf den im Gesetz verankerten bestimmungsgemäßen Gebrauch als Betäubungsmittel beriefen und sogenannte „Duftkissen“ oder „Airfresher“, die getrocknete psilocybinhaltige Pilze (meist 2,5 bzw. 5 g der Arten Psilocybe cubensis und Panaeolus cyanescens) enthielten, aber nicht zur Einnahme bestimmt waren, verkauften. Einige Zauberpilzhändler mussten daraufhin vor Gericht und wurden wegen des Handels mit Betäubungsmitteln verurteilt. Andere hatten Glück und wurden wegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums freigesprochen. Um die Argumentationen der Richter bezüglich der Auslegung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs zu verdeutlichen, möchte ich zwei Gerichtsurteile des Bayerischen Obersten Landesgerichtes (BayObLG) erwähnen. Im Beschluss des BayObLG vom 21.02.2002 (AZ.: 4 St RR 7/02) sind die Richter der Meinung, dass der Angeklagte und seine Käufer „im stillschweigenden Einverständnis, dass der Inhalt (...) der ‚Duftkissen’ (…) zum Konsum als Betäubungsmittel und zur Erzielung des gewünschten Rauschzustandes bestimmt war“111, handelten.
In dem zweiten Urteil des BayObLG vom 25.09.2002 (AZ.: 4 St RR 80/2002) sind die Richter der Ansicht, dass sich die Angeklagten mit dem Vertrieb der „Airfresher“ bewusst im unmittelbaren Dunstkreis des Betäubungsmittelhandels bewegten. Da sie wussten, dass die „Airfresher“ den unter das Betäubungsmittelgesetz fallenden Wirkstoff Psilocybin enthielten, nahmen sie „zumindest billigend in Kauf, dass diese nicht dem vorgeschobenen Verwendungszweck zur Raumluftverbesserung dienten, sondern dem Konsum.“112
Die beiden Urteile zeigen, dass dem Angeklagten im Regelfall der Missbrauch als Rauschmittel unterstellt wird. Gegenteilige Behauptungen der Angeklagten werden von den Richtern gerne als unglaubwürdige Schutzbehauptungen interpretiert. Der Gutachter und Sachverständige Joachim Eul schreibt über diese gängige Gerichtspraxis: „Hier liegt also – im Unterschied zum sonstigen Strafrecht ‚in dubio pro reo’ – die Beweislast einer Schuld nicht beim Ankläger, sondern die Beweislast einer Unschuld beim Angeklagten.“113
Die eingangs erwähnten Urteile über den bestimmungsgemäßen Gebrauch betrafen Händler psilocybinhaltiger Pilze. Die Frage ist, ob diese Rechtsinterpretation auch auf den nicht Handel treibenden User übertragen werden kann. Dies scheint von Fall zu Fall unterschiedlich zu sein und überwiegend von den äußeren Umständen abhängig. So ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass beispielsweise meskalinhaltige Kakteen für den Missbrauch bestimmt sind, wenn diese z. B. in gebrauchsfertiger Form vorliegen (z. B. getrocknet und pulverisiert). Weiterhin lässt eine größere Zahl von ausschließlich meskalinhaltigen Kakteen bei einer bereits polizeilich bekannten Person eher auf einen Missbrauch schließen, als eine kleinere Zahl eingebettet in die Sammlung eines Kakteenfreundes. Festgelegte Kriterien, die einen Verdacht auf Missbrauch begründen, gibt es nicht. Kommt es bei einem User zu einer Hausdurchsuchung, muss damit gerechnet werden, dass meskalinhaltige Kakteen beschlagnahmt werden.
Nach intensiver Recherche kann ich mittlerweile den Schluss ziehen, dass den gefundenen Kakteen, sofern kein Handel vorlag, im anschließenden Gerichtsurteil keine große Relevanz beigemessen wird. So kenne ich persönlich den Fall einer Beschlagnahmung einer größeren Sammlung meskalinhaltiger Peyote-Kakteen (Lophophora spp.). Dabei handelte es sich um die unterschiedlichsten Variationen und Größen. Nach einem halben Jahr erhielt der Betroffene die Nachricht, dass die großen älteren und damit wertvolleren Exemplare bereits vernichtet wurden....