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Neues von der anderen Seite

Die Wiederentdeckung des Psychedelischen

AutorBenedikt Sarreiter, Paul-Philipp Hanske
VerlagSuhrkamp
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl327 Seiten
ISBN9783518740439
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Ende der siebziger Jahre zeigte sich Albert Hofmann schwer enttäuscht vom Schicksal der von ihm entdeckten »Wunderdroge«: LSD - mein Sorgenkind lautete der Titel des damals erschienenen Erinnerungsbuchs. Hatte man die Substanz noch in den sechziger Jahren als Königsweg zur Erkundung der Psyche gefeiert, folgte bald der Rückschlag: Halluzinogene wurden flächendeckend verboten, ein Effekt des »War on Drugs«. Heute scheint das Tabu zu bröckeln: Weltweit wird über die Legalisierung von Marihuana diskutiert; junge Menschen pilgern an den Amazonas, um sich mit Ayahuasca auf Jenseitsreise zu begeben; Mediziner erforschen das therapeutische Potenzial von MDMA oder der Pilzdroge Psilocybin; selbst im Mainstream-Kino wird an den Pforten der Wahrnehmung gerüttelt. Die Autoren beleuchten die Renaissance des Psychedelischen aus unterschiedlichen Perspektiven, sprechen mit Hirnforschern, Usern und Juristen. Sie befassen sich mit dem Menschheitsthema Rausch und erklären, warum ihm kein Verbot einen Riegel vorschieben wird.

<p>Paul-Philipp Hanske, geboren 1975, lebt als Journalist und Autor in München. Er schreibt u. a. für <em>Neon</em>, das Magazin der <em>Süddeutschen Zeitung</em> und <em>Capital</em>.</p>

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Leseprobe

Warum wir über Drogen reden müssen


 

You're an antenna,
sending your pattern out
across a million lives at night,
and they're your lives too.
Thomas Pynchon

Zeit für gute Nachrichten


Kaum jemand kennt heute noch Bill Hicks, was eine Schande ist. Legte dieser US-Stand-Up-Comedian doch schon vor mehr als zwanzig Jahren so kompromisslos wie kaum jemand vor oder nach ihm die Abgründe von Politik, Gesellschaft, Popindustrie und nicht zuletzt auch seine eigenen frei. Sein Einfluss auf heutige Comedy-Stars wie Louis CK oder Ricky Gervais ist unübersehbar. Doch seine Schärfe erreichen sie nicht. Hicks' Tiraden konnten jeden ereilen, vom Schmusesänger bis zum Abtreibungsgegner. Vor allem aber zielten sie auf die Widersprüche der Drogenprohibition. Einer seiner bis heute meistzitierten Jokes stammt aus dem Programm »Sane Man« (1989) und handelt von der stereotypen Berichterstattung über LSD. Hicks wundert sich, wieso in den Medien immer nur die gleiche Geschichte erzählt wird: »Mann springt auf LSD aus dem Fenster und stirbt!« Hicks' Kommentar: Was für ein Trottel! Würde man nicht, wenn man wirklich dächte, man könne fliegen, eher vom Boden starten? Und weiter: »Wie wäre es mal mit einer positiven LSD-Geschichte? Mal auf Grund von Informationen urteilen anstatt von Angstmacherei, Aberglauben und Lügen? Wäre nicht so was mal berichtenswert: ›Heute erkannte ein Mann auf Acid, dass Materie Energie ist, die zu einem langsamen Vibrieren verdichtet wurde; dass wir alle ein gemeinsames Bewusstsein haben, das sich selbst subjektiv erlebt; dass es den Tod nicht gibt und wir nur eine Einbildung von uns selbst sind.‹ Und jetzt: Tom mit dem Wetter ‌…«

Hicks starb 1994 mit 32 Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Würde er heute wieder auferstehen, er wäre überrascht, wie nah die Wirklichkeit an seine Vision herangerückt ist. Denn seit etwa zehn Jahren zeichnet sich immer deutlicher eine Tendenz ab, die man als psychedelische Renaissance bezeichnen könnte. Weltweit werden zahlreiche Studien durchgeführt, die den Nutzen psychedelischer Substanzen belegen. MDMA wird gegen Posttraumatische Belastungsstörungen eingesetzt, die Todesangst sterbenskranker Patienten wird mit Psilocybin oder LSD behandelt, DMT ist ein hochwirksames Arzneimittel der Suchttherapie. Daneben gibt es einen regelrechten Boom spiritueller Praktiken, bei denen psychedelische Substanzen zum Einsatz kommen. Und all das wird flankiert von einer Medienberichterstattung, die – anders als früher – überraschend wohlwollend ist. So utopisch Hicks' fiktiver Fernsehbeitrag vor zweieinhalb Jahrzehnten schien, heute kann man ähnliche Berichte regelmäßig auch in etablierten Medien finden.

Ein aussichtsloser Krieg


Bei all den freundlichen Stimmen über den Nutzen psychedelischer Substanzen darf man freilich nicht vergessen, dass LSD, Psilocybin, DMT und MDMA weiterhin verboten sind und ihr Verkauf und Gebrauch außerhalb streng reglementierter klinischer Versuchsreihen drakonisch bestraft wird. Dabei ist offensichtlich, dass der War On Drugs, den Richard Nixon Anfang der 1970er Jahre ausrief und den die USA mit Hilfe der Vereinten Nationen über die ganze Welt verbreiteten, verloren ist. Das sehen nicht nur liberale Drogenexperten so, auch 82 Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung und sogar hohe US-Generäle sind inzwischen überzeugt, dass Drogenkonsum und -handel nicht mit Gewalt zu stoppen sind. Selbst in der Exekutive denkt man um. In einem Interview äußert sich André Schulz, der Vorsitzende des Bundes deutscher Kriminalbeamter, jüngst kritisch über die unsinnige Praxis, User zu kriminalisieren und damit ein Leben lang zu stigmatisieren. Und dann spricht er, der Polizist, sich dafür aus, auch in Deutschland endlich eine Debatte über eine Entkriminalisierung des Konsums weicher Drogen zu führen.

Seit jeher ist der Rausch ein Menschheitsthema: Wir möchten mit verschiedenen Bewusstseinszuständen spielen, unsere Wahrnehmung manipulieren, für einige Momente enthemmter, offener, mutiger, inspirierter, lustiger, stärker, sensibler, erleuchteter oder einfach nur irrationaler sein. Diesen Drang hemmt kein Verbot. Und trotzdem wiederholt sich seit etwa einem Jahrhundert ein Muster, dessen fatale Dynamik schon bei der Prohibition von Alkohol in den USA zu beobachten war – und das im Zuge des Kampfes gegen Heroin, Kokain, Marihuana und Psychedelika global ausgeweitet wurde. Der War On Drugs fördert die Etablierung krimineller Strukturen und eröffnet der Mafia lukrative Geschäftsfelder. Der Substanzgebrauch geht dabei in keiner Weise zurück, er wird bloß »schmuddeliger« und objektiv gefährlicher. Der gepanschte Alkohol von einst ist das mit Bleipulver beschwerte Marihuana von heute. Oder es sind brandneue, im Zweifelsfall noch unverbotene psychoaktive Substanzen, von denen aktuell sicher das größte Risiko für User ausgeht.

Die Wurzeln des Anti-Drogen-Krieges und der damit einhergehenden Hysterisierung des Mainstream-Diskurses reichen bis weit vor Nixons Phantasma einer drogenfreien, nüchternen Welt zurück. In den 1930er Jahren startete Harry Anslinger – der Leiter des amerikanischen »Federal Bureau of Narcotics«, Vorläufer der »Drug Enforcement Administration« (DEA) – eine Kampagne gegen Marihuana. Das Kraut, das vor allem von der afroamerikanischen und mexikanischen Minderheit konsumiert wurde und heute in den USA, Uruguay, Portugal und etlichen anderen Ländern schrittweise legalisiert oder zumindest entkriminalisiert wird, wurde als Killerdroge verunglimpft, die Leute in den Wahnsinn triebe. Mit Erfolg. Der Besitz von Marihuana wurde landesweit verboten und sehr hart bestraft, obwohl es schon damals von den meisten Ärzten und Forschern als relativ harmlos eingestuft wurde. Doch Anslingers Behörde brauchte nach der Aufhebung des Alkoholverbots dringend eine neue Aufgabe, drohten doch sonst Kürzungen. Und war der Kampf für eine nüchterne Welt nicht auch ein hehres Unterfangen? Anslingers Paranoia vor einer Gesellschaft der Süchtigen, die in den von puritanischen Werten geprägten USA begierig aufgegriffen wurde, bildete die Keimzelle der Drogenpolitik, wie wir sie heute kennen.

Vor diesem Feldzug hatte es einmal einen anderen, weitaus vernünftigeren Umgang mit Drogen gegeben. Morphin war Bestandteil vieler Hustensäfte und Stimmungsaufheller, die in Apotheken frei verkauft wurden, Kokain wurde in Softdrinks gemischt. Es gab sogar einen mit Koka versetzten Wein, den Vin Mariani, dem die Päpste Leo XIII. und Pius X. ebenso frönten wie die gestrenge Queen Victoria. Gleich den meisten ihrer Zeitgenossen konnten sie den Gebrauch von derartigen Medikamenten und Genussmitteln in unbedenklichem Rahmen halten, als unschuldige Bereicherung eines Lebensvollzugs, der sonst in keiner Weise vom Substanzgebrauch geprägt oder gar definiert war. Natürlich wurden auch damals schon manche Menschen von den Wässerchen, Sirups und Tränken abhängig, so wie von Alkohol bis heute. Die Ärzte behandelten sie als Kranke. Mit der Politik Anslingers änderte sich das jedoch. Den Ärzten wurde nun verboten, ihren Suchtpatienten die Substanzen weiter kontrolliert zu verabreichen. Für die Abhängigen war das eine Katastrophe. Konnten sie zuvor mit ärztlicher Hilfe weiter ihren Beruf ausüben und einen normalen Alltag bestreiten, mussten sie nun zu dubiosen Dealern und bezahlten horrende Preise für gestreckte und nicht selten toxische Ware. Unversehens waren aus Zu-Behandelnden Zu-Bestrafende geworden.

Der reine Rausch


Wir wollen jedoch im Folgenden nicht über Kokain und Heroin berichten, auch nicht über der Medien liebste »Horrordroge« Methamphetamin, und selbst über Cannabis, das die aktuellen Legalisierungsdebatten dominiert, bloß am Rande. Was uns interessiert, ist speziell der psychedelische Rausch. Der Ausdruck »Psychedelik« geht zurück auf den britischen Psychiater Humphry Osmund. Dieser prägte ihn in einem Briefwechsel mit dem Schriftsteller und Philosophen Aldous Huxley, von dem wir ebenfalls noch einiges hören werden. Wörtlich übersetzt heißt »psychedelisch« so viel wie »die Psyche offenbarend«. Die klassischen psychedelischen Substanzen sind das 1943 von Albert Hofmann entdeckte LSD, ferner die Pilzdroge Psilocybin oder Meskalin, das etwa im Peyote-Kaktus vorkommt. Auch das als Hauptwirkstoff von Ecstasy bekannte MDMA ist eine psychedelische Substanz, ebenso das Narkotikum Ketamin oder Alkaloide aus Nachtschattengewächsen. Darüber hinaus aber gibt es seit einigen Jahren eine wahre Flut an ganz unklassischen, teils im Wochenrhythmus evolvierenden psychedelischen Substanzen, die so kryptische Namen tragen wie 25I-NBOMe.

Alle Räusche eröffnen eine Gegenwelt zum Alltag mit seinen festen Regeln, gewähren Urlaub vom starren und determinierten Ich. In diesem Sinne kann man die psychedelische Erfahrung als reinste Form des Rausches begreifen, konfrontiert sie einen doch entschiedener als jede andere mit einer fremden Realität. Das kann bis zur vollständigen Auflösung des Ich-Gefühls gehen, was dann entweder als beglückendes Aufgehen im All-Einen oder als Absturz in den Wahn erlebt werden kann. So oder so jedoch ist der psychedelische Rausch kulturbildend. Er steht am Beginn zahlreicher Gründungsmythen...

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