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Neuland

Schweizer Migrationspolitik im 21. Jahrhundert

VerlagNZZ Libro
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783038102991
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,40 EUR
Die Schweiz ist ein Migrationsland, global vernetzt und mit einer erstaunlichen gesellschaftlichen Vielfalt. Diese Modernität hat noch nicht Eingang gefunden ins helvetische Selbstverständnis. Noch wird Migration als ein zu lösendesProblem betrachtet statt als Taktgeberin, die längst unseren Alltag bestimmt. Der Think-Tank foraus - Forum Aussenpolitik liefert ein komplett neues Narrativ für die Schweiz. Seine Vision für die Schweiz der Zukunft legt faktenreich dar, dass Migration kein Störfaktor der helvetischen Gemütlichkeit darstellt, sondern Ausdruck ist einer erfolgreichen Schweiz, die ihren Bewohnerinnen und Bewohnern einzigartige Freiheiten und Perspektiven ermöglicht. Die Publikation wird abgerundet mit konkreten migrationspolitischen Reformideen, mit denen die Schweiz ein chancenreiches Land wird, das sich nicht vor der Welt fürchtet. Mit Beiträgen von Martina von Arx, Stefan Egli, Nicola Forster, David Kaufmann, Walter Leimgruber, Philipp Lutz, Joanna Menet, Jonas Nakonz, Johan Rochel, Seraina Rohner, Stefan Schlegel, Heike Scholten, Fabienne Tissot.

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Leseprobe

Aufbruch ins Neuland!


Nicola Forster, Johan Rochel


«Das Internet ist für uns alle Neuland!» Es war der Satz des Jahres 2013. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hatte ihn gesagt, an einer Pressekonferenz mit US-Präsident Barack Obama. 20 Jahre nach der Erfindung des Internets hatte die Kanzlerin die Digitalisierung nun also auch noch entdeckt – viele junge Menschen in Deutschland reagierten verständlicherweise entsetzt. Neuland, das klingt verheissungsvoll, kann aber auch der längst fällige Nachvollzug einer bestehenden Realität sein.

In diesem Buch soll es um ein Neuland gehen, das in seinen Auswirkungen auf unsere Lebensrealität mindestens ebensolche Sprengkraft besitzt wie die Digitalisierung: die Migration. Als Phänomen so alt wie die Menschheit, spätestens seit den grossen Auswanderungsbewegungen im 18. und 19. Jahrhundert prägend für die Schweiz, seit der Industrialisierung mitverantwortlich für die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte unseres Landes: Die Migration ist ein konstituierender Faktor der Schweiz, ja gar der eigentliche Schweizer Normalzustand. Wir leben in einem ausgeprägten Migrationsland! Absurderweise debattieren wir heute aber nicht selten über Migration, als ob wir diese mit genügend starker Gegenwehr einfach aus der Welt schaffen und verbieten könnten, um dann endlich wieder zum migrationslosen Normalzustand zurückzukehren und so unseren Frieden zu haben. Genau wie bei der Digitalisierung ist dieser Ansatz der Realitätsverweigerung jedoch kaum erfolgversprechend …

Wir haben die absolut un-digitale Form eines Lesebuchs gewählt, um die heutige gesellschaftliche Realität eines Migrationslands zu erzählen und nebenbei auf unerwartete Fakten aufmerksam zu machen – wussten Sie beispielsweise, dass im Land des stolzen Innovationsweltmeisters Schweiz mehr als 75 Prozent der Hightech-Start-ups von Ausländerinnen und Ausländern gegründet wurden? Als Think-Tank verfolgen wir mit diesem Buch aber auch die Absicht, gemeinsam mit den Menschen in diesem Land eine inklusive Vision der Schweiz zu entwickeln. Einer Schweiz, die eine eigene Identität als Migrationsland hat und daraus Stärke und Zuversicht zieht. Einer Schweiz, die eine herausfordernde, aber prosperierende Zukunft vor sich hat. Lassen wir uns gemeinsam darauf ein, und öffnen wir die Augen für diese Realität. Diese sich verändernde Identität der Schweiz ist Neuland für uns alle! Als partizipativer Think-Tank sind wir aus den Studierstuben hinausgegangen und haben die besten Ideen «crowdgesourced» und bei zahlreichen Veranstaltungen mit der Schweizer Bevölkerung debattiert, um eine inklusive Vision zu entwickeln.

Back to the Future


Eine Vision? Brauchen wir das? Bekanntlich werden Visionen in der Schweizer Politik als eher unnötig wahrgenommen. Getreu dem Bonmot des früheren deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt: «Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.» Trotzdem hat sich in den letzten Jahrzehnten ganz unbemerkt eine ungeheuer wirkungsmächtige Vision in unser kollektives Gedächtnis eingeschlichen und prägt unser Denken: das Bild der selbstgewählt isolierten Heidi-Schweiz, des Freilichtmuseums, des wehrhaften Reduits. Eine Underdog-Schweiz, in der Wohlstand, Freiheit und Unabhängigkeit ständig von aussen bedroht sind. Ja, die Projektion einer idealisierten Vergangenheit auf die Zukunft: Früher war alles besser! Make Switzerland great again! Diese Vorstellung basiert auf einer Geschichtserzählung, die im Jahr 1291 beginnt, Wilhelm Tell und seinem Armbrust-Mord am bösen EU-Vogt Gessler huldigt und zahlreiche weitere heilige Kühe umfasst. Im Rahmen des grossen Jubiläumsjahres 2015 – die Schlachten von Morgarten und Marignano jährten sich, wie auch der Wiener Kongress – wurde die Schweizer Vergangenheit von Historikern wie Thomas Maissen und André Holenstein umfassend aufgearbeitet, und wir erkannten plötzlich, dass wir nicht den ewigen Sonderfall verkörpern, sondern auf eine jahrhundertelange erfolgreiche Vernetzung mit dem europäischen Umland zurückblicken können. Eine alternative, wissenschaftsbasierte Deutung der Vergangenheit – ein neues «Framing» – war entstanden und prägt heute unsere Diskussionen.

Im Gegensatz zu dieser gelungenen, wissenschaftsbasierten Neuinterpretation unserer Vergangenheit haben wir die Schaffung einer konstruktiven Vision für die Zukunft bisher allerdings sträflich vernachlässigt. In einer Zeit der grossen Globalisierungsschübe ist der verklärte Rückblick auf vergangene Zeiten und deren – natürlich unrealistische – «Wiederherstellung» entsprechend populär: Die Masseneinwanderungsinitiative, der Brexit oder auch die Wahl von Donald Trump in den USA zeigen, dass eine grosse gesellschaftliche Verunsicherung herrscht und rückwärtsgewandten Kräften am ehesten der herbeigesehnte Wandel zugetraut wird. Plötzlich erringen extreme Positionen Mehrheiten, und progressive und weltoffene Kräfte sind in der Defensive. Sie haben bis heute keine gleich stark wirkende, plastische Vision, die die laufende Veränderung unserer Gesellschaften positiv beschreibt und Hoffnung macht auf eine gemeinsame Zukunft. In dieser Situation der Zukunftsangst dominiert eine gefährliche Politik die Agenda, die sich das Ernstnehmen sämtlicher Ängste auf die Fahne geschrieben hat, statt eine mutige Agenda und aktive Massnahmen für eine bessere Zukunft zu definieren. Eine konstruktive Vision ist aber eine Notwendigkeit in der Politik, genauso wie Ankunftsziel und Kompass notwendig für den Schiffskapitän sind!

Auf der Suche nach einer gemeinsamen Vision


Auf der Suche nach einem neuen Verständnis des Neulands haben wir uns deshalb in den letzten zwei Jahren als Entdeckerinnen und Entdecker in unbekannte Gewässer gewagt, um gemeinsam mit diversen Partnern die heutige, durch Migration geprägte Schweiz und die vorhandenen Abwehrreflexe besser zu verstehen. Und zwar gemeinsam mit allen am «Projekt Schweiz» Beteiligten: Wir suchten politische Partizipation jenseits der Abstimmungssonntage und der formellen politischen Rechte. Wer sich mit konstruktiven Gedanken und Ideen beteiligen wollte, war willkommen und konnte seine Stimme einbringen – digital oder an Live-Veranstaltungen im ganzen Land. Als Crowdsourcing-Think-Tank versuchten wir die «logistischen» Rahmenbedingungen für diese neuen und inklusiven Spielarten der Demokratie zu schaffen. Denn wir wünschen uns eine partizipative Demokratie, in der die Einwohnerinnen und Einwohner Lust haben, aktiver Teil der öffentlichen Debatte zu sein, und mit neuen Beteiligungsinstrumenten arbeiten wollen. Die ausprobierten Formate waren äusserst divers: Wir organisierten sogenannte PoliTische in allen Sprachregionen der Schweiz, um mit Menschen aus sämtlichen Bereichen der Gesellschaft bei informellen Abendessen Inputs und Ideen für eine Vision der Schweiz als Migrationsland zu erhalten. Dann haben wir die Storytelling-Veranstaltungsserie Wahre Geschichten: Neuland organisiert, um Zugewanderten eine Bühne für ihre Geschichten zu bieten und so das gegenseitige Verständnis zu fördern. Dazu kamen unzählige öffentliche Veranstaltungen und Expertentreffen im In- und Ausland. Um die Möglichkeiten der Digitalisierung auszuschöpfen, lancierten wir schliesslich eine Ideencrowdsourcing-Plattform, um online auf die Suche zu gehen nach konstruktiven Inputs, wie das Migrationsland Schweiz gestaltet werden könnte. Aus Hunderten von der Bevölkerung eingereichten Ideen wurden die besten an einem grossen Ideenmarkt mit Entscheidungsträgern diskutiert, um eine tatsächliche Umsetzung zu initiieren.

Die Ergebnisse all dieser partizipativen Formate stellten die Grundlage für den Schreibprozess durch die Mitglieder unserer Denkfabrik dar. Dieses unter der umsichtigen Leitung von Philipp Lutz (Senior Policy Fellow Migration bei foraus) entstandene Buch liefert entsprechend sowohl eine Einführung in die partizipative Demokratie und ihre Instrumente als auch einen Überblick über den aktuellen Migrationsdiskurs in der Schweiz sowie eine darauf basierende Vision für die öffentliche Diskussion. Im ersten Teil des Buchs wird der aktuelle Diskurs über Migration mittels wissenschaftlicher Quellen verständlich aufbereitet. Unsere Partnerinnen von GENTINETTA*SCHOLTEN präsentieren danach exklusiv die Resultate einer linguistischen Diskursanalyse, der vier der von uns geführten PoliTische unterzogen wurden. Auf diese Weise konnten in einem partizipativen Prozess Meinungen, Rückmeldungen und Erkenntnisse zu Topoi und Frames im Migrationsdiskurs in den Arbeitsprozess zurückfliessen. Ausgehend von diesem ersten Teil des Buchs, der eine Diagnose des aktuellen Diskurses vornimmt, schlagen unsere Autoren in einem zweiten Teil eine innovative Vision für dieses «Neuland» vor. Sie zeigen, wie die Schweiz eine Pionierrolle für eine zukunftsgerichtete Migrationspolitik einnehmen kann, die Wohlstand und Lebensqualität für alle realisiert und gleichzeitig eine inklusive Gesellschaft mit freiheitlichen und demokratischen Werten gestaltet. Der dritte Teil des Buchs ist konkreten Ideen zur Umsetzung der entwickelten Vision gewidmet. Er entwirft das Konzept einer regulierten Offenheit als Politikziel und präsentiert eine Übersicht der möglichen Mittel und Wege, wie eine fortschrittliche Migrationspolitik gestaltet werden kann. Im letzten Teil des Buchs schliesslich erfahren neugierige Leserinnen und Leser mehr über die zivilgesellschaftlichen Formate, die wir im Rahmen des Projekts angewendet haben. Es kann als Anleitung und Inspiration für neue Formen der politischen Partizipation dienen und über die Thematik der Migration hinaus zur demokratischen Meinungsbildung beitragen.

Während des...

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