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New Public Management und Demokratie in Lateinamerika

Fallbeispiel Mexiko

AutorPeter Peetz
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl71 Seiten
ISBN9783656578444
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2013 im Fachbereich Organisation und Verwaltung - Sonstiges, Note: 1,0, FOM Hochschule für Oekonomie und Management gemeinnützige GmbH, Hochschulstudienzentrum Hamburg, Veranstaltung: Public Management, Sprache: Deutsch, Abstract: Seit den späten 1970er Jahren hat eine Welle von Reformen die öffentliche Verwaltung in Ländern aller Erdteile tiefgreifend verändert. Unter dem Schlagwort New Public Management (NPM) führen staatliche Organisationen unternehmerische und marktwirtschaftliche Elemente in ihre Planungs-, Steuerungs-, Leistungs- und Kontrollabläufe ein. Die Reformen zielen vor allem auf die Steigerung der Effizienz und der Effektivität staatlichen Handelns ab und reichen von der Ausrichtung der Organisationen auf neue strategische Grundsätze (Kunden-, Output-, Wettbewerbs-, Qualitätsorientierung) bis zu konkret-technischen Neuerungen, die sich aus dieser Neuausrichtung ableiten (E-Government, Umstellung von kameralem auf doppisches Rechnungswesen, leistungsorientierte Bezahlung des Personals usw.). In Lateinamerika setzte die Reformwelle Ende der 1980er Jahre ein. Es drängt sich jedoch die Frage auf, ob NPM in Ländern wie den lateinamerikanischen, in denen die Bürokratie im Sinne Max Webers nie real existiert hat, überhaupt sinnvoll und erfolgreich sein kann. Dies wird in der vorliegenden Arbeit sowohl überblicksartig für Lateinamerika, als auch detailliert anhand des Länderfalls Mexiko untersucht. Im Mittelpunkt der Analyse zu Mexiko steht dabei ein gesellschaftliches und politisches Phänomen, das als eines der zentralen Legitimitäts-, Effektivitäts- und Effizienzdefizite staatlichen Handelns in jenem Land gilt: der Klientelismus. Bei der Beurteilung der Sinnhaftigkeit und des Erfolgs von NPM-Reformen in lateinamerikanischen Ländern ist zu berücksichtigen, dass dort neben der angestrebten Effizienz- und Leistungssteigerung immer auch die Vertiefung der Demokratie zu den Zielen der NPM-Verfechter gehört. Diese demokratieorientierte Zielsetzung von NPM haben die lateinamerikanischen Regierungen selbst explizit formuliert: 1998 veröffentlichten sie eine Art Manifest mit einem starken Bekenntnis zu NPM; darin heißt es unter anderem, NPM habe 'a direct impact on the consolidation of democracy.' Die Resultate der NPM-Reformen in Lateinamerika müssen sich folglich auch an dieser demokratiebezogenen Zielsetzung messen lassen. Die gegenseitige Beeinflussung von NPM und (defekter) Demokratie in Lateinamerika ist Gegenstand dieser Arbeit. Die zentrale These lautet, dass das Wechselverhältnis von NPM und Demokratie in Lateinamerika stark durch die Existenz informeller Institutionen wie des Klientelismus geprägt ist.

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Leseprobe

3 Zentrale Begriffe


 

In diesem Kapitel sind die für die vorliegende Arbeit zentralen Begriffe, sowohl aus dem politikwissenschaftlich-demokratietheoretischen (Demokratie, defekte Demokratie, Neopatrimonialismus, Klientelismus), als auch aus dem verwaltungswissenschaftlichen Bereich (öffentliche Verwaltung, Verwaltungsreform, NPM), zu operationalisieren. Es handelt sich dabei größtenteils (außer vielleicht bei den Begriffen öffentliche Verwaltung und Verwaltungsreform) um Konzepte, mit denen reale – oder zumindest als real wahrgenommene – empirische Phänomene der sozialen Wirklichkeit im Sinne des Weber’schen „Idealtypus“ (Weber 1985, 190ff) kategorisiert werden. Manche dieser Konzepte sind eher beschreibend-analytischen, andere eher normativ-programmatischen Charakters; einige sind eher positiv, andere eher negativ konnotiert. Während beispielsweise die Einordung einer Handlung, einer sozialen Beziehung usw. als Klientelismus in der Regel mit einer negativen Wertung einhergeht (oder höchstens als wertneutrale Zustandsbeschreibung gemeint ist)[9], kann NPM sowohl (neutrale oder entweder positiv oder negativ konnotierte) Zustandsbeschreibung sein, als auch normativ gesetztes „Programm“. Denn während man empirisch wohl niemals eine explizite Forderung nach der Einführung, Beibehaltung oder Verstärkung klientelistischer Praktiken und Beziehungen finden wird, kommt dies für NPM sowohl seitens der Wissenschaft und anderer Beobachter als auch seitens unmittelbar involvierter Akteure (beispielsweise seitens der lateinamerikanischen Regierung in CLAD 1998) häufig vor. Die folgenden, weitgehend auf der jeweiligen Fachliteratur basierenden Definitionen und Erläuterungen geben Auskunft darüber, was in der vorliegenden Arbeit mit den in ihr verwendeten zentralen Begriffen jeweils gemeint ist und warum sie sich zur Bearbeitung der hier gewählten Fragestellung eignen.

 

3.1 Demokratie, defekte Demokratie, Neopatrimonialismus, Klientelismus


 

Demokratie

 

Der Begriff Demokratie ist in der vorliegenden Arbeit zentral und soll nun operationalisiert werden, da sich die gesamte Analyse an der Demokratie als normativ gesetzter Zielrichtung orientiert. In der westlichen/nördlichen Zivilisation besteht grundsätzlich kaum Dissens darüber, dass Demokratie erstrebenswert ist, aber was jeweils unter Demokratie verstanden wird, kann mitunter deutlich variieren. In der politikwissenschaftlichen Demokratieforschung – insbesondere in der Forschung zum Übergang von nicht-demokratischen zu demokratische(re)n Systemen, der so genannten Transitionsforschung, ist heute die Theorie der „embedded democracy“ einer der einflussreichsten Versuche, Demokratie konzeptionell zu fassen. Sie ist auch für das Demokratieverständnis in der vorliegenden Arbeit ausschlaggebend.

 

Eine Forschergruppe um Wolfgang Merkel formulierte die embedded-democracy-Theorie (Merkel et al. 2003, 48–56 und Merkel 2004, 36–48) teilweise in Fortentwicklung, teilweise in Abgrenzung des auf Robert A. Dahl (1971) zurückgehenden Grundverständnisses von Demokratie als „Polyarchie“.[10] Mit Blick auf die empirische Realität in Ländern, in denen die Demokratisierung erst im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eingesetzt hatte (sogenannte „dritte Welle der Demokratisierung“) fordert Merkel (2004, 44–48) erstens, die Rahmenbedingungen von Demokratie in Hinsicht auf Staatlichkeit und auf gesellschaftliche und sozioökonomische Strukturen bei der Analyse miteinzubeziehen. Zweitens sieht er die bei Dahl im Vordergrund stehende elektorale Dimension von Demokratie (staatliche Macht ist jeweils auf begrenzte Zeit in der Hand gewählter Personen; Wahlen sind frei und fair, etc.) nur als ein – allerdings zentrales – Teilregime, das in vier weitere Teilregime („political liberties“, „civil rights“, „horizontal accountability“ und „effectice power to govern“) eingebettet ist (ebd., 36–43).

 

Dieses Merkel’sche Demokratiekonzept ist unter anderem in die Entwicklung sehr anwendungsorientierter Analyse- und Bewertungsformate wie etwa den Bertelsmann-Transformation-Index (BTI) eingeflossen.[11] Das Verständnis von Demokratie als embedded democracy ist für die vorliegende Arbeit auch deshalb so gut geeignet, weil in der weiteren Analyse, etwa bei Aussagen zum Stand der Demokratie in Lateinamerika, stark auf damit arbeitende „Demokratie-Messinstrumente“, wie eben den BTI, zurückgegriffen werden wird.

 

Defekte Demokratie

 

Bezugnehmend auf die erläuterte embedded-democracy-Theorie definieren Merkel et al. (Merkel et al. 2003, 66) den Begriff der defekten Demokratie als

 

„Herrschaftssysteme, die sich durch das Vorhandensein eines weitgehend funktionierenden demokratischen Wahlregimes zur Regelung des Herrschaftszugangs auszeichnen, aber durch Störungen in der Funktionslogik eines oder mehrerer der übrigen Teilregime die komplementären Stützen verlieren, die in einer funktionierenden Demokratie zur Sicherung von Freiheit, Gleichheit und Kontrolle unabdingbar sind.“

 

Diese Definition ist auch für die vorliegende Arbeit maßgebend. Hervorzuheben ist, dass ein politisches System, um überhaupt als Demokratie bezeichnet werden zu können, eine Grundvoraussetzung erfüllen muss, und zwar muss die auch in Dahls Polyarchie-Konzept zentrale Funktion hinreichend freier und fairer Wahlen gegeben sein. Wenn dies in einem Land nicht der Fall ist, handelt es sich nicht mehr um eine defekte Demokratie, sondern um gar keine Demokratie; das Herrschaftssystem ist dann vielmehr als Autokratie oder autoritäres System zu bezeichnen. Ausschließlich Fälle, in denen einerseits diese Grundvoraussetzung für Demokratie erfüllt ist, aber andererseits weitere Merkmale demokratischer Rechtsstaatlichkeit (politische Teilhaberechte, effektive Regierungsgewalt, horizontale Gewaltenkontrolle und bürgerliche Freiheitsrechte) nicht in ausreichender Weise verwirklicht sind, sind als defekte Demokratien zu verstehen.

 

Je nach Fragestellung ergeben sich hieraus zwei verschiedene Sichtweisen auf defekte Demokratien. Geht es darum, das politische System eines Landes in das binäre Schema „Demokratie vs. Autokratie“ einzuordnen, dann trifft die Kategorie „Demokratie“ zu. Versteht man Demokratie und Autokratie aber (wie ebd., 65) als Pole auf einem Kontinuum, dann liegen defekte Demokratien in der Grauzone zwischen diesen beiden Polen.[12] In der Anwendung dienen Messversuche wie der oben erwähnte BTI mit ihren ausdifferenzierten Kriterienkatalogen dazu, die Position mehrerer defekter Demokratien (sowohl synchron zwischen verschiedenen Ländern zu einem gegebenen Zeitpunkt, als auch diachron für ein einzelnes Landes im Zeitverlauf) auf diesem Kontinuum zu bestimmen. In der Forschung zu den verschiedenen Defekten, die eine Demokratie einschränken können, widmet sich vor allem ein Forschungsstrang auch der Rolle der öffentlichen Verwaltung innerhalb defekter Demokratien: Gemeint ist die Forschung zum sogenannten Neopatrimonialismus.

 

Neopatrimonialismus

 

Der Begriff Neopatrimonialismus verweist zurück auf einen von Max Weber (1980, 580ff) als Patrimonialismus bezeichneten Typus vormoderner Herrschaft und kann wie folgt definiert werden:

 

"Neopatrimonialism is a mixture of two, partly interwoven, types of domination that co-exist: namely, patrimonial and legal-rational bureaucratic domination. Under patrimonialism, all power relations between ruler and ruled, political as well as administrative relations, are personal relations; there is no differentiation between the private and the public realm. However, under neopatrimonialism the distinction between the private and the public, at least formally, exists and is accepted, and public reference can be made to this distinction […]. Neopatrimonial rule takes place within the framework of, and with the claim to, legal-rational bureaucracy or ‘modern’ stateness. Formal structures and rules do exist, although in practice, the separation of the private and public sphere is not always observed. […] [T]he patrimonial penetrates the legal-rational system and twists its logic, functions, and effects. That is, informal politics invade formal institutions. Informality and formality are intimately linked to each other in various ways and by varying degrees; and this particular mix becomes institutionalised [...]" (Erdmann/Engel 2006, 18)[13]

 

Die meisten konzeptionellen Überlegungen und empirischen Anwendungsbeispiele zum Phänomen des Neopatrimonialismus beziehen sich auf den afrikanischen Kontext (z.B. Pitcher et al. 2009; Bach 2011; Walle 2012); in jüngerer Zeit findet das Konzept jedoch zunehmend auch auf Lateinamerika Anwendung (z.B. Bechle 2010; Fauré 2012; Durazo Herrmann 2010).

 

Bechle (2010, 19) benennt drei informelle Institutionen, die in neopatrimonialen Regimen das legal-rationale System durchdringen: „a concentration of personalist power; systematic clientelism; and particularistic use of state resources.“ Machtkonzentration in den Händen der obersten Führungspersönlichkeit, in der Regel des Staatspräsidenten, ist eher ein politisches Phänomen im engeren Sinne; aber Klientelismus und die Verwendung öffentlicher Ressourcen für private Zwecke (kurz: Korruption) betreffen auch den administrativen...

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