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E-Book

Nichtstun, Flirten, Küssen (Wissen & Leben)

und andere Leistungen des Gehirns

AutorManfred Spitzer
VerlagSchattauer
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl348 Seiten
ISBN9783608168358
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Ein Titel aus der Reihe Wissen & Leben Herausgegeben von Wulf Bertram Das Gehirn schläft nie,. ... sondern es lernt pausenlos, selbst im Schlaf. Es befähigt uns, knifflige Rätsel und komplizierte Rechenaufgaben zu lösen oder geschliffene Reden zu formulieren. Was aber tut unser Gehirn, wenn wir nichts tun? Und welche Rolle spielt es in unserem Liebesleben? In seinen neuen Beiträgen widmet sich der Neurowissenschaftler, Psychiater und Philosoph Manfred Spitzer erneut seinem liebsten Forschungsobjekt - dem menschlichen Gehirn. Dabei spannt er den Bogen von der 'Wissenschaft vom Flirten' über das 'Gehirn einer Mutter' bis zur 'Gehirnforschung in der Fastenzeit'. Außerdem geht er Fragen auf den Grund wie: Was ist Leben? Wer gewinnt den Showdown im Kampf Terminator gegen Schwarzenegger? Warum sind wir so versessen aufs Küssen? und vielen faszinierenden Themen mehr. 21 neue Spitzer-Essays - für die Pausen zwischen Flirten, Küssen und Nichtstun!

Manfred Spitzer Prof. Dr. Dr., studierte Medizin, Psychologie und Philosophie in Freiburg, war Oberarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Heidelberg, Gastprofessor an der Harvard-Universität und am Institute for Cognitive and Decision Sciences in Oregon. Sein Forschungsschwerpunkt liegt im Grenzbereich der kognitiven Neurowissenschaft, der Lernforschung und Psychiatrie. Seit 1997 ist er Ordinarius für Psychiatrie in Ulm. Spitzer ist Herausgeber des psychiatrischen Anteils der Zeitschrift 'Nervenheilkunde' und leitet das von ihm gegründete 'Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen' in Ulm. Er hat mehrere neurowissenschaftliche Bestseller verfasst und moderiert eine wöchentliche Fernsehserie zum Thema Geist und Gehirn.

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Leseprobe

Vorwort


Wieder ist ein Jahr vergangen und wieder schreibe ich ein kleines Vorwort zu den 21 Geschichten aus der Wissenschaft, die ich als Herausgeber für die Zeitschrift für Nervenheilkunde im Jahr 2011 schrieb und die nun das 13. Büchlein dieser Serie ausmachen. Ja, das 13., aber ich bin nicht abergläubisch.

„Geht Ihnen eigentlich nie der Stoff aus?“ werde ich manchmal gefragt. Nein, wirklich nicht. Es geschieht einfach so unglaublich viel im Fachgebiet der Psychiatrie, die für mich Geist und Gehirn umspannt, dass man darum wirklich keine Angst zu haben braucht. Während ich dieses Vorwort schreibe, bin ich gerade wieder einmal auf dem jährlichen Treffen der Society of Neuroscience – dieses Jahr in Washington – und über 31 000 Neurowissenschaftler produzieren einfach unglaublich, um nicht zu sagen, überwältigend viele neue und interessante Erkenntnisse.

„Schreiben Sie das alles eigentlich wirklich selber?“ ist die zweite häufig gestellte Frage. Und hier lautet die Antwort ganz klar „Ja“, obgleich es in diesem Buch eine Ausnahme gibt: Mein Mitarbeiter Heiko Graf hat an „Das Gehirn beim Nichtstun“ mitgeschrieben und mir damit sehr geholfen. Ich danke ihm dafür ganz herzlich. In den letzten Jahren nahm jeweils im Herbst die Arbeitsbelastung so unerträglich zu, dass man sich einfach nur noch auf Weihnachten freut, wenn mal für einige Tage eine Zwangspause eingelegt wird. Alle anderen Beiträge sind von mir allein verfasst.

Sie zeigen hoffentlich deutlich, dass ein wesentlicher Charakterzug der gegenwärtigen Zeit in der Überwindung des Grabens zwischen Natur- und Geisteswissenschaft besteht. Vielleicht gab es diesen Graben ja nie wirklich und vielleicht haben sich die Leute auch nur durch die plakative Formulierung von C. P. Snow (1959), der von „zwei Kulturen“ spricht, in die Irre führen lassen (Markl 1994). Fest steht für mich jedenfalls, dass sich seit meinen Jahren als Student im schönen Freiburg, wo Biologie und Medizin einerseits und Psychologie und Philosophie andererseits zwar nur ein paar Straßen räumlich, gedanklich jedoch Lichtjahre voneinander entfernt waren, viel geändert hat. Heute gibt es Experimentelle Philosophie genauso wie Neuro-Recht oder Neuroökonomie, und der Graben zwischen Natur und Geist existiert im Grunde nur noch in den Köpfen der älteren Generation. Böse Zungen mögen behaupten, dass sich die Jungen heute nicht mehr an den intellektuellen Auseinandersetzungen beteiligen, nicht mehr „ideologisch“ entflammt denken, weil sie sich für gar nichts mehr interessieren außer für Partys und iPhones, aber ich glaube nicht, dass es sich so verhält. Vielleicht sind die jungen Leute einfach nur etwas aufgeklärter und haben intuitiv verstanden, dass man die Welt nicht in Natur und Geist einteilen kann …

Das Gehirn des Menschen beschäftigt sich nun einmal seit seiner Entstehung und Ausbreitung über den Erdball (Kapitel 18) unglaublich gerne mit Geschichten. Wissenschaftler behaupten zwar, dass die Wissenschaft das Schönste sei, dass man mit anbehaltener Hose tun kann, müssen jedoch zugeben, dass Geschichten weit vor der Vergleichstätigkeit ohne Hose liegen. Dass dies so ist und warum, versuche ich im ersten Kapitel – Aschenputtel als Flugsimulator – zu zeigen. Ein ganzer Forschungsstrang blieb dabei unberücksichtigt, obwohl er das Kapitel mit Kapitel 5 über das Gehirn beim Nichtstun ganz zwanglos verknüpft: Wenn man das Gehirn dabei beobachtet, wenn es nichts tut, und dabei, wenn es Geschichten versteht und dabei Schlüsse über andere Menschen zieht, dann kommt so ziemlich dasselbe heraus (Ma et al. 2011). Mit den Worten der Autoren: „[…] intentional and spontaneous trait inferences recruit the same neural network involved in social mentalizing“ (Ma et al. 2011, S. 7), wenn auch die Aktivierung beim unbewussten Nachdenken über Andere etwas geringer ist als beim bewussten.

Die Losung von Kapitel 2 – wer nicht abschweift, hat mehr vom Leben – bedarf im Grunde keines weiteren Kommentars. Allenfalls sollte man hinzufügen, dass man nicht nur mit dem iPhone abschweifen kann, sondern auch mit vielen anderen kleinen digitalen „Helfern“, die uns das Leben zwar leichter machen, aber genauso wie Fahrstühle, Rolltreppen und Autos auch Teile unseres Körpers verkümmern lassen (Kapitel 12). Mindfulness (zu deutsch: Achtsamkeit) als Antidot ist dabei längst nicht mehr nur Thema in meditativen Zirkeln, sondern hat als Gegenstand der positiven Psychologie seit mehr als einem Jahrzehnt einen festen Platz unter den Gegenständen der seriösen wissenschaftlichen Forschung (Seligman 2002). So wundert es auch nicht, dass man endlich besser verstanden hat, dass und warum gewissenhafte Menschen gesünder sind, mehr verdienen, glücklicher sind und länger leben (Kapitel 10).

Bei falschem Gebrauch machen viele der „kleinen digitalen Helfer“ nicht nur nicht glücklich, sondern können auch massiv schaden. Dies dachte sich auch der Gouverneur von Kalifornien und versuchte, per Verfassungsgerichtsurteil den Verkauf der schlimmsten Videospiele an Jugendliche einzuschränken. Was im Kapitel 13 – Showdown im Kampf: Terminator gegen Schwarzenegger – zum Zeitpunkt der Publikation in der Nervenheilkunde noch nicht berichtet werden konnte, sei hier nachgetragen: Er hat verloren (im Juli 2011), weil nach Meinung der Mehrheit der amerikanischen Verfassungsrichter Grimms Märchen ja auch erlaubt und ganz schön „grim“ seien, kein wesentlicher Unterschied vorläge zwischen Gewaltvideospielen und Märchen und die Freiheit der Rede ein hohes Gut sei. Es ist zu hoffen, dass die Verfassungsrichter hierzulande, sollten sie einmal mit einer ähnlichen Frage konfrontiert sein, über mehr Urteilskraft verfügen!

Diese wird weiter sehr gefragt sein, denn die Wissenschaft verschiebt mit ihren neuen Erkenntnissen nicht nur dauernd die Grenzen der Begriffe und Kategorien unseres Denkens (Kapitel 21), sondern fordert mit ihren Anwendungen beständig unsere Urteilskraft bezüglich der Grenzen unseres Handelns heraus (Kapitel 19). Zugleich macht sie aber auch die Grundlagen menschlichen Handelns einer wissenschaftlichen Betrachtung zugänglich, verursacht also nicht nur ethische Probleme, sondern trägt auch zu deren besserem Verständnis – von Lösungen will ich gar nicht sprechen – bei: Gut ist oben (Kapitel 17), Boni sind schlecht für die Motivation (Kapitel 3), Freiheit gibt es nur, wenn man an sie glaubt und sie sich nimmt (Kapitel 11), und Menschen sollten über ihre Biologie auch dann nachdenken, wenn sie sich über die Art und Struktur ihres Zusammenlebens Gedanken machen (Kapitel 4 und 9).

Wesentlicher Bestandteil unseres Zusammenlebens sind Rituale des Zusammentreffens von Mann und Frau. Dass es hier nicht nur kulturelle Determinanten gibt, wird nach der Lektüre der bisher angeführten Kapitel niemanden mehr wundern, und so sind die Kapitel 6 und 7 über das Flirten und Küssen keine Fremdkörper in einem Buch über einige Neuigkeiten aus der Neurobiologie, sondern gehören ebenso mitten hinein wie das Kapitel 8 über das Gehirn einer frischgebackenen erstmaligen Mutter.

Die übrigen Beiträge beschäftigen sich mit Problemen des Gedächtnisses in der Kindheit (Kapitel 15) und des Lernens (Kapitel 14 und 20) sowie des Alterns (Kapitel 16). Es werden damit systematisch sowohl die Lebensspanne des Menschen als auch die Phasen des Gedächtnisprozesses vom Enkodieren über die Art der Speicherung bis zum Abruf jeweils mit einem Schlaglicht beleuchtet. Es ist meine Hoffnung, dass die Mischung für den Leser zwei Aufgaben zugleich erfüllt: Ihm zum einen genug Verbindungen zu eigenem Erleben ermöglicht, an denen er anknüpfen kann; und ihn zum zweiten neugierig genug macht, sodass sein Interesse geweckt ist und er weiterlesen und vor allem weiterdenken möchte. Wissenschaft ist unabschließbar, es gibt für jeden immer viel mehr, das er nicht weiß, verglichen mit dem kleinen bisschen, das er weiß. Wenn etwas gewiss ist, dann diese Einsicht, die einen bescheiden macht.

Wie jedes Jahr möchte ich meinen Mitarbeitern in Ulm und den Mitarbeitern des Schattauer Verlages herzlich für die Hilfe danken: den Verlegern Dr. Wulf Bertram und Dieter Bergemann, Frau Dr. Borchers, Frau Becker, Frau Dr. Brummer, Frau Ferreau, Frau Schrauth und Frau Heyny. Ohne sie wäre ich wie ein Achter mit Steuermann ohne Achter.

Das Buch ist meinen Kindern gewidmet. Über sie denke ich dauernd nach, mache mir Sorgen, welche Zukunft sie von uns, der jetzt aktiven und bestimmenden Generation, hinterlassen bekommen. Und ich frage mich seit einigen Jahren, ob sie irgendwann auch einmal zu mir sagen werden: „Papa, du hast das alles gewusst – und warum hast du nichts getan?“ Ich habe das meinen Vater vor 40 Jahren auch gefragt, völlig daneben, denn er war bei Ausbruch des Krieges 14 und bei dessen Ende 20 und gefangen. Was hätte er tun können? Ich bin Professor und werde dafür bezahlt, mir Gedanken zu machen und auch dann einer breiteren Öffentlichkeit mitzuteilen, wenn sie unbequem sind (genau deswegen ist meine Stelle auch unkündbar: Ich habe keine Ausrede, unbequeme Dinge nicht zu sagen). So zu tun als sei alles in Ordnung, weiterwursteln und ja nicht auffallen, den...

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