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E-Book

Niedrigschwellige Betreuung von Demenzkranken

Grundlagen und Unterrichtsmaterialien

VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl178 Seiten
ISBN9783170266407
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Die wachsende Zahl Demenzkranker stellt eine große Herausforderung für die Gesellschaft dar. Der Wunsch vieler Betroffener, in ihrer häuslichen Umgebung zu verbleiben, kann oft durch eine Unterstützung der Angehörigen realisiert werden. Positiv wirkt sich dabei die deutsche Gesetzgebung aus, die eine Vergütung von 'niedrigschwelligen Betreuungsleistungen' erlaubt. Die Beiträge im ersten Teil des Bandes stellen die Grundlagen freiwilligen, bürgerschaftlichen Engagements dar, schildern die gesellschaftlichen Herausforderungen durch Demenzkrankheiten und diskutieren die Situation pflegender Angehöriger sowie die bisherigen Erfahrungen mit der Schulung von Angehörigen und ehrenamtlichen Helfern. Ein Schulungsprogramm, das die wichtigsten Inhalte für den (ehrenamtlichen) Umgang mit demenzkranken Menschen vermittelt und eine solide Grundlage für den Aufbau von Betreuungsangeboten darstellt, bildet den zweiten Teil des Buches. Die beiliegende CD-ROM enthält neben dem Schulungsprogramm auch Handreichungen und Unterlagen für Schulungsteilnehmer.

Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe ist Leitende Ärztin an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. Dr. med. Gerthild Stiens ist Leiterin des Gerontopsychiatrischen Zentrums an den Rheinischen Kliniken Bonn.

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Leseprobe

1 Herausforderung durch die Demenzkrankheiten: Epidemiologische Versorgungssituation, psychosoziale und ökonomische Folgen


Siegfried Weyerer und Martina Schäufele

1.1 Einleitung


Demenz ist eine der häufigsten und folgenreichsten psychiatrischen Erkrankungen im höheren Alter. Mit Demenz wird ein fortschreitender Verlust an Gedächtnisleistungen und kognitiven Funktionen bezeichnet, der meist nach mehrjährigem Verlauf in geistigen Verfall mit Verlust der Sprachfähigkeit übergeht und schließlich zur völligen Pflegebedürftigkeit und zum Tode führt. Neben den kognitiven Störungen treten bei Demenzkranken häufig auch andere psychische Auffälligkeiten auf, wie Depressionen, Schlafstörungen, Unruhe, Angst, paranoid-halluzinatorische Syndrome und Aggressionen. Diese sogenannten nicht kognitiven Symptome der Demenz führen neben einer Verschlechterung der Lebensqualität des Kranken zu erheblichen Belastungen für die Betreuenden. Sie sind nicht nur Folge degenerativer Prozesse im Gehirn, sondern auch Ausdruck ihres engen Wechselspiels mit psychosozialen Einflüssen, der Persönlichkeit und den noch vorhandenen Konfliktbewältigungsstrategien. Der Oberbegriff Demenz umfasst eine Reihe von Krankheitsbildern mit unterschiedlicher Ursache. Eine umfassende Feldstudie in Rotterdam, in der neuere Diagnosekriterien angewendet wurden, ergab Folgendes: Auf Alzheimer-Demenzen entfielen 72 %, auf vaskuläre Demenzen 16 %, auf Parkinson-Demenzen 6 % und auf sonstige Demenzformen 5 % der Fälle (Ott et al. 1995).

In dieser Arbeit berichten wir über die Epidemiologie demenzieller Erkrankungen in der Bevölkerung, die ärztliche Inanspruchnahme demenzkranker Menschen und die Versorgung in Einrichtungen der ambulanten, teilstationären und stationären Altenhilfe. Des Weiteren gehen wir auf die Folgen demenzieller Erkrankungen ein: Unzureichende Krankheitseinsicht, Sturzhäufigkeit, erhöhtes Mortalitätsrisiko, Verlust der Selbstständigkeit, Belastung von Pflegepersonen sowie direkte und indirekte Kosten dieser Erkrankung.

1.2 Epidemiologie demenzieller Erkrankungen in der Bevölkerung


1.2.1 Prävalenz


Unter Prävalenz versteht man die Gesamtzahl aller Krankheitsfälle, die in einer definierten Population zu einem bestimmten Zeitpunkt oder während einer Zeitperiode auftreten. Überträgt man die Demenzraten für über 65-Jährige, die im Rahmen verschiedener Meta-Analysen berichtet wurden, auf die Altenbevölkerung Deutschlands am Ende des Jahres 2002, so ergibt sich eine Gesamtprävalenzrate zwischen 6,5 und 7,3 % für einen bestimmten Zeitpunkt. Legt man diese Werte zugrunde, so ist – bei einer Schwankungsbreite zwischen 900.000 und 1,2 Millionen – mit einem durchschnittlichen Krankenbestand von etwa einer Million Demenzkranken im Alter von über 65 Jahren zu rechnen (Tab. 1.1). Durchschnittlich stehen die leichten, mittelschweren und schweren Erkrankungsstadien in einem Verhältnis von ungefähr 3 : 4 : 3 zueinander (Weyerer und Bickel 2007).

Tab. 1.1: Mittlere Prävalenz und Inzidenz der Demenzkranken in Deutschland nach der Altersstruktur Ende des Jahres 2002 (Quelle: Weyerer und Bickel 2007)

Altersgruppe

Mittlere Prävalenzrate (%)

Geschätzte Krankenzahl in Deutschland

Jährliche Inzidenzrate (%)

Geschätzte Zahl der Neuerkrankungen in Deutschland

65–69

1,2

55.700

0,42

19.200

70–74

2,8

100.200

0,88

30.600

75–79

5,8

165.700

1,85

49.800

80–84

13,3

254.300

3,88

64.300

85–89

22,6

197.300

6,50

44.000

90 +

33,5

193.800

10,42

40.100

65 und älter

7,1

967.000

1,85

248.000

Mit zunehmendem Alter steigt die Häufigkeit demenzieller Erkrankungen sehr stark an, von weniger als 2 % bei den 65- bis 69-Jährigen auf über 30 % bei den 90-Jährigen und Älteren. Nicht sicher beantwortbar ist bislang, ob sich der Anstieg der Demenzprävalenz bei den über 90-jährigen Personen fortsetzt oder abschwächt (Ritchie und Kildea 1995).

Demenzen können auch in jüngeren Jahren auftreten. Die Prävalenz präseniler Demenzen ist jedoch sehr niedrig und ihre Schätzung ist mit großen Unsicherheiten behaftet. Für Deutschland liegen keine epidemiologischen Studien über präsenile Demenzen vor, doch kann man – auf Grundlage der Ergebnisse aus anderen Ländern (Bickel 2005) – die Gesamtzahl der Erkrankten auf etwa 20.000 schätzen. Bezogen auf alle Demenzen machen die präsenilen Formen weniger als 3 % aus (Bickel 2005).

Über 70 % aller Demenzkranken sind Frauen: Dies ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass Frauen im Vergleich zu Männern eine längere Lebenserwartung haben. Aber auch andere Faktoren dürften bei der höheren Demenzrate von Frauen eine Rolle spielen wie z. B. ihre längere Krankheitsdauer und geschlechtsspezifische Unterschiede in der Bildung und Multimorbidität (Weyerer und Bickel 2007).

Von den Pflegebedürftigen in Privathaushalten haben 46 % eine Demenz, wobei mit zunehmender Pflegestufe der Anteil stark ansteigt und in Pflegestufe III 76 % erreicht (Weyerer und Bickel 2007).

1.2.2 Inzidenz


Unter Inzidenz versteht man die neu aufgetretenen Krankheiten innerhalb eines Zeitraums. Auf der Grundlage verschiedener Meta-Analysen ist die Schwankungsbreite der Gesamtinzidenzraten demenzieller Erkrankungen höher als bei der Gesamtprävalenz. Bezogen auf die 65-Jährigen und Älteren liegt die Inzidenz demenzieller Erkrankungen zwischen 1,4 und 3,2 %. Ähnlich wie bei der Prävalenz steigen die Raten mit zunehmendem Alter stark an (Weyerer und Bickel 2007).

Legt man die niedrigste der ermittelten Ersterkrankungsraten (1,4 %) zugrunde, so sind derzeit in Deutschland pro Jahr etwa 190.000 Neuerkrankungen an Altersdemenz zu erwarten. Aufgrund der Ergebnisse der anderen Meta-Analysen ist jedoch zu vermuten, dass die Zahl der neuen Krankheitsfälle pro Jahr weit über 200.000 hinausgeht. Bezogen auf die 65-Jährigen und Älteren ist in Deutschland demnach jährlich mit nahezu 250.000 Neuerkrankungen an Demenz zu rechnen. (vgl. Tab. 1.1). Präsenile Ersterkrankungen sind mit zusätzlich 6.000 Fällen pro Jahr zu veranschlagen (Bickel 2005). Bei den Neuerkrankungen überwiegt – ähnlich wie bei der Prävalenz – die Alzheimer-Demenz.

1.3 Ärztliche Inanspruchnahme und Versorgung in Einrichtungen der Altenhilfe


1.3.1 Ärztliche Inanspruchnahme


In Deutschland werden über 90 % der Demenzkranken von ihrem Hausarzt (Allgemeinarzt, Internist) behandelt. Grundsätzlich sollten Hausärzte in der Lage sein, demenzielle Erkrankungen frühzeitig zu erkennen, da sie regelmäßig von der Altenbevölkerung konsultiert werden und häufig seit Jahren mit ihren Patienten vertraut sind. Das Wissen vieler Hausärzte über gerontopsychiatrische Erkrankungen ist aber oft unzureichend (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2002). Diese Feststellung wird unterstrichen durch eine Reihe von internationalen und nationalen Studien, die Zweifel wecken an der rechtzeitigen Entdeckung und Diagnose von Demenzen im höheren Alter. In einer deutschen Studie Mitte der neunziger Jahre wurde ermittelt, dass bei nur 14 % der kognitiv auffälligen Älteren die Beeinträchtigungen tatsächlich von ihren Hausärzten erkannt wurden (Sandholzer et al. 1999). In zwei repräsentativen Studien (Maeck et al. 2007, Stoppe et al. 2007), die in Niedersachsen im Abstand von acht Jahren in identischer Weise durchgeführt wurden, verwendeten die Untersucher Fallvignetten von Patienten mit unterschiedlichen kognitiven Beeinträchtigungsgraden. Dabei nahmen die Erkennungsraten für ein Demenzsyndrom im Zeitverlauf hoch signifikant zu: In der Frühdiagnose der Alzheimer-Demenz kam es zu einem Anstieg von 11 % auf 26 %. Wesentlich besser wurde die Erkennungsrate bei den Fallschilderungen von mittelgradigen Demenzen, wobei in der...

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