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E-Book

No Shame

Wie wir den Teufelskreis der destruktiven Scham verlassen

AutorJessica Libbertz
VerlagGräfe und Unzer Autorenverlag, ein Imprint von GRÄFE UND UNZER Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783833869327
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Wir kennen alle das Gefühl, uns zu schämen. Das bohrend schlechte Gewissen, die Schamesröte im Gesicht, der plötzliche flache Atem und die qualvolle innere Überzeugung des eigenen Versagens. Aber was ist eigentlich Scham und wieso zählt sie zu den größten Tabus unserer Gesellschaft? Warum darf man sein Schamgefühl nicht offen zeigen - obwohl viele ständig davon betroffen sind, vor allem Frauen? Doch die gute Nachricht lautet: Es gibt einen Ausweg aus der Schamfalle! Die Autorin Jessica Libbertz (geb. Kastrop), erfolgreiche TV-Moderatorin, zeigt, wie es geht. Sie ist gutaussehend und kompetent im Job - und fühlt sich dennoch jahrelang nicht gut genug, stolpert durch verschiedene Krisen. Erst als sie den Schlüssel zum wahren Kern ihrer Probleme findet, gelingt ihr die persönliche Wende. Die Autorin erzählt von ihrem Kampf und dem Sieg über die Scham - und zeigt uns Wege aus dem Teufelskreis. Ein motivierendes Beispiel und eine wunderbare Anleitung zum Glück.

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Leseprobe

Dass Schwaches das Starke besiegt und

Weiches das Harte besiegt,

weiß jedermann auf Erden,

aber niemand vermag danach zu handeln.

LAOTSE

SCHAM – DER SUMPF DER SEELE


Versagen ist nicht nur eine Option. Versagen ist ein MUSS! In einer Welt der zyklischen Gesetze ist Versagen die einzige Möglichkeit zum lang anhaltenden Erfolg. Nehmen Sie die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Seit 2002 eine scheinbar unaufhörliche Erfolgsgeschichte. Der Erfolg aber ist im Misserfolg begründet und umgekehrt, so erinnere ich mich an eine der Weisheiten des Dalai-Lama. Deshalb war das Scheitern bei der letzten Weltmeisterschaft eingepreist. Ohne Scheitern kein Fortschritt. Scheitern ist notwendig, um im Zyklus von Erfolg und Misserfolg wieder in den Erneuerungsprozess zu gehen.

Wer nicht scheitert, hat keinen Erfolg. Und wer keinen Erfolg hat, scheitert nicht.

Ich habe oftmals versagt. In meiner eigenen Wahrnehmung täglich. Ich habe die schlimmen Kritiken aus meiner Anfangszeit beim Fernsehen auch noch gegoogelt, und wenn ich bei einer Sendung einen Fehler gemacht hatte, lag ich nächtelang wach und geißelte mich. Der Feind in meinem Kopf hämmerte ohne Unterlass auf mich ein: »Du bist eben nicht gut genug. Du bist nicht gut genug. Du bist einfach nicht gut genug. Das wird sicher in den Untergang führen. Ganz sicher. Schäm dich!« Mein Blut fühlte sich zehn Grad kälter an, während meine Selbstzweifel auf den Siedepunkt stiegen.

Es gab keinen Ausweg aus dem Grübelkarussell für mich, ich bestrafte mich damit, tagsüber nichts zu essen, um nachts sämtliche Kühlschränke unsicher zu machen. Und tatsächlich fällt es mir selbst heute nicht leicht, dies hier zu schreiben. Ich schäme mich immer noch dafür. Aber es ist wichtig, um die Scham zu verstehen. Denn sie ist wie der Sumpf der Seele.2

Wir können den Sumpf trockenlegen, und das werden wir auch, aber wir müssen uns zunächst einmal dort umsehen. Irgendwo zwischen den Schlingpflanzen und dem Morast stoßen wir auf die wahren Abgründe, die wir womöglich seit Jahrzehnten zu verbergen suchen. Und wann immer sich die Gelegenheit ergibt, bahnt sich die Scham ihren Weg, denn sie möchte nicht, dass wir sie näher betrachten. Das mag sie überhaupt nicht! Sie will nicht ins Rampenlicht, denn das Verrückte ist: Wir könnten aufatmen und uns voller Erleichterung umarmen, wenn wir die Scham in uns allen erkennen und ihr mit Empathie begegnen würden. Die Väter, die sich nicht kümmern, von denen buchstäblich bis zum Verrecken keine Anerkennung kommt. Die Mütter, die so erschöpft und enttäuscht vom eigenen Leben sind, dass sie keine Liebe mehr zeigen können. Die Mitschüler, die die Schule zur Hölle machen. Die Chefs, die niemanden wachsen sehen wollen. Sie alle sind omnipräsent. Sie schämen sich! Wir alle schämen uns! Aber anstatt uns zu vereinen, trennt uns die Scham immer weiter voneinander.

Ein guter Freund von mir hat eine außergewöhnliche Karriere bei einem Social-Media-Start-up hingelegt und ein irrsinniges Millionenvermögen angehäuft. Er liebte seinen Vater aufrichtig und lechzte nach dessen Anerkennung wie ein Welpe, der vor seinem Napf mit weit aufgerissenen Augen auf Futter wartet. Doch Carl wartete vergeblich. Als er mit Ende 40 sein Unternehmen verkaufte, sagte sein Vater zu ihm: »Sohn, deine Mutter und ich machen uns etwas Sorgen. Kannst du dir das denn überhaupt leisten, so früh ›in Rente‹ zu gehen?« Carl hielt den Atem an. Der Moment war gekommen. Er hatte es geschafft. Nie hätte er es gewagt, seinem intellektuellen Vater zu sagen, wie viel Geld er sich erarbeitet hatte, weil er insgeheim wusste, dass der Papa diese Art von Karriere einfach nicht würdigen wollte. Selten hatte der sich nach seinem Unternehmen erkundigt, immer auf die Erfolge der Schwester hingewiesen, die eine akademische Laufbahn eingeschlagen hatte.

Aber nun war es so weit. Jetzt konnte er endlich die Früchte seiner jahrelangen Arbeit vorzeigen. Zumindest die monetären, und Himmel, ja, ihm waren sie nun mal wichtig. Jeder Mensch hat eben sein eigenes Denk- und Angstsystem.3

Stolz nickte er und gestand seinem Vater vorsichtig, welch großen Geldbetrag er zur Verfügung habe und dass dieses Geld wohl bis ans Lebensende – des eigenen und auch der nächsten und der übernächsten Generation – reichen würde. Insgeheim erwartete er nun final die Anerkennung, die ihm über Jahrzehnte verwehrt geblieben war. Einmal, so wünschte er sich inständig, sollte sein Vater stolz auf ihn sein. Nur dieses eine Mal.

Der Vater machte eine kurze Pause, räusperte sich, sah seine Frau an und sagte: »Ach, mein Sohn, weißt du, deine Mutter und ich sind froh, dass wir uns im Leben mit solchen Beträgen nie auseinandersetzen mussten.« Das saß. Treffer. Versenkt.

Carl saß da mit seinem Berg von Geld und Scham, und im entscheidenden Moment blieb ihm wieder die Anerkennung versagt. Natürlich stellt sich hier die Frage: Warum kann der Vater nicht einmal über seinen Schatten springen und seinen Sohn loben? Aber wir vergessen immer gern, dass wir es mit einer Nach- oder Nochkriegsgeneration zu tun haben, die mit Liebe und Vergebung in Konflikt stand und steht aufgrund ihrer posttraumatischen Belastungssituation. Insofern wäre es wichtig für Carl, dass er seine eigene Schamursache erkennt und akzeptiert: Du kriegst den Papa nicht mehr rum.

Punkt.

Du kriegst den Papa nicht mehr rum.

Es funktioniert nicht, aber wer will schon gern aufgeben?

Wir alle spielen zuhauf das »Krieg-ich-dich-noch-rum?«-Spiel, ob in Beziehungen oder in der alten Verbindung zu den Eltern, obwohl wir im Grunde genommen wissen oder zumindest ahnen, dass der Weg mit Sicherheit immer wieder in die gleiche verflixte Sackgasse führt. Wir arbeiten uns ab an hoffnungslosen Beziehungen, weil wir endlich nach dem finalen »Erfolg« lechzen. Wir könnten dann nämlich sagen: Wir haben es geschafft. Stattdessen bahnt sich die destruktive Scham hinterrücks ihren Weg. »Schäm dich!« heißt es noch heute, wenn Kinder etwas vermeintlich falsch machen, und der Vollständigkeit halber lautet der Satz eigentlich: »Schäm dich, du hast versagt!«

Toni, der beste Freund meines Anwalts, lebt seit Jahren als Single in New York. Er ist attraktiv, erfolgreich, bewohnt ein schickes Apartment in Greenwich und gilt als ausgewiesener Womanizer. Doch der Schein trügt. Denn Toni sucht sich, obwohl er sich sehr einsam fühlt, mit traumwandlerischer Sicherheit Frauen, die KEINE Beziehung wollen oder nach wenigen Wochen mit ihm Schluss machen. Alle verkörpern die bereits verstorbene Mutter, deren Liebe er nie bekommen konnte. Und dieses Spiel will oder kann er nicht aufgeben. Wenn er eine von diesen Frauen »bekäme«, dann hätte er am Ende gewonnen. Danach strebt er, doch das Einzige, was er schmerzvoll sammelt, sind Körbe und Niederlagen.

Und so tummeln sich auf dem Schlachtfeld der »Ich-krieg-dich-noch-rum«-Kämpfer Millionen von Menschen, die mit ihrer Zeit und ihrer Energie mit großer Wahrscheinlichkeit Besseres anfangen könnten. Doch sie halten daran fest, weil die Scham zu tief im Sumpf ihrer Seele steckt. Sie sitzt da wie ein dicker Parasit, der nur darauf wartet, sich wieder durch die Schuld nähren zu können (siehe »Der Schamkörper«, >). Dabei könnte es viel leichter gehen! Wer erst einmal akzeptiert, dass dieses vermeintliche Versagen überhaupt keines ist, sondern nur die völlig logische Konsequenz eines neurotischen Verhaltens, das aus der Scham entspringt, der kann die Neurose abstellen. Und ohne Neurose kein Versagen. So einfach ist das.

Bei allen neurotischen Verhaltensweisen, die ihre Ursache in der Kindheit haben – so wie eigentlich fast alle Verhaltensweisen –, lohnt sich eine Reise in den eigenen Seelendschungel. Die Menschen in Peru zum Beispiel sind überzeugt von der Existenz des inneren Kindes, ein auch in den USA mittlerweile weitverzweigter psychologischer Ansatz. Doch die Peruaner glauben mit Sicherheit, dass das innere Kind existiert, und sie gehen gemeinsam mit ihm auf Seelenreise. Ich habe diese Seelenreise bei einer Schamanin aus den Anden unternommen. Das Verfahren ist identisch mit dem, das Hanscarl Leuner 1954 eingeführt hat unter dem Begriff »Katathym Imaginative Psychotherapie«. Diese erfolgreiche Psychotherapie, in der mit Tagträumen gearbeitet wird, wird in Deutschland übrigens als Krankenkassenleistung angeboten – nur damit Sie nicht glauben, ich will Sie zu irgendeinem Scharlatan schicken. Die Begegnung mit den Bildern der eigenen Seele hilft enorm, um alte Ursachen der Scham herauszufinden, kann aber auch bei posttraumatischen Belastungsstörungen sehr effektiv sein.

Als ich zu Beginn meiner eigenen Reise aus der destruktiven Scham heraus durch meinen Seelensumpf watete, kamen furchtbare Bilder zutage. Ich sah Gräueltaten von russischen Soldaten im Krieg, ich sah meine Mutter als kleines Kind auf der großen Flucht im Februar 1945, und parallel sah ich mich, wie ich als Erstklässlerin gehänselt und von einer meterhohen Spinne gejagt wurde, dem Tier, vor dem ich schon als Kind unglaubliche Angst hatte. Ich habe mich jahrelang geweigert, in meinem Elternhaus in den Keller zu gehen, weil dort handtellergroße Erdspinnen saßen (ich fürchte, ich übertreibe an dieser Stelle noch heute).

Es war, als würden sich meine Seelenbilder auch mit den Ängsten meiner Mutter vermischen. Erst nach einigen Sitzungen ließen die schlimmsten Bilder nach. Wenn ich heute auf Seelenreise gehe, erblicke ich nur friedliche Wesen und eine sonnige Blumenwiese. Die destruktive Scham hält mich nicht mehr im Schwitzkasten. Doch weil sie für so viele negative Verhaltensmuster verantwortlich ist, gilt es, ihre Herkunft zu...

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