Bezugnehmend auf die vorangegangen theoretischen Ausführungen stellt sich nun die Frage nach Balancen und Diskrepanzen innerhalb des Geschlechts, aber auch zwischen Mann und Frau in der Gesellschaft. Männlichkeit und Identität dürfen nicht als starre Strukturen begriffen werden, sie stehen in Interdependenz zum Umfeld, zur Gesellschaft und ihrer Konsistenz. Wie zuvor erwähnt bedingen beide einerseits, manipulieren und mitformen sie andererseits. Sich dem Thema moderner Männlichkeit und dessen Herausforderungen, Anforderungen, Problemen und Missständen zu nähern, erfordert also den gleichsamen Blick auf die Gesellschaft im Wandel des 21. Jahrhunderts.
Sucht man nach Diskrepanzen in den Geschlechterrollen stößt man zwangsläufig auf die Frage nach dem Warum, bei der gesellschaftliche Wandlungsprozesse selbstverständlich mitwirken müssen. Die fortwährende Ausdifferenzierung der postmodernen Industriegesellschaften im Zuge der Modernisierung verübt strukturelle Einflüsse. Im Ergebnis erfährt die Gesellschaft eine Dynamisierung, die das Raum-Zeit-Regime ändert und analog „Auswirkungen auf die Formen der gesellschaftlich dominanten individuellen Selbstverhältnisse, d.h. auf die vorherrschenden Persönlichkeitstypen oder Identitätsmuster“ nach sich zieht (vgl. Rosa 2014: 352). Es folgt die „Herauslösung individueller Handlungs- und Lebensvollzüge aus starr vorgegebenen sozialen Rollen und Positionen“ – individuelle Gestaltungsfreiheit gewinnt an Zuwachs und stellt höhere Verantwortungen an das Subjekt gleichermaßen (vgl. ebd.: 355f.).
Die Lage des Mannes, das vorweg, ließe sich durchaus als prekär klassifizieren. Die Pluralität unserer Gesellschaft ist allumfassend durch Ebenen gekennzeichnet, die, mal direkt und mal indirekt, auf das Individuum wirken. Subjekte sind dabei immer in wechselwirkend stehend mit den sozialen Sphären, an denen sie partizipieren, zu begreifen. Als enorm ordnungsstiftend, wie bereits ausgeführt, gilt die Kategorie Geschlecht. Es steht darüber hinaus in Wechselwirkung mit anderen Dimensionen des sozialen Lebens. Die Familie, funktionell maßgeblich im Bereich des Schutzes für ihre Mitglieder, der wirtschaftlichen Absicherung und der Sozialisation verankert, unterliegt einem Wandel, der direkte Effekte auf die Identitäten der Mitwirkenden an dieser speziellen Form von Vergesellschaftung hat. Bildung fungiert als eines der höchsten erwerbbaren Güter in einer Gesellschaft maßgeblich als Türöffner für sozialen Aufstieg, für Wege der Lebenserhaltung und sozialen Status – der Einfluss ist enorm und lässt auch die Geschlechterordnung nicht unberührt. Anhand gesundheitsrelevanter Statistiken lassen sich Aussagen über gesellschaftliche Gruppen treffen, Trends ablesen und Rückschlüsse auf soziale Ungleichheit erstellen, die eindeutige Vor- und Benachteiligungen aufweisen können. Die Ausdifferenzierung des Arbeitsmarktes ist ein weiteres Thema, welches sich im Folgenden genähert werden soll, zieht diese schließlich immanente Auswirkungen auf Familien und Vaterschaft nach sich. Ursachenforschung und Ergründung von strukturellen Einflüssen auf den Mann und seine Männlichkeit sind multidimensional und stehen stets in fluiden Beziehungen. Verschiebt sich der Arbeitsmarkt hinzu Lohnverhältnissen, mit denen es dem Familienvater nicht mehr ermöglicht wird, als alleiniger Ernährer die finanzielle Sicherung seiner Familie zu wahren, so lassen sich unmittelbare Einflüsse auf die Funktionalität, aber auch die Perzeption von Familie ableiten. Auf wichtige Bereiche, die maßgebliche Auswirkung auf den Mann im speziellen haben, wird kommend näher eingegangen.
Bevor mit dem Blick auf die Vaterschaft des Mannes näher auf akteursspezifische Belange eingegangen werden kann, steht die Familie als Konstrukt im Folgenden im Fokus. Vor allem der Wandel der Familie durch Änderung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen übt unmittelbaren Einfluss auf deren Mitglieder aus, der nicht zu vernachlässigen sein kann. Die Ausdifferenzierung der Familie eröffnet neue Pools an Ansprüchen und Herausforderungen für die Familienmitglieder, die Pluralisierung von Lebensformen kann zu Verunsicherungen und Problemen führen.
In diesem Kontext bezieht sich Wandel auf das gesellschaftliche Zusammenleben, auf das Soziale. Der soziale Wandel ist durch „bleibende Veränderungen im Großen – von ganzen Gesellschaften oder doch wichtigen Bereichen und Institutionen von gesellschaftlichen Belang“ (vgl. Scheuch 2003: 10) definiert. Der Wandlungsprozess zieht dauerhafte Strukturbeeinflussungen nach sich und bleibt, wenn auch der Wandel nur temporärer Natur ist, dauerhaft und mit Folgen in den sozialen Strukturen verankert.
Das Konstrukt Familie als Vergesellschaftungsform von Subjekten verschiedener Generationen, die in der Regel in Verwandtschaftsbeziehungen stehen, ist als eine der ursächlichsten Formen des Zusammenlebens zu betrachten. Ausgehend von einer Partnerschaft, oft verknüpft mit dem Bund der Ehe und der Zeugung von Kindern existiert die Familie in der heutigen Form klar different von Familienformen vergangener Jahrhunderte[8]. Nur kurz sei angemerkt, dass sich das Verständnis von Familie im Mittelalter auf mehr als nur zwei Generationen bezog. Diese Großfamilien umfassten oft bis zu vier Generationen unter einem Dach, was funktional vor allem mit der Wirtschaftlichkeit verknüpft war. Damalige Arbeitsprozesse liefen oft und teilweise ausschließlich auf dem eigenen Hof ab, wo sprichwörtlich jeder mit anpacken musste – vom alten Greis bis hin zu den Enkelkindern. Ausdifferenzierungsprozesse der Moderne führten zwangsläufig zum Aufbruch solcher traditionellen Familienformen. Das, was hinlänglich als die „Kernfamilie“ im Bewusstsein aller verankert ist, bezeichnet schlichtweg die zwei Generationenverknüpfung der Eltern mit ihren Kindern in derselben Wohnsituation und hat ihren Ursprung in der Industrialisierung. Erwähnt werden muss, dass das Ideal von Mutter, Vater und Kind schon lange überholt scheint. Es mag in ideeller Form Verankerung finden, der Realität gleicht dieses Gefüge lange nicht mehr. Strukturänderungen auf politischer und wirtschaftlicher Ebene führten zum Aufbruch der Kernfamilie, die über Dauer ihre Dominanz bei der Repräsentation von Familienformen verlor. Ein Blick in die Literatur eröffnet ein großes Repertoire an neuen Wortgebilden, um die Ausdifferenzierung der Familie zu beschreiben: während die „Ein-Kind-Familien“ hinlänglich bekannt sein dürften, gibt es weitere, zum Teil weniger bekannte Formen wie die „postfamilialen Familien“ (Beck-Gernsheim 1994) oder die eher bekannteren „Patchworkfamilien“ (Bernstein 1990). Neben dem einen Kind in der Familie gibt es aufgrund von Tod oder Scheidung bzw. Trennung auch Formen der Alleinerziehenden, der Ein-Eltern-Familien, während Zweitfamilien inhaltlich die neuen Zusammenschlüsse von Familien nach Bruch, welcher Natur auch immer, der ersten Familie beschreiben und oftmals keinerlei biologische, zum Teil nicht mal soziale Elternschaft der Parentalgeneration zu den Kindern umfassen. Kinderlose Ehen, ehelose Familien – das letzte Jahrhundert ist durch eine Vielzahl an Ausformungen und Definitionen spezifischer Haushalte und deren Lebenskonstellationen gekennzeichnet. Auch Pflegefamilien und Adoptionsfamilien sind keine seltenen Formen, die schon lange vor Beginn des 21. Jahrhunderts aufkeimten. Insofern wird klar sichtbar, dass sich die Familie mit der Gesellschaft mit ausdifferenziert, dennoch als zentrale Institution bestehen bleibt. Vor allem sozialisatorische und pädagogische Aufgaben der Familie sind ein wichtiger Baustein in der Formung des Subjekts. Neben emotionaler Geborgenheit, wirtschaftlicher Absicherung als Schutzfunktion, ist es auch das Erlernen von sozialen Rollen und Positionierungen, die der immensen Aufgabe einer Familie, in welcher Konstellation auch immer, zugeschrieben werden.
Dem Datenreport des statistischen Bundesamtes ist zu entnehmen, dass die Zahl der bundesdeutschen Bevölkerung von 79,75 Mio. (1990) auf 82,32 Mio. (2006) anstieg. 2011 lag die Einwohnerzahl der Bundesrepublik Deutschland bei 81,8 Mio. Menschen, 49% Männer und 51% Frauen (vgl. Statistisches Bundesamt/WZB 2013: 12). Das Zusammenleben deutschlandweit gliedert sich in 18 Mio. Ehepaare und 2,8 Mio. gemischt- oder gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften – die Zahl der Alleinstehenden belief sich 2011 auf 17,6 Mio., 2001 waren diese hingegen mit knapp 15 Mio. weniger repräsentiert. Deutliche Anstiege lassen sich ebenfalls bei den alleinerziehenden Personen mit einem Zuwachs von 27% und den Lebensgemeinschaften (+14%) verzeichnen. Die Zahl der Eheschließungen ist rückläufig, sank sie schließlich binnen zehn Jahren um 7% (vgl. ebd.: 44). Neun von zehn alleinerziehende Eltern sind Frauen, die Eheschließungen sind mit 378.000 2011 zu 388.000 2005 weiter rückläufig. Den alternativen Lebensformen muss eine gewichtige Rolle zugeschrieben werden, ist die Zahl der traditionellen Familie mit einem Ehepaar schließlich rückläufig.
Die Umstrukturierung familiärer Zusammenschlüsse weg von dem Konstrukt der Ehe durch eine hohe Scheidungsrate und rückläufige Zahlen bei der Eheschließung, gekoppelt mit alternativen und modernen Lebensformen wirft die Frage nach dem Stellenwert und der Bedeutung der Familie auf. Ableitend aus den erhobenen Statistiken des Datenreports wäre es die Grundannahme, dass bei den...