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E-Book

Nur keine Panik!

Ängste verstehen und überwinden

AutorIngrid Glomp, Stefan Leidig
VerlagKösel
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl Seiten
ISBN9783641146955
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Ein Ratgeber für Betroffene und Angehörige
Ängste äußern sich sehr unterschiedlich. Ob man sich vor fremden Menschen fürchtet, unbegründete Ängste vor Krankheiten entwickelt oder unberechenbar in Panik gerät die Palette ist groß. Oftmals leiden die Betroffenen über Wochen und Monate, bis sie Hilfe suchen, und häufig dauert es Jahre, bis sie welche finden. Dabei sind Ängste nichts Ungewöhnliches: Inzwischen erkrankt jeder vierte Deutsche einmal im Leben daran. Die Autoren beschreiben, bei welchen Angststörungen welche Behandlungsmethoden sinnvoll sind und wie diese konkret aussehen. Die Betonung liegt dabei auf verschiedenen Formen der Verhaltenstherapie, die sich als besonders wirkungsvoll erwiesen hat. Außerdem enthält das Buch viele Übungen und Anleitungen zur Selbsthilfe.

Stefan Leidig ist leitender Diplompsychologe der Psychosomatischen Fachklinik Bad Dürkheim, Psychologischer Psychotherapeut, Supervisor und Ausbilder für Verhaltenstherapie

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Leseprobe

Zwei Seelen – nicht nur in unserer Brust: Das autonome Nervensystem


Das autonome Nervensystem steuert die inneren Organe und besteht im Wesentlichen aus zwei Untersystemen: dem anregenden Sympathikus und dem entspannenden Parasympathikus.

Außer dem autonomen Nervensystem gibt es in unserem Körper noch zwei weitere Nervensysteme: Das motorische Nervensystem ist für die Muskulatur zuständig und macht es uns möglich, gezielt und bewusst Bewegungen auszuführen und die jeweils gewünschte Körperhaltung einzunehmen. Dann gibt es noch das sensorische Nervensystem, das für die Steuerung unserer Sinnesorgane verantwortlich ist.

Das autonome Nervensystem heißt so, weil es unsere inneren Organe autonom, d.h. selbstständig, ohne unsere Willensanstrengung, steuert. Das ist insofern praktisch, als wir beispielsweise nicht ständig daran denken müssen, unser Gehirn ausreichend zu durchbluten oder die Nahrung im Darm mit der notwendigen Gründlichkeit weiterzutransportieren und zu verdauen. Ungünstig wird es aber spätestens dann, wenn vor Aufregung – und natürlich ganz autonom – das Herz zu rasen anfängt und wir kaum noch sprechen können, weil wir einen Kloß im Hals haben und der Mund so trocken ist, dass die Zunge am Gaumen kleben bleibt ...

Die meisten Körperreaktionen bei Angstzuständen laufen automatisch ab.

Aber es gibt »Tricks«, um das autonome Nervensystem zu beeinflussen. Entspannungsmethoden wie das autogene Training gehören dazu, und über bestimmte Vorstellungsbilder lassen sich Drüsen und innere Organe täuschen, sodass sie reagieren, als sei die Vorstellung Wirklichkeit. (Jedem von uns läuft das Wasser im Munde zusammen, wenn er sich ganz plastisch sein Lieblingsessen vorstellt – liebevoll zugerichtet, herrlich duftend ... mmh!)

Spezialisten im willentlichen Steuern autonomer Reaktionen sind indische Fakire. Offensichtlich sind sie fähig, beispielsweise die Durchblutung der Mundregion so zu regeln, dass sie sich einen spitzen Stab durch die Zunge stoßen können, ohne dass es blutet und natürlich auch ohne Schmerzen zu empfinden! Zum Trost: Auch wir hier im Westen können zum Beispiel unter Hypnose Mandeloperationen durchführen und dabei die Durchblutung im Rachenraum kontrollieren ...

Nun aber zurück zu den beiden Strängen des vegetativen Nervensystems, dem anregenden Sympathikus und dem entspannenden Parasympathikus.

Auf die Plätze, fertig, los: Der Sympathikus


Der Sympathikus steuert die körperlichen Vorgänge während der Bereitstellungsreaktion. Er erhöht die Herzfrequenz, vergrößert das Schlagvolumen des Herzens und das Fassungsvermögen der Lungen. Er bringt die Schweißdrüsen zum Schwitzen, verengt die Adern der Haut und des Bauchraums, ja sogar des Gehirns. Er lässt die Leber mehr Zucker und die Fettzellen mehr Fettsäure ins Blut geben. Notfallreaktionen werden noch zusätzlich dadurch beschleunigt und verbessert, dass der Sympathikus über die Nebennieren die so genannten Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin ins Blut ausschüttet. – Ein Adrenalinstoß kann die Herzfrequenz von einem Schlag zum nächsten verdoppeln!

Der Sympathikus ist aber nicht nur für die Notfallreaktion im Zustand von Angst verantwortlich. Er hat in allen Situationen die Oberhand, in denen es um Bereitstellung von Energie zur Kraftentfaltung jeglicher Art geht. Alle körperlichen Anstrengungen, seien es sportliche Aktivitäten oder schwere körperliche Arbeit, aktivieren den Sympathikus, und der wiederum ermöglicht es, diese Anstrengungen über einen längeren Zeitraum durchzuhalten.

Die Aktivität des Sympathikus steigert sich aber nicht nur im Rahmen von Ängsten und körperlicher Leistungsentfaltung, sondern bei allen Gefühlsregungen, die mit »Anregung« zu tun haben (z.B. bei Wut, Ärger und Stress, aber auch bei Freude). Zwar wirkt sich diese sympathikotone Aktivierung (so der Fachausdruck für die erhöhte Leistung des Sympathikus) beim Sport nicht haargenau so aus wie bei Ärger und bei Angst wiederum etwas anders als bei Wut, jedoch sind viele Reaktionen (erhöhter Puls, schneller Atem, verstärkte Muskelanspannung, Umverteilung des Blutes) bei körperlicher Anstrengung ähnlich denen bei »aufregenden« Gefühlszuständen.

Wenn Sie sich jetzt hinstellen, zehn Kniebeugen machen, dann aufrecht und plötzlich still stehen bleiben, werden Sie zumindest andeutungsweise Körpergefühle haben, die Ihnen auch aus aufregenden Situationen bekannt sind. Achten Sie nur einmal auf Ihren etwas trockener gewordenen Mund, Ihr schneller schlagendes Herz und das wackelige Gefühl in den Beinen!

Im Großen und Ganzen gleichen sich also alle Körperreaktionen, bei denen der Sympathikus Regie führt. Die verschiedensten positiven oder negativen Gemütsbewegungen (Freude, Furcht, Wut, Ärger usw.) können mit einem starken Erregungszustand verbunden sein. Wir sehen also:

Angst ist ohne körperliche Erregung nicht vorstellbar, körperliche Erregung jedoch ohne Angst!

Letzteres ist im Rahmen der Behandlung von Angststörungen von eminenter Wichtigkeit. Viele Angstpatienten deuten heftige körperliche Reaktionen, mögen sie infolge einer körperlichen Anstrengung, eines ärgerlichen, schmerzhaften oder freudigen Ereignisses entstanden sein, zunächst als Angst: Eine unserer Patientinnen bekam nach jeder Auseinandersetzung mit ihrem Chef, in der von seiner Seite die Bemerkung fiel, sie sei viel zu fett, eine »Angstattacke« mit Schweißausbrüchen und starkem Herzklopfen. Dass sie ihn vor Wut am liebsten verprügelt hätte, wurde ihr erst in der Therapie klar.

Oft werden die eigenen Körperempfindungen fehlgedeutet.

Umgekehrt kann nicht nur Wut als Angst, sondern auch ängstliche Erregung als Wut gedeutet werden: Viele Fallschirmspringer-Anfänger werden kurz vor ihrem ersten Absprung irgendwie zornig und gereizt. Sie erleben ihre Aufregung als Ärger, statt sie als Verunsicherung und Angst vor der Gefahr des ersten Sprunges zu verstehen.

Man kann Erregung also falsch interpretieren und das wiederum kann fatale Folgen für die psychische Gesundheit haben.

In der Ruhe liegt die Kraft: Der Parasympathikus


Bisher haben wir uns nur mit der Bereitstellungsreaktion und der Rolle des sympathischen Nervensystems im Rahmen von Ängsten beschäftigt. Aber bei der Erläuterung der Erscheinungsformen von Angst darf der »Partner« des Sympathikus nicht aus dem Blickfeld geraten. Die »Schrecksekunde«, in der »das Herz stehen bleibt«, oder ein Ausdruck wie »vor Angst in die Hose machen« beschreiben plastisch, dass es noch andere körperliche und seelische Reaktionen auf Bedrohung gibt.

Wie wir jetzt wissen, treibt das sympathische Nervensystem das Herz an und stoppt die Verdauungstätigkeit. Wenn einem das Herz in die Hose rutscht, passiert aber offensichtlich sehr viel mehr im Bauch als im Brustkorb!

Für derartige Angstreaktionen ist das parasympathische Nervensystem verantwortlich. Stark vereinfacht erklärt, hemmt es sämtliche Abläufe, die der Sympathikus antreibt, und unterstützt all die körperlichen Aktivitäten, die der Sympathikus hemmt. Wir sehen hier also, dass (fast) alle unsere Eingeweide von Sympathikus und Parasympathikus gesteuert werden.

Das sympathische Nervensystem stellt uns durch seine Art der inneren Aktivierung Kräfte zur Verfügung, um Leistung entfalten zu können. Das parasympathische Nervensystem ist für alle Abläufe verantwortlich, die der Regeneration und Energiegewinnung dienen.

Das parasympathische Nervensystem hat immer dann die Oberhand, wenn wir genüsslich essen, uns ausruhen, entspannen, schlafen oder »gemütlich« zusammensitzen. In solcher Verfassung empfinden wir meist eine wohlige Wärme (die Haut ist gut durchblutet) und Schwere (die Skelettmuskulatur ist entspannt). Wir fühlen uns bei verlangsamtem Herzschlag und (manchmal) einem Blubbern im Darm eher träge; die Atmung ist weder besonders schnell noch tief. Unser Körper ist umgeschaltet auf Ruhe und Entspannung, er ist fernab jeglicher kämpferischer Leidenschaft – er will seine Ruhe und regt sich nicht gerne. Nun schließen sich sympathische und parasympathische Aktivitäten des autonomen Nervensystems nicht gegenseitig aus. Sympathikus und Parasympathikus bilden eine Einheit, in der jeder Teil auf den anderen abgestimmt ist. Wie bei einer Waage, die ohne Gegengewichte ihre Funktionsfähigkeit einbüßen würde, sind zur Steuerung unserer Körperfunktionen immer beide Systeme notwendig.

Der Sympathikus ist für Aktion, der Parasympathikus für Regeneration zuständig.

Sie können sich sicherlich vorstellen, dass niemand überleben könnte, wenn wir nur vom Sympathikus angetrieben würden: unser Leib ständig von Adrenalinstößen hochgeputscht im »roten Bereich« drehend, ohne Schlaf, ohne Essen und Verdauen, ohne irgendeine Möglichkeit, neue Energien wiederaufzubauen ...

Umgekehrt ist ein Ohnmachtsanfall ein gutes Beispiel für die dämpfende Macht des Parasympathikus.

Parasympathische Angstanfälle


Neben den bekannten Veränderungen der Verdauung und Ausscheidung (»Schiss haben«), die auf ein verstärktes Arbeiten des Parasympathikus angesichts einer Bedrohung schließen lassen, ist auch die Ohnmacht eine häufig vorkommende parasympathisch gesteuerte Angstreaktion. Sie entsteht aufgrund eines plötzlichen Blutdruckabfalls. Herzfrequenz und Schlagvolumen nehmen ab und die Blutgefäße werden weitgestellt. Das Blut versackt dann förmlich im Körper.

Parasympathisch gesteuerte Angstanfälle sind längst nicht so gut erforscht wie die oben besprochenen sympathikotonen...

Blick ins Buch

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