Die emotionale Landkarte

Wir beginnen, wenn Sie möchten, gleich ganz praktisch. Werfen Sie doch mal einen Blick auf die »Landkarte« auf der Umschlaginnenseite vorn im Buch. Sie finden dort Begriffe zu verschiedenen Gefühlen und Zuständen angeordnet. Erkennen Sie alte Bekannte? Empfindungen, die Sie gut kennen? Und andere, die Sie gern öfter erfahren würden?

Aber was ist mit den gegenwärtig gelebten Begriffen? Sind die Schraffierungen da auch ganz innen? Oder nur tendenziell innen oder außen oder in einem bestimmten Bereich der Karte?

Es soll hier ganz bewusst auf eine »Testauswertung« oder »Typeneinteilung« verzichtet werden. Denn Sie sollten sich immer wieder vergegenwärtigen, dass Sie ein Individuum mit einer ganz eigenen Gefühlswelt sind.

Im Laufe dieses Buchs werden Sie sich und Ihre Gefühlswelt individuell erforschen, aber auch bestimmte Gesetzmäßigkeiten erfahren, die bei allen Menschen ähnlich funktionieren. So lassen sich Zusammenhänge zwischen den Situationen, in denen Sie stecken, den Gefühlen, die Sie haben, und den Beziehungen, die Sie führen, besser verstehen. Ein erstaunliches Phänomen soll hier gleich erwähnt werden: das der Strandgefühle.

Strandgefühle

Nein, damit ist nicht dieses wohlige Gefühl gemeint, wenn Sie sich nach einem Bad in den Wellen auf Ihrem Handtuch im Sand rekeln. Aber es wurde nicht zufällig ein so positiv besetzter Begriff gewählt. Strandgefühle sind die Gefühle, die nicht in der Mitte der blumenähnlichen Landschaft liegen, aber bereits weit innen, kurz vor dem kanalähnlichen Ring. Strandgefühle sind also Zustände wie Verletztheit, Scham oder Traurigkeit.

Nun gleich eine frohe Botschaft: Je weiter innen die von Ihnen markierten Wörter liegen, desto näher sind Sie bereits dem Ziel. Sie sind praktisch schon am Strand angelangt und nicht mehr weit von der rettenden Insel weg. Welches Ziel, welche Insel? Das Ziel sind Sie selbst – Ihre Mitte. Sie ist der Ort, an dem Ihre Gelassenheit und Ihre Kraft warten, Mut, Glück, Liebe und all diese schönen Zustände. Je näher wir bei uns selbst sind, desto schmerzhafter, ja manchmal unerträglicher fühlen sich die Gefühle allerdings an. Kurz vor dem Ziel, vor der eigenen Mitte, herrscht noch einmal richtig Verzweiflung. Da hilft es, zu wissen, dass man der Lösung nahe ist!

Nun – es ist schon eine kesse Behauptung, zu sagen, jemand, der richtig leidet, sei nahe am Ziel, nicht wahr? In meinen Seminaren ernte ich dafür meist Unverständnis – um einige Wochen oder Monate später von denselben Teilnehmern zu hören: »Jetzt weiß ich, was du meinst. Es stimmt! Ich war so verzweifelt – und dann kam der Durchbruch.« Dieses Phänomen lässt sich nicht mit dem Verstand begreifen. Doch wenn Sie in die Übungen der Gefühle-sind-wie-Gäste-Methode eingestiegen sind und die Erfahrung von »Mitte« immer wieder gemacht haben, wird es klarer, warum Sie mit so einem »Strandgefühl« nahe an der Lösung sind.

Projektionen auf die anderen

Weiter außen, dort wo wir die Gefühle vor allem auf die anderen projizieren, wo wir eifersüchtig, wütend, ärgerlich oder neidisch auf die anderen sind, ist der Schmerz nicht so groß, der Weg nach innen aber noch ein Stückchen weiter. Ganz außen, wo die Gefühle sich schon in Verhaltensmuster oder Krankheiten gewandelt haben, ist der Weg nach innen noch weiter. Das macht aber nichts. Jeder geht ihn auf seine Weise, in seinem Tempo. Hauptsache, Sie machen sich auf den Weg.

Beliebte Strategien im Umgang mit Gefühlen

Schauen wir uns nun an, wie üblicherweise mit Gefühlen umgegangen wird. Im Folgenden sollen einige »Prototypen« zu Wort kommen, mit denen Sie sich weder identifizieren noch vergleichen müssen. Lesen Sie einfach und lassen Sie die Texte auf sich wirken. Spüren Sie, ob Sie bestimmte Sätze ansprechen und etwas in Ihnen anstoßen. Spüren Sie auch, was das ist, das da in Ihnen angestoßen oder angesprochen wird.

Himmelhochjauchzend …

»Ja, ich weiß gut, was Gefühle sind. Immer fühle ich so viel. Sogar für die anderen. Ich weiß immer genau, wie die anderen drauf sind. Und meine eigenen Gefühle sind so richtig heftig. Das ist super, wenn ich verliebt bin. Ich kann aber auch richtig miese Gefühle haben. Die kümmern aber die anderen meistens nicht. Die verstehen gar nicht, wie ich fühle, und erst recht nicht, wie intensiv. Ich könnte ewig heulen, wenn ich verletzt bin, und das kommt gar nicht selten vor.

Oft komm ich gar nicht mehr richtig raus aus diesem Gefühlesumpf. Manchmal hätte ich das am liebsten los, diese blöde Traurigkeit zum Beispiel. Wenn ich aufhören könnte zu fühlen und so gefühllos werden könnte wie die anderen, dann wäre ich auch so cool und unverletzlich. Aber irgendwie bin ich ja auch stolz darauf, dass ich außergewöhnlich sensibel bin.«

Zusammenreißen – bis zum nächsten Ausbruch

»Also eigentlich finde ich, man muss sich auch zusammenreißen können. Ist doch unmöglich, wenn man seine Launen so einfach rauslässt, man muss doch sein Hirn einschalten, bevor man den Mund aufmacht. Ich finde, mir gelingt das meistens auch ganz gut. Wenn mich was ärgert, kann ich das für mich behalten … Es gibt da nur so ein paar Personen in meinem Leben, also die können mich sowas von provozieren! Irgendwann ist halt der Tropfen da, der das Fass zum Überlaufen bringt. Dann flipp’ ich völlig aus. Da kenn’ ich mich gar nicht mehr. Das liegt schon auch an denen, die müssten halt auch mal darüber nachdenken, warum sie mich immer so provozieren. Aber ich wünsch mir schon auch, gelassener zu bleiben. Vielleicht muss ich mich einfach noch mehr in den Griff kriegen.«

Einfach rauslassen

»Gefühle? Klar kenn’ ich mich damit aus. Ich bin sehr gefühlvoll, ich kann auch sehr leidenschaftlich sein. Und wenn mir jemand blöd kommt, dann kann ich das auch ausdrücken. Runterschlucken bringt nichts. Manchmal muss man laut werden, sonst wird man untergebuttert. Der andere soll ruhig wissen, wie’s mir geht. Und wenn er mich verletzt hat, dann soll er auch eine Szene bekommen! Dann ist es mein Recht, herumzuschreien, und wenn ich in Fahrt bin, kann schon mal ein Teller an die Wand fliegen. Das ist nun mal die Folge, wenn man mich schlecht behandelt. So bin ich eben.«

Haltung ist alles

»Was ich überhaupt nicht verstehe, ist, wenn Leute so schnell emotional werden. Ich finde das ziemlich egoistisch, wenn die ihre Emotionen auf den anderen abladen. Ich gehe dann einfach raus, ich halte das nicht aus. Ich bin für Harmonie und Frieden. Als vernünftiger Mensch muss man doch Haltung bewahren können. Und wenn jeder seine Bedürfnisse einfach ausleben würde, wo kämen wir denn da hin? Ich reiße mich auch oft zusammen und habe schon auf viel verzichtet. Das Leben ist eben kein Honigschlecken. Meine Familie wirft mir oft vor, ich sei kalt und unnahbar. Ich verstehe das nicht, nein, ich tue doch wirklich alles für sie.«

Alles wird hinuntergeschluckt

»Ich beneide die Leute, die...