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Oben und unten

Abstieg, Armut, Ausländer - was Deutschland spaltet

AutorJakob Augstein, Nikolaus Blome
VerlagDeutsche Verlags-Anstalt
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783641230661
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Augstein und Blome in Bestform: provokant, kontrovers und immer unterhaltsam
Zum ersten Mal seit Jahrzehnten machen sich die Abgehängten und die Vergessenen ernsthaft bemerkbar: die, die sich nur so fühlen, und die, die es tatsächlich sind. Ihre Ängste und ihre Wünsche handeln von sozialer Gerechtigkeit, aber, und das ist neu, auch von nationaler Identität. Oben und Unten ist heute mehr als der Streit um Hartz IV, Niedriglohn oder Vermögensteuer. Die neue Frage »Wer gehört dazu?« ist inzwischen genauso wichtig wie die alte Frage »Wer hat was?«. Damit ist in diesem Buch eine Debatte eröffnet, die sich nicht mehr klar mit den Positionen »links« oder »rechts« verhandeln lässt.



Jakob Augstein, geboren 1967, ist Journalist, Buchautor und Verleger. Nach dem Studium der Politikwissenschaft sowie Germanistik und Theaterwissenschaft war er u.a. für die Süddeutsche Zeitung und die ZEIT tätig. Augstein ist Verleger der Wochenzeitung der Freitag; für sein publizistisches Engagement wurde er 2011 mit dem Bert-Donnepp-Preis ausgezeichnet. Von 2011 an schrieb er acht Jahre lang die regelmäßige Kolumne »Im Zweifel links« für den SPIEGEL und S.P.O.N. Zusammen mit Nikolaus Blome verfasste Jakob Augstein »Links oder rechts? Antworten auf die Fragen der Deutschen« (2016) und »Oben und unten. Abstieg, Armut, Ausländer - was Deutschland spaltet« (2019).

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Leseprobe

1. SIND DIE ABGEHÄNGTEN WIRKLICH ABGEHÄNGT?

Blome:


Am Beginn dieses Buches will ich dieses eine Mal Bertolt Brecht zitieren: »Reicher Mann und armer Mann / standen da und sahn sich an / Und der Arme sagte bleich: / Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.« Nach all den Jahren, Augstein, glauben Sie das noch?

Augstein:


Sie wollen mich aufs Glatteis führen. Die Frage ist so offenkundig unsinnig, dass ich mich kaum traue, sie direkt zu beantworten. Natürlich glaube ich, dass der Reichtum der Reichen von den Armen stammt und dass das ein wachsendes Problem darstellt. Darum führen wir diese Gespräche – das Verhältnis zwischen Oben und Unten war nie im Gleichgewicht, aber das Maß des Ungleichgewichts, das sich eingestellt hat, wird gefährlich für die Demokratie.

B:


Es gibt keine freie Gesellschaft ohne Oben und Unten.

A:


Sie irren sich: Der Missstand liegt nicht darin, dass es überhaupt Oben und Unten gibt. Niemand, der bei Verstand ist, will eine vollkommen gleiche Gesellschaft. Die existiert nur als Karikatur in Köpfen wie Ihrem. Nur so viel: Die Menschen sind gleich, weil sie Menschen sind, und ungleich, weil sie Individuen sind. Sie sind gleich und ungleich. Das weiß jeder von uns. Also müssen wir uns fragen, wie viel oder welche Ungleichheit halten wir für zumutbar?

B:


So weit in Ordnung, das ist die alte soziale Frage, wir haben ein ganzes Buch darüber gemacht. Aber die Frage stellt sich eben nicht mehr nur in Euro und Cent, in Reichtum gegen Armut. Sie stellt sich auch mit Blick auf Zuwanderung und einheimische Gesellschaft. Wie viel zugewanderte, kulturelle Ungleichheit hält die aus?

A:


Kultur? Das Wort lässt mich zögern. Die kulturelle Frage ist in die soziale eingebettet. Oder anders: Ich glaube nicht, dass viele Leute ein Problem mit reichen Ausländern haben – mit armen aber umso mehr. Die überragende Bedeutung, die das Migrationsthema in unserer Gesellschaft hat, hat mit der Gesellschaft zu tun – nicht mit der Migration. Wenn diese Gesellschaft eine zufriedene, ausgeglichene wäre, dann wäre die Migration kein solches Thema. Wir sollten uns fragen, warum so viele Menschen Angst haben, dass man ihnen etwas wegnimmt.

B:


Nein, andersherum wird ein Schuh draus: Ärmere Einheimische haben eher ein Problem mit Ausländern als besser gestellte Einheimische. Und zwar nicht, weil die unten per se fremdenfeindlicher wären, sondern weil sie vermutlich ein bisschen weniger Bildung und Weltläufigkeit mit auf den Weg bekommen haben. Vor allem aber, weil diese sogenannten »kleinen Leute« mit den praktischen Problemen, die Zuwanderung ganz normal mit sich bringt, viel direkter konfrontiert werden als die am oberen Ende in den Villenvierteln. Heißt, lieber Augstein: Wenn wir die beiden Fragen, sozial und national, verschränken wollen, dann müssen wir zuerst nach unten schauen.

A:


Da bin ich Ihrer Meinung: Migration macht sich zuerst unten bemerkbar und dort muss auch die Integration geleistet werden. Darum nerven mich auch diese gutsituierten Migrationsfreunde, die der Ansicht sind, man müsse die Grenzen einfach öffnen – denn bis ihr bequemes Leben von den Konsequenzen berührt wird, haben die Schichten unter ihnen die ganze Arbeit bereits geleistet. Dann fällt die Menschenfreundlichkeit sehr leicht. Also blicken wir nach unten und sehen: Brechts Gedicht stimmt heute ganz wörtlich: Die Reichen nehmen den Armen Geld weg, um reicher zu werden. Perverser als jetzt hat der Kapitalismus noch nie funktioniert.

B:


Die Vermögen sind in Deutschland tatsächlich ungleich verteilt und das wird so bleiben, wenn sie alle auch vererbt werden. Und ja, Vermögen bringen ohne eigene Arbeit Zinserträge, aber weder das Vererben noch die Zinsen nehmen anderen etwas weg, oder? Stattdessen hat Ungleichheit etwas Gutes, sie reizt Aufstieg und Leistungswillen an.

A:


Ungleichheit mag ein Anreiz für Aufstieg sein, wenn die Gesellschaft durchlässig genug ist, diesen Aufstieg auch zu erlauben – darüber werden wir später noch reden. Und was das andere angeht: Offenbar verstehen Sie das Prinzip des modernen Kapitalismus nicht. Darf ich mal ein bisschen ausholen: Trump macht in den USA eine Steuerreform, die die Reichen entlastet und die Armen belastet. Daraufhin steigen weltweit die Börsenkurse und die Reichen werden allein dadurch noch reicher. Dieses System ist zutiefst unmoralisch und ungerecht. Es lässt Menschen, die von ihrer Arbeit und nicht von ihrem Geld leben, links liegen, nimmt ihnen die Perspektiven und das Vertrauen in Staat und Gesellschaft. Die Ergebnisse sehen Sie auf der ganzen Welt: Der Populismus nimmt zu, die Demokratie ist in der Krise. Aber Hauptsache, die Reichen werden reicher. Oder nehmen Sie die Geldpolitik in Europa: Herr Draghi flutet den Kontinent mit Euro, die Sparzinsen gehen in den Keller, aber die Immobilienpreise und Mieten steigen in den Himmel – das sind politisch gewollte Mechanismen der Umverteilung von unten nach oben. Und es ist ehrlich gesagt ein Treppenwitz der Geschichte, dass die CDU ausgerechnet in einer solchen Situation einen wirtschaftsliberalen Wiedergänger wie Friedrich Merz aus dem Klamottenschrank der Geschichte herausgeholt hat.

B:


Draghis Nullzinspolitik bringt alle Sparer um den Ertrag, zumindest die Millionen reichen oder armen Deutschen, die nur mit dem Sparbuch sparen. Draghis Politik hat aber den Euro gerettet, und wäre das Geld kaputtgegangen, hätten gerade die unten alles verloren, weil sie keine Aktien oder Immobilien haben, sondern eben nur ihr Erspartes auf der Bank. Ich glaube, das zählt mehr als Mieterhöhungen in Ballungsgebieten. Trumps Steuerpolitik verteidige ich nicht, die ist einfach oligarchisch. Nehmen wir lieber Deutschland. Erstens: Der Anteil der Löhne am Volkseinkommen lag Anfang der 1980er Jahre bei nahezu 80 Prozent und ist dann unter 70 Prozent gefallen. Das scheint Ihre Angst zu bestätigen, aber es scheint eben nur so. Wahr ist: Immer mehr Menschen haben Kapitalerträge, also Einkommen aus Erspartem, Vermögen oder Wohneigentum, und das sind beileibe nicht nur die reichen Couponschneider, sondern auch rund die Hälfte aller Rentner. Oder nehmen Sie die sogenannte Armutsquote, sie ist von 14,7 Prozent im Jahr 2005 auf 15,7 Prozent in 2016 gestiegen. Auch das scheint Ihr Lied zu singen, Augstein. Aber auch das stimmt nicht. Diese Statistiken der Wohlfahrtsverbände sind Propaganda, ich nenne sie Armuts-Pornos.

A:


Sie jubeln über die deutsche Erbgesellschaft – dazu kann ich gleich noch was sagen. Aber erst mal bin ich tatsächlich verblüfft. Habe ich das richtig verstanden: Armut ist in Deutschland gar kein Problem? Echt jetzt?

B:


Es gibt Armut in Deutschland, und in einem so reichen Land ist das ein Skandal. D’accord. Aber wie viel Armut gibt es? Nehmen Sie die mehr als 20 Millionen Rentner, ein paar Hunderttausend sind auf Hartz IV für Ältere angewiesen, auf Grundsicherung. Das sind nur zwei Prozent oder so, aber die Sozialverbände haben es trotzdem geschafft, dass fast jeder von uns beim Wort Rentner sofort das Wort »Armut« mitdenkt. Die Verbands-Propagandisten haben die Debatte allein auf die Höhe der gesetzlichen Renten reduziert. Die sind in der Tat nicht hoch, da liegen gerade Frauen schnell unter 1000 Euro im Monat und damit schon nahe an der Grenze zur Armutsdefinition. Ausgeblendet wird, dass rund die Hälfte aller Rentner Zusatzeinkünfte haben. Heißt: Allein auf die gesetzlichen Renten zu schauen, greift viel zu kurz, aber das fehlt in der Litanei von den armen Alten. Weil es politisch nicht passt.

A:


Ich finde das schwierig. Eigentlich halte ich nichts davon, wenn wir uns jetzt Statistiken um die Ohren schlagen. Aber ein paar Grundlagen und Begriffe sollten wir schon klären. Für das Jahr 2015 hat das Statistische Bundesamt festgestellt, dass die Zahl der Menschen, die weniger als 60 Prozent des mittleren Haushaltseinkommens haben, bei annähernd 13 Millionen lag. Das sind mehr als 15 Prozent aller Deutschen. Die Schwelle liegt bei einem Single bei 942 Euro Einkommen im Monat, bei einem Paar mit zwei kleinen Kindern bei 1978 Euro. Das nennt sich dann armutsgefährdet. Da ich schon ahne, was Sie gleich sagen werden, darf ich vielleicht noch mal erläutern, was das in Wahrheit bedeutet: In Deutschland kann sich jeder sechste keine Urlaubsreise leisten und jeder Dritten kann sich keine unerwarteten Ausgaben von 1000 Euro oder mehr leisten. Und das Erschreckendste daran: An diesen Zahlen hat sich seit zehn Jahren nichts geändert. Das waren für die Wirtschaft gute Jahre – aber eben nur für die Wirtschaft. Früher kam das Wachstum auch immer unten an. Das ist vorbei. Und noch was – aber dazu kommen wir noch genauer: In 20 Jahren wird jeder fünfte Rentner von Armut bedroht sein.

B:


»Von Armut bedroht«, da ist der Begriff wieder … In allen Debatten wird er synonym mit »arm« verwendet. Ich will nicht zynisch klingen: Aber es ist ein Unterschied, ob mir bei Anpfiff eines Fußballspiels gegen die übelste Tretertruppe der Liga 90 Minuten lang ein Beinbruch droht oder mein Bein nach den 90 Minuten gebrochen ist. Es ist ein Unterschied, ob ich als Student – wie fast alle Studenten – in der Armutsstatistik stehe, aber später gut verdienen werde. Oder ob ich als Alleinerziehende ohne Berufsausbildung dastehe.

A:


Ihr Beispiel aus dem Sport ist ein schlechter Witz auf Kosten von Leuten, denen nach Witzen in diesem Zusammenhang vermutlich nicht der Sinn steht. Bedrohung durch Armut ist eine Lebenswirklichkeit für die betroffenen Menschen. Das...

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