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E-Book

Objekte

AutorTimo Storck
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl190 Seiten
ISBN9783170360068
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis28,99 EUR
Im vierten Band der Reihe wird das konzeptuelle Feld der psychischen Repräsentanzen erörtert: Was bedeutet es, über sich und andere nachzudenken und mit inneren Bildern von Selbst und Nicht-Selbst umzugehen? Wie entwickelt sich diese Fähigkeit und welche Beeinträchtigungen können auftreten? Das Verhältnis 'innerer' und 'äußerer' Objekte wird diskutiert, ebenso wie die Frage nach dessen unbewussten Aspekten. Es geht hierbei um einen Blick auf die Entwicklungspsychologie psychischer Repräsentanzen sowie um die Frage nach Veränderungsprozessen. Der therapeutische Schulenvergleich findet genauso Berücksichtigung wie kognitionspsychologische Modelle von Vorstellungen.

Prof. Dr. Timo Storck ist Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Psychologischen Hochschule Berlin sowie psychologischer Psychotherapeut und Psychoanalytiker (DPV/DGPT/IPA).

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Leseprobe

1          Einleitung


 

 

 

In den vorangegangenen Bänden der vorliegenden Buchreihe wurde der Ausgangspunkt vom psychoanalytischen Triebkonzept genommen. Dazu war es erforderlich zu klären, was unter einem (psychoanalytischen, wissenschaftlichen) Konzept verstanden werden soll. Als ein solches soll es dazu dienen, auf der Grundlage eines methodisch geleiteten Zugangs zur Welt der Erfahrung etwas von deren Phänomenen begreifbar zu machen. Das ist zunächst eine ganz allgemeine Definition, die in dieser Form für die Formulierung des Schwerkraftgesetzes genauso gilt wie für die Formulierung eines Konzeptes wie Verdrängung oder Übertragung. Ich stoße auf verschiedene Phänomene in der Welt (oder diese auf mich!), auch in der klinischen Psychoanalyse, und Konzepte sind sozusagen abstrakte Begriffe dafür, die das erhellen sollen, was ich beobachte: dass die Dinge zu Boden fallen, dass ein Patient sich an wichtige emotionale Dinge nicht erinnern kann usw. Konzepte sind so etwas wie die theoretischen Namen dafür, und dies auf der Grundlage eines Zugangs zur Erfahrungswelt, die man in ganz allgemeiner Weise als »Empirie« bezeichnen kann. Erst einmal meint Empirie daher also die Welt der Erfahrung, erst in einem spezifischeren und etwas engeren Sinn das, was meist unter »empirischer Forschung« verstanden wird. Für die Psychologie ist dabei von Bedeutung, dass auch die Welt der inneren Erfahrung einbegriffen wird: »Beobachtung« bedeutet hier dann nicht nur, visuell wahrzunehmen, dass irgendwelche Dinge zu Boden fallen, sondern kann auch eine innere Erfahrung meinen, etwa dahingehend, was für eine gefühlshafte Färbung damit einhergeht. Konzepte sind daher also keine Dinge in der Welt; wir finden sie dort nicht vor, wir sehen nicht die Schwerkraft, sondern wir führen das, was wir sehen, zurück auf das Wirken von etwas, das wir Schwerkraft nennen, d. h. es in dieser Weise konzeptualisieren bzw. in diesem Fall auf eine Formel bringen. Das heißt nicht, dass wir die Schwerkraft als solche beobachten. Genauso wenig beobachten wir theoretische Konzepte der Psychoanalyse in der klinischen Situation. Wir beobachten nicht das Über-Ich oder die Verdrängung, sondern wir stoßen auf etwas, das uns vielleicht irritiert, und die Konzepte machen es begreifbar. Sie liegen auf einer anderen Ebene als das, was wir beobachten – sonst bräuchten wir sie nicht und eine ausschließlich deskriptive Beobachtungssprache würde der Wissenschaft genügen.

Nun kann man Konzepte und ihre Nützlichkeit auf unterschiedliche Weise überprüfen. Zur Schwerkraft und ihrer Wirkung kann ich mir ein Experiment überlegen und angeben, unter welchen Bedingungen bezüglich dessen Ausgangs ich mein Gesetz verändern müsste, wann es also in seiner Gültigkeit (teilweise) widerlegt wäre. Die Prüfung psychoanalytischer Konzepte geschieht auf eine etwas andere Weise, nämlich zum einen angesichts der Einzelfallorientierung, welche die Psychoanalyse im klinischen Zugang wählt. Selbstverständlich werden auch in der psychoanalytischen/psychodynamischen Psychotherapieforschung große Fallzahlen in Untersuchungen einbezogen, aber gerade in der Entwicklung der psychoanalytischen Theorie liegt der Schritt der Verallgemeinerung auf der Ebene der Konzeptbildung und nicht (direkt) auf der Ebene der Vorhersagbarkeit. Damit ist gemeint, dass sich aus dem Einzelfall auch in der Psychoanalyse etwas entwickeln lassen soll, das über diesen Einzelfall hinausgeht – hier allerdings die Konzeptbildung und nicht die Prognose, dass genügend ähnliche Fälle in derselben Weise verlaufen werden. Damit ist allerdings nicht gesagt, dass die Psychoanalyse so ganz anders wäre als alle anderen, solch eine Herangehensweise an Einzelfallforschung oder Konzeptbildung lässt sich mit anderen methodischen Zugängen verbinden, was zum Beispiel in der empirischen Psychotherapieforschung der Fall ist.

Unter dieser Perspektive auf Konzeptbildung wurde auf das Trieb-Konzept geblickt (Storck, 2018a). »Trieb« sollte als psychosomatisches und sozialisatorisches Konzept verstanden werden, statt als ethologisches oder biologisches. Mit dem Psychosomatischen ist gemeint, dass das Triebkonzept als der Versuch einer psychoanalytischen Antwort auf das Leib-Seele-Problem zu sehen ist. In Freuds Verständnis ist das, was konzeptuell unter »Trieb« firmiert, dafür zuständig, dass wir uns etwas vorstellen können, in ihm ist konzeptualisiert, wie sich Erregung dem psychischen Erleben vermittelt: Was erleben wir von unserer Physiologie, von vegetativen Prozessen, von Berührungserfahrungen? Mit den Berührungserfahrungen ist zudem bereits das Sozialisatorische des Triebes angesprochen: »Triebhaftes« hat natürlich mit Anatomie und somit auch mit unserer biologischen Ausstattung zu tun, aber in erster Linie wird darin auf Phänomene Bezug genommen, die in Interaktionen gründen. Das bedeutet, Berührung durch eine andere Person fühlt sich auf eine bestimmte Art und Weise an und das Triebkonzept versucht, etwas darüber zu sagen, warum wir etwas davon psychisch erleben, warum wir nicht auf der Ebene von Körperlichkeit stehen bleiben, sondern etwas als lustvoll oder unlustvoll erleben können. Vorgänge, welche die Psychoanalyse als triebhaft bezeichnet, gründen immer in zwischenleiblicher Interaktion und somit in Beziehungen.

Der konzeptuelle Gedanke, dass der Trieb physiologische Erregung dem Erleben vermittelt, hat dazu geführt, die psychoanalytische Triebtheorie als eine allgemeine Motivationstheorie zu kennzeichnen. Sie beschreibt nicht spezielle Motive, auch wenn es in Darstellungen der Triebtheorie manchmal so scheint, etwa dergestalt, dass aus psychoanalytischer Sicht hinter jedem Gedanken oder Gefühl ein sexuelles Motiv stecken würde. Die Triebtheorie ist jedoch insofern eine Theorie der allgemeinen Motivation, als in ihr gefasst ist, warum wir überhaupt psychische Erlebnisse oder Repräsentationen haben können. In diesem Sinn kann auch, mit Freud über Freud hinausgehend, von einer monistischen Konzeption des Triebes gesprochen werden: Statt von einem Triebdualismus, einer Gegenüberstellung zweier Triebarten zu sprechen, wäre es geeigneter, Trieb als eine ins Psychische drängende Kraft zu begreifen, wobei Erlebnisqualitäten erst auf einer nächsten Ebene hinzutreten. Die spezielle Theorie der Motivation ist in der psychoanalytischen Konfliktkonzeption zu sehen (Storck, 2018b). Mit der Abwendung von einer dualistischen Konzeption des Triebes ist nun allerdings nicht gemeint, Triebhaftigkeit als etwas Harmonisches oder Einheitliches zu sehen. Freuds Annahme von etwas Partialem am Trieb behält Gültigkeit. Er beschreibt gerade in der kindlichen, also der prägenitalen Sexualität unterschiedliche Arten von Lust- und Unlusterfahrungen in der oralen, analen oder phallisch-ödipalen Phase. Es geht ihm dabei um eine Beschreibung verschiedener Körperbereiche und Lust- und Befriedigungserfahrungen, die in den ersten Lebensjahren noch nicht unter einem großen Ganzen vereinheitlicht sind.

In der Auseinandersetzung mit dem psychoanalytischen Verständnis ist besonders wichtig, die erweiterte Auffassung von Sexualität zu beachten, erst dann ist die Rede von einer kindlichen/infantilen Sexualität plausibel und gewinnt ihre argumentative Stärke. In den ersten Lebensjahren wünschen sich Kinder – außer im Fall überaus gravierender Entwicklungsbelastungen! – nicht genitalen Verkehr mit den Eltern, sondern zärtliche Nähe zu ihnen. Im Rahmen des erweiterten Begriffs von Sexualität in der Psychoanalyse lässt sich beschreiben, warum frühe Berührungserfahrungen, beispielsweise der Stillvorgang, sexuelle Erfahrungen sind, nämlich insofern sie mit Lust und u. U. auch mit Unlust zu tun haben. Das ist mit infantiler Psychosexualität in der Psychoanalyse gemeint: »prägenitale« Lust als Organisatorin psychischer Strukturen. In diesem Zusammenhang habe ich ferner den Vorschlag gemacht, die berühmt-berüchtigten psychosexuellen Entwicklungsphasen in der Psychoanalyse nicht nur konkret körpernah zu verstehen. Darin hat die orale Phase damit zu tun, dass erste Laute gebildet werden, dass man Bauklötze und alles andere in den Mund steckt, um die Welt zu erkunden. In der weiteren psychischen Entwicklung meint Oralität allerdings eher etwas, das sich in einer thematischen Auffassung beschreiben lässt. Eine »orale Fixierung« bei erwachsenen Menschen meint ja nicht, dass jemand sich alles Neue, was er in der Welt findet, in den Mund steckt und prüft, wie es schmeckt oder sich im Mund anfühlt, sondern es dreht sich eher um ein Thema von Oralität, also von Versorgung: Was brauche ich, wieviel brauche ich davon und von wem, kann ich davon genug bekommen? Diese thematische Lesart gründet...

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