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E-Book

Öberefahre

Kulturhistorisch und autobiographisch angereichert

AutorFriedrich Manser
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783743198609
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Öberefahre - kulturhistorisch und autobiographisch angereichert. Appenzeller Brauchtum.

Friedrich Manser, 23.06.1941, ist als Bauernbub in Unterschlatt/AI aufgewachsen. Als Heimweh - Appenzeller ist es ihm wichtig, das frühere Bauernleben und das sennische Brauchtum im Alpsteingebiet vor dem Vergessen zu bewahren.

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Leseprobe

B. ALPLEBEN


Handbueb/Hampbueb


(jugendlicher Gehilfe)

Der Handbueb, ein aufgeweckter Junge so von 9 - 14 Jahren, geht auf der Alp in Hötte (Alphütte), Mölschte (Rinderstall), Saustall (Schweinestall), Gässstall sowie auf der Weide dem Sennen oder früher auch den Sennen zur Hand. Schwere Arbeiten bleiben ihm meistens erspart, aber Fleiss, Tierliebe, Kochkünste und unzimperliches Handeln sind unabdingbar. Das war und ist Ausbildung in der Praxis. 'Learning by doing!' (Lernen durch Tun) will ich es einmal neudeutsch nennen. Oft gehörte der Handbueb zur Familie des Heubauern oder zur Verwandtschaft des Sennen. Dabei verdiente er schon selber sein tägliches Brot, was für beide Partien ein Vorteil war – aber nicht immer für den Hampbueb.

Einfaches Essen, Nässe, Kälte, schlechte Kleider und Schuhe (barfuss), lange Arbeitszeiten (melken in der Nacht, Tagwache unter Umständen um vier Uhr und Bettruhe wiederum um 23 Uhr), Müdigkeit und wohl auch einmal Heimweh konnten das vielbesungene Älplerleben zu einer fast unzumutbaren Belastung verkehren. Ein Dienstkamerad von mir vermutete, dass im Regensommer 1948 mit Schneefall in der Seealp in einer Familie die zwei Hampuebe um die sechs Wochen lang in nassen Kleidern steckten, sogar die Bettdecke wäre feucht gewesen wegen des Mesmerbaches direkt bei der Hütte. Arbeitsschutz, Verbot von Kinderarbeit – vor 60 und mehr Jahren – unvorstellbar. Sicher, man war nicht verwöhnt, das Leben war unzimperlich, übermütige Sportausübung und Fussballrandale waren damals überflüssig. Verglichen mit dem Schicksal der Verdingkinder und Schwabenkinder war das Leben bei Bekannten auf einer Alp im Alpstein direkt paradiesisch, trotzdem - wer will sich melden, Freiwillige vor!! Natürlich, ein tüchtiger Handbueb wurde wohl auch selber ein tüchtiger Mann oder fähiger Senn.

Beeindruckend ist, dass Jakob Fuster (1942) auf der Fählenalp schon als 10-jähriger Knirps regelmässig 10 Kühe molk. Obiger Dienstkamerad molk mit gut 14 Jahren auf einem Gutsbetrieb täglich 20 Jungkühe (Chalbeli). Da war kein Bedarf an Fitnesskeller. Der Sennenalltag begann durchwegs morgens fünf Uhr, der Sohn Martin Fuster berichtet von ähnlichem Arbeitsbeginn als Handbueb auf der Alp Furgglen um 1985. Der Tapfere denkt: „Was mich nicht umbringt, macht mich hart!“ Auch auf Furgglen wurde übrigens in jenen Jahren die Butter zusätzlich zu Pergamentpapier als Kühlung in Alpenampfer verpackt.

Früher gab es aber oft auch ein Gegenstück zum Handbueb, den Namen kann sich jeder selber bilden! Ältere Männer, vielleicht alleinstehend, traten für den Sommer auf einer Alp für leichtere Arbeiten eine Anstellung an, sie halfen dem Sennen wie oben angegeben der Handbub. Warum? Die AHV war noch nicht geschaffen, und gelebt werden musste. Erfahrung, gutes Auge und williges Verhalten wogen dabei die rohe Kraft auf. Mein Cousin Albert Streule lebte mit einem älteren Mann (Nicke Frenz) fast jahrelang auf seiner Heimweide Dornesseln. In einem Winter haben sie einmal zusammen eine fünf Zentner schwere Sau verspiesen. Jedenfalls zeigte sich der Gehilfe fast erleichtert, als im Frühling das Schweinefleisch verzehrt war. Gut, das Schwein war zwar nicht gewogen, aber sicher doch recht happig.

Hin und wieder verrichten/verrichteten auch junge Mädchen in der Alphütte Hausarbeiten, sicher nur zum Vorteil bei Kochkunst und Sauberkeit. Im Toggenburg waren und sind eher auch Frauen auf der Alp anzutreffen, deshalb ziehen sie auch mit der Herde zur Alp. In letzter Zeit aber erledigen Frauen (gar nicht aus dem Bauernstand stammend) auch sämtliche Arbeiten auf einer Alp, auch das Käsen gelingt ihnen vorzüglich. Bei Hansueli Buff war/ist deshalb auch schon eine Frau vor den Schellkühen. Der Umgang mit den Tieren kann durch Frauen an Einfühlung nur gewinnen. Ein Heusenn bei uns in Unterschlatt wünschte beim Kalben nachdrücklich (unbeschäftigt) die Anwesenheit meiner Mutter im Stall. Es gehe dabei viel besser, wenn eine Frau anwesend sei! Verständnis, Einfühlung, feineres Verhalten ? Früher war sonst in AI normalerweise selten eine Frau im Stall anzutreffen, für die Stickarbeit brauchte sie feine Hände und der Tierbestand war oft bescheiden.

Rausennisch


Etwa bis 1950 war die Ernährung auf der Alp noch einseitiger und schmaler als im Tal unten, ob in Dorf oder Stadt. Gemüse, Früchte, Süssigkeiten, Fleisch - ach was! In einer Beinpfanne oder in einer Kettenpfanne wurde über offenem Feuer gekocht, vorwiegend Milch- und Mehlspeisen, also Fenz (Sennenspeise aus Milch, Mehl, Gries, Butter, Ei) und Rohmzonne (Rahm, Butter, Mehl etc). Am Mittag holte der Senn oft nur den Schotteneimer mit der heissen Schotte und dem Ziger darin unter der Bettdecke hervor... gewöhnungsbedürftig! 'Zigerefisch ond was guet ischt ond d Schotte n a dä Zähne' heisst es lebensfroh in einem verklärten Älplerlied.

Zur Bereicherung des Speisezettels griffen einzelne Sennen früher zu einer unvegetarischen Methode. Mindestens noch von einem Sennen (nördlich der nördlichsten Bergkette, etwa Jahrgang 1890) weiss ich aus sicherer Quelle, dass der wohl als Mittagessen Blut kochte, das er vorher einer Kuh entnommen hatte.

Anderweitig wurden laut Jakob Fuster aus dem Kuhblut auch seelenruhig Blutwürste gemacht, Details kann er aber (leider?) nicht mehr liefern. Hingegen hat er häufig und bis in die Jahre um 1980 und auch bei KB (Künstliche Besamung) bei Bedarf eigene und fremde Kühe zur Ader gelassen. Wir denken da unverkrampft etwa an 4 - 6 Liter Blut. Keine Aufregung, sogar erst mit etwa 10 Litern Blutentnahme stellt sich die angepeilte Wirkung ein; die Schwächung des Tieres mit nachfolgender Regenerierung mag da ursächlich sein, wie auch ein Löffel Essig am Mogen der Übersäuerung des menschlichen Magens wehren soll. Ich weiss nicht recht . . .

Dieses zur Aderlassen wurde eben auch angewandt, um endlich die Trächtigkeit (uufnee) einer Kuh zu erreichen oder ihrer gesundheitlichen Schwäche (Euterentzündung/Mastitis), en Wegge mache, zu wehren. Auch 'Fliegendes Blut' (Blutverdickung mit meist tödlichem Ausgang?) soll so bekämpft werden können. Das geht so: Der Kuh wird mit einem Strick um den Hals das Blut gestaut. Dann bringt man dem Tier an passender Stelle (Halsschlagader) mit dem Fries/Friäs/Fliäme (Aderlass-Fliet) eine Wunde bei, durch die gleich Blut strömt, das man auffangen und in der Pfanne zubereiten kann. Der Friäs ist ein taschenmesserähnliches, zusammenklappbares Stichmesser, das vorne an der Klinge ein dreieckiges, beidseitig scharfes Metallstück aufweist. Durch die Unterbindung am Hals wird wie beim Blutspenden an das Rote Kreuz die Vene geschwollen. An dieser Aderschwellung legt man nun den Friäs an und versetzt ihm mit einem Holzstück (Steckli) einen wohldosierten Schlag, so dass die Vene angeschnitten wird und Blut herausläuft. Wenn die Stauung gestoppt wird, versiegt anscheinend auch der Blutfluss, eine Handvoll Spinnweben oder ein kalter, sauberer Stein gegen die Wunde gepresst soll im Notfall auch hilfreich gewesen sein, laut Albert Neff und anderen Eingeweihten!

In ihrem Hunger 'ernährten' sich 1812 auf dem Russlandfeldzug auch Soldaten von Pferdeblut.

Diese archaische Prozedur kennen auch Hirtenstämme in Afrika. Wer wirft den ersten Stein? Auch in der früheren 'Humanmedizin' war der Aderlass ein probates Mittel, Krankheiten zu bekämpfen (antike Säftelehre als Ursache).

Not macht erfinderisch. Mein Vater wusste von zwei Knechten in seinem Alter, die dem Meister auf der Alp bekümmert meldeten, dass der Stier seiner eigentlichen Aufgabe nur mehr mühsam und fast mangelhaft gerecht werde (a tüess kumm mee). Gedörrte Birnen aber wären ein sicheres Mittel, dem fehlenden Temperament des Stiers wieder auf die Sprünge zu helfen, wortwörtlich gemeint! Der Meister fiel auf den Schwindel herein und beschaffte einen Sack voll gedörrte Birnen. Wer die verzehrte ist schnell erraten – der Stier jedenfalls nicht.

Eine Alphütte konnte früher (heute?) recht zugig sein. Eine offene Feuerstelle (käsen, kochen) füllte im schlimmsten Fall die Hütte mit beissendem Rauch statt mit wohlig warmer Luft, so dass nur die Flucht ins unfreundliche Freie blieb. Nasse Kleider blieben lange feucht. Ich denke da an den ungemein kühlen und regnerischen Sommer 1948 mit Schneefall über Land. Bei der Alpauffahrt in die Potersalp und bei der Alpabfahrt aus derselben fünf Wochen später sahen die Sennen im Weissbachtal die gleichen Heuschoche (Heuhaufen, die vor Regen schützen sollten) nochmals.

Vielleicht brachte eine Öffnung in der Trennwand zum Kuhstall etwas Wärme in die Hütte.

In der Alphütte Langgaden in der Seealp ist dieser heute nun geschlossene Durchbruch noch zu sehen. Alle Balken und Schindeln des Daches sind dort wie auch anderswo russgeschwärzt, es bestand statt eines Kamins oben in der Wand nur so ein buchgrosses Loch, durch das der Rauch ungern abzog. Schloss man da früher die untere Hälfte der Türöffnung (Fedlech; ist ein komisches Wort;...

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