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Öffentlichkeit und Markt: Wozu ein öffentliches Bildungswesen?

Magazin erwachsenenbildung.at Nr. 32/2017

VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl140 Seiten
ISBN9783746019383
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Worin besteht angesichts der Herausforderungen der Globalisierung und der allgemeinen Zunahme der Privatisierung die öffentliche Verantwortung für das Bildungswesen, und speziell für die Erwachsenenbildung? Ausgabe 32 des Magazin erwachsenenbildung.at stellt sich in fünfzehn Beiträgen den Privatisierungstendenzen in der Erwachsenenbildung und einer vertieften Auseinandersetzung zwischen Öffentlichkeit, Markt und Bildung. So wird in den Beiträgen u.a. aufgezeigt, dass die Verzerrung und Überbetonung der "Kapitalisierung" mit einem entsprechenden Schwinden der sozialen Einbettung von Bildung und Lernen und deren Bedeutung für die Demokratie einhergeht. Dabei wird auch die Rolle der Erwachsenenbildungseinrichtungen in diesem Diskurs beleuchtet.

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Thema


02 Wandel von Öffentlichkeit und die
Zukunft der öffentlichen Bildung


Jürgen Oelkers


Oelkers, Jürgen (2017): Wandel von Öffentlichkeit und die Zukunft der öffentlichen Bildung.

In: Magazin erwachsenenbildung.at. Das Fachmedium für Forschung, Praxis und Diskurs.

Ausgabe 32, 2017. Wien.

Online im Internet: http://www.erwachsenenbildung.at/magazin/17-32/meb17-32.pdf.

Druck-Version: Books on Demand GmbH: Norderstedt.

Schlagworte: Öffentlichkeit, öffentliche Bildung, Strukturwandel, Demokratie, Zukunft der Öffentlichkeit, Bildungssystem, Bildungsverständnis, Bildungsmedien, Neue Medien

Kurzzusammenfassung


Ist das Verhältnis von Bildung und Öffentlichkeit einem Strukturwandel unterworfen? Gibt es sie noch, die öffentliche Bildung, die dem Zusammenleben in der Gesellschaft dient? Dies sind nur zwei der Fragen, denen sich Jürgen Oelkers in seinem Beitrag widmet, der auf einem Vortrag, gehalten im Juli 2016 an der Universität Lodz in Polen, basiert. Oelkers skizziert hierfür nicht nur, wie die großen Sozialen Bewegungen als „Öffentlichkeit“ der Intellektuellen entstanden sind, sondern auch, wie sich die politische Öffentlichkeit von der Elitenkommunikation zur Massendemokratie wandelte. Zentral für seine Ausführungen ist in Anlehnung an Jürgen Habermas, dass eine demokratische Gesellschaft sich vom Zusammenleben her bestimmt. Folglich sollte Bildung sich auf den/die mündige/n BürgerIn beziehen. Aber was geschieht, wenn diese/r das Medium der politischen Öffentlichkeit verliert oder einfach nicht mehr nutzt? Und was soll getan werden, wenn dieser Öffentlichkeit die großen LehrerInnen abhandenkommen? Wesentlich für den Strukturwandel der Öffentlichkeit sind Oelkers zufolge die Neuen Medien – die mediale Öffentlichkeit sucht aber mehr nach Bestätigung als nach Ausgleich. Und: Partizipation im Netz setzt anonyme Meinungsbildung voraus und bringt daher die traditionelle Vorstellung der persönlich diskutierenden Öffentlichkeit in Verlegenheit. Schlusspunkt ist die zentrale Frage, was dieser Wandel der Medien für die öffentliche Bildung bedeutet und bewirkt. (Red.)

Wandel von Öffentlichkeit und die
Zukunft der öffentlichen Bildung


Jürgen Oelkers


Das Thema meines Beitrages6 bezieht sich auf das Verhältnis von Bildung und Öffentlichkeit sowie darauf bezogen auf die Rolle von Intellektuellen. Diese Frage beschäftigt mich seit meiner Studienzeit und genauer: seit meiner Lektüre von Jürgen Habermas‘ Buch „Der Strukturwandel der Öffentlichkeit“, das 1962 erschienen ist. Das Buch war damals Pflichtlektüre in allen Universitätsdisziplinen, die mit Politik, Bildung und Gesellschaft zu tun hatten.

Habermas geht nicht direkt auf den Zusammenhang von Bildung und Öffentlichkeit ein, aber die These des Strukturwandels von der räsonierenden Öffentlichkeit des 18. Jahrhunderts hin zur medialen Öffentlichkeit des 20. Jahrhunderts legt die Frage nahe, ob auch das Verhältnis von Bildung und Öffentlichkeit einem Strukturwandel unterworfen war und wenn ja, welche Entwicklungen damit verbunden gewesen sind (siehe Binder/Oelkers 2017). Auf den ersten Blick muss das ausgeschlossen werden. In zahlreichen Texten der Aufklärung von Joseph Priestley bis Thomas Jefferson ist von „öffentlicher Bildung“ die Rede, ohne die die Gesellschaftsform der Demokratie nicht bestehen könne. Die Anfänge dieser Überzeugung gehen auf die Englische Revolution zurück, der bis heute gültige theoretische Ausdruck ist John Deweys Buch „Democracy and Education“, das 1916 erschienen und immer noch maßgebend ist. Gefordert und in westlichen Ländern auch weitgehend realisiert wurde eine kostenlose, qualifizierte Bildung für alle, die gewährleisten soll, dass künftige StaatsbürgerInnen sich an den politischen Geschäften beteiligen und ihre Anliegen öffentlich artikulieren können. In diesem Sinne diente die öffentliche Bildung der Öffentlichkeit und genauer gesagt der politischen Öffentlichkeit oder dem Zusammenleben in der Gesellschaft.

Die politische Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit setzt eine gemeinsame Sprache voraus und verlangt ein möglichst hohes Minimum an Bildung für alle. Dabei ist keine bestimmte Kultur oder Herkunft maßgebend, sondern nur die Kultur der demokratischen Öffentlichkeit selbst. „Volk“ ist dabei nicht völkisch zu verstehen, sondern als Versammlung der Wahlberechtigten unabhängig von Rasse, Geschlecht oder Ethnie. Diese abstrakte Form des Volkes ist die große Errungenschaft der modernen Demokratie. Notwendig ist der Pass und nicht die Abstammung.

Der historische Prozess der Verschulung ist den Postulaten der Aufklärung weitgehend gefolgt, auch wenn die Begründungen verschieden waren. In den angelsächsischen Ländern wird von „public education“ gesprochen, weil Bildung als „public good“ gilt.

Ähnliches trifft auch für die Schweiz zu, während in Deutschland von „Volksbildung“ die Rede ist und Öffentlichkeit nur indirekt einen Bezugspunkt darstellt. Unabhängig von der Begründung: Im 19. Jahrhundert entstand überall in Europa das Schulmonopol des Staates, das bis heute besteht und ungebrochen scheint. Die Nationalstaaten wurden für die Volksbildung zuständig, nämlich erließen Schulgesetze, bauten eigene Verwaltungen auf, drängten die Privatschulen zurück und übernahmen auch weitgehend die Finanzierung der Schulen (siehe Geiss 2014; Aubry 2015). Was oft übersehen wird: In der historischen Schulentwicklung löste das Schulmonopol den Bildungsmarkt ab, während häufig umgekehrt argumentiert wird. Mitte des 19. Jahrhunderts beherrschten Privatschulen das Feld und die staatliche Verschulung setzte noch im 20. Jahrhundert voraus, dass Schulgeld entrichtet werden musste. Eine komplett freie und unentgeltliche Verschulung ist etwa in Deutschland keine sechzig Jahre alt.

„Öffentlichkeit“ kennt verschiedene historische Formen: Damit kann gemeint sein der Platz für die Versammlung und den freien Austausch der BürgerInnen einer Gemeinde, weiter der Ort für soziale Anlässe, Geselligkeit und die gesittete Begegnung, damit zusammenhängend der Raum der sozialen Kontrolle, die Beziehungen in der Öffentlichkeit, schließlich das publizistische Medium der Kritik und zunehmend auch die Meinungsbildung durch und mit den Massenmedien. Was Habermas vor Augen hatte, war die Öffentlichkeit der Intellektuellen oder der Kritik von Gesellschaft und Politik, die mit Namen wie Voltaire und Rousseau im 18. Jahrhundert entstanden ist und ihre große Zeit aber erst im 19. und 20. Jahrhundert erhalten sollte. Intellektuelle wurden Wortführer von Sozialen Bewegungen und galten als Wahrheitslieferanten. Aus dem Kritiker Karl Marx konnte der „Marxismus“ werden, der mit seinen Lehren Gefolgschaft verlangte und Widerspruch nicht duldete. Mit den Massenmedien des 20. Jahrhunderts wurden die historischen Formen der Öffentlichkeit entgrenzt und verloren ihren singulären Charakter. Mediale Botschaften konnten unabhängig vom Entstehungsort jede/n erreichen, vorausgesetzt war nur die Alphabetisierung, aber weder Herkunft noch Abstammung. Das Ideal der persönlichen Kommunikation und des sozialen Austausches im Nahraum wurde aber nicht preisgegeben und blieb erhalten.

„Die demokratische Gesellschaft bestimmt sich vom
Zusammenleben her, die staatliche Verwaltung ist
nachgeordnet und hat im Idealfall dienenden Charakter.“

Noch John Deweys These der Demokratie als „Lebensform“ ist dieser historischen Öffentlichkeit geschuldet. Die beiden Pfeiler seiner Theorie sind politische Partizipation und sozialer Austausch, beide beziehen sich auf überschaubare Räume und persönliche Anwesenheit, damit auf nachbarschaftliche Demokratie als Lebensgrund der Politik (siehe Rosenblum 2016). Ähnlich hat bekanntlich Jürgen Habermas die Kommunikation in der „Lebenswelt“ stark gemacht und darauf hingewiesen, dass sie nicht durch Systemrationalität ersetzt werden könne. Die demokratische Gesellschaft bestimmt sich vom Zusammenleben her, die staatliche Verwaltung ist nachgeordnet und hat im Idealfall dienenden Charakter. Das Zusammenleben wiederum wird geregelt durch öffentliche Diskussionen und demokratische Entscheide, nicht durch „Führung“, die davon unabhängig wäre. Der Austausch in dieser Öffentlichkeit setzt Beobachtung und Distanz voraus, es gibt immer ein persönliches Gegenüber und damit den generalisierten Anderen in der Erwartung der Interaktion.

Wer sich in der Öffentlichkeit verhalten will, muss sich an Regeln halten und Erwartungen erfüllen, also – wie man früher sagte – sich „benehmen“ können. Daher war auch Benimm die Grundforderung an jede Erziehung. Aber wir sind nicht mehr im 18. Jahrhundert. „Benimm“ taucht in den Zielkatalogen der heutigen Pädagogik nicht mehr auf und auch...

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