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E-Book

Ökologische Intelligenz

Wer umdenkt, lebt besser

AutorDaniel Goleman
VerlagVerlagsgruppe Droemer Knaur
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783426413234
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Umweltgerecht leben ist möglich, sagt Daniel Goleman. Und wir können unseren Wohlstand wahren - doch nur mit ökologischer Intelligenz. Der Schlüssel zu einer lebenswerten Zukunft liegt in unserer Hand. Wir dürfen kaufen, was die Umwelt schont, und müssen boykottieren, was sie belastet. So verändern wir die Wirtschaft und retten unseren Planeten.

Daniel Goleman promovierte als Psychologe an der Harvard University und arbeitete als Journalist bei der 'New York Times' und 'Psychology Today', bis er 1995 mit 'Emotionale Intelligenz' den internationalen Durchbruch schaffte. Bei Droemer erschien sein Bestseller 'Soziale Intelligenz'.

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Leseprobe

2


»Grün« ist eine Illusion

Im Visuddhimagga, einem indischen Text aus dem 5. Jahrhundert[6], fordert ein weiser Mönch König Menandros auf, ihm zu erklären, was ein Wagen sei: Die Achsen, die Räder, der Wagenkasten? Die beiden Stangen, zwischen die das Pferd gespannt ist?

Die Antwort lautet: nichts von alledem. Was wir mit dem Wort »Wagen« benennen, bezieht sich auf die zeitweilige Verbindung seiner Bestandteile. Es ist eine Illusion.

Mit dieser Erkenntnis veranschaulicht der uralte Text die flüchtige Natur des Selbst, das weder in unseren Erinnerungen noch in unseren Gedanken beheimatet ist, weder in unseren Wahrnehmungen noch Empfindungen oder Handlungen (eine Analyse, die bereits vor 1500 Jahren die Dekonstruktion des Selbst in der modernen Philosophie vorwegnahm). Doch diese Erkenntnis gilt ebenso für einen Gameboy, einen Mixer und jedes andere vom Menschen hergestellte Objekt. Alle derartigen Gegenstände lassen sich in die Vielzahl ihrer Bestandteile und die einzelnen Produktionsschritte aufgliedern.

Für den Industrieingenieur entspricht diese Dekonstruktion von Objekten der Ökobilanzierung (life cycle analysis, kurz LCA), eine Methode, mit deren Hilfe wir jedes Produkt systematisch in seine Bestandteile und die industriellen Fertigungsprozesse zerlegen und mit nahezu chirurgischer Präzision messen können, welche Auswirkungen auf die Natur das Produkt vom Produktionsbeginn bis zur Entsorgung hat.

Die LCA hatte einen recht prosaischen Start. Eine der allerersten Studien wurde in den 1960er Jahren von Coca-Cola in Auftrag gegeben, um die jeweiligen Vorteile von Plastik- und Glasflaschen und den quantitativen Nutzen ihrer Wiederverwertung zu ermitteln. Mit der Zeit wandte man die Ökobilanzierung auch auf andere industrielle Produkte an, und inzwischen setzen immer mehr nationale und internationale Markenhersteller diese Methode in irgendeiner Phase des Produktionsprozesses ein, wenn Entscheidungen zur Produktentwicklung oder -herstellung anstehen – und viele Regierungen nutzen LCAs zur Regulierung dieser Wirtschaftsbereiche.

Entwickelt wurde die LCA oder Ökobilanzierung von einem lockeren Zusammenschluss von Physikern sowie Chemie- und Industrieingenieuren mit dem Ziel, Herstellungsprozesse in allen Einzelheiten zu dokumentieren – welche Materialien und wie viel Energie eingesetzt, welche Art von Umweltverschmutzung verursacht und welche Giftstoffe in welchen Mengen abgegeben werden –, und zwar bei jeder einzelnen Grundeinheit in einer sehr langen Kette. Der erwähnte alte Text zählt im Fall des Königswagens eine Handvoll Bestandteile auf; die Ökobilanzierung für einen Mini-Cooper hingegen umfasst Tausende von Komponenten wie beispielsweise die Module, die die elektronischen Teile in dem Auto steuern. Diese elektronischen Module wiederum lassen sich herunterbrechen – wie der Königswagen auf seine Hauptbestandteile – auf Leiterplatte, verschiedene Kabel, Plastik- und Metallteile; an der zu jedem dieser einzelnen Teile führenden Kette hängt wiederum ein ganzer Rattenschwanz wie die Materialgewinnung, die Herstellung, der Transport und so weiter. Die Module steuern die Armaturen, den Kühlerlüfter, die Scheibenwischer, die Scheinwerfer, die Zündung und den Motor – und bei jedem dieser Teile können es wiederum tausend oder mehr einzelne Produktionsschritte sein, die analysiert werden müssen. Die Ökobilanzierung für dieses Mini-Auto enthält also unter Umständen Hunderttausende unterschiedlicher Einheiten.

Mein sachkundiger Führer auf diesem Gebiet ist Gregory Norris, Industrieökologe an der Harvard School of Public Health. Mit einem Abschluss in Maschinenbau am MIT (Massachusetts Institute of Technology), in Luft- und Raumfahrttechnik an der Purdue University sowie mehreren Jahren Erfahrung als Raumfahrtingenieur im Bereich Konstruktion bei der Luftwaffe verfügt Norris über untadelige Referenzen. Doch er räumt sogleich ein: »Um eine Ökobilanzierung vorzunehmen, braucht man kein Raketentechniker zu sein – ich weiß es, denn ich war einer. Es geht hauptsächlich um Datenermittlung.«

Eine solche minutiöse Analyse liefert Werte zu den Umweltbelastungen durch ein Automobil über seine gesamte Lebensdauer von der Herstellung bis zur Verschrottung – über die verwendeten Rohmaterialien, den Energie- und Wasserverbrauch, das durch photochemische Reaktion entstehende Ozon, den Beitrag zur Erderwärmung, die Schadstoffbelastung von Luft und Wasser sowie die anfallende Menge an Sondermüll – um nur einige Punkte herauszugreifen.[7] Bei der Ökobilanzierung eines Automobils zeigt sich, dass hinsichtlich des Beitrags zur Erderwärmung alles andere von der Herstellung bis zur Verschrottung verblasst im Vergleich zu den Emissionen während des Fahrbetriebs.

Eine weitere treffende Metapher für den Charakter industrieller Prozesse findet sich in einer chinesischen Abhandlung aus dem 8. Jahrhundert über den Gott Indra.[8] In dem Himmel, in dem Indra wohnt, ist in alle Richtungen ein wundersames Netz gespannt, bei dem an jedem Knotenpunkt ein herrlicher Edelstein glitzert. Dieser ist so raffiniert geschliffen, dass seine Facetten alle anderen Edelsteine in diesem Netz widerspiegeln, so dass eine unendliche Rückkoppelung entsteht. Jeder einzelne Edelstein trägt ein Bild aller anderen in sich.

Das Netz des Gottes Indra liefert uns ein passendes Bild für die unermesslichen Zusammenhänge innerhalb und zwischen den Systemen in der Natur genauso wie in den vom Menschen gemachten Systemen, etwa der Prozesskette eines Produkts. Als Norris mit mir die Ökobilanz für ein Verpackungsglas durchging, wie es für Marmelade oder Nudelsaucen verwendet wird, fanden wir uns am Ende in einem Labyrinth von Mehrfachverknüpfungen wieder, die eine anscheinend unendliche Kette von Material-, Transport- und Energiebedarf bilden. Für die Herstellung von Marmeladengläsern (und jedes andere Verpackungsglas) müssen Material – darunter Quarzsand, Natron, Kalk und verschiedene anorganische Chemikalien – von Dutzenden Lieferanten sowie Energie in Form von Erdgas oder Strom eingekauft werden, um nur einige wenige zu nennen. Und jeder Lieferant tätigt wiederum Einkäufe bei Dutzenden Lieferanten oder nimmt diese sonstwie in Anspruch.

Am Herstellungsprozess von Glas hat sich seit römischer Zeit wenig geändert. Heutzutage brennen mit Erdgas betriebene Öfen mit einer Temperatur von weit über 1000 °C rund um die Uhr, um Quarzsand zu Glas zu schmelzen, sei es für Fenster, Konserven oder das Display auf Ihrem Handy. Aber es steckt noch viel mehr dahinter. Ein Diagramm der dreizehn wichtigsten Schritte bei der Glasherstellung zeigt die Zusammenführung von 1959 verschiedenen »Prozesseinheiten«, von denen wiederum jede einzelne für unzählige vorausgegangene Prozesse steht, die ihrerseits das Ergebnis Hunderter anderer sind – ein anscheinend unüberschaubares System endloser Ketten.

Ich bat Norris um ein konkretes Beispiel aus diesem System. »Nehmen wir einmal die Herstellung von Natron«, meinte er. »Dazu braucht man Natriumchlorid, Kalk, flüssiges Ammoniak, verschiedene Brennstoffe und Strom, und all das muss zur Produktionsstätte transportiert werden. Für Natriumchlorid wiederum muss beispielsweise Steinsalz unter Einsatz von Wasser bergmännisch abgebaut werden, wozu verschiedene Materialien, Maschinen und Energie notwendig sind, und hinzu kommt noch der Transport.«

Da »alles mit allem zusammenhängt«, sagte Norris, »müssen wir ein ganz neues Denken entwickeln.«

Eine weitere Erkenntnis: Die Prozesskette für ein Glasbehältnis mag scheinbar unendliche Verknüpfungen aufweisen – aber irgendwann trifft die Kette dieser Verknüpfungen wieder auf frühere Glieder. Norris erklärte es folgendermaßen: »Wenn man bei der Prozesskette für ein Glasbehältnis die insgesamt 1959 Glieder weiterverfolgt, gelangt man zu Schleifen, die zurückführen – die Kette setzt sich ins Unendliche fort, aber asymptotisch.«

Norris veranschaulichte mir solche Schleifen an einem einfachen Beispiel. »Man braucht elektrische Energie, um Stahl herzustellen, und man braucht Stahl, um ein Elektrizitätswerk zu errichten und instand zu halten«, erklärte er. »Man kann also wirklich sagen, dass sich die Kette ins Unendliche fortsetzt – aber genauso trifft zu, dass die zusätzlichen Auswirkungen der vorgeschalteten Prozesse immer geringer werden, je weiter man sie zurückverfolgt.«

Das industrielle Pendant zu Indras Himmelsnetz gelangt also in ähnlicher Weise an seine Grenzen wie die mythische Schlange Ouroboros, die sich in den Schwanz beißt und daher als Symbol für sich wiederholende Kreisläufe oder für die Erneuerung gilt – insofern, als sich etwas ständig wiederholt und neu gestaltet.[9]

Bei industriellen Prozessen kann Ouroboros auch ein Ideal symbolisieren, das sich mit dem Begriff cradle to cradle (von der Wiege zur Wiege) umschreiben lässt, und das bedeutet, dass alles für ein Produkt Verwendete so geartet sein soll, dass es bei dessen Entsorgung komplett biologisch abbaubar ist oder mittels Recycling als Rohstoff für andere Produkte wiederverwendet werden kann. Im Gegensatz dazu steht die heutige Verfahrensweise des cradle to grave (von der Wiege bis zum Grab), bei der ein Produkt, das ausgedient hat, schlichtweg auf der Mülldeponie landet und dort Giftstoffe abgibt oder – etwa auf molekularer Ebene – andere Alptraumszenarien verursacht.

An den Wagen des Königs Menandros, an...

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